Читать книгу Die Quoten-Queen - Karin Dietl-Wichmann - Страница 8

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Die Frau auf dem Großbildmonitor weinte mit hässlich verzogenem Mund. Sie presste ein kleines, ebenfalls heulendes Mädchen an sich. Die Stimme aus dem Off sagte mit schwer erträglichem Pathos: »Beide werden die grausame Tat des Vaters nie verwinden können. Wo waren die Nachbarn, wo war die Sozialbehörde, als das Unfassbare geschah…«

»Stopp! Erspart mir den Rest!« Kara Oswalds Stimme war eisig. »Dieser Bericht ist Schrott! Mir ist völlig rätselhaft, wie die solch ein Gesülze abnehmen konnten!«

Kara drehte sich zu Rainer Heigel, dem Chef des Aktuellen, um. »Was haben Sie sonst noch für das Magazin am Dienstagabend?«

Heigel, ein hagerer Mann um die Vierzig, seit einem Jahr bei dem Frauensender und vorher Redakteur in der Nachrichtenredaktion von RTL, zuckte mit dem Schultern.

»Nichts Aufregendes. Vielleicht noch die Story über die Scheidung von Anke Seitz. Sonst ist im Moment tote Hose!«

In dem viel zu kleinen Konferenzraum war es heiß, und es stank zum Gotteserbarmen, eine Mischung aus Schweiß, Parfüm und Zigarettenrauch. Die fünfzehn Redakteure hingen in ihren Sesseln. Erschöpft, aggressiv oder einfach nur desinteressiert.

Wenn Montagmittag die Quoten vom Wochenende vorlagen, bedeutete das, zumindest in den letzten Monaten, Krieg. Jeder schoss auf jeden. Alte Grabenkämpfe wurden neu eröffnet, Schuldzuweisungen verteilt. Ganz selten gab einer zu: Ich habe Mist gebaut. Die meisten argumentierten auf dem Niveau von Kindergartenzöglingen. Kara bekam dann Sachen zu hören wie: Der Sendeplatz war eindeutig falsch gewählt. Der Vorfilm so schlecht, dass gerade bei diesem Beitrag die Zuschauer abschalteten. Aus dem Sujet war nicht mehr rauszuholen. Die Konkurrenz, und das war jeder verdammte Sender im Lande, hatte einfach die besseren Themen.

Kara Oswald kannte alle diese Ausreden. Langsam begann sie ihre Mannschaft für deren infantiles Verhalten zu hassen. Warum war dieser Crew nicht beizubringen, dass sie alle an einem Strang ziehen mussten? Dass ein miserabler Film nicht wettgemacht werden konnte durch einen anderen, der vielleicht nur um eine Nuance besser war. Weshalb kapierten sie nicht, dass die Eigner des Senders, diese Herde von ignoranten Geldsäcken, längst begonnen hatten mit den Hufen zu scharren.

Und dass es in erster Linie nicht darum ging, sie, Kara Oswald, auszuwechseln, sondern den ganzen Sender dichtzumachen? Oder lag es an ihr? Konnte sie nicht mehr motivieren? War sie selbst schon so weich gekocht, dass sich ihre Stimmung auf den Rest der Truppe übertrug? Sie würde sich mit Antonia bereden müssen.

»Warum machen wir nichts über Maren Kroiter?« Hanno Fengler, ein eher törichter Endzwanziger, dessen massiger, rasierter Schädel ihn wie einen Fascho aussehen ließ, kannte die Spielregeln in den Konferenzen noch nicht. Dem Neuling in der Magazinredaktion war nicht klar, dass bloßes Name-dropping bei der Chefin einen sofortigen Wutanfall zur Folge hatte. »Ich will Storys und keine Namen«, lautete ihr ständiger Spruch.

»Wer soll das denn sein?« Kara Oswald blickte in die Runde. Als niemand antwortete, fragte sie schärfer: »Kann mir vielleicht freundlicherweise jemand sagen, wer die Frau ist und was es von ihr Sensationelles zu berichten gibt?«

»Die Kroiter ist einer der Stars aus ›Kein Stein auf dem anderen‹, der Soap auf SATI. Und sie hat während der Dreharbeiten einen Herzanfall gehabt und brauchte blitzartig ein Spenderherz…«

»Und?« Kara sah Fengler kopfschüttelnd an. »Hat sie das Herz bekommen?«

Hanno Fenglers haarloser Schädel leuchtete hellrot. Er schwitzte und meinte nur ziemlich verlegen: »Ja, hat sie!«

»Und was ist die Story? Können wir bei der Operation dabei sein? Hat sie psychische Probleme? Wissen wir, von wem das Herz stammt?«

Kara, die nichts mehr hasste als solche gedankenlos hingeworfenen Themenvorschläge, die sich schließlich als Windeier herausstellten, ließ nicht locker.

»Fengler, Sie müssen sich doch was dabei gedacht haben? Heraus damit!«

Hanno Fengler war diesem Bombardement nicht gewachsen. Hilflos schaute er Gina Walter an, die neben ihm saß.

Gina, zynisch bis unter die Fingernägel, aber kein Kollegenschwein, sprang ihm zur Seite.

»Also, die Kroiter wurde vor einer Woche operiert, und das ZDF hat mit einem irrsinnigen Aufwand das Ganze gedreht. Aber vielleicht kann man die Story ja von der Psychoseite angehen. Ich meine, wenn wir rauskriegen, wem das Spenderherz gehört hat. Wie die Angehörigen darauf reagieren. Ob sie die Kroiter aus dem Fernsehen kennen. Ob sie vielleicht stolz darauf sind, dass das Herz ihrer Tochter oder ihres Sohnes jetzt in so einer prominenten Brust…«

»Hören Sie schon auf, Gina. Das klingt ja furchtbar. Das ist RTL-Schmonzes in Reinstform. Also nein, das haut mich nicht vom Hocker. Kein Aufmacher.«

Die Redakteure und Ressortleiter spürten förmlich, wie sich in Kara Oswald eine immer größere Aggression aufbaute. Sie hörten den bemüht sachlichen Tonfall von ›K. O.‹, wie die Chefin von TV6 intern hieß, und sie wussten, dass es sich allenfalls noch um Minuten handelte, bis ihr Zornpegel ausschlug.

»Ich hätte da einen Vorschlag«, mümmelte Janos, der Kulturredakteur, und schluckte hastig den Rest eines Kekses hinunter.

»Es gibt da eine neue, ziemlich schrille Frauenband, die a cappella Lieder aus den Dreißigern singt. Also die Damen…«

»Das klingt ja ungeheuer aufregend.« Kara Oswald beugte sich weit über den Konferenztisch. »Darauf sind unsere Zuschauerinnen sicher ganz scharf.« Sie richtete sich auf und sah sich um. »Was glaubt ihr eigentlich machen wir hier? Rentnerfernsehen? Fernsehen für Debile, für Randgruppen, Gehirnamputierte? Ich habe den Eindruck, euch ist nicht ganz klar, dass wir kurz vor dem Aus stehen! Dass unsere Quoten im Keller sind. Und warum sind sie im Keller? Weil ihr eure verdammten Ärsche nicht aus dem Sessel kriegt! Weil euch nichts einfällt. Weil ihr faul und bequem geworden seid. Weil ihr glaubt, dass nach unseren riesigen Anfangserfolgen der Karren von selber läuft! Nein, Herrschaften, wer hier läuft, das werdet bald ihr sein: nämlich aufs Arbeitsamt! Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Ich will diese verschlafenen Programmkonferenzen nicht mehr. Ich verlange, dass ihr euch vorbereitet. Dass da was anderes kommt, als die lahmen Beiträge, die ich heute zu sehen bekommen habe! Was ist mit der Story über die zahnige Ministergattin, Janos?«

Gina Walter sah Kara erstaunt an.

»Machen wir jetzt in Politik? Das haben wir doch bislang bewusst vermieden!«

Kara lachte genervt.

»Was ist denn Politik noch anderes als Showbiz? Also, Janos – was ist mit der Story?«

Janos wand sich in seinem Sessel. »Wir sind dran. Mehr kann ich nicht sagen. Sie will niemanden in ihr Haus lassen. Und auch sonst zickte sie rum!«

»Was heißt hier: Sie will niemanden in ihr Haus lassen?« Kara Oswald war aufgesprungen und tigerte um den Konferenztisch. Die rechte Hand hatte sie in der Jackentasche ihres schwarzen Seidenanzugs vergraben, mit der linken fuchtelte sie wild herum. Nervös strich sie sich die hellroten, halblangen Haare aus dem Gesicht. Seit drei Wochen sanken die Quoten für die aktuellen Sendungen unaufhörlich. Es musste ganz schnell etwas geschehen. Sie blieb hinter Janos stehen. Als sie den Kopf senkte, hatte Kara diesen Geruch in der Nase. Leicht böckelnd, brenzlich, registrierte ihr Gehirn. Also Angstschweiß mit einer Portion Aggression gemischt. Das erste Mal wurde Kara in der Pubertät auf ihre feine Nase aufmerksam. Wie andere die Wellen von Aggression, Hass, Liebe oder Angst spüren, so roch Kara in den kaum wahrnehmbaren Ausdünstungen ihrer Mitmenschen deren Befindlichkeit. Sie konnte erkennen, ob eine Person log, ob sie sich freute oder traurig war. Selbst Parfüm konnte Karas feines olfaktorisches Sensorium nicht täuschen. Manchmal hatte sie diese Gabe schon verflucht. Ein Liebesschwur, eine mit Nachdruck vorgetragene Versicherung, meistens erschnüffelte Kara den Wahrheitsgehalt des Gesagten. Er hat also Angst und kann mich nicht ausstehen, dachte sie. Ich ihn auch nicht. Mit Nachdruck bohrte sie ihren goldenen Füllfederhalter in seinen Rücken.

»Dann schießen wir sie im Garten ab. Oder stellt sie beim Einkaufen. Ich will sowieso keine Homestory. Ich will ein richtiges Interview. Ich will wissen, warum ihre erste Beziehung gescheitert ist. Wenn sie überhaupt nicht will, werden wir eben ihren verlassenen Mann ausquetschen. Der ist doch auch Journalist, oder? Dem könnte vielleicht etwas PR gut tun. Außerdem gibt’s da doch noch ein Kind. Ich habe noch nie Fotos von dem ›first kid‹ gesehen. Hat es vielleicht eine Macke? Weshalb wird es versteckt? Die Clintons haben ihr hässliches Entchen ja auch vorgezeigt. Und lasst endlich diese staatstragenden Töne, wenn die Rede auf das heilige Paar kommt. Schließlich waren es die Frauen, denen der Kerl seine Wahl verdankt. Also soll sich die Tussi nicht so haben!«

»Ja, aber wenn sie nicht will«, wandte Janos mit verzweifelter Miene ein und versuchte ihren Attacken auszuweichen. »Wir können sie doch nicht dazu zwingen. Schließlich ist sie ja die Gattin…!«

»Na und?«, fegte die Oswald ihn an. »Sie ist eine kleine Reporterin bei einem zweitklassigen Nachrichtenmagazin gewesen, bevor sie sich dem bewussten Herren an die Brust geworfen hat. Nun kriegen Sie sich mal wieder ein! Wir gehen die Geschichte völlig neu an. Wer hat die bisher in der Hand gehabt?«

»Hans Reiter. Ein ehemaliger Kollege der Dame. Hat die besten Kontakte zu ihr.«

»Wie man am Ergebnis sieht«, giftete Gina Walter. »Ich würde die Story gern machen!« Sie sah die Chefin auffordernd an, aber die hatte schon ihr Handy am Ohr.

»Antonia, hast du Lust einen Film über die Ministergattin zu machen? So mit allem Drum und Dran. Weißt schon, etwas Superfreches, womit wir zitiert werden. Komm morgen in die Redaktion, okay?«

Sie legte das Handy auf den Tisch. »Ich habe Antonia Salbach mit der Geschichte beauftragt. Die bringt das sicher. Wir brauchen keine ehemaligen Kollegen, die sind sowieso jetzt nur noch Wasserträger, weil sie sich ein Pöstchen erhoffen.«

Die Reaktion auf den Namen Antonia Salbach war gemischt. Gina Walter, die einiges für diesen Auftrag gegeben hätte, war wütend. Janos knurrte: »Die Frau wird überschätzt. Wann merkt das hier endlich mal jemand.«

Und Heigel meinte halblaut: »Wer die Chefin zur Freundin hat, macht eben den besten Stich!«

Kara, der keine dieser Bemerkungen entgangen war, ignorierte den Unmut ihrer Redakteure. Sie wusste, Antonia hatte kaum Freunde im Sender. Da half es auch wenig, dass Antonias wöchentliche Talkrunde die einzige Sendung war, die verlässliche Quoten brachte. Antonia, kühl und immer beherrscht, wurde von den meisten als kalte Karrieristin angesehen. Als Frau, die nur tat, was ihr nützte. Und so waren sich viele im Sender sicher, dass ihr die Freundschaft mit K. O. sehr nützte.

Kara kannte diese Meinungen. Aber genauso wie sie sich absolut sicher war, dass diese Verdächtigungen nicht stimmten, so war sie sich sicher, dass Antonia einfach um Klassen besser war als jedes einzelne Mitglied ihrer Crew.

»Also weiter im Programm. Hat denn niemand von euch eine Story mit drive?«

Gina schluckte ihren Hass auf Antonia Salbach hinunter.

»Wie wär’s, wenn wir mal den Frauengeschmack der G-8-Regierungschefs von einem Psychologen untersuchen lassen. Ich meine, so auf persönliche Defizite. Also ich denke da nicht nur an die Clintons, sondern auch an Mrs. Blair und natürlich unseren Kanzler. Der kanadische Regierungschef soll auch eine scharfe Tante…«

»Und was soll dabei rauskommen?«, Rainer Heigel schüttelte angewidert den Kopf. »Sexuelle Vorlieben? Sadomasoveranlagungen? Die Sehnsucht nach Unterwerfung? So nach dem Motto: Zeig mir deine Frau, und ich sage dir, was für eine Pottsau du bist? Außerdem tritt bei den G-8-Treffen nicht Putin, sondern Jelzin auf! Was an dessen Mutti erregend sein soll, wag ich mir gar nicht vorzustellen.«

»Anstatt sich zu mokieren – schlagen Sie doch etwas Besseres vor«, Kara konnte ihren Zorn auf diesen arroganten Menschen kaum zügeln. »Ich finde die Idee gar nicht so schlecht. Man muss daran feilen. Sie sollten einen überraschenden Aspekt herausarbeiten, Gina. Außerdem klären Sie doch vorher mit der Rechtsabteilung ab, wie weit wir gehen können! Was ist übrigens aus der Klage dieser grenzdebilen Moderatorin geworden, dieser Palermo Wagenknecht? Macht die immer noch Ärger?«

»Würden Sie keinen Zoff machen, wenn man einem Graphologen eine erschlichene Schriftprobe von Ihnen vorlegt und dieses nicht gerade wissenschaftliche Urteil, mit süffisanten Kommentaren versehen, sendet?« Christian Lages, verantwortlicher Redakteur für ›Peoples Storys‹ war eine der wenigen unabhängigen Figuren bei TV6. Er war intelligent, witzig und hatte zudem noch ein Gespür für wirklich gute Storys. Lages, ein lockerer Frauentyp, hatte drei Jahre lang bei ABC in New York gearbeitet. Nach Deutschland kehrte er wegen einer heißen Liebesgeschichte zurück. Das war vor einem Jahr. Aus der Lovestory war längst die Luft raus. Von Kara heftig umworben, war Lages schließlich bei TV6 gelandet.

»Es kam doch sowieso nur raus, was alle schon wussten: Die Frau ist strunzdumm, aber dabei immer noch schlau genug, sich gut zu verkaufen!« Kara Oswald mochte den jungen Lages und ertrug es sogar in ihrer gereizten Stimmung, als er nachtarockte:

»Eben – und das ist ja schon mehr, als mancher Intellektuelle von sich behaupten kann!«

»Schon gut, Christian. Dennoch hat uns dieser Beitrag nicht nur Quoten eingebracht, wir sind auch in fast allen Gazetten erwähnt worden!«

»Die kennt auch keinen Bahnhof mehr«, murmelte Sabine Karges, Ressortleiterin Eigenproduktionen. Karges, vormals Redakteurin beim SWR, konnte Kara Oswald nicht ausstehen. Zu TV6 war die militante Feministin nur gekommen, weil sie hoffte, in einem Frauensender ihre Ideen umsetzen zu können. Die ›Leitschnepfen‹, wie sie Kara und ihre Freundin Antonia heimlich nannte, hatten allerdings für ihre Begriffe wenig Frauenkämpferisches an sich. »Das sind weibliche Machos, die auch nicht vor einer Strapsstrategie zurückschrecken, wenn es ihnen nützlich erscheint«, schimpfte sie bei Gina Walter des Öfteren. Die Walter, die es liebte als society-proof zu gelten und sich mit den wichtigsten Leuten zu duzen, amüsierte sich prächtig über Sabine Karges. »Ein Sechzigerjahre Dino«, kicherte sie, wenn die Kollegin nicht dabei war.

Kara, der die Bemerkung ihrer Ressortleiterin nicht entgangen war und die wusste, wie wenig sie von Sabine Karges geschätzt wurde, lachte voller Verachtung.

»Wenn doch nur ein einziges Mal der Ansatz einer brauchbaren Idee von Ihnen käme, Sabine«, sagte sie. »Dann würde ich derartige Frechheiten gern ertragen. So aber kann ich Ihnen nur empfehlen, ihr Mundwerk zu hüten!«

Sigrid Kunze, die Assistentin von Kara, erschien im Konferenzraum. Sie hielt eine Kassette in der Hand.

»Das hier wurde gerade von einem Boten abgegeben. Es steht ›sehr dringend‹ drauf. Ihr wartet sicher schon?«

»Keine Ahnung.« Kara nahm die Kassette und hielt sie hoch.

»Vielleicht ist das ja der Knüller, auf den wir warten?«, versuchte sie zu scherzen. »Also, wem fehlt noch ein Beitrag?«

Als alle nur die Achseln hoben, gab Kara die Kassette an Sigrid zurück.

»Schauen wir’s uns an. Es soll ja noch Wunder geben!«

Auf dem Bildschirm erschien ein Mann Ende dreißig. Er hatte blondierte Haare, die ihm in dauergewellten Löckchen à la Thomas Gottschalk bis zu den Schultern reichten.

»Ich heiße Ernesto Cavallo«, sagte der Typ und schob den Oberkörper, der in einer Motorrad-Lederjacke steckte, schräg in die Kamera. »Weil es mir seit Monaten nicht gelingt mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, habe ich diesen Weg gewählt. Ich möchte ihnen eine Erotikshow anbieten. Genau das Richtige für einen Frauensender. Nichts Pornografisches – eine delikate Sache.« Ernesto Cavallo lächelte viel sagend und sah dabei unendlich dümmlich aus. »Bitte schalten Sie jetzt nicht ab. Ich habe einen kleinen Pilotfilm gedreht. Schauen sie sich den Vorschlag wenigstens an!«

Hanno Fengler war aufgestanden.

»Soll ich den Schrott ausschalten?«, fragte er.

»Spinnst du?«, Gina Walter sah sich um. »Vielleicht genau das, was wir jetzt brauchen. Oder was meinen Sie?«, fragte sie Kara.

Kara war so verdattert über diesen frechen Vorstoß, dass sie nur nickte.

»Also gut, etwas Erotik hat ja noch nie geschadet!«

Was folgte, war eine Mischung aus Volkshochschule, pseudowissenschaftlichen Erklärungen im Stil von Oswald Kolle und primitivsten Pornos. Es wurde der Penis als solcher in Form und Funktion erklärt und anschließend in Aktion gezeigt. Es gab Interviews auf der Straße und im Puff. Alles bierernst und mit sehr bemühten Darstellern. Der Clou des Ganzen war aber, dass auch Ernesto Cavallo sich nicht geschont hatte. Man sah den Herrn Produzenten im wackeren Einsatz. Das Ganze nannte Cavallo einfallsreich ›Das ABC der Liebe‹ und meinte in seinem Schlusswort: »Ich bin sicher, liebe Frau Oswald, dass Sie und ihre Mitarbeiter jetzt so angeregt sind, dass sie nicht versäumen werden, mich zu kontakten!« Es folgte seine Adresse und sämtliche Telefonnummern.

»Wäre doch eigentlich ein Knaller für das Magazin. So unter dem Titel: Unverlangt eingesandt!« Christian Lages bog sich vor Lachen. Etwas konsterniert fragte Sabine Karges »Nicht dein Ernst, oder etwa doch?«

»Das, ›ABC der Liebe‹ heben wir uns für unseren Schwanengesang auf«, sagte Kara Oswald, sammelte ihre Notizen ein und stand auf, »und der wird unter den gegebenen Umständen sicher nicht lange auf sich warten lassen!«

»Mein Gott, die versteht aber auch gar keinen Spaß mehr«, stöhnte Gina Walter.

Es war Montag, 21 Uhr, und die Laune von sechzehn Menschen war total im Keller.

Kara Oswald, die im Grunde sowohl ihren Job als auch ihr Team liebte, spürte, dass sich die Stimmung immer mehr gegen sie zu kehren begann. Sie fühlte sich angeschlagen, und ihre Nerven lagen blank. Sie musste schleunigst zu ihrer alten Form zurückfinden. Wenn sie das Ruder nicht herumreißen konnte, wer sollte es verflucht noch mal dann tun. Sie hasste sich für ihre beständige Gereiztheit. Für die Art, wie sie ihre Redakteure abkanzelte ohne jeglichen Funken Humor, was doch eigentlich bisher ihr Stil gewesen war. Versöhnlich sagte sie deshalb: »Wer noch Lust auf einen Schluck hat nach diesem beschissenen Tag, es gibt noch ein paar Flaschen Champagner im Kühlschrank in meinem Büro. Bedient euch, ich hab noch ein Gespräch mit Köhler!«

Horst Köhler war ihr Partner in der Geschäftsführung. Während sie sich um die kreative Seite und ums Programm kümmerte, war er der Mann für die Finanzen und vor allem für die Vermarktung. Köhler und sie kamen gut miteinander aus. Selbst jetzt, wo die Lage nicht so rosig war, behielt der 35-jährige Senkrechtstarter die Nerven.

Im Gegensatz zu ihrem chaotischen Büro lag bei Köhler nie etwas herum. Sein Schreibtisch sah stets aus, als sei er gerade erst von einem Designerbüro angeliefert worden. Nicht einmal ein Notizblock lag darauf. Kara hatte in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen, dass ein leerer Schreibtisch das Zeichen für einen guten Manager sei.

»Und?«, fragte Köhler, als sie hereinkam, »die montäglichen Peitschenhiebe verteilt?«

Horst Köhler war einer jener ruhigen, selbstsicheren Männer, die Kara normalerweise zur Weißglut trieben. Doch im Gegensatz zu anderen staubtrockenen Managern besaß er Humor. Keine Situation konnte so verfahren sein, dass Köhler sie nicht mit einer seiner sarkastischen Bemerkungen aufhellte.

»Hör bloß auf!«, Kara setzte sich an seinen Besprechungstisch. »Als Domina fühle ich mich nicht gerade wohl! Du hattest ein Gespräch mit dem Fahrenholz? Was moniert er? Sind ihm unsere Talkgäste zu schmuddelig? Hat seine Frau etwas gegen die neue Serie, oder was gibt’s sonst?«

Kurt Fahrenholz, Inhaber der größten europäischen Supermarktkette, war der Krämer geblieben, als der er vor fünfundzwanzig Jahren angefangen hatte. Weshalb er bei TV6 eingestiegen war, blieb Kara Oswald ein Rätsel. Die Vervielfachung seines auf eine Milliarde geschätzten Vermögens hätte er in anderen Geschäftszweigen sicherer haben können. »Vielleicht hofft seine Gattin auf etwas Sternenstaub«, hatte Antonia gemutmaßt, nachdem sie die beiden beim einjährigen Senderjubiläum kennen gelernt hatte.

»Ihn haben unsere miesen Quoten aufgeschreckt. Er meint, dass wir das falsche Programm machen. Wir sollten nicht so viele Spielfilme zeigen. Das würde das Publikum nicht schätzen und käme nur der Kasse von Hans-Georg Kleemann zugute!«

Kleemann, einer der großen Filmhändler, war Miteigner von TV6. So unklar die Gründe für das TV-Engagement von Fahrenholz waren, so einleuchtend waren diejenigen Kleemanns: Er verkaufte seine angestaubte Ware an den eigenen Sender.

Kara lachte erleichtert. Sie hatte schwerere Geschütze befürchtet. »Ausnahmsweise hat unser Gemüsehändler mal Recht. Wenn er jetzt auch noch bei unserer nächsten Sitzung mehr Geld für Eigenproduktionen locker macht, schmeiß ich direkt eine Party für ihn!«

»Besser für seine Gattin und natürlich mit Harald Juhnke als Stargast!«, grinste auch Köhler. »Aber im Ernst, ich muss dir ja nicht sagen, wie es um uns steht. Wie sollen wir bloß aus diesem Loch rauskommen?«

Kara, die seit Wochen nichts anderes tat, als sich nächtelang ausländische TV-Sendungen anzusehen, seufzte.

»Ich hätte schon eine Idee. Allerdings, fürchte ich, ist sie erstens nicht billig und zweitens wird sie auf einen Sturm von Entrüstung stoßen. Besonders bei den Männern!«

Köhler legte den Briefbeschwerer, mit dem er gespielt hatte, zur Seite.

»Nun sag schon, das klingt ja enorm spannend. Ist das eine Idee, die wir teuer kaufen müssen oder stammt sie von dir?«

»Erstens: Ja, es ist auf meinem Mist gewachsen, also keine Lizenzgebühren. Aber die Produktion wird nicht billig und, das ist die Schwierigkeit, es ist politisch nicht ganz korrekt. Aber gib mir erst mal ein Glas! Ich habe den Eindruck, mir platzt gleich der Kopf!«

Wenn sie Köhler für ihre Idee begeistern konnte, würde er alles daransetzen, das Geld von den Eignern zu bekommen. So viel war sicher. Ihr Kollege war ein Spaßtäter, einmal überzeugt, überrollte er jedes Hindernis.

»Weißt du«, sagte sie und schlürfte vom Champagner, den er ihr serviert hatte, »die Schwierigkeit bei diesem Format sind die Männer. Gegen die richtet sich nämlich meine Show. Ich meine, nicht gegen alle, aber wir werden da einige nicht sehr astreine Exemplare vorstellen. Wenn wir den Rest von ihnen auf unsere Seite ziehen und ihnen klarmachen können, dass dies die absolut miesen Typen sind, die rein gar nichts mit ihnen, den Otto Normalverbrauchern, zu tun haben…«

Köhler hob erschrocken die Hände.

»Um Himmels willen! Du willst doch hoffentlich keine vergewaltigten, geschlagenen Frauen zeigen!«

»Langsam – das wäre ja nicht neu. Ich werde süße kleine Kinder zeigen. Kinder, die jedes Zuschauerherz schmelzen lassen. Und dann werde ich deren Mütter erzählen lassen. Nämlich, dass die Väter dieser entzückenden Rotznasen, flüchtig sind. Auf der Flucht vor der Alimentenzahlung. Dass die Frauen sich und ihre Kleinen kaum durchbringen können, nur weil sich da jemand vor seinen Verpflichtungen drückt…«

»Ja und…?«

»TV6 wird die Väter finden und sie mit ihren Kindern konfrontieren. Wir sind ein Frauensender, also helfen wir den Frauen. Wir werden die Show auf riesigen Plakatwänden ankündigen. So nach dem Motto: Sie tun es nicht für sich – ihr Kind hat ein Recht auf sein Geld!«

Köhler lehnte sich zurück und nickte: »Genial. Das gefällt mir. Wie stellst du dir den Ablauf vor?«

»Es gibt nach meinen Recherchen in Deutschland rund 500 000 Väter, die sich vor den Unterhaltszahlungen zu drücken versuchen. Sie machen sich dünn, sie gehen ins Ausland oder tauchen sonst wo ab. Wir können, denke ich, mit der Unterstützung der Vormundschaftsbehörden rechnen. Denn die müssen ja finanziell für die Väter einspringen. Also, wir tun zwei Dinge: Wir beauftragen ein Detektivbüro, um die Drückeberger zu finden, und wir arbeiten mit den Behörden zusammen, damit sie ihr Geld für wirkliche Notfälle ausgeben können. Na?«

»Dir ist schon klar, dass die Sache einen riesigen Aufwand bedeutet? Lass uns doch mal kalkulieren!«

»Aber wir haben 90 Minuten Sendezeit erstklassig mit einem Fall gefüllt. Wir zeigen die Suche. Das Umfeld von Mutter und Kind. Reflexionen über die Ehe, die Beziehung. Wie sie sich kennen gelernt haben, ob das Kind gewollt war etc. Interviews mit Freunden, der Mutter oder Schwester des Verschwundenen.

Mit einer Person des Vormundschaftsamtes über den Fall. Dann das gestellte Opfer. Und die Ankündigung des nächsten Falles.«

»Wer soll die Geschichte präsentieren?«

»Die Salbach. Sie ist die Beste, die wir haben, und die Glaubwürdigste. Ich denke, sie hat auch genügend Distanz, damit die Sache nicht nur ein Tränendrüsensolo wird!«, sagte Kara.

Köhler wusste von der engen Freundschaft der beiden Frauen. Obwohl er Antonia Salbach nicht ausstehen konnte, musste er zugeben, dass sie mit ihrer wöchentlichen Talkrunde gute Quoten brachte.

»Deine Busenfreundin kommt mir immer vor wie eine Mischung aus Domina und Gouvernante. Weshalb du mit solch einem Eiszapfen befreundet bist, geht mir nicht in den Kopf. Woher kennst du sie eigentlich?«

Horst Köhler, der Kara Oswald auch deshalb schätzte, weil sie im Gegensatz zu Antonia Salbach Humor und Wärme ausstrahlte, fühlte sich in Antonias Gegenwart immer unwohl. Noch nie hatte er sie herzlich lachen sehen. Niemals fiel sie, wie Kara, in Stresszeiten fluchend aus der Rolle. Sie wirkte absolut zurückgenommen und perfekt.

Köhlers Faible für Kara war unübersehbar. Anfangs hatte er versucht, auf seine leicht linkische Art mit ihr zu flirten. Doch er war ganz und gar nicht ihr Typ. Klein, zur Dicklichkeit neigend, mit einer schon in seinen jungen Jahren beginnenden Glatze. Allerdings hatte er große, wunderbar dunkle Augen und eine Stimme, die Frauenherzen schneller schlagen ließ. Nur eben ihres nicht.

»Nun fall nicht schon wieder über die Arme her. Sie entspricht eben nicht deinem altmodischen Frauenbild«, sagte Kara abwehrend. »Antonia und ich haben gemeinsam bei einer Tageszeitung volontiert. Sie hat mich damals schon fasziniert. Ein junges Mädchen ohne jegliche Schulbildung und aus den schlechtesten sozialen Verhältnissen, die du dir vorstellen kannst – aber mit einem unglaublichen Drang nach oben. Egal, worum es ging. Antonia eignete sich blitzschnell alles an. Fremdwörter, Tischmanieren, Theater- oder Musikkenntnisse. Sie hat eine ungeheure Gier nach Neuem. Hellwach notierte sie alles, was um sie herum passiert.«

»Du lieber Himmel«, Köhler schüttelte sich. »Und so was findest du auch noch bemerkenswert. Die einzige Aussage, die ich unterschreiben würde: ihr manischer Drang, unbedingt Karriere zu machen!«

»Ach, komm«, sagte Kara. Sie hatte keine Lust, mit ihm weiter über Antonia zu sprechen. »Das ist doch eine sehr machohafte Art, die Dinge zu sehen. Wenn Männer nach oben wollen, ist das o. k. Aber bei Frauen wirkt es verdächtig! Antonia Salbach ist goldrichtig für diese Sendung. Mein Gespür hat mich da noch nie getrogen.«

Horst Köhler wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter in Kara zu dringen.

»Und was sagt die Rechtsabteilung dazu?« Köhler erinnerte sich an eine andere gloriose Idee Karas, bei der man eine ziemlich hohe Schadenersatzklage nicht mehr hatte abwenden können.

»Das lass ich gerade prüfen. Aber erst mal wollte ich hören, was du davon hältst!« Kara stellte ihr Glas auf den Beistelltisch und stand auf. Sie wusste, sie hatte es geschafft, Köhler von ihrer Idee zu überzeugen.

Das ist die halbe Miete, dachte sie und ging zur Tür. »Wann stellen wir die Sache unseren Herren vor? Oder wollen wir erst einen Piloten drehen?«

»Lass mich darüber nachdenken. Ein Pilot wäre vielleicht ganz gut. Wir reden morgen weiter!« Köhler war ebenfalls aufgestanden und angelte nach seiner Jacke.

»Ist dir eigentlich klar, dass es schon wieder nach zehn Uhr ist? Hast du kein Privatleben?«, fragte er, als er mit Kara in die Tiefgarage fuhr.

»Mir geht’s wie dem Zauberlehrling. Ich bring den Besen nicht mehr zur Ruhe!«, lachte sie und klang dabei nicht recht fröhlich. In der Handtasche schrillte ihr Handy. »’tschuldige«, sagte sie zu Köhler und nahm das Gespräch an. Er sah, wie ihr Gesicht erst blass und dann rot wurde vor Zorn. »Ja«, sagte sie. »Ich komme. In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen!«

»Ärger?«, fragte Köhler. Kara nickte. »Ärger kann man das eigentlich nicht mehr nennen. Du kennst doch Alexander Sörres.«

»Deinen Freund?« Köhler sah Kara gespannt an. »Was hat der denn verbrochen?«

»Verbrochen?« Karas Stimme überschlug sich förmlich. »Alex ist manisch-depressiv. Man kriegt die Krankheit in den Griff, wenn man regelmäßig sein Lithium schluckt. Tut er aber nicht. Denkt, er könne das ohne Medikamente schaffen. Na ja, und regelmäßig dreht er dann durch. Je nachdem, ob er sich in der manischen Phase oder in der depressiven befindet. Zurzeit haben wir die depressive. Er hat begonnen, seine Möbel aus dem Fenster auf die Straße zu werfen.«

Köhler lachte, doch als er Karas entgeistertes Gesicht sah, entschuldigte er sich sofort dafür.

»Na ja, bei so einem aggressiven Anfall kommt jedes Mal die Polizei, und die bringen ihn in die Psychiatrie!«

»Und dann? Was sollst du tun? Ihn auslösen?«

»Er bleibt erst mal dort. Aber er verweigert jegliche Behandlung, wenn ich nicht sofort dort erscheine. Und das alle sechs Wochen. Langsam geht mir die Luft aus!«

»Tut mir Leid«, Köhler legte den Arm und Karas Schultern. »Ich wusste nicht, dass da auch noch die Kacke am Dampfen ist. Dabei brauchst du im Augenblick selbst Erholung!«

»Wenn’s dem Sender wieder gut geht, mach ich einen richtigen langen Urlaub – ohne Handy, Fax oder E-mail.« Kara steckte das Handy wieder in ihre Tasche.

»Wer’s glaubt!« Horst Köhler sah hinter ihr her wie sie sichtlich erschöpft zu ihrem Porsche Cabrio ging. »Eine richtig tolle Person«, dachte er. »Wenn sie nicht aufpasst, bringt sie dieser Job noch um!«

Die Quoten-Queen

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