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2.3.4 Mögliches Verhältnis der Bedürfnisse untereinander und zu Motiven

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Unterschiedliche Bedürfnisse treffen im Leben der Menschen aufeinander und können nicht nur neben-, sondern auch gegeneinanderstehen. Autonomie kann soziale Integration, die Suche nach sozialer Anerkennung und die Sorge um die eigene Gesundheit erschweren oder ausschließen. Menschen haben unterschiedliche Wege, mit solchen Konflikten umzugehen, wie z. B. Aufschub, Verlagerung, Ersatzbefriedigung oder »Verdrängung« (vgl. Grunert, 1993, S. 39 ff.; Holodynski & Oerter, 2018).

Wie im Zusammenhang mit der Selbstregulation der Emotionen angesprochen, ist es in keiner Kultur möglich, alle Bedürfnisse sofort, angemessen und gleichermaßen zu befriedigen. Daher sind Regulationen wie Aufschub, Verlagerung, Ersatzbefriedigung oder »Verdrängung« zunächst neutral zu bewerten. Kinder müssen sogar lernen, Wege für sich zu finden, damit umzugehen, dass Bedürfnisse nicht immer alle zugleich befriedigt werden können. Im Alltag geht es dabei meist um den Bedürfnisaufschub, wenn das Kind z. B. beim Essen warten muss oder darauf, dass andere Zeit haben, sich um es zu kümmern. Beim Essen wird diese Bereitschaft in zwei Bereichen besonders wichtig: Zum einen wird nach der Säuglingsphase die gemeinsame Mahlzeit zum »Platz des Essens«. Das gemeinsame Mahl verlangt, dass sich alle mit ihrem Essbedürfnis einer gemeinsamen Zeit und Struktur anpassen ( Kap. 3.4). In der Familie wie in der KiTa muss hier ein Weg gefunden werden, mit Zwischenmahlzeiten die Anpassung an die Hauptmahlzeiten zu erleichtern. Zum anderen ist die Annäherung an eine gesundheitsförderliche Ernährung ein Bildungsziel. Die dazu notwendige Geschmacksakzeptanz kann nur durch wiederholtes Probieren zunächst abgelehnter Geschmackselemente erfolgen ( Kap. 3.2). Der spontane alleinige Zugriff auf akzeptierte Geschmäcke sollte begrenzt werden durch die Überwindung der Unlust, die zunächst mit neuen Geschmäcken einhergehen kann. Bei den ersten Begegnungen mit fremdem Geschmack ist auch Frustrationstoleranz gefordert. Ein gezielter Umgang mit Genussmitteln (bei Kindern vor allem Süßes), die nur in Maßen zur Verfügung stehen sollten, beinhaltet ebenfalls Lustkontrolle. Bedürfnisaufschub wird zudem als eine wichtige Voraussetzung für die Genussfähigkeit gesehen (welche – falls überhaupt – allerdings erst im Erwachsenenalter voll ausgebildet wird; vgl. DRWS, 2008b; Höhl, 2009). Wie erwähnt, wird in der Entwicklungspsychologie auf Motive fokussiert, weil diese als Handlungsanreiz und durch die damit verbundene Zielorientierung eher erkennbar und nachweisbar sind als Bedürfnisse. Entsprechend kann in diesem Prozess »der Aktivierung und Auswahl von Motiven und der sie befriedigenden Handlungen« eine Motivation gedeutet werden (Holodynski und Oerter, 2018, S. 517). Die Begriffe Motiv und Motivationen werden daher oft dem Begriff Bedürfnis vorgezogen. Damit sind zwar die gleichen Prozesse gemeint, aber mit einem unterschiedlichen Fokus: Mangel, Zielorientierung oder Handlungsimpuls. Die mit den verschiedenen Begriffen verbundenen theoretischen und methodischen Fragen können im Folgenden nicht weiter dargestellt werden, aber es sollen einige Bezüge zur Essentwicklung hergestellt werden, die beiden Ansätzen gemeinsam sind.

Nach Holodynski (2009), auf dessen Ausführungen im Wesentlichen Bezug genommen wird, ist bislang unbestritten, dass Motive (1) positiv bewertete Zielzustände einer Person sind, die (2) zu einem gegebenen Zeitpunkt bei einer Person unterschiedlich stark aktiviert sind und (3) die selektive Wahrnehmung motivspezifischer Zielzustände befördern. Noch umstritten ist u. a., ob (4) Motive durch eine motivspezifische Emotion markiert sind.

Bedürfnisse drücken hingegen (1) einen Mangel aus. Der zur Beseitigung des Mangels dienende »Zielzustand« muss definiert werden, unterliegt also schon einer Interpretation und einer Wertung. Wie Motive können Bedürfnisse (2) unterschiedlich stark aktiviert sein. Dies wird u. a. bedeutsam, wenn mehrere sich widersprechende Bedürfnisse befriedigt werden müssen. (3) Auch für Bedürfnisse gilt, dass sie die Wahrnehmung sehr selektiv steuern können.

Säuglinge sind mit vier psychogenen Motivsystemen ausgestattet (Holodynski, 2009):

• Bindung ( Anschluss und Intimität)

• Neugier ( Neugier und Exploration)

• Leidvermeidung

• Wirksamkeit.

Diese Motive stimmen mit den oben dargestellten Grundbedürfnissen z. T. überein oder sind mit ihnen kompatibel.

Die viszerogenen, d. h. inneren, physisch gelenkten Motive wie Hunger oder Durst, sind biogene Bedürfnisse und werden als Motive ausgeschlossen. Für die Säuglingsphase ist dieser Ausschluss am ehesten nachzuvollziehen. Sobald diese biogenen Motive bzw. Bedürfnisse aber durch andere Motive beeinflusst werden, können sie zunehmend als psychogenes Motivsystem betrachtet werden.

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa

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