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Die Kneipe im östlichen Münchner Vorort Unterföhring war von einer kaum zu überbietenden Scheußlichkeit. Die Gardinen braun vom ständigen Zigarettenrauch, die Tische mit rustikaler Eichenholzfolie überzogen, das Maggi-Fläschchen verschmiert und der Brotkorb aus senfgelbem Plastik auch keine Augenweide. Dennoch war es hier jeden Abend brechend voll. Zehn Gehminuten von der Post entfernt, war innerhalb von nur wenigen Jahren ein Medienghetto mit TV-Studios, Büros und Kopierwerken entstanden. Und aus irgendeinem unersichtlichen Grund hatten sich nicht die Kabelträger oder Studioarbeiter die lausige Kneipe für ihren abendlichen Absacker ausgesucht. In die Post kamen die Programmgestalter, die Redakteure, die Schauspieler und Regisseure. So hockten seit Jahren – zur Verwunderung der biederen Wirtsleute und der Kellnerin Resi – Wichtigtuer in feinstem Tuch neben Hohlköpfen und Adabeis. Anfangs hatte die Wirtin noch versucht, mit einem eigens eingestellten Koch den, wie sie glaubte, gehobenen Ansprüchen dieser Klientel entgegenzukommen. Sie legte weiße Tischtücher auf und verbannte Maggi-Flaschen und Plastikkörbchen in die hinteren Räume, in denen sich der Kegelclub traf. Als aber der Lachs auf Champagnerrisotto und die getrüffelte Kalbsleber in der Küche vor sich hingammelten und stattdessen Schweinsbraten und Leberkäs die Renner wurden, hatte das Wirtspaar den Koch wieder entlassen.

Auch die voreilig angeschafften Weinvorräte wurden auf ein Minimum von je drei passablen Rot- und Weißweinen geschrumpft. Gefragt waren das frisch gezapfte Helle, ein gutes Pils und das Weißbier. Tischtuch und Stoffservietten verschwanden ebenso wieder, wie die handgeschriebene Speisekarte.

Einmal im Monat reservierte Resi die Nische mit dem runden Tisch. Dann stellte sie den bronzenen Ständer mit dem Schriftzug Stammtisch auf.

Michael Vogel, dem asketischen, stets in japanische Designeranzüge gekleideten Enddreißiger und geschäftsführendem Programmdirektor von Deutschlands größtem Privatsender Tele 1, diente der monatliche Treff mit seinen drei Kumpels aus den gemeinsamen Anfangsjahren stets zur notwendigen Positionsbestimmung. Allzu leicht verlor man in diesem von Intrigen beherrschten Medienzirkus nicht nur den Überblick, sondern auch sich selbst. In dieser Seilschaft jedoch konnte jeder dem anderen absolut vertrauen. Und so hatten die Zusammenkünfte auch immer etwas von einer Verschwörung. Wie die Padrones der Mafia berieten die vier, von Spöttern auch die ›Handy Gang‹ oder die ›Isar-Musketiere‹ genannt, über zu vergebende Jobs und verteilten die damit verbundenen Millionen.

Dies alles geschah sehr unauffällig. Ein Produzent, der den vier Freunden verbunden war, erhielt den Auftrag für eine Reihe von TV-Filmen, die sich von der üblichen Ware nur durch enorm hohe Produktionskosten unterschied. Ein mit vielen Preisen ausgezeichneter Regisseur, der allerdings als äußerst schwierig und unberechenbar galt, wurde mit einem Dreijahresbudget von fünfzig Millionen Mark ausgestattet, obwohl er zuvor noch nie produziert hatte. Er hatte eben die richtigen Freunde. Niemand ließ den anderen darben, auch für die fügsamen Satelliten fiel reichlich Sternenstaub ab. Die reizvollsten Jobs in der Branche allerdings hielt die Viererbande selbst besetzt.

Vor fünfzehn Jahren waren sie das erste Mal beim Rundfunk aufeinander getroffen. Michael, von seinen Vertrauten Michi genannt, war Jurastudent und Moderator einer Schlagersendung. Kai Naumann, angehender Geschichtslehrer, moderierte ein Jugendmagazin. Fred Halmer eine Jazzsendung und Peter Sänger, Absolvent der Filmakademie, hatte großen Erfolg mit seiner Sportberichterstattung. Das Quartett, alle in den Zwanzigern, rollte das gesamte verschlafene Team des Senders auf. Sie hatten Witz, Drive und vor allem eine ganz klare Vorstellung, wo es mit ihrer Karriere hingehen sollte.

Schon damals wussten sie: ›We are the winning team‹ – uns schlägt keiner. Und so kam es dann auch. Michael Vogel stieg unaufhaltsam nach oben. Er beendete sein Studium, promovierte, jobbte weiter beim Funk und holte sich erste Lorbeeren beim Schweizer Fernsehen. Kai wurde ob seiner respektlosen und flapsigen Sprüche der beliebteste Hörfunkmoderator Bayerns und genoss Kultstatus im gesamten Bundesgebiet. Fred, dessen einschmeichelnde Stimme vor allem die sehnsüchtigen Hausfrauen umgarnte, moderierte bald eine der meistgehörten Sendungen, und Peter, der sich als der Intellektuelle der Gang fühlte, gab spitzzüngige Kommentare ab, die weit über das Niveau einer normalen Sportreportage hinausreichten.

Anfang der Neunzigerjahre setzten die vier zum Angriff auf die großen Fernsehprogramme an. Michael Vogel verantwortete bald die Unterhaltung in einem der öffentlich-rechtlichen Sender. Kai bekam eine große Samstagabendshow, Fred ebenfalls und Peter wurde Starmoderator des einzigen ernst zu nehmenden Politmagazins. Die vier, von denen jeder auf seinem Terrain der Größte war, zerstritten sich nicht etwa, wie es normalerweise in diesem Hurengeschäft üblich ist, sie rückten noch enger zusammen. Die monatlichen Treffs hatten immer absoluten Vorrang, ganz gleich, wo einer von ihnen sich gerade aufhielt. Und bevor Michael Vogel als Boss des Privatsenders Tele 1 nach Berlin zog, wurde dieser Wechsel gründlich in der Post besprochen.

Der Sender kränkelte und kam nicht voran. Vier Geschäftsführer waren in den letzten Jahren verschlissen worden. Der Hauptgesellschafter des Senders, ein alter, schwer kranker Katholik und eine der legendären Figuren im Mediengschäft, vertraute dem umtriebigen Youngster und stattete ihn mit einer üppigen Kriegskasse aus. Ihm war klar, dass nur ein kühner, nicht in alten Strukturen verhedderter Macher den Karren aus dem Dreck ziehen konnte. Vogel nahm, nach langem Palaver mit seinen Kumpanen, die Herausforderung an. Und da er wusste, dass die Aufgabe wirklich kein Zuckerschlecken war, verpflichtete er seine Musketiere, mit ihm zu ziehen.

Kai bekam die ultimative Samstagabendshow, Peter erfand für sich eine Politshow nach amerikanischem Muster, und Fred durfte in seiner bewährten, quotenbringenden Donnerstagabendshow glänzen. Allerdings wurde alles viel größer, viel teurer und viel spektakulärer.

Wer aus dem alten Team des Senders nicht rechtzeitig verschwand, den schasste Vogel mit geradezu spielerischem Elan. Dem erfahrenen Berater Albert Hallwege, einem ehemaligen Programmmacher einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, dem der Sender viele Serienerfolge verdankte, ließ Vogel wenigstens noch die Zeit, sein Gesicht zu wahren und selbst zu kündigen.

Mit kaltem, zoologischem Blick sortierte Vogel alles aus, was ihm zu alt, zu unbeweglich und zu volkstümelnd erschien. Dass er dabei seine eigentlichen Pläne nicht offen darlegte, nahm man ihm in der Branche übel. Vogel scherte das überhaupt nicht. »Ich bin doch nicht offen zu Leuten, die mir die Pulsadern aufschneiden wollen«, meinte er kühl. Mit seinem riesigen Portefeuille von 600 Millionen Mark bekam er jeden Star, den er haben wollte. Nur einer widersetzte sich seinen Angeboten: Walter Steiger, genannt ›Dirty Walt‹. Steiger war der Kultstar des Konkurrenzsenders. Seine Late-Night-Show, respekt- und geschmacklos bis an die Grenze der Zotigkeit, wäre das Sahnehäubchen auf Vogels Programmvorstellungen gewesen. Dass Steiger sogar einer Millionengage widerstand, reizte Vogel nur noch mehr. Er gab nicht auf. Traf das Objekt seiner Begierde immer wieder. Es entwickelten sich zwischen beiden Rituale der Annäherung und der Entfernung. Und im Laufe dieser heftigen Werbung reifte eine Art Freundschaft. Bald gehörte Dirty Walt zu dem kleinen Kreis, den Vogel um Rat fragte und auf dessen Kritik er hörte.

»Wir müssen Events schaffen«, verkündete Vogel in den Printmedien. Und ein Event, allerdings eines, das der neue dynamische Star nur ungern verkündete, war dann auch die Bilanz seines zweiten Geschäftsjahres. Sie wies schlichtweg einen Verlust von 165 Millionen aus. Doch Michael Vogel, ein blendender PR-Stratege, vor allem was seine eigene Person anging, redete auch dieses Ergebnis schön. »Das sind noch Altlasten, die Verluste meiner Vorgänger«, klagte er, um schließlich mit seinem smartesten Haifischgrinsen zu verkünden: »Erst im dritten Jahr wird man mich an den Zahlen messen können!«

Das dritte Jahr war nun angebrochen, und es war schlecht angebrochen. Die großen aufwendigen Programme kamen nicht richtig in Schwung. Kais Show trat nach anfänglich guten Quoten auf der Stelle. Sowohl Kritik als auch Publikum mochten den inzwischen etwas abgewetzten Charme des als »Häuptling schnelle Zunge‹ bekannten Stars nicht mehr sonderlich. Es fehlten Frische, Drive und wirklich gute neue Ideen. Freds Donnerstagabend lief ähnlich mühsam. Nur Peters Politmagazin hatte respektablen Erfolg. Die erwarteten Quoten allerdings brachte diese Sendung ebenfalls nicht. Zudem hatte Vogel eine Reihe von Neuerungen, die er großspurig als ›Programmoffensive‹ angekündigt hatte, zurücknehmen müssen. Weder konnte sich das Publikum mit den Quasselshows am Morgen anfreunden noch mit der Nachrichtenschiene um 20 Uhr 30.

Zwar wusste Vogel, dass sein Förderer, der Medienzar Gottfried Karner, noch immer hinter ihm stand, aber es musste etwas geschehen. Und aus diesem Grund hatte er die Musketiere zu einer, wie er am Telefon meinte, ›außerordentlichen Sitzung‹ in die Post geladen.

Michael Vogel kam mit der 18-Uhr-Maschine aus Berlin. Schon bei der Landung in München spürte er den berühmten Druck im Nacken. Seit Tagen machte der Föhn die Menschen verrückt. Kurz vor der Post ließ er das Taxi anhalten. Die letzten fünfhundert Meter wollte er zu Fuß gehen. Die Luft war unangenehm drückend, fast tropisch feucht. Es würde ein Gewitter geben.

Seit Tagen grübelte Vogel, wie er den Freunden beibringen konnte, dass ihre Sendungen sowohl bei der Presse als auch intern im Hause unter Beschuss standen. Die Quoten waren miserabel. Und was er natürlich nicht so genau darlegen wollte: Auch ihm ging es langsam an den Kragen. Zwar gab es aus dem Büro von Karner noch keine Drohgebärden, doch Vogel hörte das Gras wachsen. Auch ohne das Ohr auf die Schienen zu legen, konnte er den Zug schon aus weiter Entfernung wahrnehmen. Seilschaften sind prima, wenn alles klappt. Wenn nicht, können sie zur Belastung werden. Die Freunde waren loyal – aber sie waren auch eitel. Jeder von ihnen versuchte, sein Schäfchen zuerst ins Trockene zu bringen. Ihre Shows waren die teuersten der Branche, und sie mussten deshalb auch die höchsten Quoten bringen.

Der Gastraum war überfüllt. Michael Vogel kannten alle. Augenblicklich verstummten die Gespräche, Körperhaltungen veränderten sich – die Balz der Anschleimer begann. Vogel, der diese Rituale sehr gut einschätzen konnte und viele alte Weggefährten deswegen herzlich verachtete, kämpfte sich freundlich nickend in die Nische vor.

Fred Halmer saß schon beim Weißbier. Wie immer wirkte er in seinem beigen Outfit bieder und ungelüftet. Unter den Vieren war er derjenige, der am meisten unterschätzt wurde. Er betrachtete die anderen oft als reichlich überhebliche Aufschneider. Weil ihm jede Art von Selbstherrlichkeit fremd war, legte er sich mit der Zeit ein ordentliches Grundkapital an Neurosen zu. So konnte er zum Erstaunen der Freunde bei Dingen ausrasten, über die er früher nur milde gelächelt hätte. Auch die ewigen Frotzeleien, er habe einen Charme, der besonders gut bei den Kukidents oder den Hausfrauen ankomme, ließen ihn seit langem nicht mehr kalt. Fred, der, ohne es an die große Glocke zu hängen, sein Philosophiestudium zu Ende gebracht hatte und eine Doktorarbeit über ›Die besitzlose Liebe‹ vor sich her schob, war zweifelsohne der Klügste. Wenn Peter mit politischen Halbsätzen zu brillieren versuchte oder Kai eine seiner Worthülsen fabrizierte, wirkte Fred eher geschmerzt.

Als Kai Naumann mit gewaltiger Verspätung hereinrauschte, schaute Fred wie ein Oberlehrer ostentativ auf seine Armbanduhr. Ihn, den Überkorrekten, störten derartige Unhöflichkeiten sehr. Kai, mit frisch blondierter Mähne und wie immer vogelwild gekleidet, zog den beleidigt blickenden Peter Sänger hinter sich her. Er bewegte seine überlangen Extremitäten eckig und unkoordiniert wie ein Spastiker.

Der Moderator, berüchtigt durch seine an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu übertreffenden Hawaiihemden, griff sich Freds Weißbier und nahm einen kräftigen Schluck im Stehen.

»’tschuldige«, murmelte er, als er das Glas wieder abstellte, »aber darauf habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut!«

Peter, dessen braves Abiturientengesicht über seine latente Bösartigkeit hinwegtäuschte, befingerte Kais Hemd. Kopfschüttelnd fragte er dann: »Wer um alles in der Welt schneidert solche Abartigkeiten? Und noch rätselhafter: Weshalb trägst du sie?«

Kai lachte gutmütig. »Nicht jeder mag rumlaufen wie ein alt gewordener Konfirmant! Ich fühl mich eben als Paradiesvogel wohler. Außerdem«, Kai beugte sich grinsend zu Peter, »werde ich dir ein Geheimnis verraten: Ich schwitze wie ein Schwein und ruiniere jede Nobelklamotte. Bei meinen Hawaiihemden sieht das kein Mensch. Zufrieden mit der Antwort, Bruder Bleichgesicht?« Kai zog einen Stuhl heran, ließ sich darauf fallen und zeigte auf seine Cowboyboots aus Schlangenleder: »Hab ich in Las Vegas gefunden, stark, oder?«

Als Fred, der zu hastig das Weizenbier geschluckt hatte, ein satter Rülpser entfuhr, lachte Kai. »Auch eine Antwort. Also sagt schon, was gibt’s Neues? Wer hat einen Flop hingelegt? Wessen Stuhl wackelt? Ich brenne vor Neugier. Gibt’s das Titten- und Votzenfernsehen noch oder hat man der Oswald schon den Sender zugesperrt?«

»Alte Drecksau!« Peter kicherte böse. »Hast du nicht mal versucht, Kara Oswald deine ganz persönlichen Dienste aufzudrängen?«

»Schnauze!« Kai kam richtig in Fahrt. »Mir ist nie ganz klar gewesen, ob die nicht auf ihre Freundin, diese Domina, schärfer ist, als auf jeden Kerl der Welt.«

Michael Vogel boxte Kai in die Schulter. »Hey, komm runter von dem Trip. Der Oswald geht’s beschissen. Ich habe gehört, sie bastelt an einer neuen Idee. Ich hoffe, sie schafft es!«

Peter schüttelte den Kopf. »Was findest du nur an der Oswald, Michi? Mir sind diese Karriereweiber immer unheimlich! Hat die eigentlich einen festen Kerl oder nimmt sie sich, was des Weges kommt?«

»Was bist du für ein Schandmaul. So weit ich weiß, gibt’s da einen ziemlich verrückten Bildhauer. Nur lässt der sich wohl nicht an der Leine vorführen. Die ist schon okay!« Michael Vogel kannte Kara Oswald schon lange. Er hatte großen Respekt vor ihrer Hartnäckigkeit, wenn sie sich ein Projekt in den Kopf gesetzt hatte. »Ich würde sie mit Kusshand nehmen!«

»Hört, hört – eine Squaw in unserem Club!« Fred hatte sich sein drittes Weißbier bestellt und kicherte angesoffen vor sich hin. »Mir würde die Domina Antonia eigentlich besser schmecken!«

»Da schau her«, Kai betrachtete den Freund feixend, »die geheimen Leidenschaften unseres braven Fredi. Magst dich von Frau Antonia ein bisserl züchtigen lassen ?«

Peter, dessen viel zu großer Adamsapfel in seinem dünnen Hals auf und ab hüpfte, schlug sich auf die Schenkel und schrie begeistert: »Ich sehe sie vor mir, die Salbach, mit hohen Lederstiefeln und Peitsche. Die geborene Zuchtmeisterin. Was für ein Bild!«

Fred Halmer zog einen Zeitungsausschnitt aus der Brusttasche. Er glättete ihn mit Sorgfalt und schaute in die Runde. Als niemand etwas sagte, räusperte er sich.

»Also, leg halt los«, meinte Michael Vogel ungeduldig. »Dich zerreißt es ja eh fast schon.«

Halmer räusperte sich nochmals. »Das ist ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung. Überschrift: Der Aussitzer. Wollt ihr ihn hören?«

Heftiges Nicken. Kai Naumann rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. »Sagst uns freundlicherweise, wer damit gemeint ist?«

»Nicht nötig. Das wirst sogar du schnell begreifen!«, antwortete Halmer grinsend. »Also: ›Der König der Samstagabendshow wird immer mehr zum Mutanten von Thomas Gottschalk. Nicht nur, dass sich Naumann in Aussehen und Kleidung dem ehemals so hoch gehandelten ›König der Banalitäten‹ anpasst, nein, er hat sich langsam auch dessen Prinzip des Aussitzens zu Eigen gemacht. Es gehört zum Stil von Naumanns Sendung, dass er Prominente zu sich einlädt, damit sie bei der Verrichtung von Unsinnstätigkeiten als Paten einstehen. Selten hat sich Naumann für diese Gäste wirklich interessiert, aber so schnurzegal wie in seiner letzten Sendung waren sie ihm noch nie. Neben den Boxbrüdern Klitschko als doppeltes Lottchen aus der Ukraine, lud er die Autorin Isabel Allende ein, mit der niemand etwas anzufangen wusste, Naumann am wenigsten, außer dass er etwas von einer Intellektuellen faselte, wofür Frau Allende außer ihm niemand hält.

Schließlich hatte noch das Dauergrinsen in Duldungsstarre und seine erotische Phantasie ihren arg überinszenierten Auftritt: Dieter Bohlen (musikalischer Rinderwahnsinn) und Naddel. Beide verhaltensblond…‹«

Kai Naumann richtete sich auf und versuchte Halmer den Ausschnitt zu entreißen.

»Komm, sei kein Spielverderber«, hielt ihn Peter Sänger feixend zurück. »Ich will jetzt alles hören. Mach weiter, Fred!«

Halmer setzte sich wieder in Positur und las genussvoll weiter: »›Warum eine Moderatorin, die sogar für RTL2-Verhältnisse erstaunlich hohlrübig wirkt, von einer öffentlich-rechtlichen Showcouch zur nächsten gereicht wird? Die Zeiten sind wohl danach. Weshalb wir diese Leute dann auch noch bei Naumann sehen müssen? Die Quote wird es verlangen.

Seit Jahren balanciert Naumann auf einem Hochseil der Albernheiten, doch nie stürzte er ab wie diesmal. Naumann ist auf dem Weg zum Helmut Kohl der Fernsehunterhaltung zu werden: aussitzen. Aushalten. Es geht ja irgendwie weiter!‹«

Peter Sänger kreischte vor Begeisterung.

»Verhaltensblond. Den Ausdruck muss man sich merken. Also Kai, wirklich, das ist zwar starker Tobak, aber göttlich geschrieben. Nun sag schon was und schmoll nicht rum!«

Kai Naumanns Humor war einer harten Probe unterzogen. Zwar konnte er Witze über Gott und die Welt reißen, er selbst ertrug es aber nur schwer, wenn man sich über ihn lustig machte.

Vogel blieb ungewohnt wortkarg. Nachdem von ihm nichts kam, fragte Kai schließlich: »Was ist los? Irgendwelche Probleme?«

Vogel schob die Gläser zur Seite und zog ein gefaltetes Papier aus seiner Lederjacke.

»Passt alles irgendwie zusammen!«, meinte er. »Das ist übrigens die Statistik über euere Einschaltquoten. Sie ist nicht berauschend! Kai hatte in seiner ersten Sendung noch 6,4 Millionen Zuschauer. Jetzt sind es gerade mal vier Millionen. Bei Fred ist die Quote von drei Millionen auf eine Million geschrumpft. Der Einzige, der etwas besser dasteht, ist Peter. Er pendelt zwischen 900000 und 1,2 Millionen am Abend, für eine Sendung kurz vor Mitternacht ist das noch einigermaßen akzeptabel. Kai und Fred hingegen bringen, gemessen an den Produktionskosten, eindeutig zu wenig Quote!«

»Das heißt im Klartext?« Kai, der König der deutschen TV-Unterhaltung, wirkte noch verunsicherter als nach der Verlesung der SZ-Kritik.»Willst du damit sagen, dass wir nicht mehr ankommen? Dass wir zu alt, zu einfältig, zu langweilig geworden sind?« Kai sah den Freund herausfordernd an.

Will ich nicht«, sagte Vogel. »Ich meine nur, wir müssen die Programme überdenken. Und zwar bevor wir noch weiter abrutschen. Der Zeitpunkt ist günstig. Es ist Sommerpause. Ich war überzeugt von unseren Konzepten. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht! Vor allem glaube ich, dass wir überlegen müssen: Was will das Publikum? Wo ist die Geschmacksgrenze?«

Kai, dessen zwanghaft fröhliche Miene verschwunden war, legte die Bierdeckel, mit denen er gespielt hatte, zur Seite. »Ich kann euch sagen, wo meine Grenze liegt. Ich hätte niemals den Kerl mit dem abgeschnittenen Pimmel in die Sendung genommen. Aber dann sagt die Redaktion: Jeder erwartet, dass er bei uns und nicht bei der Konkurrenz auftritt. Also muss ich ihn nehmen und obendrein seine Wahnsinnshonorarforderung schlucken. Das ist also keine Frage des Geschmacks, sondern ein Wunsch des Publikums.«

Peter feixte: »Vielleicht hättest du ja neulich mit dem Spruch ›Strapsträgerinnen sind für die Quoten besser als Nobelpreisträgerinnen‹ bis nach der Sendung warten sollen. Das hat dir die anwesende Wirtschaftsministerin sichtlich übel genommen!«

»Und auch die Frauenverbände sind Amok gelaufen«, lachte Vogel. »Nein, im Ernst, wir haben jede Menge Beschwerden für diesen verbalen Ausfall bekommen.«

»Ach, leckt’s mich doch«, fluchte Kai. »Soll ich etwa in das Betroffenheitsgequatsche der Schreinemakers einstimmen. Tränchen laufen lassen und Mutti über die wunden Eierstöcke oder die Wallungen im Wechsel befragen. Da weigere ich mich.«

Kai war richtig in Fahrt.

»Das will ja auch keiner«, versuchte ihn Vogel zu beruhigen. »Im Gegenteil, du sollst weder Reality-TV noch eine Tränendrüsensendung machen. Aber warum schalten die Leute jetzt reihenweise ab? Irgendetwas musst du doch vorher besser oder anders gemacht haben!«

Kai spürte, wie ihm die Kränkung den Magen zusammenzog. Er, der immer verkündete, dass er Kritik nicht nur ertrage, sondern sogar wünsche, war nicht wirklich in der Lage, damit umzugehen. »Vielleicht fragst du besser mal, ob nicht ihr was falsch macht! Ob der Rahmen der Show nicht zu kitschig ist. Ob die Stars, die ihr anbringt, wirklich top sind…«

Vogel sah den Freund kopfschüttelnd an. »Kapierst du nicht, dass ich mit euch hier sitze, um das Ganze gerade zu biegen und nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen zu fabrizieren. Wenn du glaubst, das Ambiente ist Scheiße, dann müssen wir darüber reden. Ich frage mich nur, weshalb du das nicht vorher gesagt hast!«

»Okay«, meinte Kai schließlich großspurig. »Dann werde ich mal ein paar Tricks aus dem Ärmel schütteln!«

»Man kann nur aus dem Ärmel schütteln, was man zuvor hineingesteckt hat!«, erwiderte Peter spitz.

»Wer sagt denn diesen Scheiß?« Kai war jetzt richtig sauer.

»Rudi Carrell sagt das! Und wenigstens den wirst du ja als Autorität anerkennen!« Peter hatte den letzten Bissen Leberkäse hinuntergeschluckt und betrachtete Kai. »Ist doch eigentlich logisch, oder?«

Michael Vogel, der sich sonst über Sängers Sottisen vor Lachen ausschütten konnte, reagierte gereizt. »Ihr tut, als würde ich euch den letzten Schulaufsatz um die Ohren hauen! Begreift endlich, dass es um etwas mehr geht! Kommt runter von euren Podesten! Sie wackeln, Jungs!«

Die Quoten-Queen

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