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Kapitel vier

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Ich kann im Nachhinein nicht mehr genau sagen, warum ausgerechnet ich mich berufen fühlte, den Tod an diesem Umweltschützer zu untersuchen. Ich bin ein Beutetier! Täglich war ich umgeben von Mord, vom Fressen und Gefressenwerden, und bisher nicht im Geringsten daran interessiert, auch nur ansatzweise mehr zu tun, als einfach zu überleben.

Aber irgendwas störte mich an dem Tod des Umweltschützers. Ich hatte das Gefühl, es war etwas Persönliches.

Und ja, natürlich war es persönlich.

Dieser Kerl war schuld daran, dass Mutter gestorben war. – Auch wenn es nicht unmittelbar durch seine Hand geschah.

Oder … bin ich selbst der eigentlich Schuldige an ihrem Tod?

Ich sehe sie noch auf mich zukommen, erschöpft und erleichtert, dass ich endlich angehalten hatte, und diese zwei gelben Gummistiefel hinter ihr.

Noch bevor ich den Kopf heben konnte, knallte ein riesiges Schaufelblatt direkt neben Mutter auf den asphaltierten Boden.

»LAUF, HOPE!«, war das Letzte, was sie mir zurufen konnte, da erwischte sie der zweite Schlag.

Vom Schock war ich wie gelähmt. Doch schon knallte die Schaufel keinen Zentimeter neben mir ein drittes Mal auf den harten Boden. Und zwar so heftig, dass mich die Wucht zur Seite schleuderte.

Vielleicht war das mein Glück.

Ich warf einen letzten verzweifelten Blick zurück und aktivierte dann wie mechanisch alle mir noch zur Verfügung stehende Energie, um sie in meine Flucht zu investieren.

Irgendwie schaffte ich es. Ich kann mich nicht erinnern, wie. Ich wusste überhaupt nichts mehr, nur dass ich plötzlich allein zurückgeblieben war. Inmitten eines feindlichen Universums, ohne Mutter.

Das Einzige, was ich noch hatte, war mein Rückzugsort.

Wir Amphibien sind wechselwarme Tiere, das heißt, wir nehmen die Temperatur unserer Umwelt an. Deshalb müssen wir uns in der kalten Jahreszeit schützen, weil unsere Körperfunktionen aufs Wesentliche reduziert, um nicht zu sagen, komplett runtergefahren werden. Etwas zwischen Schlafen und Träumen.

Wir nennen es die Pause, ihr erinnert euch vielleicht.

Der Herbst war fast vorüber und die Vorboten des Winters präsentierten sich in erstem Nachtfrost und mit klirrendem Wind. Ohne das kleine Astloch im Pflaumenbaum hätte ich nicht überlebt. Mutter hatte es mir gezeigt. Hier hatten wir meine erste Pause gemeinsam verbringen wollen. So war der Plan. Fast ganz oben, am unteren Teilstück eines Astes.

Zitternd und völlig entkräftet verkroch ich mich damals in unseren Unterschlupf und glitt fast nahtlos in einen nicht enden wollenden Albtraum aus Vorwürfen, Ängsten, Sorgen und bodenloser Einsamkeit über.

Es war eine schreckliche Zeit und ein ebenso furchtbarer zweiter Sommer, ohne einen Funken Lebenslust und Hoffnung. Also hatte ich mir geschworen, dass dieser dritte Sommer anders werden musste. Einfach nur zu überleben, war nicht das, was mir Mutter beigebracht hatte. Nicht das, was sie sich für mich gewünscht hätte.

Und als nun dieser Tote vor mir im Teich leicht auf und ab schwebte, in seinem hellen Fell, die leeren Augen auf mich gerichtet, da schien er mir zu sagen: Kämpfe! Mach was! Zeig es ihnen! – UND ZEIG ES DIR SELBST!

Ja, das wollte ich tun.

Ich machte einige kräftige Schwimmzüge, um den Umweltschützer von allen Seiten zu inspizieren. Gleichzeitig bemerkte ich, wie sich der Lichteinfall zwischen den langen Blättern des Unterwasserfarns kaum merklich veränderte.

Wie lange war ich hier herumgepaddelt, war meinen ganz und gar unfroschigen Gedanken nachgehangen und hatte meine Umgebung völlig ausgeblendet? Ich wusste es nicht mehr. Und nun war es zu spät.

Sei kein Frosch!

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