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Antonia fühlte sich ausgelaugt und total leer. Seit zwei Wochen arbeitete sie mit einem Team von acht Leuten an Karas neuer Showidee. Was zu Anfang wie eine Routinerecherche aussah, wurde zum Knochenjob, je mehr sich Antonia in die Materie hineinkniete.

»Du bekommst jede Hilfe«, hatte ihr die Freundin versprochen. »Geld spielt keine Rolle. In einem Monat muss der komplette Pilotfilm stehen. Nimm dir eine Detektei, zahle irgendwelchen Heinis vom Jugendamt Schmiergelder oder sülze die gesamte Anwaltskammer ein. Für uns steht die Existenz auf dem Spiel.« Und als sie Antonias mürrisches Gesicht sah, sagte sie schmeichlerisch: »Antonia, lass mich nicht im Stich. Du bist die Einzige, die uns jetzt noch retten kann!«

Na, hoffentlich fällt ihr das auch mal bei meinen Honoraren ein, dachte Antonia giftig. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die ansonsten so großzügige Kara ausgerechnet bei ihr den Rotstift ansetzte. Als diese vor Monaten eine mittelprächtige SoapOpera aus England kaufte und den Star der Serie für ein Irrsinnsgeld einfliegen ließ, fühlte sich Antonia, die das Interview mit der zickigen Hauptdarstellerin machen musste, wie die arme Verwandte, die aus der Portokasse bezahlt wird.

»Sieh mal«, hatte Kara gejammert. »Ich habe doch schon viel zu viel für diesen Rotz bezahlt, nur weil die Alte vom Fahrenholz die Serie so toll fand. Dann noch die völlig durchgeknallte Hauptdarstellerin. Was glaubst du, woher ich das Geld nehmen soll?«

Antonia ersparte sich und Kara die Frage, seit wann die Gattinnen der Gesellschafter das Pogramm bestimmten. Zumal sie wusste, dass »Rosalie’s World« in England ungeheuer hohe Quoten brachte. Dennoch: Weshalb sollte sie immer hintanstehen? Nur weil sie die Freundin der Chefin war? Weil sie für alles und jedes Verständnis haben musste? Weil es darum ging, dass Kara einen erfolgreichen Sender leitete? Natürlich konnte sie wunderbare Storys machen. Eigentlich alles, wovon sie immer geträumt hatte. Aber um welchen Preis! Aus irgendeinem Grund brachte Antonia es nicht fertig, Kara die Brocken hinzuwerfen. Dabei hatte sie seit längerer Zeit genug davon, stets auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Ihr Leben nach den Wünschen und Launen der Freundin zu richten. Sie hat mich abhängig gemacht, beschwerte Antonia sich immer häufiger bei Roswitha Balz, einer Fotografin, die zu dem Kreis gehörte, aus dem sie Kara möglichst fern hielt. Wenigstens ein paar Menschen muss ich für mich allein haben, hatte Antonia beschlossen. Und wenn Kara sie fragte, weshalb sie nie eingeladen würde, wenn Roswitha oder zwei, drei andere Leute sich mit Antonia verabredeten, winkte diese ab: »Du würdest dich nur langweilen. Sie sind nichts für dich«, beschied sie die Freundin dann.

Wenn Antonia sich bei Roswitha über ihre Abhängigkeit von Kara beklagte, antwortete diese gewöhnlich verständnislos: »Aber du bekommst die besten Aufträge, die stärksten Interviews. Du hast Erfolg mit dem, was du für Kara tust.«

»Ich hätte auch bei anderen Sendern Erfolg. Ich bin gut!«, wandte Antonia ein und wusste Roswithas Kommentar schon im Voraus: »Dann geh zu einem anderen Sender. Niemand zwingt dich, für Kara zu arbeiten. Sie wird es überleben!«

Aber Antonia blieb. Sie begehrte nur dezent auf, wenn Kara ihren sonntäglichen Katzenjammer an ihr ausließ. Sie ging mit der Freundin zu Society-Events, wenn diese gerade mal keinen Mann so repräsentativ fand, dass sie ihn wie eine Trophäe hinter sich her schleppte. Sie stand parat, wenn die Freundin zu Hause eine Einladung gab und ein zusätzliches weibliches Wesen am Tisch fehlte… Gibt es überhaupt noch ein Leben für mich ohne diese Frau, fragte sich Antonia in den letzten Monaten immer öfter. Sie ertappte sich dabei, wie sie schadenfroh die miesen Quoten studierte. Um dann aber doch zum Telefon zu greifen und Kara aufzurichten. Antonia war irritiert, wie sehr ihr Kara in letzter Zeit auf die Nerven ging. Wahrscheinlich waren sie in all den Jahren einfach zu eng gewesen. Sie sollte sich etwas rarer machen, überlegte Antonia. Eine Auszeit von der possessiven Freundin nehmen.

Antonia wusste, dass die meisten im Sender glaubten, sie sei eine eiskalte Karrieristin, die Karas Freundschaft nur benutzte. Sie wurde im Sender geschnitten, und hinter ihrem Rücken kursierten die übelsten Geschichten.

So gleichgültig Antonia die Meinung der Redakteure war, so sehr verletzte es sie, dass Kara niemals öffentlich für sie Partei ergriff. Dass sie diese üblen Verleumdungen nicht stoppte, sondern nur achselzuckend zu ihr sagte: »Ach komm schon, da stehst du doch drüber! Die sind nur neidisch!«

Manchmal, wenn wieder so eine Welle der Missgunst aus der Redaktion Antonia erreichte, fragte sie sich bitter: Wer benutzt hier eigentlich wen? Zahle ich nicht den viel größeren Preis für diese Freundschaft?

Immer öfter arteten ihre Treffen in lange Monologe Karas aus. Kara konnte nicht zuhören. Sie war nur noch an ihrer eigenen Person interessiert. Wie eine Autistin lebte sie in ihrer Welt, unerreichbar für Antonias Sorgen. Immer nur ging es um Karas Erfolg, Karas Kummer mit den Männern, Karas Einsamkeit und ihren Frust. Antonia fürchtete sich seit einiger Zeit vor den Sonntagen, an denen die egozentrische Freundin von ihr regelmässig Beistand und Gesellschaft einforderte. Seit Monaten hatte Kara sie nicht ein einziges Mal gefragt, wie es ihr ginge. Ob sie glücklich sei. Welche Pläne und Ideen sie habe. Pläne, die vielleicht völlig anders waren, als die der Freundin. Antonia hatte zunehmend das Gefühl, von Kara manipuliert zu werden. Auf der anderen Seite verband beide so viel. Wie konnte sie sich von Kara beruflich emanzipieren, ohne dass die Freundin sich persönlich verlassen fühlte? Antonia war sich bewusst, dass sie allein die Lösung finden musste. Kara würde ein derartiges Gespräch fliehen. Sie würde ihr Unbehagen einfach vom Tisch wischen. Würde sagen: »Du bist überarbeitet, Schätzchen. Gönn dir ein paar Tage Urlaub!« Oder sie würde ihr eines dieser völlig unangemessenen Geschenke machen, die Antonia immer wie Bestechung vorkamen. Wie die Ruhigstellung eines quengelnden Kindes. Herrgott, dachte Antonia verzweifelt, wie komme ich nur aus dieser Sackgasse heraus. Dabei hatte sie ihr Ziel ganz klar vor Augen: Sie wollte endlich zeigen, dass sie Karas Hilfe nicht brauchte, um ganz nach oben zu kommen. Doch zuvor musste sie den Absprung schaffen.

Freilich erst, wenn die neue Show stand. Zwei Wochen lang sah es aus, als würde das Ganze schon in den Anfängen scheitern. Zwar meldeten sich auf die landesweiten Zeitungsanzeigen hunderte von Frauen, deren Männer sich vor den Unterhaltszahlungen gedrückt hatten. Doch viele der Storys spielten in einem derart trostlosen Milieu, dass Kara nur abwinkte.

»Die dazugehörenden Väter finden wir dann in Stehausschänken oder als Berber auf der Straße. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Zuschauer Spaß an einer derartigen Freakshow hat!«

»Wie darf denn deine Wunschfamilie sein?«, fragte Antonia spitz. »Hübsche junge Frau mit engelartigem Kind auf dem Arm, gehobener Mittelstand. Der flüchtige Vater Selbstständiger oder Zahnarzt…«

»Du lieber Himmel, Antonia«, Kara verstand die Freundin nicht, »wir machen keine Quoten mit einem Elendsbericht. Sprich doch mal mit ein paar Scheidungsanwälten. Die kennen das soziale Umfeld, aus dem die Frauen stammen.«

Antonia verkniff sich einen Kommentar. Wäre sie ihrem spontanen Gefühl gefolgt, hätte sie den Auftrag zurückgegeben. Hätte gefragt, weshalb Kara glaube, dass dieser Chefton nötig sei. Und ob sie in ihrer abgehobenen Position überhaupt noch beurteilen könne, wie schwierig so ein Auftrag auszuführen sei. Stattdessen schluckte Antonia ihre Bitterkeit hinunter. Später, dachte sie, später werde ich mit ihr reden. Sie machte ihrem Unmut erst Luft, als sie am Abend mit einem Glas Chardonnay bei einem Freund am Küchentisch saß.

»Ich weiß nicht was los ist«, sagte sie zu Markus, dem ›sanften Versagen‹, wie Kara ihren ehemaligen Lover nannte. »Ich ertrage diese Frau nicht mehr. Ich kriege schon Pickel, wenn ich nur den Sender betrete!«

Markus Brenner, Mitte dreißig, ein sanfter, kluger Psychologe, dem jegliche Art von Karrierestreben zuwider war, hatte einen fatalen Hang zu übersteuerten Powerfrauen. Er liebte Antonia so hingebungsvoll, wie er Kara geliebt hatte. Mit geradezu märtyrerhaftem Masochismus ertrug er ihre Launen und entschuldigte ihre Capricen. Er betrachtete diese hochtourenden Geschöpfe mit gebührendem Abstand und zog sich, wenn mal wieder die Hütte brannte, in sein kleines Büro am Max-Planck-Institut zurück. »Die eine und die andere Welt«, nannte Brenner sein Kontrastprogramm. Um keinen Preis wollte er in dieser ›anderen Welt‹ heimisch werden. Selbst als Kara ihm vorschlug, doch als Psychologe eine Sendung zu betreuen, lehnte er dankend ab. »Das würde mein inneres Gleichgewicht zerstören«, sagte er lächelnd und rückte verlegen seine randlose kleine Brille zurecht. Man sah, wie unangenehm es ihm war, dass er ein Angebot dieser wunderbaren Frau ablehnen musste.

Die Zuneigung, die er Kara entgegenbrachte, übertrug er auf Antonia. Und was die beiden Frauen ihm als Versagen ankreideten, war nichts anderes, als eine tiefe Zufriedenheit mit dem, was er tat. Markus Brenner war bescheiden und hatte keinen großen Gefallen an Partys oder Ähnlichem. Am liebsten saß er in seiner Wohnküche bei einem Glas Wein und hörte seinen Frauen zu.

Das war Markus, und er verdiente es wirklich nicht, als ›sanfter Versager‹ betitelt zu werden.

Und auch heute war er wieder ganz auf der Seite der tobenden Antonia.

»Ist irgendetwas passiert?«, fragte Markus, der sich ihren plötzlichen Ausbruch nicht erklären konnte. »Weshalb bist du so wütend auf Kara?«

»Keine Ahnung«, Antonia schüttelte den Kopf und goss sich ein neues Glas ein. »Ich komme mir vor wie ihre Sklavin. Es ist nichts geschehen. Nichts, als dass ich die Leibeigene meiner Freundin bin!«

Markus lachte. »Übertreib nicht«, sagte er, »ich kenne keine zwei Frauen, die so eng zusammenglucken. Die immer gemeinsam auf die anderen losgehen. Vor deren geballter Kraft sich jeder, der ihre Kreise stört, in Acht nehmen muss! Also, was ist los? Versuchst du einen Grund zu konstruieren, um dich elegant abzuseilen?«

»Ich muss nichts konstruieren«, zischte Antonia, »ich will nur nicht mehr. Ich will wieder frei sein. Die Stadt verlassen. Diese miefige Weltstadt mit Herz. Ich will weg, weg, weg…«

»Und wo willst du hin? Hast du schon einen Plan?«

»Nein«, schrie Antonia jetzt los, »ich habe keinen Plan. Ich wage ja nicht mal, einen Plan zu haben. Schon der Gedanke kommt mir wie Verrat vor. Ich habe ein schlechtes Gewissen, sie allein zu lassen. Ich hasse dieses Weib!« Sie war völlig außer sich, und als Markus nach ihrer Hand griff, schüttelte sie ihn ab. »Ja«, ihre Stimme wurde immer lauter, »ich hasse sie wirklich. Ich könnte sie umbringen. Sie ist ein Vampir. Ein Satan.«

Als sie erschöpft schwieg, nahm Markus sie in den Arm. »Antonia«, sagte er tröstend, »du bist überarbeitet. Du musst Urlaub machen. Du hasst Kara nicht. Sie ist deine beste Freundin. Deine Familie. Das hast du selbst immer wieder gesagt!«

Antonia sah den Freund aus schmalen Augen an. »Du irrst«, sagte sie mit klarer Stimme. »Ich kann sie nicht mehr ausstehen. Ich werde kaputtmachen, was mich kaputtmacht!«

Die Quoten-Queen

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