Читать книгу Single, weil die Auswahl scheiße ist - Karin Anja Roth - Страница 11

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6.Flirt-App

Tinder, Lovoo, Zoosk – und wie sie sonst noch alle heißen – sind Flirt-Applikationen. Mittels Bewertung von Fotos treten die Profile miteinander in Kontakt. Neben der Tatsache, dass 50 Prozent der Herren die gemeinsame Zukunft mit dem Satz »Hallo, wie geht’s?« einzuleiten versuchen, ist alles wahnsinnig aufs Optische konzentriert. Die Nachfrage nach Beruf und Bildung gibt erste Anhaltspunkte zu Intelligenz und Cleverness. Meist ist jedoch nicht viel von beidem zu erkennen. So hart das klingt. Auch der Tatbestand, dass viele Männer es nicht schaffen, eine Kurznachricht ohne Rechtschreibfehler zu verfassen, lässt auf kein hohes Niveau schließen. Aber wie mir beispielsweise von meiner Schwester versichert wurde, ist das DIE Art zu flirten im 21. Jahrhundert.

Also auf und los, zwei bis drei nette Bilder hochgeladen, mal vom Gesicht, mal von der Figur (natürlich keine Bikinibilder, ich bin ja keine 20 mehr und auch nicht exhibitionistisch veranlagt), dann noch das Alter ergänzt und fertig ist das perfekte Flirtprofil. Die Anfragen ließen dann auch nicht lange auf sich warten.

Da gab es zum Beispiel den Italiener Claudio. Nett anzuschauen, Lieblingshobby Fischen und als Fugenspezialist auf dem Bau tätig. Schreibfehler? Aber hallo, unzählige. Daher habe ich recht schnell ins Italienische, für mich eine Fremdsprache, gewechselt. Da fällt es mir dann weniger auf. Beim ersten Mal, als wir was trinken waren, war’s ja noch ganz nett. Das zweite Date hat Claudio dann schon kurzfristig abgesagt beziehungsweise sich am vereinbarten Tag erst spät abends wieder gemeldet. Typisch für die Flirt-App, wie ich dann später noch feststellte. Trotz einem gewissen Unmut ließ ich mich etwas später auf einen Kinoabend mit ihm ein. Die wenig geistreiche Komödie, die wir uns ansahen, überstieg seine geistigen Kompetenzen und die meiste Zeit erklärte ich ihm die Handlung. Ein weiteres Date wollte ich danach nicht mehr.

Aber davon ließ ich mich nicht entmutigen und bei circa zehn Anfragen pro Tag, entschied ich einfach: N E X T. Nächster war dann ein junger Herr aus meiner Stadt mit einem Allerweltsnamen, der mir nicht im Gedächtnis geblieben ist. Zumindest der Name nicht. Wir chatteten zwei, drei Mal hin und her und schon erkundigte er sich nach einem Date. Seine Sprüche waren schon sehr direkt und ich konnte mir seine Absichten ausmalen. Aber was hatte ich schon zu verlieren? Vielleicht eine oder zwei Stunden? Also verabredete ich mich mit ihm auf einen Drink an der Sommerbar. Das Wetter war an diesem Abend allerdings nicht ganz so sommerlich … eher kühl und windig. Da ich etwas zu früh dort war, suchte ich mir ein Plätzchen direkt am Tresen, wo es ein Vordach gab und es etwas windgeschützt war.

Mein Begleiter schien noch nicht eingetroffen zu sein und so zückte ich mein Handy, um mich zu »beschäftigen«. Ihr kennt doch sicherlich diese blöde Situation, alleine am Tresen rumzuhängen, auf jemanden zu warten, den man nicht kennt und von dem man nicht wirklich weiß, wie er aussieht, und dabei das Gefühl zu haben, alle bemitleiden das kleine, einsame Mädchen? Dann hilft es, das Handy oder ein Magazin oder sonst irgendwas in die Hand zu nehmen, das einen »beschäftigt« wirken lässt. So kann mich mein Date auch etwas mustern, wenn er ankommt, ohne dass ich ihn wie ein Huhn auf der Stange beim Eintreten schon anstarre. Oder so ähnlich. Denn mein heutiges Date erschien einfach nicht. Ich war tatsächlich versetzt worden. An einem kühlen, windigen Abend an der Sommerbar.

Etwa eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Treffen erhielt ich eine Chat-Nachricht, dass er nicht kommen werde. Er hätte in der Zwischenzeit meine wahre Identität erfahren. Meine wahre Identität? Als ob ich auf einer Dating-App eine falsche hätte! Nein. Klar, jeder arbeitet da mit einem Nickname und so habe auch ich meinen Spitznamen verwendet, aber die Identität hat sich doch deshalb nicht verändert. Meine Fotos waren echt, meine Angaben entsprachen meinen Überzeugungen. Bei dieser Geschichte war es wohl eher das Gegenüber, dass es mit der Wahrheit nicht ganz so genau genommen und offenbar kurz vor dem Date festgestellt hatte, dass wir uns über gewisse Ecken kannten … beruflicher Natur, vielleicht gemeinsame Freunde oder noch besser der (Ex-)Freund einer meiner Freundinnen??? Keine Ahnung. Aber die wohl nicht ganz so seriösen Absichten mir gegenüber waren so wahrscheinlich nicht zu erfüllen gewesen. Dann also besser gleich die Reißleine ziehen … Okay, das nahm ich so zur Kenntnis.

Die Situation, dass sich plötzlich nur noch verheiratete Männer für einen Seitensprung auf der App bei mir meldeten, machte meine Laune auch nicht besser. Irgendwie schien es dort kaum Männer Anfang 30 ohne Kinder oder Exfrauen zu geben. Gab es denn generell keine Männer, die wie ich lebten? Sich zuerst mal beruflich situiert haben und dann an den nächsten Schritt mit Haus und Kind denken? Irgendwie schienen alle den Schnellzug zu nehmen und dann mit Anfang 30 die verpasste Freiheit mit viel zu viel Alkohol und wildem Herumgeflirte nachholen zu wollen. Mehrmals sagten mir diese blöden verheirateten Männer kurz vor dem ersten Date fadenscheinig ab. Da ich nicht immer gleich am nächsten Tag eine Verabredung wahrnehmen konnte, war das Interesse der Männer bis zum Zeitpunkt des Treffens bereits durch eine andere Chatpartnerin streitig gemacht worden. Bloß nie eingleisig fahren, man muss schließlich immer wieder seinen eigenen Marktwert kontrollieren, schienen sie sich zu denken. Das passt zum Zeitalter der Wegwerfgesellschaft, oder?

Eines schönen Tages schrieb mir dann Michael. Ein Mechaniker aus meinem Ort von sexy Statur und mit tollen blauen Augen. Seine Nachrichten waren nett, wenn auch voller Schreibfehler. Freundinnen empfahlen mir allerdings nicht immer so kritisch zu sein und darüber hinwegzusehen. Es klang anfänglich auch alles ganz gut. Oh nein, das sollte ich eigentlich nicht schreiben, denn sonst verrate ich ja schon, dass er doch nicht mein Mann fürs Leben war. Also, Michael, 35, berufstätig (auch keine Selbstverständlichkeit), hatte weder Exfrau, noch Kinder, trieb wie ich viel Sport und legte Wert auf eine gute Ernährung. Ich ließ mich dazu hinreißen, ihm meine Handynummer zu geben. Seine SMS, ja immer noch mit groben Schreibfehlern, waren nett und teilweise fast lustig, so dass ich mich für einen Samstagnachmittag mit ihm zum Kaffee verabredete.

Als wir uns am Bahnhof trafen, sah er nicht nur so sexy aus wie auf seinen Profilbildern, sondern grüßte mich auch höflich und nett. Nachdem wir gerade mal zehn Minuten im Café gesessen hatten, wollte er mir allerdings plötzlich »seine Geschichte« erzählen. Diese beruhte auf einer achtjährigen Heroinabhängigkeit mit mehreren Entzügen, anschließendem betreuten Wohnen, Krankheiten, die die Sucht so mit sich brachte, Fahrzeugausweisentzug, regelmäßigen Urinproben und vielen Schulden. Also, wenn Michael eines nicht konnte, dann sich vermarkten. Denn als Nicht-Trinkerin, die noch nie Berührung mit einer solchen Welt hatte, war ich einfach nur geschockt. Zudem erklärte er mir, dass seine Traumfrau als Sozialarbeiterin arbeiten sollte, damit sie genug Verständnis für seine Situation mitbrachte.

Als ich mich dann eine Stunde später verabschieden wollte, drängte er mich dazu, noch mit ihm das Münster zu besuchen. Irgendwie aus Mitleid willigte ich ein. Dort angelangt, bat er mich kurz zu warten, da er auf die Toilette müsse. Ich erklärte ihm, dass ich gerne gehen wollte, aber im Weggehen bat er mich, doch bitte nur eine Minute zu warten. Ich blickte mich um und stellte fest, dass hier viele Penner herumhockten. Plötzlich machte mir alles einen dubiosen Eindruck und ich wollte nur noch weg. Sobald Michael zurückkam, verabschiedete ich mich und ging. Schon nach kurzer Zeit stellte ich aber fest, dass Michael mich durch die Stadt verfolgte. Mir wurde immer unwohler und ich ging in einen Laden. Michael blieb stehen und sah von der anderen Straßenseite herüber. Eigentlich wollte ich beim anderen Ausgang rausschleichen, aber auch dort war ich in seinem Blickfeld. Es schauderte mir etwas.

Glücklicherweise war ich an diesem Abend noch mit Milo zum Abendessen verabredet. Also kontaktierte ich ihn und fragte, ob er nicht schon früher Zeit hätte und mich abholen könnte. »Kein Problem, wo steckst du denn?«, wollte er wissen. »Im Lederwarengeschäft hinter dem Handtaschenregal«, antwortete ich. Als er mich dort fand, lachte er und fragte, warum oder vor wem ich mich hier verstecken würde. Ich erzählte ihm daraufhin von meinem dubiosen Date und war froh, Milo als Kumpel gewonnen zu haben. Einfach schön, wenn man sich auf jemanden verlassen kann.


Am gleichen Abend noch löschte ich die unsägliche Flirt-Applikation von meinem Handy. Das war allerdings nicht mein erster Versuch, über unkonventionelle Methoden den Traummann zu finden. Einmal habe ich sogar in einer Flirtsendung im Fernsehen mitgemacht.

Ha, jetzt bist du über meinen Enthusiasmus überrascht, was?

Single, weil die Auswahl scheiße ist

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