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Kapitel 7
ОглавлениеCallander, Schottland, Dezember 1998
Weihnachten war für mich zu einem Fest des Horrors geworden, seitdem wir Kaninchen hielten. Letztes Jahr war Mr Smooth geschlachtet worden und alle ihre Babys bis auf eines, ein schneeweißes Weibchen, das ich Snowy genannt hatte. Es war trächtig und hatte nach den Feiertagen fünf tote Winzlinge geboren, sie waren eine Inzucht. Als ich fragte, was das bedeutete, sah mich Mum nur streng an. „Es gibt Dinge, die braucht ein Mädchen wie du nicht zu wissen.“
Aber Maggie erklärte mir später, dass wohl einer ihrer Brüder Snowy geschwängert hatte, weil wir nicht aufgepasst hatten.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie damit meinte, aber sie sagte das alles mit einer so merkwürdigen Stimme, dass ich nicht mehr nachfragen wollte.
Das zweite Schuljahr war für mich nicht so gut gelaufen wie das erste. Ich hatte oft Kopfschmerzen und konnte mich nicht konzentrieren. Bis meine Lehrerin Mrs Gallagher meinte, es liege möglicherweise daran, dass ich kurzsichtig sein könnte. Und es stimmte wirklich. Mum ging mit mir zu Mr Baird in der Main Street und ich bekam eine Brille. Daraufhin hänselte Maggie mich ständig und nannte mich Brillenschlange. Dad versuchte mich zu trösten und meinte, ich sähe jetzt noch viel klüger aus.
Da sagte Maggie, sie sei lieber hübsch als klug.
Nach einer Weile machte es mir nichts mehr aus und als ich nicht mehr weinte, wenn sie mich so nannte, ließ sie es.
Maggie und ich backten Kekse, weil Mum keine Zeit dazu hatte. Eigentlich machte ich die meiste Arbeit, denn Maggie hatte keine Geduld und Lust auf Hausfrauenkrempel.
Auch jetzt war sie bestimmt wieder im Badezimmer, um sich zu stylen. Sie hatte mich schon eine ganze Weile allein gelassen. Es machte mir nichts aus, denn so konnte ich in Ruhe den Teig für das Shortbread vorbereiten.
Ich hörte sie trällern, als sie die Treppe herunterkam. „Wie sehe ich aus?“
Ich starrte sie an. „Woher hast du den Lippenstift?“ Sie hatte ihren Mund knallrot angemalt, es sah aus, als würde er bluten. Eine Gänsehaut überlief mich. Der Traum von der scharfen Zunge fiel mir wieder ein.
„Ich habe ihn in Mums Nachttisch gefunden.“ Sie lächelte. Der Lippenstift hatte auch ihre Zähne rot gefärbt.
„Du lügst“, sagte ich. „Mum hat keinen Lippenstift. Sie schminkt sich nie.“
„Und wenn schon“, meinte sie leichthin. „Ist doch egal. Hauptsache, ich sehe hübsch aus.“
„Tust du nicht. Du siehst doof aus, deine Zähne sind ganz rot.“ Ich schwieg erschrocken. Woher nahm ich den Mut, so mit meiner großen Schwester zu reden? Aber es schien ihr nichts auszumachen. Sie fuhr mit der Zunge über die Zähne und öffnete den Mund. „Besser so?“
Ich guckte flüchtig hin. „Ja, glaub schon. Du solltest ihn aber abmachen, bevor Mum kommt. Sie wird sonst böse.“
Maggie lachte. Es klang nicht fröhlich, eher gehässig. „Ja, weiß ich doch, Dummerchen.“
Ich zuckte zusammen. Ich hasste es, wenn sie mich so nannte. Ich war nicht dumm. Ich interessierte mich nur für andere Dinge wie sie.
Ich knetete wild den Teig, um ihr nicht zu zeigen, wie zornig ich auf sie war. Als ich aufsah, war sie verschwunden.
Ich hatte gerade noch Zeit, alles aufzuräumen, bevor Mum nach Hause kam. Wie immer redete sie nicht viel, setzte sich an den Tisch und kontrollierte die Liste. Ich wusste, dass Maggie geschummelt hatte, sie hatte wieder einmal die Wäsche nicht gebügelt, aber ich sagte nichts. Mum auch nicht. Sie saß einfach nur da, den Kopf in die Hände gestützt, mit geschlossenen Augen. Ich erschrak, als ich sah, wie eine Träne über ihre Wange lief. Ich hätte sie gerne getröstet, aber ich wusste, sie wollte das nicht. Es war wegen Dad. In letzter Zeit war er ständig betrunken und kam nie vor Mitternacht nach Hause. Dabei war doch heute Heiligabend!
Ich setzte den Teekessel auf, ließ das Wasser kochen und goss eine Tasse für Mum ein. Mit zwei Stück Zucker und ein bisschen Milch, so mochte sie ihn am liebsten. Sie zuckte zusammen, als ich die Tasse auf den Tisch stellte und versuchte ein Lächeln. Es gelang nicht richtig, sah schief aus. „Danke, Kleines“, sagte sie nur. Ich setzte mich ihr gegenüber auf den Stuhl. „Es wird alles gut, Mum, bestimmt“, sagte ich leise.
„Wie? Ja, wir müssen einfach darauf hoffen.“ Aber es klang nicht, als würde sie es so meinen. „Wo ist deine Schwester?“
„Oben. Sie … sie räumt die Wäsche ein.“
Mum sah mich an. Ihre blauen Augen guckten streng. „Du sollst nicht für sie lügen. Ich weiß genau, was diese Göre treibt. Sie bewundert sich den ganzen Tag lang im Spiegel und hat nichts als Unsinn im Kopf.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich weiß nicht, was ich noch mit ihr anfangen soll. Ihr fehlt die starke Hand.“
Ich guckte sie fragend an, aber sie erklärte es mir nicht.
Mit einem Ruck stand sie auf. „Nun gut. Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Und dann kümmern wir uns um den Weihnachtsbaum.“
Darauf freute ich mich schon. Dad hatte den Baum vorige Woche besorgt und im Schuppen eingelagert. Mum holte ihn nach dem Essen in das Wohnzimmer. Mit einem Mal roch es nach Grün und Weihnachten. Der Baum war nicht besonders groß, und das war in Ordnung so. Er berührte auch so beinahe die Wohnzimmerdecke, weil der Raum so niedrig war.
Maggie holte die Schachtel mit dem Schmuck aus dem Abstellraum und Mum legte eine CD mit Weihnachtsliedern in den Player.
Von Dad noch immer keine Spur, obwohl es bereits nach neun war. Aber ich vergaß ihn für eine Weile, während wir den Baum schmückten. Wir hatten Kugeln und Figuren in allen möglichen Farben, weil Mum keine Trends mitmachen wollte, wie sie sagte. Meine Lieblingskugel war hellrosa mit weißen Schneesternen darauf. Ich hängte sie so, dass ich sie genau vor meinen Augen hatte, wenn ich den Baum ansah.
Es gab keine echten Kerzen, denn die waren zu gefährlich. Aber die Lichterkette sah auch schön aus. Als Mum sie probeweise anknipste und der Baum glitzerte und glänzte, sah es sehr festlich aus.
Wir bestaunten noch unser Werk, als Dad hereinpolterte. „Guten Abend, meine Mädels!“ Er rieb seine Hände, die vor Kälte ganz blau waren. Sein Gesicht war rot und seine Augen glänzten. „Ihr wart ja schon fleißig!“ Mum warf ihm einen ihrer scharfen Blicke zu. Sein Lächeln verschwand. „Guck nicht so, Lizzie. Ich bin in Ordnung. Ich war bei Tom Jenkins.“
„Was hast du denn da bloß so lange gemacht?“ Zwischen Mums Augenbrauen erschien eine steile Falte, wie immer, wenn sie sich ärgerte. „Du hast doch nicht …“
Er legte den Finger auf seine Lippen. „Pst. Ein Geheimnis.“
„Was für ein Geheimnis?“, platzte ich heraus.
„Sag ich nicht. Wirst schon sehen“, meinte er geheimnisvoll, ohne sich um Mum zu kümmern, die ihn immer noch misstrauisch ansah. „Ich wollte nicht … Du hast doch nicht wieder getrunken?“
„Hab ich nicht“, knurrte er jetzt. „Nur ein Bier mit Tom, sonst nichts. Hör endlich auf mit deiner ständigen Nörgelei.“
„Ich habe leider allen Grund dazu“, fauchte sie.
„Nun hör dich doch selbst an. Sowas treibt einen Mann ja geradezu aus dem Haus!“ Er funkelte sie wütend an.
Ich warf Maggie einen Blick zu. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte vor Zorn. Ich öffnete den Mund, wollte sie warnen, nichts zu sagen, aber es war bereits zu spät. „Hört endlich auf damit!“, schrie sie. „Ihr beide seid einfach nur erbärmlich! Ich halte das nicht mehr aus!“
Beide verstummten, standen da wie gelähmt und sahen sie an. „Maggie“, flüsterte Mum und streckte die Hand nach ihr aus.
„Lass mich!“, fauchte meine Schwester. „Ich hasse euch! Ich hasse euch so sehr! Ihr kriegt nichts auf die Reihe, ihr seid einfach nur Versager! Wir haben nie Geld, wir müssen in dieser Bruchbude hausen! Ich kann nicht einmal ein eigenes Zimmer haben, weil kein Platz ist! Nichts können wir uns leisten! Ich will euch nicht mehr, ich haue ab hier!“
Sie rannte hinaus, schlug die Tür hinter ihr zu. Gleich darauf stampfte sie die Treppe hinauf.
Unheimlich still war es plötzlich. Ich war innen und außen ganz starr.
Dad und Mum sahen sich an. Dann zuckte plötzlich ihr Mund und sie begann zu wimmern. Es hörte sich unheimlich an. Dad stieß einen seltsamen Laut aus, der wie ein Schluchzen klang. Er nahm Mum vorsichtig in die Arme. „Ach Lizzie“, sagte er leise. „Was ist nur aus uns geworden?“
Mum sagte nichts. Sie hielt sich kurz an ihm fest und stieß ihn dann weg.
Ich wollte das nicht sehen und schlich aus dem Wohnzimmer, die Treppe hoch, in unsere Dachkammer.
Maggie lag auf dem Bett und starrte finster an die Decke. Ich schluckte. „Du … du meinst das doch nicht so. Du gehst nicht fort, oder?“
Sie stieß heftig den Atem aus, dann sah sie mich an. Ich bemerkte, dass sie geweint hatte. „Ich kann doch gar nicht“, sagte sie leise. „Ich bin erst zehn. Aber ich gehe, wenn ich alt genug bin, nur damit du es weißt.“
Ich nickte. Damit konnte ich leben. „Sie vertragen sich jetzt wieder“, meinte ich und legte mich neben sie.
Sie lachte. Es klang nicht besonders fröhlich „Ja, jetzt vielleicht. Aber bald ist es wieder so wie immer, wirst schon sehen.“
„Wieso ist das so? Ich meine, warum können sie nicht einfach nett zueinander sein, so wie Mr und Mrs Hooper zum Beispiel?“
Maggie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht hätten sie halt nicht heiraten und auch noch Kinder kriegen sollen? Wenn ich einmal heirate, dann bestimmt nicht so einen Versager wie Dad. Ich will einen reichen Mann, der mir alles kaufen kann, was ich will.“
„Du meinst so einen wie Ronnie Callahan?“
„Pft! Spinnst du? Der ist doch nicht reich!“
„Aber sein Dad hat einen Supermarkt, da kannst du dir alles nehmen, was du möchtest und musst es nicht stehlen!“
Ich wusste, dass sie immer wieder einmal etwas mitgehen ließ, aber ich hatte es noch niemandem verraten. Und anscheinend hatte auch sonst keiner bis jetzt etwas gemerkt. Aber ich hatte immer Angst, dass sie doch einmal auffliegen würde.
„Halt die Klappe, Dummerchen! Das hat doch damit nichts zu tun. Das ist nur Spaß, verstehst du? Nein, ich gehe nach London und werde ein berühmtes Model, dann kann ich jeden haben, den ich will.“
„Nimmst du mich mit?“ Mein Herz klopfte wild. Ich wollte nicht allein zurückbleiben.
„Vielleicht. Wenn du brav bist und alles tust, was ich will.“
„Tu ich. Dann bekomme ich vielleicht auch einen reichen Mann. Obwohl – ich würde lieber einen Märchenprinzen haben.“ Ich wusste genau, welchen ich meinte. So einen, wie Cinderella ihn bekommen hatte. Er war in meinem Märchenbuch und sah wunderschön aus, mit langen dunklen Haaren und einer grünen Jacke aus Samt mit goldenen Knöpfen.
„Blödsinn!“ Maggie lachte. „So einen dämlichen Typen willst du? Der war doch sogar zu doof, um Cinderella zu erkennen, obwohl er mit ihr getanzt hat. Da würde ich eher den von Dornröschen nehmen. Der war wenigstens mutig und hat sich durch die Dornenhecke gekämpft.“
Ich schüttelte den Kopf. „Der gefällt mir nicht, der ist blond und längst nicht so hübsch.“
„Du magst also Männer mit dunklen Haaren lieber?“ Sie sah mich neugierig an.
Ich dachte nach. „Keine Ahnung. Ich glaube, ich mag überhaupt keine Männer. Außer Dad. Aber er macht es uns nicht leicht“, sagte ich. Den Satz hatte ich mal von Mum gehört und er kam mir sehr klug vor.
Maggie starrte mich an. Sie zwinkerte und ich glaubte, Tränen in ihren Augen zu sehen. Aber das täuschte ganz sicher. Maggie weinte fast nie.
An diesem Abend verzichteten wir auf das Zähneputzen und kuschelten uns aneinander.
Natürlich wachte ich am nächsten Morgen sehr früh auf. Es war Weihnachten! Ich schlüpfte vorsichtig aus dem Bett, um Maggie nicht zu wecken. Sie lag auf dem Rücken und schlief mit offenem Mund.
Ich zog mich rasch an, ging ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Ich kämmte meine widerspenstigen Locken. Sie waren noch immer heller als die von Maggie. Dann setzte ich meine Brille auf und starrte auf mein Spiegelbild. Ich sah tatsächlich wie eine Brillenschlange aus, auf keinen Fall wie eine Prinzessin, selbst mit offenen Haaren und dem hellgrünen Kleid mit dem Spitzenkragen nicht. Also würde ich wohl auch keinen Prinzen heiraten.
Ich schlich zurück ins Zimmer. Maggie schlief immer noch, also nahm ich so leise wie möglich mein Märchenbuch vom Regal. Ich hatte es tatsächlich geschafft, die zwanzig Pfund zu sparen, um es mir in Mrs Kings Buchladen zu kaufen. Mittlerweile hatte ich es so oft gelesen und angesehen, dass es schon ein wenig abgegriffen war. Die Seite, wo das Märchen von Cinderella begann, öffnete sich wie von selbst. Ich las es noch einmal, obwohl ich es auswendig kannte. Maggie hatte unrecht. Der Prinz war nicht doof. Wie hätte er wissen können, welchem Mädchen der Schuh passte, wenn er ihr Gesicht nicht gesehen hatte? Eigentlich war es gemein von Cinderella, dass sie so mit ihm spielte. Ich betrachtete das Bild. Der Prinz war wirklich hübsch.
Mit einem Seufzer schlug ich das Buch zu. Maggie drehte sich im Bett herum und murmelte etwas, was ich nicht verstand.
Ich beschloss, nachzusehen, ob Mum und Dad schon munter waren und schlich die Treppe hinunter. Durch die geschlossene Küchentür hörte ich leise Stimmen. Mein Herz begann wild zu schlagen. Ja!
Unschlüssig blieb ich stehen. Sollte ich Maggie wecken? Sie war keine Frühaufsteherin und es war erst halb acht. Aber es war Weihnachten und sie würde es mir nie verzeihen, wenn die Bescherung ohne sie begann. Also schlich ich wieder zurück in das Zimmer und rüttelte sie sanft an der Schulter.
„Maggie! Aufstehen! Es ist Weihnachtsmorgen!“
Sie stöhnte, schlug dann die Augen auf. Aber diesmal fuhr sie mich nicht an. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. Sie hüpfte aus dem Bett.
„Mum und Dad sind schon wach! Gleich geht’s los“, plapperte ich, während sie in ihr Kleid schlüpfte. Es war dunkelblau und hatte goldene Knöpfe. Sie sah sehr vornehm und beinahe erwachsen darin aus.
Gemeinsam stürmten wir die Treppe hinunter und rissen die Küchentür auf. „Fröhliche Weihnachten!“
Mum und Dad lachten und mir wurde ganz warm. Es sah tatsächlich so aus, als würden sie sich wieder vertragen. Irgendwie war da so ein Strahlen in ihren Augen.
Ich hüpfte auf Dad zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Seine Bartstoppeln kratzten, aber das machte mir nichts aus. Er brummte verlegen und lächelte. „Frohe Weihnachten, meine Kleine!“
Ich traute mich nicht, Mum einen Kuss zu geben, also reichte ich ihr die Hand. Maggie hielt es nicht anders. Sie hatte Mum und Dad noch nie geküsst, soweit ich mich erinnern konnte. Aber das war egal. Bei uns war das eben nicht so üblich.
„War der Weihnachtsmann schon da?“ Ich platzte beinahe vor Neugier. Natürlich wusste ich bereits, dass er nicht existierte, schließlich war ich schon sieben. Aber trotzdem fand ich das alles furchtbar spannend!
Dad zwinkerte mir zu. „Na klar! Guck doch einfach mal nach!“
Ich lief ins Wohnzimmer. Tatsächlich! Unter dem Weihnachtsbaum lagen zwei Päckchen. Was heißt Päckchen – das waren Pakete, die nicht in die Strümpfe gepasst hatten!
Ich wusste gleich, welches meines war. Das rosafarbene. Das von Maggie war hellblau.
Ungeduldig riss ich das Papier auf. Eine große Dose aus Metall kam zum Vorschein. Auf dem Deckel war Cinderella, wie sie die Tauben herbeiruft. Schade. Kein Prinz. Aber die Enttäuschung verflog sofort wieder, als ich die Dose öffnete. Ich stieß einen Jubelschrei aus. Harry Potter und der Stein der Weisen! Dieses Buch hatte ich mir mehr als alles andere gewünscht! Ich schlug es auf, überflog sofort die ersten Seiten, hätte es am liebsten erst gar nicht mehr aus der Hand gelegt. Aber das ging natürlich nicht.
„Danke, lieber Weihnachtsmann!“ Ich strahlte Mum und Dad an. Beinahe hätte ich vor lauter Freude vergessen, den restlichen Inhalt der Dose zu begutachten. Es war eine Zehnerpackung meiner Lieblings-Erdnussbutter-Riegel.
„Schau, was ich bekommen habe.“ Maggie hob ihre Dose hoch. Auf dem Deckel war ebenfalls ein Märchenmotiv. Dornröschen, die schlafend auf dem Bett lag, über sie beugte sich der Prinz. „Und das war drin“, strahlte sie und zeigte mir eine Schminkbox. „Lippenstifte, Wimperntusche, Lidschatten, sogar Make-up, alles da!“
Mum hob warnend den Zeigefinger. „Aber, dass du mir ja nicht eitel wirst.“ Allerdings lächelte sie dabei. Sie warf Dad einen Blick zu.
Natürlich bekamen auch sie etwas von uns. Maggie hatte Schals gestrickt und ich hatte ein Buch mit Bildern gebastelt.
Dad räusperte sich. „Das Beste kommt natürlich wie immer zum Schluss.“
„Noch ein Geschenk?“ Ich starrte ihn neugierig an.
„Yepp!“ Er grinste über das ganze Gesicht. „Ich muss es draußen holen, einen Moment.“
Maggie und ich sahen uns gegenseitig an, dann Mum. Sie hob beide Hände. „Meine Idee war das nicht.“
Oje, das hörte sich nicht besonders begeistert an.
Dad kam herein, in seiner Hand trug er einen Sack. Der sah nun gar nicht weihnachtlich aus, obwohl er mit einer roten Schleife zugebunden war. „Der Weihnachtsmann hat euch noch etwas mitgebracht“, sagte er feierlich. Ich starrte auf den Sack. Und dann sah ich, dass er sich bewegte! Oh – hoffentlich war das kein Kaninchen!
„Du bist doch immer so traurig, Kleines, wenn wir die Kaninchen schlachten müssen“, sagte Dad prompt. Tränen schossen in meine Augen. „Ich will kein neues Kaninchen“, stieß ich hervor.
„Ist es auch nicht.“ Er legte den Sack auf den Boden. „Mach doch mal auf.“
Ich hockte mich nieder und begutachtete den Sack. Wieder bewegte sich etwas darin und dann hörte ich ein leises Fiepen. Das war doch nicht – oder doch?
Hastig zog ich an der Schleife und öffnete den Sack. Ein kleines, schwarz-weißes Fellbündel krabbelte heraus. Das war – ein Hund, ein kleiner Hund! Ich nahm ihn vorsichtig auf die Arme. Er war so weich und knuddelig! Begeistert vergrub ich mein Gesicht in seinem Fell. Er zappelte und fiepte wieder, also ließ ich ihn los. „Er ist von Tom Jenkins. Ein Mischling, deshalb wird er nicht so groß wie seine Ghalla. Es ist ein Junge und er hat noch keinen Namen.“
Der Welpe wackelte auf mich zu, wedelte dabei heftig mit dem Schwanz. Sein Gesicht war zweifärbig, halb schwarz, halb weiß.
„Er soll Sunny heißen“, sagte ich atemlos und schlang die Arme um den Hals des Tieres.
„Ihr werdet euch um ihn kümmern müssen, ich habe keine Zeit für so etwas. Das habe ich auch eurem Dad gesagt, aber er wollte euch ja unbedingt eine Freude machen.“ Mum sah mich streng an. „Wenn ich merke, dass das nicht klappt, dann ist er sofort wieder weg.“
„Ich mach das schon“, sagte ich hastig.
„Pft! Ohne mich!“, schnaubte Maggie. „Ich kann Hunde nicht ausstehen. Hast du das nicht gewusst, Dad?“
Er wich ihrem Blick aus. „Nein, tut mir leid. Ich wollte nur …“
„Jaja, gut gedacht und schlecht gemacht“, brummte Mum. „Aber jetzt ist er nun mal da und ich hoffe, es gibt keinen Ärger deswegen.“
Ich nahm den Hund auf meine Arme. „Ich hab dich lieb und ich werde mich immer um dich kümmern, Sunny“, flüsterte ich in sein Fell. „Das verspreche ich dir.“
Ich glaubte ganz fest daran. Ich würde gut auf ihn aufpassen.