Читать книгу Tochter der Sonne - K. Will - Страница 8
Kapitel 6 6.
ОглавлениеDie Sonne stand noch hoch am Himmel, als Kieran sich bereits daran machte das Zelt abzubauen. Er schien in Eile zu sein, sagte aber nichts, sondern wartete nur, dass auch Damaso und Freya sich endlich den Schlaf abschüttelten und mit anpackten. Dann entzündete er ein kleines Feuer.
Kieran legte eine solche Hast an den Tag, dass Damaso ihn dann doch endlich ansprach.
„Was gibt es, dass wir uns jetzt beeilen sollten? Die Mittagszeit ist kaum vorüber!“ Statt einer Antwort deutete Kieran nur mit dem Kinn in die Ferne in eine ganz bestimmte Richtung. Damaso verstand nicht, was er damit sagen wollte. Er versuchte irgendetwas zu erkennen, aber die Luft war so heiß, dass sie vor seinen Augen zu zerlaufen schien und er kein klares Bild zu sehen bekam. „Ich sehe nichts außer Staub und Sand. Wärst du wohl so freundlich, uns mitzuteilen, warum wir unser Zelt abbrechen?“
„Wir sind nicht mehr alleine!“, sagte Kieran nur knapp.
„Und was hast du jetzt vor?“, bohrte Damaso ärgerlich nach. Er konnte noch immer nichts am Horizont erkennen, außer dem Flimmern der Hitze.
„Wir werden einen großen Bogen reiten und in einem kleinen Gebirge ein Versteck suchen!“ Kieran hatte sein Pferd bereits gesattelt. „Ihr solltet euch beeilen. Ich weiß nicht wer oder wie viele da kommen. Aber ich will es auch nicht wissen!“
Damaso stieß einen Fluch aus. Das fehlte gerade noch! Aber hätte Kieran sie nicht eher warnen können?
„Hättest du Mistkerl nicht mal was sagen können?“, maulte er ihn an. Kieran maß ihn dafür mit einem Blick, der Freya erschaudern ließ. Besorgt sah sie von einem zum anderen und fühlte sich schuldig, weil sich die Männer stritten. Und alles nur wegen ihr!
„Emily?“ Kieran nannte sie bei dem Namen, den Damaso ihr gegeben hatte, und sie stutzte. „Komm her zu mir!“ Er trat mit einem Fuß das kleine Feuer wieder aus und bückte sich nach der Asche des verkohlten Stückchen Holzes. „Es ist besser, wenn wir dir deine Haare färben! Mit deinen blonden Haaren bist du in diesem Land viel zu auffällig. Es wird sich bereits herumgesprochen haben, dass mein Bruder nach einer blonden Sklavin sucht!“ Er wartete erst gar keine Zustimmung von ihr ab, er ging ganz automatisch davon aus, dass sie sich fügen würde und vermischte die Asche mit etwas Flüssigem, dass er aus seiner Satteltasche hervorgeholt hatte. Freya konnte sich nur darüber wundern, aber Kieran schien tatsächlich um ihr Wohl besorgt zu sein. Strähne für Strähne färbte er ihr geschickt mit der noch warmen Asche und bald darauf sah auch sie ihre sonst blonden Haare in einem stumpfen schwarz-braun. Kieran drehte sie an den Schultern zu sich herum und sah ihr geradewegs ins Gesicht. Dann hob er seine Hände an ihre Augen und strich mit kräftigem Daumendruck ihre Augenbrauen entlang. Sie hatte erwartet, dass er grob zu ihr sein würde! Aber das war er nicht. Hastig vermischte er die restliche Asche mit dem Sand unter seinen Füßen, rieb sich seine eigenen Hände mit Sand ab und gab ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie jetzt dringend weiter mussten.
Freya beeilte sich jetzt lieber auf ihr Pferd zu kommen. Kieran war bereits los geritten, hielt sein Pferd aber noch im Schritt zurück, um auf die beiden zu warten. Erst als sie aufgeschlossen hatten, ließ er seine Stute antraben.
Der Ritt wurde sehr viel länger als Freya befürchtet hatte. Das lange Traben fiel ihr schwer. Die Hitze, das karge Essen und die Strapazen hatten an ihren Kräften gezerrt. Sie konnte sich nicht mehr lange im Sattel halten. Ihre Beine fühlten sich langsam taub und eigenartig kraftlos an.
„Vielleicht könnten wir etwas langsamer reiten?“, fragte Damaso Kieran unwirsch, der Freya auf ihrem Pferd gegen ihre Schwäche ankämpfen sah. „Sie ist das Reiten nicht gewohnt.“
„Und genau deshalb wollte ich es ihr beibringen!“, entgegnete Kieran ruhig, aber mit einem schwelenden Tadel. „Wir halten erst an, wenn wir bei den Felsen sind!“
Es waren tatsächlich nicht mehr als ein paar Felsen. Der Ritt hatte irgendwann ein Ende gefunden und sie waren dort angelangt, wo Kieran sie verstecken wollte. Sie ritten zwischen die Felsen, von denen einer so groß war, dass er immerhin ein kleines Plateau bildete, auf das sie sich zurückziehen wollten. Von dort oben würden sie einen besseren Ausblick haben.
Oben angekommen schaute Kieran angestrengt in die Richtung aus der sie gekommen waren.
Eine Staubwolke war nun deutlich im schwindenden Licht am Horizont zu erkennen, und sie hielt genau auf sie zu! Kieran hatte gehofft, dass, wer auch immer durch die Wüste ritt, nichts von ihnen mitbekommen und einfach seines Weges ziehen würde. Aber genau wie er, hatte dieser andere wahrscheinlich ebenfalls eine Staubwolke am Horizont ausgemacht, die Staubwolke die sie selber aufgewirbelt hatten.
Kieran schickte Freya und Damaso wieder nach unten, sie sollten sich nach einem guten Versteck umsehen, so dass auch die Pferde nicht zu sehen wären und gab ihnen seine Stute mit. Er selbst blieb noch auf dem Plateau und wartete darauf, dass er erkennen würde, wer sich dort näherte.
Damaso hatte schnell einen Spalt in einem der Felsen entdeckt, der groß genug war sie alle zu verbergen. Aber sie hatten die Tiere rückwärts Schritt für Schritt, und ein Tier nach den anderen hereinführen müssen, was den Tieren nicht gerade behagte. Freyas Pferd war so nervös, dass es schon an ein kleines Wunder grenzte, es überhaupt halbwegs ruhig zu halten. Immer wieder redete sie beruhigend mit dem Tier und strich ihm zärtlich über den Hals.
Endlich kam Kieran vom Plateau herunter. Seine Miene verriet nichts Gutes.
„Konntest du jemanden erkennen?“, fragte Damaso.
„Ja.“, sagte Kieran gedehnt. Er holte hörbar Luft, bevor er weiter sprach. „Mein Bruder ist hier!“
„Was?“ Damasos Stimme überschlug sich fast. Im gleichen Moment hörte er aber auch schon Hufgetrappel von mehreren Pferden. „Mit wie vielen Männern?“
„Sieht fast wie ein kleiner bewaffneter Trupp aus! Etwa zwanzig!“ Kieran sah ihn fest an. Damasos Gesichtsfarbe wechselte plötzlich, als er verstand. Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Dann befindet er sich nicht zufällig hier!“
„Nein.“, pflichtete Kieran ihm trocken bei. Er musste Damaso nicht erst erklären, warum sie wohl gerade jetzt auf seinen Bruder stoßen würden. Damaso kannte ihn selber. Kierans Blick suchte den Freyas. Sie hatte nicht die Worte verstanden, wohl aber deren Sinn. In ihren Augen stand die Furcht geschrieben. „Wir können nur warten.“, sagte er kopfschüttelnd zu ihr. „Es macht keinen Sinn in die Wüste zu fliehen.“
Plötzlich machte sich eine Resignation in Freya breit. Sie schloss die Augen und wünschte sich, dass sie, wenn sie sie wieder öffnete, aus einem Albtraum erwachen würde. Aber es geschah nicht. Als sie die Augen öffnete sah sie die Staubwolke Gestalt annehmen. Der Reitertrupp war mittlerweile so nah herangekommen, dass sie die einzelnen Reiter erkennen konnte.
„Bleibt in Deckung.“, riet Kieran ihnen und ging seinem Bruder einige Schritte weit entgegen. Er wollte alleine mit ihm reden, bevor er Freya sah. Noch wusste er nicht, was er ihm sagen sollte, aber er brauchte jetzt ganz dringend einen Ersatzplan.
Conall und seine Männer waren an den Felsen angekommen und zügelten ihre Pferde. Er ritt in einem kleinen Bogen um seinen jüngeren Bruder herum, und wirbelte so viel Sand dabei auf, dass Damaso und Freya aus ihrem Versteck heraus nicht mehr sehen konnten, was da vorne geschah. Die anderen Reiter hatte in einem größeren Kreis Aufstellung um sie herum bezogen.
„Mein missratener Bruder!“, tönte Conall laut, dass auch der Letzte von seinen Männern es hören konnte. „Wie ich sehe, warst du nicht sehr erfolgreich! Aber das hatte ich auch nicht erwartet!“ Er lachte böse. „Seht euch um.“, befahl er seinen Männern dann aber. „Ich kenne ihn, er ist eine falsche Schlange!“ Sein Blick blieb hart auf seinen Bruder gerichtet.
„Conall“, begann Kieran, wurde aber sofort unterbrochen.
„Schweig! Ich will nichts hören!“ Conall zückte seinen Dolch und hielt ihn Kieran offen an die Kehle. „Ich weiß, dass du hinter meinen Rücken irgendetwas mit Vater geplant hast. Ich frage mich nur, ob du wohl weißt, dass das Verrat ist!“
Es dauerte natürlich nicht lange, bis die Männer auch das kleine Versteck entdeckten. Einige Krummsäbel erschienen plötzlich in den Händen der Reiter, als sie Damaso und Freya mit einem Wink zu verstehen gaben, dass sie aus ihrem Versteck hervor zu kommen hatten.
Damaso trat mit sehr langsamen Bewegungen aus der Felsspalte hervor. Freya zögerte noch unsicher und wagte erst sich zu rühren, als Damaso sie ansah.
Mach jetzt keinen Fehler!, schien sein Blick zu sagen. Doch sie war vor Angst fast wie gelähmt. Mit zittrigen Gliedern kam sie nur sehr langsam hinter Damaso her.
Kieran fegte wütend mit einer Handbewegung den Dolch zur Seite und setzte mit langen Sprüngen in ihre Richtung. Zornig fluchend kam Conall hinter ihm her.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte er mit einem scharfen Unterton, als er Freya erblickte. „Hast du mir also doch meine Sklavin eingefangen und zurückgebracht? Oder wolltest du sie etwa vor mir verstecken?“
„Rühr sie nicht an!“, herrschte Kieran seinen Bruder an. „Sie untersteht nicht deiner Gerichtsbarkeit, sondern Vaters!“
„Kieran, Kieran!“, säuselte Conall gekünstelt. „Du musst wirklich noch sehr viel lernen! Siehst du vielleicht Vater hier irgendwo? Nein? Dann hat er mich vielleicht ausgesandt, um zu Ende zu bringen, was du nicht in der Lage bist auszuführen!“
„Ich glaub dir kein einziges Wort!“ Kieran wurde langsam richtig zornig. „Und deswegen werden wir zusammen zum Hofe reiten, bevor du Hand an sie legst.“
„Du bist wahrlich nicht in der Position Bedingungen zu stellen und erst recht nicht an der Reihe Befehle zu geben. Tritt zurück und gib mir meine Sklavin, dann wird euch nichts geschehen!“, forderte Conall barsch.
„Wenn du sie haben willst, musst du schon um sie kämpfen!“, fauchte Kieran ihn an.
Damaso schnappte nach Luft. Idiot! Diese Südländer waren alle hitzköpfige Idioten! Glaubte er etwa sie hatten auch nur den Hauch einer Chance? Zwei gegen zwanzig?!
Damaso warf Freya einen kurzen Blick zu. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Augen waren starr vor Entsetzen auf Conall gerichtet. Es war nicht zu übersehen, dass sie diesen Mann kannte.
„Kämpfen willst du? Kannst du haben!“ Conall gab mit einem Kopfnicken seinen Männern Bescheid.
Den ersten Krummsäbel, der auf Damaso zuflog, konnte er noch parieren. Der nächste zischte dicht an seinem rechten Arm vorbei und hinterließ einen feurigen Schmerz. Damaso ließ seinen eigenen Dolch fallen, den er so schnell unter seiner Tunika hervorgezaubert hatte, dass Freya es nicht mitbekommen hatte. Er fluchte ungehalten und hielt sich den verletzten Arm. Der nächste Krummsäbel, dessen er gewahr wurde, setzte sich an seine Kehle und beendete den Kampf viel zu schnell.
Kieran war es nicht viel besser ergangen. Die ersten drei Schläge hatte er noch ungläubig abgewehrt. Er konnte nicht glauben, was sein Bruder da tat. Aber eigentlich tat Conall gar nichts, sondern überließ es seinen Männern zu kämpfen. Kieran fegte wie ein Derwisch mit kreisenden Bewegungen herum und streckte insgesamt drei von Conalls Männern nieder. Aber andere waren an ihre Stellen getreten. Es war ein kurzer, unfairer Kampf, dem Conall aber keine Beachtung schenkte. Geradewegs kam er auf Freya zugeritten. Direkt vor ihr hielt er sein Pferd an und stieg ab. Freya erkannte das Pferd wieder. Es war das Pferd, das sie schon zweimal vor ihm gerettet hatte. Wenn es doch diesmal auch funktionieren könnte! Aber Damaso war bereits gefangen genommen und gefesselt worden, Kieran kämpfte wie ein Besessener um sein Leben und sie versteinerte gerade vor Angst.
Conall trat vor sie hin und sprach sie an. Freya konnte nicht denken, nicht reagieren, nicht um Hilfe rufen oder um Gnade flehen. Erst als eine schwere Hand ihr Gesicht traf, wurden ihre Gedanken wieder ins Hier und Jetzt befördert. Er hatte sie angesprochen, aber sie hatte ihn wieder nicht verstanden. Die ganze Situation kam ihr vertraut vor. Ein zweiter Schlag hinterließ ein dünnes, warmes Rinnsal auf ihrem Gesicht. Als sie sich mit der Zunge über ihre geschwollenen Lippen fuhr schmeckte sie Blut. Ihr Blut. Jetzt war die Grenze überschritten! In ihren Augen loderte es auf! Niemand hatte das Recht sie zu schlagen! Kurz, aber umso kräftiger holte sie mit einem Bein aus und trat Conall erst direkt vor sein Schienbein, dann rammte sie ihm ihr anderes Knie blitzschnell in den Unterleib, platzierte mit der rechten Faust einen gekonnten Treffer in seinem Gesicht und setzte mit der linken Faust nach. Keuchend brach Conall vor ihr in die Knie.
Wie der Blitz war sie bei dem schwarzen Hengst und noch während sie ein Flehen an die Höheren Mächte des Himmels aussandte, schwang sie sich auf seinen Rücken, riss ihn herum und galoppierte los. Ein heranschwirrender Pfeil verfehlte sie nur knapp, das Geräusch versetzt El Eligo aber in Schrecken. Er bäumte sich kurz auf und beendete Freyas Flucht. Sie fiel von seinem Rücken und dem kämpfenden Kieran direkt vor die Füße.
Kieran erkannte das Geräusch eines weiteren Pfeils, der gerade von seiner Sehne schnellte und warf sich schützend vor Freya. Sie hörte nur ein leises und dumpfes Geräusch, sah dann aber mit Entsetzen, wie Kieran vor ihr langsam zusammensackte. Seine Augen wurden blicklos und starr, noch bevor er am Boden lag. Freya keuchte auf, als sie den Pfeil in seiner Brust stecken sah.
„Kieran.“, schrie sie beinahe hysterisch. Und immer wieder „Kieran! Kieran!“
Sie merkte kaum wie sie von zwei Männern gefasst wurde. Sie sah auch nicht, wie Conall mit hochrotem Kopf und wutverzerrtem Gesicht auf sie zukam. Sie nahm auch den erneuten Schlag in ihrem Gesicht nicht wahr, mit dem Conall sie bedachte. Sie konnte nur auf Kieran starren, der leblos zu ihren Füßen lag.
Was danach geschah bekam sie gar nicht mit. Jemand fesselte ihre Hände auf ihren Rücken, und sie wurde auf ein Pferd gesetzt. Man band Kierans toten Körper auf ein anderes Pferd fest. Danach ritten sie los, in welche Richtung und wie lange, wusste Freya später nicht einmal mehr.
Ganz dunkel wurde sie am Rande ihrer Wahrnehmung irgendwann einer Festung gewahr.
Sie wurden in die massiven Mauern geführt, Männer kamen herbeigelaufen, Pferde wurden weggeführt, und sie wurde unbarmherzig hinter einem Mann hergeschleift, den sie nicht kannte.
Irgendwann löste sich ein Teil ihre Erstarrung und sie versuchte sich zu wehren, so gut sie es mit gefesselten Händen vermochte. Es hatte ihr nichts eingebracht, außer einem tüchtigen Schlag ins Gesicht, der sie taumeln ließ. Der Mann hatte sie daraufhin an ihren Haaren hinter sich hergezogen.
Als sich ihre Erstarrung gänzlich löste, fand sie sich in einem kleinen Raum wieder, der vollkommen leer war. Sie kauerte auf dem Boden und fror entsetzlich. Etwas Tageslicht kam durch ein sehr schmales Fenster herein, das sich oben direkt unterhalb der Decke befand. Leicht benommen sah Freya sich um. Aber sie war alleine. Damaso war nicht da!
Sie musste überlegen, was geschehen war. Das Bild von Kieran, wie er sich für sie geopfert hatte schoss ihr ins Gedächtnis. Tränen füllten ihre geschwollenen Augen. Sie hatte ihm Unrecht getan. Mit jedem einzelnen Wort, mit jeden einzelnen Gedanken und mit jeder einzelnen Geste hatte sie ihm Unrecht getan. Sie hatte ihn spüren lassen, wie sehr sie ihn missachtet hatte. Und trotzdem hatte er sie einfach nur beschützen wollen, hatte er sich für sie geopfert, war er für sie gestorben!
Die Tränen liefen ihr heiß über ihr geschundenes Gesicht und der Schmerz, den sie auslösten rührte sie zu noch mehr Tränen. Irgendwann wurde ihre Bitterkeit so groß, dass sie hemmungslos weinte und schluchzte. Und irgendwann hatte sie wieder ihr Gefühl für Raum und Zeit verlassen.
Plötzlich wurde eine Tür geöffnet und ein Mann trat ein. Er sagte nichts, stellte sich nur mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor sie hin und betrachtete sie eine Zeit lag. Freya konnte ihn unter ihrem Schleier aus Tränen und Blut, der über ihrem Gesicht lag, nicht erkennen. So plötzlich der Mann gekommen war, so plötzlich drehte er sich um und ging. Andere Männer kamen um sie zu holen. Es begann also. Sollten sie ihr ihr Leben zur Hölle machen! Das war es doch jetzt schon! Schlimmer konnte es nicht mehr werden.
Sie wurde in einen Raum gebracht, der von Sonnenlicht durchflutet war und in dem es für Freya sonderbar roch. Feucht-warme Schwaden lagen in der Luft, und ein Geruch von Kräutern und noch etwas anderem. Aber sie war viel zu fertig, um weiter darüber nachzudenken. Und ihre Augen waren viel zu geschwollen, um klar sehen zu können. Sie versuchte es erst gar nicht, sondern schloss sie resigniert.
Sie nahm eine Frauenstimme wahr, die mit fremder Sprache zu ihr sprach, und sich dann an ihrem Kleid zu schaffen machte. Nachdem sie es ihr ausgezogen hatte, ergriff sie Freya bei den Händen und zog sie vorsichtig vorwärts. Freya stieß mit dem Fuß gegen warmes Holz und hörte ein Plätschern. Sie öffnete vorsichtig ihre Augen, aber das grelle Licht nahm ihr die Sicht. Dann hörte sie noch ein deutlicheres Plätschern und spürte, wie warmes Wasser über ihren Körper lief. Die Frau wusch sie mit einem weichen Stoff von oben bis unten ab. Als sie sich daran machte ihre Haare zu waschen stieß sie einen erschrockenen Laut aus. Freya hörte ein Poltern, dann wie sich schwere Schritte näherten und hörte eine Männerstimme etwas sagen. Sie hörte eine zweite Frau, die der ersten Frau half, sie zu säubern. Später wurde sie am ganzen Körper eingeölt und anschließend wurde sie wieder angekleidet. Man führte sie in einen anderen Raum, in dem es nicht so hell war, wie in dem Raum vorher, und sie konnte wieder so gut wie nichts erkennen. Diesmal reichte das einfallende Licht kaum aus, um durch ihre zu geschwollenen Augenlider zu dringen. Ein Mann sagte etwas und kam auf sie zu. Sie verstand seine Worte nicht und duckte sich instinktiv, um ihr Gesicht zu schützen, als sie ihm nichts erwidern konnte.
„Nordlander?“, fragte der Mann in einem starken Akzent. Hoffnungsvoll blickte sie auf, nickte aber nur. „Spreche unser Sprache?“, fragte er weiter. Freya schüttelte nur vorsichtig ihren geschundenen Kopf. „Du gar nicht spreche?“ Seine Stimme klang ganz ruhig.
„Doch“, sagte Freya leise mit zittriger Stimme.
„Du keine Angst! Dein Name Emily?“
„Ja.“ Sie nickte zögernd.
„Ah!“, machte er. „Emily! Du kennst Bedeutung von Name?“ Freya schüttelte wieder den Kopf. „Bedeutet tapfer. Du sehr tapfer, mein Sohn mir sagt.“ Sein Sohn? Freya horchte auf. Sein Sohn hatte ihm ihren Namen gesagt …
Sein Sohn …! Fieberhaft überlegte Freya. Dann war er Kierans Vater, Achaz!
„Ich dich kennen will. Mein Sohn für dich gestorben. Will wissen warum das alles!“
Kieran! Freya legte ihren Kopf in den Nacken und schloss mit einem tiefen Seufzen die Augen. Kieran! Er war tot! Wegen ihr! Konnte der Himmel in diesem Moment nicht einfach auf sie herabfallen und sie erschlagen? Wieder suchten sich heiße Tränen ihren Weg über ihre Wangen. Beklommen schaute sie dann zu Boden. Was sollte sie seinem Vater jetzt noch sagen? Das sie ihm misstraute, ja, teilweise gehasst hatte? Das sie seine gesamte Familie verflucht hatte? Das sie ihm damit Unrecht getan hatte? Was gab es wohl, das sie ihm jetzt noch erzählen konnte?
„Ich vergessen mich vorstellen“, sagte er statt eine Antwort von ihr zu erwarten. „Achaz!“ Er deutete eine kleine, elegante Verbeugung an. „Mitkommen!“, befahl er ihr in sanftem Ton und einem Wink mit zwei Fingern. Dann schritt er ihr voran. Er führte sie durch unzählige Räume und durch etliche Flure. Schon sehr bald hatte Freya vollkommen die Orientierung verloren. Irgendwann machten sie vor einer Türe halt, und er befahl ihr zu warten. Achaz ging leise durch die Tür und kam gleich darauf zu ihr zurück. Er führte sie leise, fast schon heimlich, in den Raum hinein. Bei einem kunstvollen Vorhang blieb er stehen und bedeutete ihr näher zu treten. Sie wollte nicht. Sie konnte sich schon lebhaft vorstellen, was jetzt kam. Wahrscheinlich waren das Conalls Gemächer, in die er sie geführt hatte.
Achaz schob den Vorhang zu Seite. Auf einem großen Bett dahinter lag reglos ein Mann. Erst als er Freya ansprach erkannte sie ihn.
„Emily!“ Seine Stimme klang leise und schwach.
„Kieran?“, fragte sie ungläubig. „Aber ich dachte … du wärst tot!“ Freyas Stimme zitterte vor Unglauben. Sie hatte es doch mit eigenen Augen gesehen, wie er direkt vor ihr tot im Sand zusammen gebrochen war. „Hätte Conall mich … nicht so fest … auf mein Pferd … fest … gebunden, … wäre ich … es … bestimmt … auch!“ Er hatte starke Schmerzen beim Sprechen. Es strengte ihn an überhaupt zu atmen! Aber er verzog einen Mundwinkel zu einem verunglückten Grinsen, als er sie sah.
Freya sah ihn immer noch ungläubig an. Man hatte ihm den Pfeil aus der Brust gezogen und ihn dann bäuchlings auf sein Pferd gelegt. Damit hatte er sich selbst seine Wunde abgedrückt, so dass sie wahrscheinlich nicht weiter geblutet hatte. Es erschien ihr schon fast wie ein Wunder!
Kieran streckte seine Hand nach ihr aus, konnte seinen Arm aber nicht lange hochhalten. Sie sah seine kraftlose Bewegung und kam näher. Wieder versuchten seine Finger sie zu erreichen.
„Emily, es tut mir leid.“, sagte er nach einer Pause.
„Was tut ….“ Sein vorsichtiges Kopfschütteln unterbrach sie. Er wollte ihr etwas sagen, musste aber erst wieder Kraft und Atem schöpfen.
„Auf dem Markt … Ich habe nichts unternommen … Es tut mir leid.“ Sie sah, wie sich sein ganzer Körper entspannte. Ruhig blieb er liegen, nur sein stoßweises und schwerfälliges Atmen war zu hören. Nach einer Weile war Freya klar, dass er nicht weiter sprechen würde. Er war erschöpft eingeschlafen.
Achaz führte sie fast feierlich zu einem niedrigen Tisch in einer anderen Ecke des großen Raumes, um den Kissen angeordnet auf dem Boden lagen. Mit einer Handbewegung gab ihr Achaz zu verstehen, dass sie sich setzen sollte. Dann klatschte er zweimal in seine Hände und bald darauf erschienen zwei Diener, die ihnen Tee brachten und Schalen mit Obst und Brot.
„Du gewiss Hunger.“, meinte Achaz. „Nimm.“
Freya hatte großen Hunger, aber bereits schon nach dem ersten Bissen hatte sie plötzlich keinen Appetit mehr.
„Besser du hier.“ Achaz sah ihr in die Augen. „Schlimm verletzt. Heiler wird sich kümmern.“
Er klatschte wieder in seine Hände. Einer der Diener erschien wieder und Achaz gab ihm Anweisungen. Der Diener entfernte sich mit einer höflichen Verbeugung wieder.
„Wer dich verletzt?“, wollte Achaz wissen. Sollte sie ihm sagen, dass das sein anderer Sohn gewesen war? Würde er ihr das glauben? Sie war ja wohl nicht mehr als eine Sklavin, wenn sie Kieran richtig verstanden hatte. Und die hatten ja wohl keinen Stand!
Achaz deutete ihr Zögern richtig.
„Conall?“, fragte er. „Du kannst mir sagen. Ich kenne mein Sohn.“ Sie nickte und sah beschämt zu Boden.
Der Diener war zurückgekehrt und brachte eine Frau mit sich. Sie kam sofort zu Freya herüber und besah sich mit einem Entsetzen in ihren großen Augen ihr Gesicht. Geschickt machte sie sich daran ihre Verletzungen mit diversen Tinkturen und Ölen zu versorgen.
Achaz beobachtete Freya mit undeutbarer Miene. Er sah auch, dass ihr immer wieder Tränen über ihre Wangen liefen. Das Mädchen hatte wirklich viel durchgemacht und nicht einmal die Hälfte von dem verstanden, worum es überhaupt bei alledem ging, wurde ihm bewusst. Wenn er sie so ansah … mit ihren goldenen Haaren …. Nein, sie kam nicht von hier und gehörte hier auch nicht hin. Und noch weniger wusste sie wohl von den Gepflogenheiten und Bräuchen in seinem Land.
Wehmütig musste er schon wieder an seine geliebte Sarah zurück denken …
Er erhob sich, um den Raum zu verlassen, drehte sich aber noch einmal zu Freya um und sagte:
„Du bleiben hier. Ab jetzt schlafen in Nebenraum.“
Dann war er verschwunden und auch die Diener hatten sich zurückgezogen. Nur die Heilerin war noch da. Als sie mit Freyas Gesicht fertig war, ging sie zu Kieran herüber, um ihm seine Wunden neu zu verbinden, dann ging auch sie leise ohne ein weiteres Wort davon.
Stille legte sich über den Raum. Nur Kierans Atem war zu hören.
Er lebte! Sie war heilfroh, dass er überlebt hatte. Sie hatte sich mittlerweile dafür geschämt, dass sie ihn verachtet hatte. Jetzt konnte sie ihn wenigstens ihrerseits um Verzeihung bitten.
Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und sah ihn eine Weile an. Sie wusste nicht, was sie tun oder denken sollte. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen wollte. Freya drehte sich um und besah sich den Raum. Er war auf eine sehr fremde, aber warme und gemütliche Art eingerichtet. Sonnenlicht, das durch schwere Läden vor den Fenstern sickerte, ließ die Kissen auf dem Boden in einem Licht rot leuchten, das Freya an den Sonnenuntergang erinnerte. Sie wurde schwermütig. Schließlich begann sie zu sprechen:
„Kieran, ich muss dich um Verzeihung bitten. Ich habe dir misstraut, ich habe dich gehasst, obwohl ich keinen Grund dazu hatte. Ich habe dir Unrecht getan. Mir tut es leid! Ich hoffe du verzeihst mir!“ Doch die Stille dauerte weiter fort. Irgendwann spürte Freya ein leichtes Ziehen an ihren Haaren. Sie blickt sich zu Kieran um. Er lag noch immer mit geschlossenen Augen da, spielte aber mit seinen Fingern an ihren Haaren.
„Ich hätte es beenden müssen, … bevor es angefangen hatte!“, klang seine Stimme schwach zu ihr herüber. „Kannst du mir verzeihen?“ Er schlug seine Augen auf und sah sie an. Wortlos, aber erleichtert nickte sie nur. Ein Lächeln lag auf seinen Zügen, als er wieder einschlief.