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Kapitel zwei

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Ich kletterte vom Baum, nickte dem dicken Hubi zu, der mich gar nicht registrierte, und war mit ein paar Sprüngen am Ufer. Es tat gut, die feuchte, kühle Erde unter den Füßen zu spüren.

Wie üblich, wenn ich mich am Boden aufhielt, stand ich jedoch extrem unter Spannung und hatte meine Sinne überall. Den nächsten Fressfeind und das nächste Versteck stets im Blick.

Deshalb erschreckte ich mich fürchterlich, als Alfred trotz aller Vorsicht urplötzlich rechts von mir auftauchte und seine lange Zunge so weit ausfuhr, dass sie mich beinahe berührte.

Ehrlich gesagt, diese Direktheit war mir dann doch ein bisschen viel Praxisübung für den Anfang. Ein kleines knackiges Insekt wäre mir lieber gewesen.

»Grüß dich, Alfred. Ich hoffe, du bist nicht so hungrig, dass du deine Meinung änderst und mich doch noch deinem Speiseplan hinzufügst«, sagte ich und schluckte tapfer. Das Sprechen fiel mir noch ein bisschen schwer und bei aller Vertrautheit war ich doch lieber auf der Hut. Schon manches Mal hatte sich die alte Zornnatter einen Spaß daraus gemacht, unverzüglich auf mich zuzupeitschen und sich über meine anschließende Reaktion zu amüsieren. Meist sprang ich nämlich unwillkürlich schräg und wild, wenn auch rechtzeitig, in die Luft.

Alfred grinste mich an. Ich grinste zurück. Auf der Hut, wie schon gesagt.

»Du bist mir immer noch ein wenig zu blau für diese Gegend, mein Junge«, sagte er einlullend und leise und streckte seinen beeindruckenden Körper. Er maß locker 1,50 Meter, und man munkelte, er wäre mindestens 20 Jahre alt.

Alle Wesen der näheren Umgebung kannten Alfred seit ihrer Geburt. Er war schon immer da, gehörte einfach zum Teich und den Feuchtwiesen, wie der Pflaumenbaum und der Teich selbst. Er war eine lebendige Legende, ein nicht wegzudenkender Teil des Ganzen geworden und hatte Tausende von uns anderen auf die Welt kommen und über kurz oder lang wieder sterben sehen.

»Scheinst die Pause gut überstanden zu haben«, schob er nach.

Bei uns Wechselwarmen heißt die vierte Jahreszeit nicht Winter, sondern war einfach nur die Pause.

Die ersten paar Tage nach der Pause glich die Umgebung des Teichs einem seltsamen Jahrmarkt aus eigenartigen Kreaturen. Überall staksten, schlängelten und krabbelten Insekten, Amphibien und Reptilien auf steifen Gliedmaßen herum – wenn sie denn welche hatten. Sie wirkten beinahe wie Zombies, so unsicher auf ihren Beinchen, vom monatelangen Frost gelähmt.

Jeder von uns wusste, dass dies eine gefährliche Zeit war. Noch gefährlicher als normalerweise. Überall Hunger, überall Gefahren.

Ein Schauer durchfuhr mich, und ich wollte Alfred fragen, ob er den Fleck unten im Teich schon bemerkt hatte.

»Natürlich«, sagte er, meinen Blick deutend, bevor ich überhaupt zu sprechen begonnen hatte. »Hier geschieht nichts ohne mein Wissen, schon vergessen? Hab mich gefragt, wann DU es endlich entdeckst, mein kleiner blauer Aussichtsfrosch!«

Wieder grinste er das Grinsen, das nur eine Natter zustande bringt und das absolut nichts Wärmendes hat. Ich fühlte mich wie eine Kaulquappe auf ihrer ersten unbeholfenen Runde durch den Teich.

Selbstverständlich hatte Alfred den Fleck längst entdeckt. Er wusste sicher auch, was es damit auf sich hatte. Das hier war sein Territorium, wir anderen waren nur geduldete oder eben ungefressene Gäste. So sah es aus.

»Und?«, fragte ich. »Was ist es?«

Er schenkte mir einen Blick, den man mit gespielter Verwunderung gleichsetzen konnte. Es war, als würde er eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen heben.

Ich verstand und schüttelte mich. Dann tat ich gelangweilt und machte einen halbherzigen Sprung Richtung Ufer.

»Ist bestimmt noch ziemlich frisch«, meinte ich und stupste mit der rechten Hinterflosse ins Wasser.

Bestimmt noch ziemlich frisch war arg untertrieben, es durchfuhr mich eisig im ganzen Körper.

Und es gab noch einen anderen Grund, einen viel schwerwiegenderen, warum ich nicht das geringste Bedürfnis verspürte, jetzt schon in den Teich zu springen. Eigentlich waren es mehrere Gründe … und alle hatten sie etwas gemein: ziemlich scharfe Zähne und ziemlich viele Schuppen.

Die Barsch-Gang um Hacki und der alte Schlurch, ein riesiger Hecht, hatten in der Pause sicher nicht viel zwischen die Kiemen gekriegt. Da käme so ein kleiner blauer Laubfrosch gerade recht.

Ich zögerte. »Du wirst mir also nicht verraten, was es ist, richtig?«

Alfred grinste mich nur an. Hätte er Schultern gehabt, hätte er sie gelangweilt gezuckt.

Falls es bisher noch nicht deutlich wurde: Ich habe nicht das geringste Interesse an Abenteuern oder gefährlichen Situationen. Nur deshalb hatte ich es überhaupt bis in mein drittes Jahr geschafft.

Aber seit einiger Zeit bohrte sich etwas Neues durch die noch leicht vereisten Synapsen meines Geistes: Ich glaube, ihr Menschen nennt das Neugier. Stechende, wachsende Neugier. Schon in meinem letzten Sommer war sie ab und an aufgetaucht, hatte mir auf die schmächtige blaue Schulter geklopft und mich Dinge tun lassen, die Frösche normalerweise nicht tun.

Ich hatte es jedes Mal überlebt. Und mit jedem Erfolg schien diese Neugier zu wachsen.

Ich starrte den grinsenden Alfred unverfroren an.

Er würde mir nicht sagen, was da im Teich war. Er würde es nur für sich ganz allein wissen und ich müsste unverrichteter Dinge in mein Astloch zurückkehren.

Warum auch nicht? Was störte mich eine unbeantwortete Frage, wenn ich dafür am Leben blieb?

Ich war mir nicht sicher, ob die Instinkte einer Zornnatter in der Lage waren, meine Angst zu spüren oder vielleicht sogar meinen Herzschlag zu hören. Bei Alfreds Anblick ging ich davon aus.

Es schien, als wollte er gerade abdrehen und seiner Wege ziehen, da machte ich ein Geräusch, so was Ähnliches wie ein Räuspern, das ihn innehalten ließ.

Ich schaute ihn an, streckte mich, grinste – und sprang.

Sei kein Frosch!

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