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Kapitel 2 2.

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Sie ritten nicht zu der Stadt, wie Freya erleichtert feststellte, sondern waren bis zum Abend durch die Steppe geritten, einem ihr unbekannten Ziel entgegen.

Einer ihrer Begleiter sah sich nach einem geeigneten Platz für ein Nachtlager um und fand es hinter einem Felsblock, der von ein paar Bäumen umstanden war.

Die Männer halfen ihr vom Pferd herunter, führten sie zu den Bäumen hinüber und bedeuteten ihr sich zu setzen. Einer von ihnen nahm ihre Hände und schlang ein dünnes Seil um ihre Handgelenke und band sie damit sicher an dem Baum fest. Dann entfernten sie sich. Freya beobachtete sie argwöhnisch lauernd aus den Augenwinkeln heraus.

Auch sie wurde ihrerseits von beiden Männern beobachtet, während sich einer auf der Suche nach etwas Feuerholz machte und der andere sich daran machte, ein Zelt zu improvisieren, das er mithilfe einer Decke und den niedrigeren Ästen einer der Bäume bewerkstelligte. Der Mann mit dem Feuerholz kam zurück, ließ seine Ausbeute zu Boden fallen und schichtete dann Stück für Stück ein wenig von dem gesammelten Holz auf, bevor er es anzündete. Der ältere Mann hatte indes seinen Bogen vom Pferdesattel gelöst und sich einige Schritte weit von ihrem Lager entfernt. Er musste nicht lange suchen, bis er fand wonach er suchte: Ein schnell gezielter Schuss genügte und ihr Abendessen war gesichert.

Kurze Zeit später duftete das gebratene Kaninchen verführerisch über dem Feuer.

„Meinst du, wir können sie losbinden?“, fragte Damaso leicht verunsichert.

„Wenn ich sie so ansehe, wird sie ein gutes Abendessen einer Flucht wohl vorziehen!“, entgegnete Kosmo lachend und nahm ihrer Gefangenen die Fesseln ab. Er blickte ihr tief in die Augen, führte seine Hand zur Brust und stellte sich vor: „Kosmo.“, sagte er nur knapp. Er war sich sicher, dass sie ihn nicht verstehen würde. Aber vielleicht verstand sie ja diese Geste als ein freundschaftlicher Akt und machte keine Anstalten mehr zu fliehen. Damaso machte es ihm gleich und stellte sich seinerseits vor. Dann reichte Damaso ihr ein saftiges Stück Fleisch, aufgespießt auf seinem Messer herüber. Erst jetzt wurde Freya bewusst, wie lange sie schon nichts mehr gegessen hatte. Wild und ungeduldig fing ihr Magen plötzlich zu knurren an, dass die beiden Männer nur lachten. Kosmo runzelte die Stirn, als sich Freya über ihr Stück Fleisch her machte.

„Hältst du das für klug, ihr gleich das Messer für einen Nachschlag mitzuliefern?“, fragte er Damaso in einem komischen Ton. „Oder lebst du einfach nur gerne gefährlich?“

„Ich glaube nicht, dass sie Dummheiten machen wird.“ Damaso wandte sich voll und ganz seinem Anteil am Kaninchen zu. „Sie ist nur eine verschreckte, kleine Göre, mehr nicht. Mag sein, dass der eine oder andere Kerl ihr zugesetzt hat, aber …“ Er schüttelte nur leichtfertig den Kopf und tat damit die Sache ab. Nein, dass das Mädchen versuchen würde sie zu attackieren, jetzt da sie sein Messer an sich genommen hatte, glaubte er eher nicht. Außerdem … hatte sie es schon wieder zur Seite gelegt, kaum das sie ihr Stück Fleisch aufgegessen hatte. Nein, sie war nur eine verschreckte, kleine Göre, die nicht wusste, wie ihr geschah. Damaso stand auf und holte seinen Beutel vom Sattel seines Pferdes und kam damit wieder zum Feuer zurück. Er kramte kurz darin herum und förderte noch einen großen Kanten Brot zu Tage. Mit einem Blick auf Freya brach er ein Stück von dem Brot ab und reichte es ihr herüber. Aber die Bewegung seiner Hand, die auf sie zuhielt, ließ sie zusammenzucken.

„Sie ist total verängstigt. Sie wird uns keine weiteren Scherereien machen.“, stellte Damaso zu Kosmo gewand fest, während er auf eine weitere Reaktion von ihrer Gefangenen wartete. Freya schaute Damaso zögernd an, bevor sie dann doch schnell nach dem Brot griff und hastige Bissen in sich hineinstopfte. Damaso lachte nur leise mit leichter Verbitterung auf. „Ich wünschte nur, wir könnten uns mit ihr verständigen.“, fuhr er fort. „Ich würde gerne ihre Geschichte kennen lernen!“

„Da wäre ich gar nicht so erpicht darauf.“ Kosmo warf Freya einen Blick zu, die augenblicklich wieder aufhörte an ihrem Stück Brot herumzukauen. Ganz offensichtlich unterhielten sich die beiden Männer über sie und das machte ihr zu schaffen - dass sie nicht verstand worum es genau ging.

„Ihre Verletzungen sprechen schon genug für sich. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was diese barbarischen Menschen ihr angetan haben.“, tat Kosmo ärgerlich den Kopf schüttelnd ab. Was dann Freya noch weiter verunsichert von einem zum anderen blicken ließ.

Nach dem Abendessen saßen die drei noch am Feuer beisammen. Die beiden Männer teilten sich, wie so oft nach dem Essen, eine Pfeife. Für Freya, die sich indes am Feuer wärmte, eine recht beruhigende Geste. Irgendwie verließ sie langsam das Gefühl, dass die beiden ihr etwas antun wollten. Nur aufatmen konnte sie deswegen immer noch nicht, da sie einfach nicht wusste, was sie sonst von ihr wollten.

Ihr wurde langsam kalt und sie rutschte immer näher an die Flammen heran, behielt aber weiterhin beide Männer heimlich im Auge, auch wenn sie weiterhin recht entspannt dasaßen und es ihr fast schon schien, als interessierten sie sich gar nicht mehr großartig für sie.

Als der Mond hoch am Himmel stand, beendeten die Männer ihr leises Gespräch miteinander. Sie hatten in einem freundlichen Ton geplaudert und Freyas Furcht ihnen gegenüber hatte sich sogar noch mehr gelegt. In den letzten Tagen war sie keinen Menschen begegnet, die sich so freundlich und in einem so ruhigen Ton miteinander unterhielten. Die Männer kamen ihr nicht wie gedungene Schurken vor oder Kopfgeldjäger oder Mörder oder was es sonst noch an unangenehmen Menschen auf einer Reise zu treffen gab. Freya hatte das Gespräch der beiden Männer mitverfolgt – nicht dass sie irgendetwas verstanden hätte, wohl aber war ihr aufgefallen, dass sie sich hin und wieder mit ihren Namen angesprochen hatten.

Kosmo und Damaso …. Oder so ähnlich! Verstohlen blickte Freya von einem zum anderen.

Damaso fing ihren Blick auf und lachte leise, als Freya hastig wieder zur Seite weg schaute. Er kam näher zu ihr heran und besah sie sich eine kleine Weile. Freya saß dicht am Feuer, die Beine aufgestellt und die Knie an ihre Brust gedrückt, und hielt mit ihren Armen ihre Knie umschlungen, fest entschlossen sich nicht zu rühren, egal was er jetzt von ihr wollte. Aber er drückte ihre Schulter nur sanft nach hinten, und obwohl sie sich dagegen stemmte, lag sie doch plötzlich rücklings auf dem Boden. Doch sie musste feststellen, dass da gar keine bösen Absichten seinerseits waren. Wie sie verwirrt feststellte, hatte er blitzschnell seinen Umhang auf dem Boden hinter ihr ausgebreitet, so dass sie halb darauf lag und er sie mit dem Rest des Umhanges nun zudecken konnte. Einen kurzen Augenblick sah er sie an, dann legte er sich eine Armeslänge von ihr entfernt neben sie auf den Boden und beobachtete sie.

„Versuch zu schlafen, Emily.“, sagte er leise. Freya verstand kein Wort, nur Kosmo legte die Stirn in Falten.

„… Emily?“, fragte er Damaso.

„Solange ich ihren wahren Namen nicht kenne, … Emily! Das bedeutet: die Tapfere. Und das scheint sie mir doch wohl zu sein!“

„Manchmal werde ich aus dir nicht schlau.“ Kosmo schüttelte nur den Kopf, legte sich dann aber auch zum Schlafen hin und ließ es damit auf sich beruhen.

Früh am nächsten Morgen erwachte Freya als Erste. Die beiden Männer schliefen noch und der Morgen hatte noch nicht wirklich angefangen die Schatten der Nacht zu vertreiben.

Vorsichtig versuchte sie sich aufzusetzen, wurde in der Bewegung aber gehindert. Damaso war in der Nacht noch näher an sie herangekommen und hatte einen Arm um sie gelegt. Erschrocken schnellte sie in die Höhe und wich einige Schritte von ihm zurück. Natürlich wurde der Mann davon wach, schaute sie aber nur fest an und rührte sich nicht.

Freya brauchte einen Moment um klar zu denken. Alles in Ordnung, versuchte sie sich dann selbst zu beruhigen. Er hat dir nichts getan. Nein, das hatte er wohl nicht. Nur erschreckt. Leise stöhnend setzte sie sich an einen Baum. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Körper fühlte sich von dem Schrecken plötzlich taub und kalt an. Mit zittrigen Händen zupfte sie an ihrer Tunika, um sie sich fester um den Hals ziehen zu können. Mit starrem Blick saß sie bibbernd da und hatte doch auf einmal mit den Tränen zu kämpfen.

Damaso stand auf, nahm den Umhang vom Boden auf und schlug ihn einmal kräftig aus, bevor er zu Freya herüber ging und ihr den Umhang um ihre Schultern legte. Er drückte ihre Schulter einmal kurz und ging wieder einige Schritte weg.

Freya kniff kurz die Augen zu, nickte dann dankbar. Sie verstand …!

Damaso blinzelte ihr lächelnd zu und kassierte einen viel sagenden Blick von Kosmo.

„Mir scheint, dass du Gefallen an ihr gefunden hast!“, meinte er lauernd.

„Jedenfalls ist sie eine sehr willkommene Abwechslung in Bezug auf meine Reisebegleitung.“, erwiderte Damaso spitz. Natürlich wollte er seinen Freund damit nur ein wenig aufziehen, was er von Kosmo aber nicht erwartete zu verstehen. Die beiden waren manchmal einfach zu häufig und zu lange zu weit weg von ihrer Heimat unterwegs. Kosmo verzog nur leicht seinen Mund, sagte aber nichts.

Die beiden machten sich langsam daran ihr Nachtlager abzubauen, entzündeten jedoch noch ein kleines Feuer, um sich noch einmal durchzuwärmen. Die Nacht war kalt und klamm gewesen. Während die Männer allmählich anfingen die Pferde zu satteln und zu bepacken, schaute sich Freya um. Viel tun konnte sie eh nicht. Zwar wusste sie nicht wohin ihre Reise heute gehen würde. Aber sie wusste, dass sie Hunger hatte. In einiger Entfernung sah sie Sträucher, an denen Beeren wuchsen. Vorsichtig stahl sie sich unbemerkt davon. Wie hätte sie sich ihnen denn auch verständlich machen sollen? Wäre sie so offensichtlich davon gestapft, hätten sie sie davon abgehalten, aus Angst, sie könne versuchen zu fliehen. Nein, sie pirschte vorsichtig zu den Beerensträuchern herüber, nahm ihre Tunika am unteren Rand auf und fing an so viele Beeren, wie nur möglich zu pflücken und kam dann mit ihrer Ausbeute an Beeren und einigen Blättern in dem improvisierten Tunikabeutel zu ihrem Lager zurück.

Ihr kurzes Verschwinden war doch nicht unbemerkt geblieben. Gerade in dem Moment, als sie zurückkam, hatten die beiden Männer bemerkt, dass das Mädchen verschwunden war und sahen sich erschrocken um. Freya zuckte innerlich zusammen. Was würden die beiden jetzt wohl mit ihr machen, da sie feststellen mussten, dass sich ihre Gefangene selbstständig gemacht hatte? Sie zwang sich zu der Feuerstelle hinüber zu gehen und sich auf die Knie nieder zu lassen. Freya ließ die Beeren aus ihrer Tunika heraus in eine hölzerne Schale gleiten, die noch vom Abendessen von gestern am Feuer stand. Sie zerquetschte einige Beeren mit einem flachen Stein und gab die Masse mit den Blättern dann in den kleinen Topf, der mit Wasser gefüllt neben dem Feuer stand, und ließ das Ganze dann über den Flammen aufkochen. So hatte sie es immer in ihrer Heimat gemacht.

Damaso beobachtete sie die ganze Zeit über sehr genau, sagte aber kein Wort. Kosmo hingegen beobachtete Damaso immer wieder und machte sich seine ganz eigenen Gedanken zu seinem Freund und dem Mädchen.

Erst als aus dem kleinen Topf der Dampf des heißen Tees aufstieg, löste sich die leicht gespannte Stimmung.

„Ein heißer Tee am frühen Morgen!“, erklärte Damaso Kosmo dann gut gelaunt. Und Kosmo glaubte tatsächlich ein wenig Erleichterung daraus zu hören. Na gut, wenn er ehrlich war, hatte auch er nicht gewusst, was sie da machte.

„Wenn das mal kein guter Service ist!“ Damit schlenderte Damaso zu Freya herüber und ließ sich neben sie am Feuer nieder. Mit seinem kleinen, kunstvoll gearbeiteten metallenem Henkelbecher schöpfte Damaso etwas von den Tee aus dem Topf und probierte das Gebräu vorsichtig. „Kosmo, komm her und setz dich zu uns. Das musst du probieren!“, schwärmte er regelrecht.

„Damaso, ich weiß nicht, wer von uns sich manchmal kindischer benimmt. Eigentlich dachte ich, du wärst der Ältere von uns beiden.“

Damaso sah Kosmo komisch an. „Was ist daran kindisch, sich über nette Kleinigkeiten zu freuen?“, fragte er leicht pikiert. Es missfiel ihm, dass sein Freund ihm so offensichtlich etwas unterstellen wollte. Dennoch nickte er ganz offen Freya anerkennend entgegen.

Du meine Güte, durchfuhr es ihn, das Mädchen ist nett, verängstigt, aber nett. Was sein Freund auch immer hatte!

Nachdem sie alle sich mit Tee aufgewärmt und die restlichen Beeren zum Frühstück verspeist hatten, packten sie ihre Sachen zusammen, um sich wieder auf den Weg zu machen.

Freya hatte noch immer keine Vorstellung davon, wohin die Männer sie verschleppen wollten, aber als sie gegen Mittag endlich erkannte, dass sie in südliche Richtung ritten, machte sie sich insgeheim Hoffnung niemals mehr die fremdländischen Einheimischen aus den letzten Dörfern oder Städten, die sie so ungerecht, demütigend und brutal behandelt hatten, wieder treffen zu müssen.

Allerdings konnte sie nicht umhin, jedes Mal, wenn sich ihr und Kosmos Blick trafen, leicht zusammenzuzucken. Irgendetwas war an dem Mann unheimlich. Es war nicht seine leicht mürrische Art, die er meist an den Tag legte, - er schien es hauptsächlich satt zu haben, durch die schier endlose Steppe zu reiten und im Freien nächtigen zu müssen, - nein, es war etwas anderes, etwas ganz anderes, was sie beunruhigte. Etwas stimmte an seinem Blick nicht! Es war fast so, als würde sich sein Gesicht in genau dem Moment, in dem man ihn ansah, verändern. Er war … eigenartig! Sie konnte es nicht in Worte fassen. Sie konnte allerdings auch nie ein genaueren Blick auf sein Gesicht werfen: Erstens hätte es so ausgesehen, als würde sie ihn unverhohlen anstarren, was sie natürlich überhaupt nicht wollte, und zweitens hatte er immer seine Kapuze über den Kopf gezogen, so dass sie von ihm nicht allzu viel sah.

Seine Statur ließ erkennen, dass er offensichtlich nicht von einem Bauernvolk abstammte, dazu war er viel zu groß und schmächtig und bewegte sich viel zu geschmeidig, fast schon elegant.

Während sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete und über ihn nachdachte, fing Damaso an seinen Begleiter anzusprechen.

„Ich glaube sie rätselt darüber, wer oder was du bist!“

Freya wandte den Kopf in Damasos Richtung und erstarrte, als sie bemerkte, dass er sie anscheinend die ganze Zeit über beobachtet hatte. Hatte er sie dabei ertappt, wie sie Kosmo anstarrte? Hatte sie ihn angestarrt? Starrte sie etwa tatsächlich? Sie merkte, dass sie nun Damaso anstarrte, und wie ihre Wangen leicht rot anliefen, und senkte schnell den Kopf.

Damaso lachte auf, streckte seine Hand nach ihr aus, was Freya abermals zusammenfahren ließ, und strubbelte ihr durch ihr Haar.

„Wird Zeit, dass wir nach Hause kommen …“, rief er nachdenklich Kosmo zu, „und alle mal ein ordentliches Bad nehmen können!“ Kosmo sah ihn mit fragendem Blick an, sagte aber nichts. Damaso sah ihm nur in komischer Manier entgegen.

„Ich möchte gerne wissen, was sich hinter diesem verdreckten Gör noch alles verbirgt!“

„Bringen wir sie erstmal nach Hause, dann sehen wir weiter!“, entgegnete Kosmo nur knapp und trieb sein Pferd an.

Sie ritten immer von morgens bis abends, den ganzen Tag hindurch. Freya war dankbar für die dicke Decke, die ihr Kosmo vor einigen Tagen über ihren Sattel gelegt hatte. Das viele Reiten machte sich auch so langsam an ihren Beinen bemerkbar. Immer wenn sie trabten oder gar galoppierten, scheuerten ihre Beine wie wild am Sattel. Sie fragte sich, ob sie wohl jemals eine richtige Reiterin werden würde, die nicht schon mittags den Abend herbeisehnte, an dem sie endlich vom Pferd absitzen und ihre Beine ausruhen durfte. Andererseits aber war es ein schönes Gefühl, sich einem so großen und einigermaßen wilden Tier, wie Freya fand, anvertrauen zu können und auf seinem Rücken hoch über dem Boden den Wind in seinen Haaren zu spüren. Außerdem mochte sie den Geruch der Pferde, wenn sie abends nach dem Reiten leicht verschwitzt abgesattelt wurden.

Irgendwann hatte Freya ihren Sinn für die Zeit verloren, nicht, dass Zeit in ihrem Leben je eine Rolle gespielt hatte – in ihrer bisherigen Welt gab es nur Unterscheidungen zwischen Morgen und Abend, sowie zwischen den Jahreszeiten. Sie wusste nicht mehr seit wie vielen Tagen sie schon durch die Steppe geritten waren. Anfangs hatte sie noch versucht sich die Richtung, in die sie am Tage geritten waren, zu merken, sowie die Tage zu zählen. Vielleicht hätte ihr dieses Wissen auf einer möglichen Flucht weitergeholfen, um sich nicht noch mehr in diesem Land zu verirren. Aber irgendwann hatte sie damit aufgehört. Es war, als ihr klar wurde, dass sie schlichtweg schon längst nicht mehr wusste wo sie war.

Zudem musste sie sich eingestehen, dass Kosmo und Damaso eigentlich ganz nett zu sein schienen. Zumindest Damaso war sehr um sie bemüht, aus welchen Gründen auch immer, aber sie bezweifelte, dass er unehrenhafte oder gar gräuliche Absichten hatte. Er hatte abends, wenn es kalt wurde und Freya vor Kälte nur so mit den Zähnen klapperte, oft genug Gelegenheit gehabt, ihr zu Nahe zu kommen. Tatsächlich aber nahm er sie oft einfach nur in den Arm, um sie zu wärmen. Aber sie wusste noch immer nicht, was die beiden Männer eigentlich von ihr wollten. Freya überlegte krampfhaft, wie sie sich ihnen verständlich machen sollte, und wie sie sie verstehen sollte. Freya kannte keine andere Sprache als die ihre. Sie war niemals zuvor in einem anderen Land gewesen und war auch niemals zuvor einem Ausländer begegnet. Es gab Geschichten über allerlei Fremde und fremde Länder, aber als sie den Entschluss gefasst hatte nach Süden zugehen, weil dort das Wetter besser sein sollte, hatte sie sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass in einem anderen Land eine andere Sprache gesprochen werden könnte! Seufzend gab sie ihre Grübeleien auf.

Als sie an diesem Abend ihr Nachtlager aufschlugen wirkte Kosmo sehr angespannt und sah ständig in eine bestimmte Richtung, was Freya sehr beunruhigte. Damaso hatte ihn einige Male angesprochen, aber Kosmo hatte immer nur leicht mit dem Kopf geschüttelt.

So heiß es am Tag auch werden konnte, nachts war es immer empfindlich kalt und Freya war froh, dass Damaso sich heute Abend wieder neben ihr schlafen legte und sie wärmte, indem er seine Arme um sie schlang. Kosmos Verhalten hatte ihr mehr Angst gemacht, als sie sich eingestehen wollte, aber in seinen Armen fühlte sie sich sicher. Sie hätte es nie mehr für möglich gehalten, dass sie so empfand. Es hatte – und sogar noch vor ein paar Tagen – eine Zeit gegeben, in der sie alle Männer einfach nur abgrundtief gehasst und gefürchtet hatte. Aber nicht Damaso! Er war anders, als die Männer, die sie bisher kennen gelernt hatte! Er war nett. Sie fand ihn zumindest nett. Etwas, dass sie sehr erleichterte. Es bedeutete, dass sie sich weniger Sorgen um sich selbst machen musste.

Erst am nächsten Abend wusste Freya endlich, warum Kosmo so angespannt war.

Sie waren am späten Nachmittag zu einem großen und reißenden Fluss gekommen, den zu überqueren sie für schier unmöglich hielt, den sie aber wohl überqueren würden!

Als sie später am Abend dann zu einer Furt kamen, war es bereits dunkel geworden, sodass sie es nicht mehr wagen konnten, zum anderen Ufer hinüber zu reiten und an dieser Seite des Ufers unter den hier dicht wachsenden, großen Bäumen ihr Lager für die Nacht aufschlugen. Allerdings waren sowohl Damaso, als auch Kosmo deswegen sehr beunruhigt.

Freya wünschte sich nur sie hätte sie fragen können wieso! Es war doch ein wunderschöner Flecken Erde, soweit sie es im Dunkeln erkennen konnte. Das leise Gurgeln des Wassers schien sie verzaubern zu wollen …. Freya wusste, welche Anziehungskraft Wasser haben konnte. In ihrer Heimat hatte sie auch oft des Abends an dem Fluss gesessen, der sich in einiger Entfernung hinter ihrem Dorf entlang schlängelte …. Zudem würden die Bäume ihnen Schutz bieten. Sie verstand die Aufregung nicht, vertraute aber gleichzeitig Damaso insoweit, dass er sie warnen und auch beschützen würde, wenn Gefahr im Verzuge wäre. Im Grunde genommen, musste sie sich eingestehen, hatten die beiden Männer die ganze Zeit über nichts anderes getan, wenn sie mal von ihrer Ergreifung in dem Wäldchen absah, aber mittlerweile war sie sich nicht mehr sicher, dass es eine Ergreifung war. Vielleicht war es auch eine Rettung?!

Aber was hätte zwei wildfremde Männer, die sie eigentlich immer noch waren, veranlassen können sie zu retten? Und vor allem … wovor?

Ihr war schon vor einigen Tagen aufgegangen, dass die Märkte, die sie gesehen hatte, Sklavenmärkte gewesen waren, von denen sie bisher immer nur in Schauermärchen in ihrer Heimat gehört hatte. Wenn aber Damaso und Kosmo sie nicht wieder zu einem dieser Sklavenhändler zurückbrachten, was sie ganz offensichtlich nicht taten, und auch, ihrem Benehmen ihr gegenüber, künftig nicht vorhatten, was wollten sie dann von ihr? Quälende Fragen machte ihr an diesem Abend das Einschlafen schwer, aber irgendwann kam der Schlaf dann doch.

Lange hatte sie nicht geschlafen, als sie merkte, dass Damaso nicht mehr hinter ihr am Boden lag, um sie zu wärmen. Verschlafen setzte sie sich auf und sah sich um. Kosmo war ebenfalls nicht dort, wo er sich zur Wache hingesetzt hatte, sondern stand etwas abseits von ihrem Lager bei den Pferden und unterhielt sich leise mit … ja mit wem eigentlich?

Plötzlich war sie hellwach. Sie sah deutlich drei Gestalten, die sich miteinander leise unterhielten, drei, nicht zwei, es waren drei! Nur kurz dachte sie darüber nach sich leise anzuschleichen, da hatte sich ihr Körper schon von ganz alleine in Bewegung gesetzt. Schließlich war sie es immer noch gewohnt sich vorsichtig zu bewegen. Zu oft hatte sie sich vor Menschen, auch in ihrer Heimat, verstecken müssen, und war fast vor Neugier geplatzt, wenn sie gesehen hatte, dass sich manche ihrer früheren Verfolger beraten hatten. Es konnte schließlich nicht schaden zu wissen, was ein möglicher Feind vorhatte!

Hinter einem Busch in der Nähe der drei Männer, der gerade groß genug war ihr Schutz zu bieten, kauerte sie sich hin und versuchte angestrengt der Unterhaltung der drei Gestalten zu folgen.

Nur wurde ihr gerade wieder bewusst, dass sie sich hier in einem fremden Lang befand, dessen Sprache sie nicht verstand! Was das Belauschen wohl wenig Erfolg versprechend machte.

Aber vielleicht wurde sie ja aus dem Gesprächsverlauf und den Gestiken, die die drei Männer benutzten schlau ….

Erst als Kosmo sich umwandte und geradewegs auf sie zukam, um sie ärgerlich am Arm hinter ihrem Busch hervorzuziehen, erkannte sie, dass sie auch die Gestiken wohl falsch gedeutet hatte. Ihr Herz hämmerte, als wollte es zerspringen! Das hatte sie nicht vorhergesehen! Mit dem unguten Gefühl ertappt worden zu sein, traten Kosmo und sie zu Damaso und dem anderen Mann hinüber. Der andere Mann lachte leise.

„Hast du wirklich geglaubt, dich vor einem Elben verstecken zu können?“, fragte er amüsiert.

Freya sah ihn nur verständnislos an. Insgeheim hatte sie sich gewünscht, dass mal irgendjemand ihre Sprache sprach, aber natürlich wurde sie enttäuscht. So etwas in einem fremden Land zu hoffen war dumm.

„Sie spricht unsere Sprache nicht und auch nicht die eure. Offen gesagt hat sie bislang noch gar nicht gesprochen. Ich habe keine Ahnung, woher sie stammt!“, sagte Damaso entschuldigend. Zumindest das verstand Freya aus dem Klang seiner Stimme heraus. Er wollte sie in Schutz nehmen …!

„Offen gesagt hat sie bislang noch gar nicht gesprochen,“ wiederholte Kosmo, „weil sie vielleicht auch nur zu stur ist, um mit uns zu reden.“

„Wie dem auch sei, wir müssen noch heute Nacht nach Aldomark!“, sagte der fremde Mann. „Hier ist sie nicht sicher, wir alle nicht!“

„Der Fluss führt zurzeit Hochwasser, selbst hier an der Furt wird es gefährlich werden ihn zu überqueren.“, wandte Damaso ein. „Bist du sicher, dass wir dieses Risiko in der Nacht eingehen sollten, wo keiner von uns sehen kann, wohin wir den nächsten Schritt setzen?“

„Ich bin mir sehr sicher! Sie hat das Pferd meines Vaters gestohlen, El Eligo, ein sehr wertvoller Zuchthengst, der zur Hochzeit meines Bruders in dessen Besitz übergehen soll. Achaz sinnt auf Rache und Conall schäumt vor Wut, zudem sie ihn auf dem Marktplatz ungesühnt und wie einen Idioten hat dastehen lassen. Ich bin ihnen vorausgeritten, um die Verfolgung aufzunehmen, aber sie werden sehr schnell hier sein. Daher ist es besser, dass wir gleich noch die Furt durchqueren, danach muss ich den Hengst allerdings sofort wieder zurückbringen. In Aldomark muss sie zu Fuß weiter, sonst sehe ich keine Chance!“

„Woher wissen dein Vater und dein Bruder denn in welcher Richtung sie suchen sollen?“, fragte Kosmo, dem die Vorstellung noch heute Nacht weiterziehen zu müssen wenig behagte. „Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass sie Richtung Westen oder noch weiter in den Süden ziehen? Sie werden doch bestimmt annehmen, dass ihr Hengst instinktiv den Weg nach Hause einschlagen wird!“

„Ich fürchte nein! Sie wissen es deshalb, weil ihr auf dem Marktplatz bei der Flucht ein Missgeschick passiert ist: Sie hat Magie gewirkt! Nur so konnte sie entkommen!“

Damaso fluchte leise vor sich hin. „Dann wird sie aber auch in Aldomark nicht sicher sein!“, gab er zu bedenken. „Wenn jemand weiß, wo sich Magier verstecken, dann doch wohl dein Vater!“

„Deshalb müssen wir ja so schnell es geht weiter! Ihr müsst euch mit Aldoin und den anderen beraten, bevor es zu spät ist!“, drängte der Fremde.

„Moment, Kieran, du sagst, dass dein Vater schon auf dem Weg hierher ist. Er wird bestimmt nicht vor Aldomark halt machen, wenn er sich sicher sein kann, dass seine Pferdediebin hier verborgen wird!“

„Natürlich nicht! Deshalb müsst ihr alle euch beraten, ihr müsst den Wald verbergen, damit ihr nicht sofort aufgespürt werden könnt. Ich werde flussaufwärts reiten und von den Bergen her auf das Lager meines Vater zukommen, damit er nicht automatisch zur Furt gelenkt wird. Das wird ihn eine Weile ablenken. Aber wir müssen uns beeilen!“ Kieran trat auf Freya zu und sah sie prüfend an. In der Dunkelheit konnte Freya den Mann allerdings kaum erkennen. Er war nicht mehr als ein schwarzer Schemen in der Nacht.

Kosmo der sie noch immer am Arm festhielt, zog sie hinter sich her auf ihr Pferd zu. Er bedeutete ihr aufzusitzen. Freya wusste nicht was vorgefallen war, dass sie mitten in der Nacht los reiten mussten, aber schwang sich behände in den Sattel. Damaso hatte mit einigen wenigen Griffen das Nachtlager abgebaut und alle Sachen in seine Satteltaschen verpackt. Er blickte zu Freya hinüber und hielt kurz inne, so, als müsse er überlegen. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, wohl aber seinen Blick spüren. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Etwas war geschehen, dass wusste sie. Etwas Ungutes. Vielleicht auch etwas Schreckliches?!

Schon kurze Zeit später standen sie alle direkt am Fluss und trieben ihre Pferde, die in der Dunkelheit ebenfalls kaum etwas sehen konnten in die Strömung hinein. Das gurgelnde Aufschäumen des Wassers machte ihnen Angst, da sie die vermeintliche Gefahr nicht sehen konnten. Immerhin schafften sie es aber schon mal bis zur Flussmitte. Hier wurde der Fluss allerdings so tief, dass Freya ihre Beine entsetzt nach Luft schnappend hochziehen musste, weil das eiskalte Wasser sie an den Beinen schmerzte. Was ihr Reittier noch nervöser machte, als es ohnehin schon war. Dann aber schwappte das Wasser bis über den Rücken des Pferdes und Freya und auch das Pferd prusteten vor Kälte. Immer wieder versuchte die starke Strömung sie davon zu reißen, immer wieder gab es im Fluss Stellen, an denen die Pferde den Halt unter ihren Hufen verloren und mit der Strömung einige Meter weit fortgerissen wurden. Doch genauso fanden sie immer wieder zwischendurch Halt und wateten zielsicher dem anderen Ufer entgegen. Instinktiv tätschelte Freya ihr Pferd, um es zu beruhigen und es gleichzeitig zu loben, dass es seine Aufgabe so gut machte. Ihr Pferd war dann auch das Erste, das aus den eisigen Fluten an dem gegenüberliegenden Ufer empor kletterte. Die drei Männer folgten ihr dichtauf.

Die Furt war sehr steinig, und die Pferde mussten sich langsam einen Weg durch das Geröllfeld suchen. Als sie dann aber nach einigen Metern den Grassaum vor dem Waldrand erreicht hatten, blieb Freyas Pferd stehen und schüttelte sich das kalte Wasser so heftig aus dem Fell, dass Freya einfach abgeschüttelt wurde. Der Fremde und Damaso kamen lachend auf sie zu geritten. Während dieser Kieran das Pferd am Zügel nahm, um es am Fortlaufen zu hindern, saß Damaso schnell von seinem Pferd ab, um Freya hoch zu helfen. Sie war sehr unsanft und heftig direkt auf ihren Hintern geplumpst, so dass sie sich vor Schmerzen nicht rührte, sondern einfach da saß, die Hände hinter sich auf den Boden aufgestützt in der vagen Hoffnung so den Schmerzen in ihrem Rücken zu entgehen. Der sanfte Ruck, mit dem Damaso ihr aufhalf, ließ sie aufstöhnen, und eine Träne rann ihr plötzlich über ihr Gesicht.

Das Licht des Mondes war hier an der offenen Furt hell genug, um Damaso sehen zu lassen, dass sie sich quälte. Sie konnte vor Schmerzen nicht mal aufrecht stehen! Mit einem leisen Fluch legte Damaso ihr seinen Arm um die Schultern, erreichte damit aber nur, dass sie sich noch weiter krümmte. Das hatte ihnen jetzt auch noch gefehlt! Recht pragmatisch nahm er sie daher einfach auf den Arm und trug sie zu einem größeren Felsen hinüber und legte sie bäuchlings darauf ab. Vorsichtig zog er die Tunika hoch, um sie zu untersuchen, fand aber zum Glück nur eine ordentliche Schürfwunde am unteren Rücken. Sie würde sich bis morgen ordentlich blau verfärbt haben! Daran konnte er jetzt und hier nichts ändern. Aber damit konnten sie durchaus weiter!

Kieran war dazu gekommen und gab einen halb unterdrückten Laut von sich, als er den Peitschenhieb auf Freyas Rücken sah, der Damaso grimmig zu ihm aufblicken ließ.

„Kein schöner Anblick, nicht wahr?“, fragte ihn Damaso scharf. „Aber ich nehme an, dass du auch auf dem Marktplatz warst und es selbst mit angesehen hast, als man ihr das antat!“ Kieran schluckte und starrte nur wie gebannt auf die Verletzung, die man dem Mädchen beigebracht hatte, bevor er antworten konnte.

„Ich habe mich für den ganzen Rummel auf dem Marktplatz nicht interessiert. Mir war nicht einmal bewusst, dass sie nur ein Mädchen war, was dort als Pferdediebin ausgepeitscht werden sollte.“ Seine Stimme klang, als wollte sie ihm den Dienst verweigern. Er hatte tatsächlich noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, was manche Menschen durch die Hand anderer zu erleiden hatten. Aber als er jetzt sah, was sein eigener Bruder diesem Mädchen hier angetan hatte, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, fuhr ein Stich durch seinen gesamten Körper. Er hatte sie erst einmal gesehen, auf dem Sklavenmarkt in Hal-Abun war sie mit El Eligo geflüchtet. Kieran wusste nur von den Erzählungen auf dem Marktplatz, was dort vorgefallen war. In der kleinen Hafenstadt Al-Alef war er allerdings auf sie aufmerksam geworden. Sie hatte nicht nur wie eine Wildkatze gekämpft, sondern auch einen Feuerzauber gegen ihren Peiniger bewirkt, der sie ausgepeitscht hatte, und zum guten Schluss einen Bannzauber über den Marktplatz gelegt, so dass niemand in der Lage gewesen war sie zu verfolgen.

Kieran schloss resigniert die Augen. Damaso hatte recht: Er hatte es tatsächlich mit angesehen und nichts, absolut nichts unternommen! Es hatte ihn nicht sonderlich interessiert! Sklavenmärkte waren etwas für seinen Bruder, nicht für ihn! Er hatte diese demütigende Unterdrückung anderer Menschen noch nie für eine sinnvolle und gute Erfindung gehalten. Aber er hatte auch noch nie etwas dagegen angestrebt! Dabei sollte er doch als Sohn eines mächtigen Stammesfürsten in der Lage sein gewisse Dinge und Traditionen ändern zu können. Wahrscheinlich war es diese mangelnde Entschlusskraft, die ihn daran hinderte in der Familienhierarchie eine höhere Stellung einzunehmen! Und nun würde sein Bruder in die Fußstapfen ihres Vaters treten und würde sich wohl keinen Sklavenmarkt und keine tauglichen Sklaven entgehen lassen!

Sachte berührte Kieran Freya an ihrer Schulter.

„Es tut mir leid.“, sagte er fast tonlos und ging davon.

Damaso hatte mittlerweile ihre leichte Verletzung versorgt und hievte sie auf den Sattel seines Pferdes.

„Kosmo“, rief er leise, „wir müssen weiter. Bist du soweit?“ Kosmo kam neben Damaso geritten.

„Von hier an seid ihr beiden sicher. Ich werde schon vor reiten und einige aus ihren wohlverdienten Schlaf reißen. Und vielleicht können wir schon mit Vorbereitungen anfangen, bis ihr angekommen seid.“ Damit stürmte er davon und verschwand im Wald.

Kieran sah sich schwerfällig zu Damaso um.

„Auch ich werde euch jetzt verlassen. Ich habe einiges gut zu machen und muss meinen Leuten zuvor kommen, um sie aufzuhalten. Pass gut auf sie auf!“ Ein schlechtes Gewissen plagte ihn, das war ganz offensichtlich. Er stieg auf sein eigenes Pferd, nahm den Hengst seines Vaters am Zügel und ging zurück in die Furt. Ungefähr in der Flussmitte wurde er von der Dunkelheit verschluckt und war nicht mehr zu sehen.

Der Morgen dämmerte schon als Damaso und Freya endlich an ihrem Ziel ankamen. Allerdings konnte Freya nicht wirklich sagen, wo das war. Dazu war sie viel zu müde. Sie befanden sich in einem Wald, der aus sehr alten und sehr mächtigen Bäumen bestand, älter und mächtiger als Freya je einen Wald gesehen hatte. Und ein eigenartiges Empfinden ging von diesem Wald aus. Freya fühlte sich beobachtet. Dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Brunnen vor ihnen auf. Damaso hielt das Pferd an, fasste Freya um die Hüfte und hob sie von seinem Pferd herunter. Schlagartig wurde Freya hellwach als sie mehr und mehr Menschen um sich herum wahrnahm. Sie schienen mit ihrer Umgebung fast zu verschwimmen und es schien fast unmöglich sie wirklich anzusehen. Dann nahmen sie aber immer mehr Gestalt an und standen so wirklich vor Freya, dass sie erschrocken aufkeuchte. Das ging nicht mit rechten Dingen zu!

„Wie ich sehe hast du ihr nicht erklärt, wen sie hier antreffen würde.“, sagte eine sanfte Frauenstimme. „Sei mir gegrüßt, Damaso! Eure Reise war sicher beschwerlich, aber der verdiente Schlaf und auch ein ordentliches Mahl werden wohl noch warten müssen, befürchte ich. Aber last uns zum Festplatz gehen, dort wird für euch gesorgt werden, während wir uns unterhalten und beraten.“

Ein ganzer Tross Menschen setzten sich in Bewegung. Freya war von dem Anblick, der sich ihr bot, fasziniert: Alle schienen sich in exakt demselben Moment zu bewegen und führten auch exakt dieselben Bewegungen aus. Auch ihr Äußeres ließ sie kaum voneinander unterscheiden. Alle hatten Kleidung an, die sie, während sie so dahin schritten, vor dem Hintergrund der Bäume fast unsichtbar machte. Es war so, als würde sie nicht ein festes Objekt, sondern nur die Bewegung dessen sehen können. Sie vermochte es nicht in Worte zu fassen.

Damaso unterhielt sich mit der Frau an ihrer Seite.

„Leider haben die Menschen ihr so sehr zugesetzt und sie verängstigt, dass sie noch nicht ein Wort gesagt hat. Ich habe keine Vorstellung davon aus welchem Bereich sie stammt. Sie versteht aber offensichtlich kein einziges Wort von dem, was wir bislang besprochen haben.“

„Kosmo hat mir bereits Bericht erstattet. Wenn sie etwas Vertrauen gefasst hat, werden wir eine Gedankenübertragung durchführen. Aber zuvor sollten wir wirklich in Erwägung ziehen, den Wald zu verbergen. Wenn es zutrifft was Kieran befürchtet, ist das die einzige Möglichkeit, die auch ich sehe.“

Sie mussten nicht lange laufen, bis sie zu einem Platz im Wald kamen, der in verschiedenen Terrassen angelegt zu sein schien. Tatsächlich bildeten Baumwurzeln, die flach auf dem Erdboden verliefen, ein gleichförmiges, terrassenähnliches Muster mit einigen höheren Abschnitten, auf denen sich Sitzgelegenheiten aus dicken Baumstämmen befanden. In der Mitte des Platzes war ein großes Feuer entzündet worden, dessen Wärme Freya auch bis auf die etwas höher gelegenen Terrassen spüren konnte. Hier und da sah sie einige kleinere Feuerstellen und als sie aufblickte, sah sie auch in den Bäumen über ihr kleine Lichter funkeln.

Freya fühlte sich wie verzaubert. Es war wie in einem Traum. Sogar die Müdigkeit, die sie empfand, passte dazu. Sie wollte sie irgendwie beruhigen, einlullen, ihre Gedanken zum Verstummen bringen. Mit großen Augen sah sie sich um.

Langsam schienen alle, die mit ihnen zu diesem Platz zwischen den Bäumen gekommen waren, ihren Platz gefunden zu haben. Sie standen alle in einem großen Kreis beisammen und Freya wunderte sich nur darüber, wie viele von diesen seltsam aussehenden Menschen plötzlich da waren.

Sie sah Kosmo auf der anderen Seite des großen Feuers wieder. Diesmal trug er keine Kapuze und zum allerersten Mal sah Freya ihn wirklich, und fuhr bei seinem Anblick leicht zusammen. Seine Augen waren ein wenig zu schmal, seine Gesichtszüge ein wenig zu fein und vor allen waren seine Ohren ein wenig zu spitz, um tatsächlich menschlich sein zu können.

Plötzlich kam ihr die Erkenntnis und sie sah sich leicht verschreckt um. Sie befand sich nicht unter Menschen, sondern im Kreise von Elben!

Es gab Geschichten über Elben. Einige dieser Geschichten hatte sie als kleines Kind gehört. Aber es waren Märchen gewesen, und die Elben, die in den Geschichten vorkamen waren nur Fabelwesen! Aber das hier war real! Elben …!

Freya wusste nicht, was sie denken sollte, was sie fühlen sollte, was sie tun sollte!

In den Geschichten waren Elben kein angenehmes Volk, und es hatte immer geheißen: Hüte dich davor zu tief in den Wald zu gehen, und hüte dich vor Elben! Und nun stand sie hier, umringt von Elben, deren Anzahl sie nicht einmal abschätzen konnte. Und im Moment wusste sie auch nicht, was sie über sie denken sollte. Oder ob sie sich Sorgen machen sollte ….

Damaso war neben sie getreten. Damaso, der bislang immer nett zu ihr gewesen war.

Als er ihr Zaudern bemerkte, legte er beruhigend eine Hand auf ihre Schulter.

Das Gefühl der Sicherheit, die sie sonst bei seiner Berührung gespürt hatte, wollte sich nun nicht mehr einstellen. Stattdessen wand sie sich, um dieser Geste zu entkommen.

„Ich glaube wir sollten die Gedankenübertragung ein wenig beschleunigen.“, sagte Damaso. „Offensichtlich hat man auch ihr Schauermärchen über dunkle Wälder und böse Elben, die kleine Kinder verschleppen, erzählt. Wie ich schon sagte, weiß ich nicht, woher sie stammt und welche Sprache sie spricht. Aber ich denke, es wird Zeit, dass wir ihr einiges erklären und ihr ihre Zweifel und Ängste nehmen!“

„Damaso hat recht! Wenn sich alles so zugetragen hat, wie Kosmo von Kieran berichtet hat, werden wir Probleme haben Achaz davon abzuhalten, hier mit einer kleinen Streitmacht einzufallen, um sich seine rechtmäßige Sklavin wiederzuholen. Außerdem könnte es sich als gefährlich erweisen, unseren Gast ununterrichtet einer Konfrontation mit Achaz und Conall auszusetzen. Wie Kieran wohl erzählte, hat sie auf einem Marktplatz einen Feuerzauber bewirkt, nur aus einem mächtigen und unkontrollierten Gefühl heraus. Ich für meinen Teil, möchte unseren Wald nicht brennen sehen, nur weil sie Angst vor uns hat und ihre Magie nicht beherrschen kann! Wie seht ihr das, ehrwürdiger Bastaho?“

Ein hoch gewachsener, sehr schlanker und elegant wirkender Elb war vorgetreten und schaute nun in die Runde.

Ein anderer, deutlich älterer Elb trat einige Schritte weiter in die Mitte und wandte sich zu Freya um.

„Ich spüre große Angst in ihr, aber auch die Bereitschaft sich selbst bis aufs Blut zu verteidigen. Wir haben ihre Schwingungen deutlich bis hierher gespürt, daher nehme ich an, dass es äußerst gefährlich ist, sie zu unterschätzen. Aldoin …!“ Bastaho sah den jüngeren Elb auffordernd an und anschließend Freya tief in die Augen, was ihr noch mulmiger zumute werden ließ, als ihr ohnehin schon war.

„Also gut, dann werde ich sofort beginnen!“ Der große, schlanke Elb kam auf sie zu. Freundlich blickte er Freya an, aber als er seine Hände hob, um nach ihren Schläfen zu greifen, zuckte sie mit einem heftigen Ruck zurück und trat mit weit geöffneten Augen einige Schritte rückwärts.

Damaso war es, der sie aufhielt, indem er sich direkt hinter sie stellte und sie bei den Schultern nahm. Alles in Ordnung, wollte diese Geste sagen, aber Freya fand gar nichts in Ordnung. Eine leichte Panik stieg in ihr hoch, als Aldoin weiter auf sie zukam und noch einmal ihre Schläfen mit seinen Händen berührte.

Den heftigen Tritt, den Freya nach hinten ausführte, um Damaso daran zu hindern, sie weiterhin festzuhalten, hatte er nicht einmal erahnt. Umso überraschter stöhnte er auf, als ein stumpfer Schmerz durch sein Schienbein jagte, und er ließ sie los.

Freya wollte sich gerade zur Seite weg drehen, um Aldoin zu entkommen, als Damasos starker Arm sie umschlang und sie fest an ihn drückte. Sie wandte sich und zappelte wild, um sich befreien zu können, aber wie vor einigen Tagen, - oder waren es tatsächlich schon Wochen gewesen? – hatte Freya auch diesmal keine Chance gegen Damaso anzukommen.

Schließlich wurden ihre Bewegungen immer langsamer und fahriger, bis sie schließlich aufgab. Damasos Griff lockerte sich ein wenig, hielt sie aber noch immer fest, und er strich ihr mit der Hand über ihr Haar. Und wieder überkam ihn dabei ein eigenartiges Gefühl.

Eine Elbenfrau erschien nun vor Freya. Sie hatte sie zunächst gar nicht kommen sehen. Jetzt, da sie ihrer gewahr wurde, konnte sie aber kaum ihren Blick von der Frau abwenden.

Die Frau war nicht mehr ganz so jung, was ihrer engelsgleichen Schönheit aber nicht im Wege stand. Ihre Haare schimmerten wie das Licht des Mondes in einer Vollmondnacht: schwer zu beschreiben, aber glitzernd und irgendwas zwischen golden und silbern leuchtend. Ihr schlanker Körper, der in einem Kleid aus schillernder hellgrüner Seide ihre Anmut nur erahnen ließ, schob sich direkt vor Freya. Langsam hob die Elbin die Arme, ließ Freyas Blick dabei aber nicht los. Ihre Augen waren so unendlich dunkel und tief, als könne man sich in ihnen verlieren, und beinahe tat Freya genau das! Sie spürte die Hände der Elbin auf ihren Schläfen ruhen, und spürte, wie sich etwas in ihrem Kopf bewegte. Dann sah sie das Bild einer schönen Frau in ihrem Geiste aufblitzen und wusste gleichzeitig, dass es sich um die Elbin handelte, die ihr gegenüber stand. Sie sagte etwas zu ihr, und Freya konnte auf eine seltsame Art die Worte verstehen.

„Habe keine Angst. Du brauchst in unserem Wald niemanden zu fürchten. Ich spreche über deinen Geist zu dir und kann auch in deinen Geist blicken und sehen, was auch du gesehen hast. Es mag ein sehr befremdliches Gefühl sein, daher möchte ich vorerst nur wissen, woher du stammst und ob sich in unseren Kreisen jemand befindet, der deine eigene Sprache spricht. Erinnere dich nun zurück, an deine Heimat, dort, wo du zuhause warst.“

Ein kurzes Bild von einem kleinen Dorf mit Stroh gedeckten, halbverwitterten Hütten vor einem hellblauen und grauen Horizont erschien in ihren Kopf. Sie hörte das Meer rauschen, dass sie schon so unendlich lange nicht mehr gesehen oder gehört hatte.

„Eine Nordländerin!“, sagte die Elbin leicht erstaunt. „Markward, ist dir die Sprache der Nordländer noch vertraut?“ Obwohl diese Worte nicht Freya galten, konnte sie sie noch immer verstehen. Die Elbin war noch immer mit ihrem Geist verbunden.

Ein grob wirkender Mann, dessen halblange, dunkle Haare ihm in leichten Wellen bis auf die Schultern fielen, kam auf sie zu. Freya erschauderte bei seinem Anblick. Seine Augen waren sehr schmal und sehr dunkel, was ihm ein gefährliches Aussehen einbrachte. Seine etwas dunklere Haut wollte nicht zu den anderen Elben passen, die ausnahmslos alle sehr hellhäutig waren, und unterstrich seine Andersartigkeit noch ein wenig.

Damaso schien ebenfalls nicht den Elben hier anzugehören, sondern stammte wahrscheinlich aus einem anderen Wald. Freya war ein wenig verwirrt und musste sich eingestehen, dass sie eigentlich gar nichts über Elben wusste. Und sie wusste auch nicht, wieso gerade jetzt ihr diese Gedanken durch den Kopf schossen. Die Elbin lächelte leicht amüsiert Freya auf ihre eigene Art an.

„Halbblüter!“, sagte sie dann zu Freya. „Damaso ist halb Mensch und halb Elb, genau wie Markward. Damasos Vater stammte aus dem Süden, Markwards Mutter war eine von deinem Volk. Er hat längere Zeit im Norden gelebt und hütet jetzt die Grenzmarken für uns. Wir sollten unsere Unterhaltung über Markward fortsetzen, da die gedanklichen Gespräche doch etwas Kräfte raubend sein können.“

Die Elbin ließ ihre Hände sinken. Sofort überkam Freya eine große Müdigkeit. Fast so, als wäre sie leer gesogen worden. Damaso hielt sie noch immer an den Schultern fest, und diesmal war sie sogar dankbar dafür.

Markward sprach sie dann als erster in ihrer Sprache an.

„Sag uns, was genau geschehen ist, dass du dich nun so weit weg von Zuhause und auf der Flucht befindest! Erzähle uns alles von dir, damit wir dir besser helfen können.“

Freya blickte hoch und sah erst ihn, dann verstohlen alle anderen an. Sie wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte. Noch weniger, warum man ihr hier helfen wollte.

„Ich komme aus einem kleinen Dorf, das knapp einen halben Tagesmarsch vom Meer entfernt an einem Fluss liegt. Meine Eltern habe ich früh verloren, ich bin bei entfernten Verwandten groß geworden. Allerdings konnten sie mich eines Tages nicht mehr mit ernähren, da auf einmal die ganze Ernte verbrannt war, und ich wurde weggeschickt. Im Nachbardorf bin ich bei einer Familie untergekommen, die Hilfe bei der Feldarbeit brauchte, aber eines Tages ist die Dorfscheune abgebrannt, in der der Wintervorrat lagerte und man gab mir die Schuld daran, weil ich zu der Zeit ganz in der Nähe war. Dabei hatte ich mich nur mit einem Jungen aus dem Dorf gestritten und war gar nicht bei der Scheune! Später dann ist der Dorfbrunnen eingestürzt und da hieß es, ich sei von teuflischen Dämonen besessen und sie haben mich aus dem Dorf gejagt. In anderen Dörfern hat man mich ebenfalls beschuldigt irgendetwas angezündet zu haben. So bin ich immer unterwegs gewesen, von einem Dorf zum nächsten.“

Freya stockte, als die Erinnerungen an unschöne Erlebnisse, die sie mit einigen Wegelagerern machen musste, in ihr hochkamen.

Ihr wurde ihr Schweigen erst bewusst, als sie die Blicke einiger Elben spürte, die auf eine Fortsetzung ihrer Geschichte warteten.

„Ich bin irgendwann zu dem Grenzgebirge gekommen und weiter gegangen, bis zu einer kleinen Stadt. Ich war dort auf dem Markt. Er waren alles so fremdländische Männer dort mit dunkler Haut, sie waren nicht unbedingt davon begeistert, dass ich dort über den Markt ging. Dann aber haben sie mich bewusstlos geschlagen. Ich bin angekettet in einem Zelt wach geworden. Ich glaube, das war ein Sklavenmarkt, auf den man mich gebracht hat. Die Männer dort haben mich fast angeschrieen und mir wehgetan, aber ich habe mich gewehrt und bin mit einem Pferd geflüchtet, was mich zu einem Fluss gebracht hat und dann davon gelaufen ist. Als ich wieder verfolgt wurde bin ich in den Fluss gestürzt … jedenfalls bin ich später wieder angekettet auf einem Sklavenmarkt wach geworden. Ich glaube der Mann, dessen Pferd ich gestohlen habe, wollte mich auspeitschen lassen, aber ich konnte wieder fliehen. Bis mich Kosmo und Damaso gefangen genommen haben. Und ich jetzt hier bin.“

Freya endete ihre Geschichte mit einem unsicheren Achselzucken, aber auch mit einer leichten, aufkommenden Wut über ihr bisheriges Schicksal.

„Emily“, sagte Damaso ganz leise und nickte fast unmerklich, als Markward den übrigen Elben ihre Geschichte im kurzen Abriss übersetzt hatte.

„Was?“ Freya sah sich zu Damaso um, der sie aus traurigen Augen anblickte.

„Emily ist ein Name, dessen Bedeutung „die Tapfere“ ist, und den dir Damaso gegeben hat, weil er deinen Namen nicht kannte - genauso wenig, wie wir alle!“, erklärte Markward ihr. „Bei aller Eile haben wir die Etikette, die unseren guten Ruf ausmachen, ein wenig vernachlässigt.“, gestand Markward. „Mein Name ist Markward, wie du schon weißt. Und er bedeutet genau das, was ich tue: Ich überwache die Grenzgebiete unserer kleinen Welt. Kosmo kennst du ebenfalls bereits, er ist dir auf eurer Reise bestimmt etwas mürrisch vorgekommen. Das liegt daran, dass er Ordnung liebt und es gar nicht schätzt, lange auf Reisen zu sein. Bastaho ist der Älteste von uns allen, und wir alle verehren ihn sehr. Er ist sehr klug und weise. Das ist Kevina, die Schönheit unseres Waldes, und Aldoin, der Edle, vor dem du dich ganz bestimmt nicht fürchten musst. Zu Damaso muss ich dir, glaube ich, gar nichts mehr sagen. Heute Nacht bist du noch Kieran begegnet, der euch hierher begleitet hat. Kieran entstammt einem Fürstengeschlecht, dass schon seit Jahrhunderten die südlichen Lande regiert. Er ist kein Elb, aber ebenfalls mit der Gabe der Magie gesegnet und hat es deshalb vorgezogen, bei uns zu leben, bis ihn dringende familiäre Dinge zurückbeordert haben.“

„Dringend ist wohl übertrieben“, mischte sich Aldoin ein. „Er soll der Hochzeit seines Bruders Conall beiwohnen!“

„Wie dem auch sei.“, tat Markward ab und wandte sich wieder Freya zu: „Wie sollen wir dich nennen, wenn Emily nicht dein Name ist?“

„Oh!“ Freya war es ganz entgangen, dass sie noch nicht ihren Namen erwähnt hatte. „Ich heiße Freya!“

„Dann sei uns willkommen, Freya. Du bist hier unser Gast, nicht unsere Gefangene! Damaso und Kosmo haben dich zu deinem Schutz hierher gebracht und um dir eine Unterweisung in Magie durch Bastaho zukommen zu lassen, damit dir nicht noch mehr Missgeschicke widerfahren!“, Markward grinste sie auffordernd an.

Es dauerte eine kurze Weile, bis Freya diesen Wink verstand.

„Dann glaubt ihr also auch alle, dass ich etwas mit den Feuern und dem Einsturz des Dorfbrunnen zu tun hatte?“, fuhr sie leicht auf. Freya wusste nicht, ob sie beleidigt sein sollte oder einfach nur empört. Gerade hatte sie angefangen etwas Hoffnung zuschöpfen und jetzt so was!

„Sei nicht gekränkt.“, beschwichtigte Markward sie. „Wir wissen von Kosmo, dass Kieran dich auf dem letzten Sklavenmarkt beim Wirken eines Feuerzaubers gesehen hat. Deshalb hat der Mann, der dich auspeitschen sollte, auch nicht damit fortgefahren. Du kannst deine Magie nicht lenken, aber sie hat sich automatisch, wahrscheinlich über deine Gedanken, auf deinen Peiniger gerichtet und ihm die Hand verkohlt. Außerdem hast du einen Bannzauber über den gesamten Marktplatz gelegt, den Kieran, als er ihn erkannte, schnell wieder unschädlich gemacht hat, bevor die Menschen mitbekommen hätten, was dort vor sich geht. Menschen sind nicht immer besonders schlau. Entschuldige meine Worte, aber du sagtest selbst, dass man dir nachsagt, du wärst von teuflischen Dämonen besessen. Das, was die Menschen als teuflisch und dämonisch bezeichnen, ist nur etwas, was sie nicht verstehen können, weil sie nicht mehr daran glauben. Es hat Zeiten gegeben, in denen Magie an der Tagesordnung war und die Begegnung mit Elben oder anderen Fabelwesen, wie wir immer öfter genannt werden, nichts Besonderes. Aber die Zeiten haben sich geändert, und die Menschen leben nicht mehr nach ihrem Herzen, sondern nur noch nach ihren Gutdünken und nach ihrem Streben nach Geld und Macht über andere.“

Während Freya Markward zuhörte, sah sie, wie sich einige der anderen Elben stumm miteinander unterhielten. Bastaho und Kevina und Aldoin waren tief in einem Gespräch verwickelt, dass sich um Freya zu drehen schien. Sie konnte erkennen, dass niemand wirklich sprach, - die Lippen der Elben bewegten sich nicht – sondern nur engen Blickkontakt miteinander hielten, und trotzdem wusste sie, dass es so war. Sie berieten sich, was sie mit ihr tun sollten. Einem einfachen Bauernmädchen. Einer Pferdediebin ….

Fast schämte sie sich dafür. Aber sagte man nicht immer: der Zweck heiligt die Mittel!? Der tiefere Sinn des Diebstahls war ihre Flucht gewesen. Für sie reichte das als Entschuldigung aus, beschloss sie.

Markward übersetzte derweil einigen anderen Elben und Damaso ihr Gespräch. Dann wandten sich Bastaho und Aldoin an Freya.

„Wir haben beschlossen, dass es klüger ist, dich zuerst ein wenig mit Magie vertraut zu machen, dich dann aber in der Obhut Kierans zu seinem Vater bringen zu lassen, um dieses Missverständnis aufzuklären. Achaz, Kierans Vater, ist ein Mensch, der schon einige Traditionen gebrochen hat, um auf sein Herz zu hören, anstatt althergebrachtes Recht einzufordern. Wir sind uns sicher, dass er dich von der Sklaverei entbindet, er ist ein vernünftiger Mann, der mit sich reden lässt. Kieran lebt die meiste Zeit ebenfalls bei uns. Achaz hat ihn bei uns in Magie ausbilden lassen, als er das Potential seines Sohnes erkannte. Es macht wenig Sinn, dich hier zu verstecken, denn was Achaz will, das holt er sich, und am wenigsten können wir hier eine Streitmacht gebrauchen, die unseren Wald einfach nieder rennt. Wie gesagt, Achaz ist vernünftig, was aber nicht unbedingt auf Conall, Kierans älteren Bruder, zutrifft. Deshalb wird Kieran dich als dein Beschützer begleiten. Erst wenn diese Angelegenheit bereinigt ist, werden wir mit deiner Ausbildung fortfahren, wenn du es wünscht.“

Das war nicht unbedingt das, was Freya hören wollte. Sie sollte zurückgeschickt werden, zu dem Mann, der sie voller Hass gedemütigt hatte. … Ein vernünftiger Mann … Pah!, ging es Freya durch den Kopf. Sie hätte den Gedanken an diesen Mann am liebsten ausgespuckt!

Als sie in die Runde schaute, wurde ihr aber klar, dass sie gar keine andere Wahl hatte. Man würde ihr gar keine andere Wahl lassen!

Sie fühlte sie plötzlich nur noch müde und sie ließ den Kopf hängen. Sie hatte glauben wollen, dass es auch für sie einen Platz auf dieser Welt gab, und vor einigen wenigen Minuten hatte sie schlicht gehofft, dass dieser Platz hier sein könnte. Und jetzt …?!

Freya nahm kaum wahr wie Damaso sich noch kurz mit Kevina und Aldoin unterhielt. Er nahm sie fester um die Schultern und zog sie dann mit sich fort. Er ging auf eine hölzerne Treppe zu, die frei an einem Baum empor zu schweben schien. Es war für Freya eigenartig über diese Treppe zu steigen, sie fühlte sich zwar fest und stabil an, gleichzeitig schwankte sie aber leicht unter ihren Bewegungen. Oben angelangt machte Damaso eine ausladende Bewegung mit seinem Arm in Richtung eines Raumes, der sich inmitten einer Baumkrone befand und ließ Freya eintreten. Der Raum hatte einen festen Boden und auch drei feste Wände, das Dach schien aus einem silbern glitzernden Schleier zu bestehen, ebenso wie eine Wand nur aus seidenen Vorhängen bestand, die den Blick auf einige andere Bäume des Waldes freigaben, die sich unterhalb des Baumes befanden, den Damaso und sie bestiegen hatten. Von hier oben blickte man wie in ein seichtes und mit großen Bäumen bestandenes Tal hinab. Die Sonne, die nun immer mehr an einem sehr entfernten Horizont aufging, tauchte das Tal in ein sanftes Geldgrün.

Damaso war hinter ihr in den Raum getreten und hatte die Vorhänge an der Tür zugezogen.

Er blickte zu ihr und sagte nur knapp: „Mein Reich.“

Freya war in ihrer momentanen Verzauberung fast wie vom Donner gerührt, als ihr bewusst wurde, dass er nicht über ihre Gedanken mit ihr sprach.

„Du sprichst meine Sprache?“, fragte sie leicht aufgeregt. Aber Damaso schüttelte den Kopf.

„Wenig ich versteh und sprech.“ Trotzdem wäre Freya ihm vor Erleichterung am liebsten um den Hals gefallen.

Damaso deutete auf ein Bett in der Ecke des Raumes, von der man einen guten Ausblick über das Tal hatte, und sagte: „ Wir Schlafen! Müde.“

Er zog sich bis auf seine Hose aus und legte sich in sein Bett, beobachtete aber Freya ganz offen, und ließ keinen Zweifel daran, dass er von ihr erwartete, sich ebenfalls zum Schlafen zu ihm ins Bett zu legen.

Als Freya zögerte, stand er noch mal auf, ging zu ihr hinüber, löste ihren Gürtel von ihrer Taille und drehte sie von sich weg. Dann griff er unter die Tunika und zog sie ihr vorsichtig über den Kopf. Damaso stand in Freyas Rücken und konnte die Mischung von Entsetzten, Erstarrung und noch etwas anderem in ihrem Gesicht nicht sehen. Statt dessen nahm er ein großes Tuch von einem kleinen Hocker auf, der neben dem Bett stand, und wickelte Freya bis unter die Achseln darin ein, wobei er es vermied, ihre Verletzung auf dem Rücken zu sehr anzustarren. Dann drehte er sie wieder zu sich um, nahm sie an die Hand und ging mit ihr zum Bett.

„Erst schlafen, dann … anderes!“ Es klang unbeholfen und als Damaso bewusst wurde, dass sie seine Worte gerade wohl falsch verstand, schüttelte er schnell den Kopf und machte ein unglückliches Gesicht. Krampfhaft suchte er nach Worten, fand aber anscheinend nicht die richtigen. „Keine Angst, Emily!“, sagte er nur und blickte Freya in die Augen. „Keine Angst!“ Damit zog er sie zu sich hinunter auf das Bett und nahm sie in seine Arme, wie er es mittlerweile schon so oft getan hatte. Erst als Freya seinen ruhigen und regelmäßigen Atem hörte, der ihr verriet, dass er eingeschlafen sein musste, gestattete sie sich auch sich ein wenig zu beruhigen und irgendwann zu schlafen.

Damaso hingegen hatte gewartet, bis sie tief und fest schlief, um sie dann noch näher an sich heranzuziehen und sie noch fester zu umschlingen.

Himmel und Bäume! Das Mädchen musste locker mindestens zehn, fünfzehn Jahre jünger sein als er, und er war ihr auf ihre unschuldige und schutzbedürftige Art verfallen!

Kosmo hatte Recht gehabt, ihm etwas zu unterstellen, von dem er erst nicht glauben wollte, dass es da war!

Tochter der Sonne

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