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Die Ausstrahlung der »Drückebergershow« lief an einem Freitagabend zur besten Sendezeit. Nach langen Kämpfen mit den Eignern, nach Rückschlägen, was sowohl die Jugendämter als auch die zur Klage bereiten Mütter anging, stand endlich die erste Sendung. Kara hatte sie sich wieder und wieder angesehen. Hatte die einzelnen Beiträge umschneiden lassen, die Reihenfolge geändert, Antonias Moderation vergrößert, verkleinert, und neu geschrieben. Schließlich die Experten, die sich zu dem Fall des Zwillingspärchens in der ersten Sendung äußerten, ausgetauscht. Neue, flottere Gesichter dafür angeheuert. Den Studioteil mit und ohne Publikum geprobt – bis sie sich am Ende zu einem kleinen Publikum entschloss, das sich auch noch zu dem Fall äußern durfte. Antonia, die gern eine Livesendung gehabt hätte, weil man dann die Zuschauer zu Hause hätte einbeziehen können, scheiterte ebenso mit ihren Vorschlägen wie Köhler, der für zwei Fälle pro Sendung plädierte.

»Ich weiß, was ich tue«, beharrte Kara. »Mein Gefühl trügt mich nie!« Die Sendung wurde von einer riesigen Werbekampagne begleitet. Schon eine Woche vor der Ausstrahlung waren in acht Großstädten Plakatwände mit dem Titel der Sendung »So nicht, meine Herren!« und dem Logo des Senders geklebt. In allen Programm- und in den Frauenzeitschriften wurden Anzeigen geschaltet. »Wir haben vier Sendungen lang Zeit – wenn’s dann nicht geklappt hat, sind wir zum Abschuss freigegeben«, hatte Köhler trocken gesagt.

»Ist mir klar«, hatte Kara geantwortet. Sie hatten keine Pressepreview gemacht.

»Wenn sie die Sendung verreißen, schaut sie niemand an«, hatte sich Kara geweigert. »Lasst das Publikum entscheiden!«

Die Tage vom Sendetermin bin zum Montag, an dem die Kritiken und Quoten vorliegen würden, waren quälend. Kara, die es zu Hause nicht aushielt, hatte Antonia, Markus und ihren alten Freund Fritz übers Wochenende nach Venedig eingeladen. Sie wohnten im Gritti Palace. Das musste sein. Aber selbst die vorzüglichen Bellini-Cocktails des Barkeepers halfen nicht, ihre Nervosität zu beseitigen. Kara trank zu viel, aß zu viel und lag schlaflos in ihrem Hotelbett. Sie fühlte ihren Körper nicht mehr. Die Angst schien sie von innen auszuhöhlen. Als sie es gar nicht mehr aushielt, rief sie mitten in der Nacht Köhler an. Er ging lachend über ihre Panik hinweg. »Hör mal«, sagte er, »selbst wenn wir durchfallen, ist das nicht der Weltuntergang!«

Sie legte empört auf.

Montagmittag, Kara war im Gegensatz zu Antonia und Markus erst am Morgen aus Venedig zurückgekommen, stürmte sie in Köhlers Büro. »Na«, rief sie, »muss ich gleich wieder gehen, oder wie schaut’s aus?«

Horst Köhler zeigte auf einen Berg Zeitungsausschnitte und auf eine Tabelle, die auf seinem Konferenztisch lagen. »Sieh selbst, was du angerichtet hast«, sagte er ohne erkennbare Gemütsregung.

Kara stürzte sich auf den Papierstoß. Sie wühlte nach dem Fax mit den Quoten. »Nein!«, kreischte sie. »Nein, das gibt’s doch nicht!« Entgeistert starrte sie auf die Zahlen. TV6 hatte am Freitag eine Quote von 23,6% gehabt. »Unglaublich!« Kara war aufgesprungen und hing Köhler am Hals. »Warum hast du so ein belämmertes Gesicht gemacht, als ich hereinkam? Horst, das ist doch super. Wir haben gewonnen. Eine so hohe Quote hatten wir noch nie. Es ist die zweithöchste an diesem Tag. Nur das Erste hat mit einem Film ein Prozent mehr. Großer Sieg, wir müssen feiern. Mein Gott, bin ich froh!« Sie sank auf den Stuhl und heulte. Die ganze Anspannung der letzten Wochen heulte sie sich von der Seele. Dann griff sie zum Telefon, um Antonia anzurufen. Doch die meldete sich nicht.

»Falls du gerade versuchst, deine liebste Freundin zu erreichen: Sie hat sich gestern Abend schon die Quoten beschafft. Heute ist sie, so viel ich weiß, schon für die nächste Sendung unterwegs!«, sagte Köhler.

Ganz kurz schoss Kara die Frage durch den Kopf, weshalb Antonia sie nicht gestern Abend noch in Venedig von ihrer Angst erlöst hatte. Wo sie doch wusste, wie panisch sie den Zahlen entgegenfieberte. Ein Verdacht stieg in ihr auf. Kara begann zu ahnen, dass ihr Bild von Antonia im Laufe der Jahre immer weniger mit der realen Person zu tun hatte. Dass sie die Freundin mit Fähigkeiten schmückte wie andere Menschen ihren Christbaum. Hier noch ein Engelshaar und dort noch einen goldenen Stern. Zwar strahlte ihre ›Wunsch-Antonia‹ gar prächtig mit all den wunderbaren Stärken und Talenten. Aber ob sie sich in der Rolle auch wohl fühlte, danach hatte Kara nie gefragt.

Die Kritiken waren gut. Lediglich die Süddeutsche Zeitung maulte herum, dass man wieder mal aus der Not der Menschen ein Geschäft mache. Dass TV6 und die Macher der Sendung sich am Unglück von Frauen und deren Kindern weiden würden. Dass, nachdem endlich das Reality-TV verschwunden sei, nun eine neue Stufe der Schamlosigkeit erklommen würde. Gezeichnet war der Artikel mit R. H. Kara wusste, wer sich dahinter verbarg, und musste herzlich lachen, Heuchler! Dieser moralinsaure Journalist, der mit ambitionierten Drehbüchern für die »Tatort-Reihe« gescheitert war, konnte ihr gestohlen bleiben. Viel wichtiger waren die Boulevardzeitungen sowie Spiegel und Focus.

Sie nahm das Fax mit den Quoten, ging in ihr Büro und trommelte die Redaktion zusammen.

»Wir haben es geschafft!«, verkündete sie strahlend. »Wir hatten die zweitbesten Quoten letzten Freitag. Jetzt dürfen wir nur nicht nachlassen. Müssen uns ein weiteres Standbein schaffen. Aber erst einmal feiern wir, einverstanden? Und was ich noch sagen wollte: Ich weiß, dass ich unerträglich war, in den letzten Monaten. Vergebt mir! Ich gelobe Besserung!«

»Wer’s glaubt!« Sabine Karges sah Kara skeptisch an. »Haben wir jetzt neben der Salbach auch mal die Chance, auf den Schirm zu kommen?«, fragte sie provozierend.

Karas Laune war viel zu gut, als dass sie sich diese durch den Affront der ewig schlecht gelaunten Redakteurin verderben lassen mochte. »Jeder hat eine Chance«, antwortete sie lächelnd, »es muss nur einfach gut sein, was vorgeschlagen wird. Was wir brauchen, sind eine prima Serie und zwei gute, ungewöhnliche Magazinsendungen. Wenn wir ein Mittelding zwischen Talkshow und Magazin finden – wär das ideal! Also denkt darüber nach. Ich möchte gern nächste Woche Ideen hören und mit der Umsetzung beginnen!«

»Wann steigt unser Fest?«, fragte Gina Walter. »Nicht dass ich ausgerechnet dann auf Reportage bin!«

»Wir legen gemeinsam den Termin fest«, versprach Kara. »Ich will auch alle Eigner und vielleicht noch ein paar Kollegen von der Konkurrenz dabeihaben. Auf jeden Fall soll’s nichts Mickriges werden!«

»Na ja, Feste kann sie ja feiern!«, sagte Hanno Fengler auf dem Weg nach draußen.

Christian Lages stand schließlich als Letzter herum. »Also, was ich noch sagen wollte«, druckste er, »ich find’s toll, wie Sie die Väterarie gegen alle Proteste durchgezogen haben. Die Lorbeeren gehören nicht der Salbach, die haben Sie verdient! Ich bin froh, dass es jetzt wieder losgeht. Weil«, und er sah Kara grinsend an, »ich war des Öfteren schon auf dem Absprung in den letzten Monaten. Das Klima war wirklich ätzend!«

Kara sah den jungen Mann an. Wie er da so verlegen herumstand, bemüht, auf keinen Fall den Eindruck entstehen zu lassen, als wolle er für sich selbst gut Wetter machen, fand sie ihn wieder einmal umwerfend. »Danke, Christian«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm. »Sie gehören zu den wenigen, von denen ich Lob, aber auch Tadel annehmen kann. Übrigens, finden Sie Antonia Salbach auch so schrecklich?«

Christian Lages sah seine Chefin prüfend an. »Selbst auf die Gefahr hin, dass ich es gleich bei Ihnen verschissen habe: Ja. Sie ist für mich die berechnendste Person, die mir jemals über den Weg gelaufen ist! Sorry – aber ich muss ja nicht mit ihr befreundet sein!« Er war plötzlich ernst geworden und fügte noch hinzu: »Ich würde ihr nicht mal meinen Hund anvertrauen!«

»Aber Christian«, lachte Kara entspannt, »Sie haben doch eine Katze!«

Er sah Kara grinsend an. »Ich mag nicht über die Salbach reden«, meinte er schließlich. »Sie ist mir einfach nicht geheuer. Viel lieber möchte ich mit Ihnen über eine neue Idee sprechen. Wann haben Sie Zeit?«

Kara überlegte kurz. »Ich habe entsetzlichen Hunger. Was halten Sie davon, mich zum Essen zu begleiten? Oder haben Sie schon etwas vor?«

Christian Lages schüttelte den Kopf. »Außer meiner Katze und einem leeren Kühlschrank wartet nichts auf mich! Aber wollen Sie sich nach Feierabend wirklich noch mein Geschwätz antun?«

»Reden Sie keinen Unsinn. Das Wort Feierabend gibt es für mich nicht. Einer der Nachteile eines Topjobs. Also, kommen Sie schon!«

Kara rief im Hippocampus an. Dort, das wusste sie, bekam sie stets einen Tisch im Garten, an dem sie sich ungestört unterhalten konnte. Der Abend war wunderbar lau. Die Kerzen verbreiteten ein sanftes Licht, und der erste Schluck Champagner spülte die Anstrengung des Tages weg.

Kara lehnte entspannt in ihrem Gartenstuhl. »Mein Gott, Christian«, sagte sie. »Wie schön das Leben doch sein kann!« Sie hob erneut ihr Glas. »Trinken Sie mit mir: Auf die Zukunft des Senders, auf viele gute Einfälle und auf alles, was wir lieben! Und nun zu Ihrer Idee!«

»Die Sache hört sich simpel an«, sagte Lages. »Aber ich kann mir vorstellen, dass sie sehr reizvoll ist. Wir erklären einen Abend der Woche zum Themenabend. Die Sendezeit von 19 bis 24 Uhr stellen wir unter ein Motto. In diese Zeit packen wir verschiedene Dokumentationen, Gesprächsrunden, Sketche, Visionen, gewagte Bilder, wenn es einen Spielfilm zum Thema gibt, dann den am Schluss. Wir können auch eine Person nehmen. Sagen wir die Monroe oder Albert Einstein.« Christian Lages entwickelte mit glühendem Eifer seinen Programmvorschlag. Er lag halb über dem Tisch, fuchtelte mit der Gabel, trank zwischendurch hektisch und war so in seinem Thema, dass er gar nicht bemerkte, wie Karas Gedanken abschweiften. Sie betrachtete diesen engagierten, fabelhaft aussehenden jungen Mann mit immer größerem Vergnügen. Was wäre, überlegte sie, wenn ich ihn nach dem Essen einfach mit nach Hause nähme? Eine neue kleine Affäre täte mir sicher gut. Sie betrachtete seine langen, schönen Finger, seinen gut geformten Mund und erinnerte sich an seinen knackigen Hintern. Lages, so vermutete Kara, würde kein lästiges Anhängsel werden. Er wäre ein diskreter Gelegenheitslover. Und dann tat sie, was sie in solchen Fällen immer tat: Sie stellte sich den jungen Mann in ihrer Wohnung vor. Im Bett, im Badezimmer, am Frühstückstisch. Sie hörte sich flöten: Magst du ein Müsli oder lieber Eier mit Speck. Nein, entschied sie, das würde nicht passen. Morgens bemühtes Frauchen und mittags dann wieder die Chefin spielen. Nur weil sie sich heute quasi als Sahnehäubchen für ihre gute Stimmung einen kleinen Fick vorstellen konnte.

»Hey, Kara!« Lages klopfte ihr auf den Arm. »Hören Sie mir denn gar nicht zu? Was ist los? Wie gefällt Ihnen meine Idee?«

Scheiße, dachte Kara und bemühte sich zum Thema zurückzufinden. Was hatte er ihr vorgeschlagen? Themenabende? Warum nicht!

»Christian, ich habe selbstverständlich zugehört, aber nur eben sofort viel weiter gedacht. Eine gute Idee. Aber wir müssen ihr noch einen ganz besonderen Clou hinzufügen. Einen Gag, der uns…«

Christian Lages lachte laut auf, »in die Zeitungen bringt!«, ergänzte er. »Klar, der fällt mir schon noch ein. Wir können jedes noch so gewagte Schlagwort als Thema nehmen. Vagina, zum Beispiel. Gibt es in der bildenden Kunst, in der Literatur in der Musik, im Pornofilm, in der Medizin…«

Jetzt strahlte auch Kara. Sie beugte sich über den Tisch und drückte Christian einen Kuss auf die Wange.

»Gewonnen«, sagte sie fröhlich, »Vagina ist Spitze! Damit fangen wir an! Schreiben Sie das auf. Morgen in der Konferenz besprechen wir das Weitere. Die ganze Anatomie können wir durchnehmen – und dabei auch noch witzig sein. Spitze.«

»Vielleicht sollten wir nochmals über die Themen nachdenken. Ich meine, womit wir starten. Eigentlich dachte ich ja gar nicht nur an Sex!«, grinste Lages. »Aber wenn Ihnen danach ist!«

»Heute danach ist«, verbesserte ihn Kara und lachte ebenfalls. Mit diesem herzhaften Gelächter verscheuchte sie endgültig die Idee, den jungen Mann zu ihrem Lover zu machen.

Obwohl, dachte sie eine Stunde später ein wenig bedauernd, nett wär’s sicher mit ihm gewesen. Als sie vor dem Badezimmerspiegel stand und sich abschminkte, war sie ein bisschen wütend auf sich. Jetzt ein ungeduldig wartender Kerl im Schlafzimmer: Das hätte schon was gehabt, dachte sie. Komisch, solche Skrupel hatte ich doch bisher nicht. Oder war Christian einfach nicht spannend genug?

Tatsache war, dass sie seit mindestens einem Jahr bei keinem Mann den geringsten Anflug von Herzklopfen verspürt hatte. Und dann beschlich sie ein unguter Gedanke. Hatte sie womöglich verlernt, sich zu verlieben? Funktionierte sie vielleicht tatsächlich nur noch in ihrem Job? War es bereits so weit, dass sie Signale aussandte, die bedeuteten: Mich interessiert die ganze Chose nicht? Von mir kannst du nur einen schnellen Fick, aber kein Gefühl bekommen?

Du lieber Himmel, dachte Kara, als sie ihre Meditationskassette in den Rekorder schob, ich bin neununddreißig und innerlich so tot wie ein Computer. Das kann doch nicht mein Leben sein: ein Job, in dem ich gerade mal so viel wert bin wie die letzten Quoten.

Die Quoten-Queen

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