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Kapitel 8
ОглавлениеLondon, November 2017
Den Rest des Samstags arbeitete ich wie eine Besessene, putzte Fenster, wischte Staub, wusch Wäsche und Geschirr, saugte die Parkettböden und die kostbaren Teppiche. Um Mitternacht sank ich todmüde ins Bett und schlief wie ein Stein in meiner neuen Unterkunft. Den Sonntag wollte ich dazu benützen, meine wenigen Habseligkeiten zu übersiedeln. Alles, was ich nach London mitgebracht hatte, passte in drei Koffer. Eileen war zum Glück nicht zu Hause, als ich zwei davon abholte. Den dritten, den ich mit meinen Büchern vollgepackt hatte, ließ ich vorerst zurück.
Ich machte einen kleinen Erkundungsspaziergang und tätigte im Supermarkt in der Lupus Street ein paar kleinere Einkäufe, nur um zu essen zu haben.
Den Montag nützte ich für die restlichen Reinigungsarbeiten. Das Badezimmer hatte ich mir bis zum Schluss aufgespart. Unter dem Waschbecken entdeckte ich einen bordeauxfarbigen Bügel-BH. Ich warf ihn weg, genau wie das Unterhöschen, das im Schlafzimmer gelegen hatte. Ich nahm nicht an, dass die jeweiligen Besitzerinnen das Kleidungsstück zurückhaben wollten.
Ich kaufte auch noch für das Abendessen ein und richtete einen kleinen Imbiss. Ich wusste ja nicht genau, wann Mr Campbell aus Glasgow zurückkommen würde.
Diesmal lag ich lange wach, lauschte auf die Geräusche der Nacht und malte mir mein zukünftiges Leben aus. Würde ich es endlich schaffen, aus Eileens Bannkreis zu entkommen? Das hatte ich auch schon gedacht, als ich in Leeds in Morton House bei den Hookersons zu arbeiten anfing. Meine erste Dienststelle. Das Arbeitsverhältnis hatte in einer Katastrophe geendet und ausgerechnet Eileen hatte mir aus der Patsche geholfen. Eine Tatsache, an die sie mich immer wieder erinnerte. Deshalb saß ich jetzt wieder in der Tinte.
Unruhig wälzte ich mich im Bett. Ich war völlig überdreht. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es bereits nach Mitternacht war. Ich musste morgen früh um halb sieben aufstehen, das fing ja gut an!
Dann hörte ich ein Geräusch an der Wohnungstür. Ich erstarrte. War das Michael Campbell?
Es schien so, denn der Boden im Flur knarrte unter seinen Schritten. Da war aber noch etwas anderes. Das Tappen von Pfoten? Natürlich. Er musste einen Hund haben. Sonst hätte Mrs Forrester wohl nicht gefragt, ob ich Angst vor ihnen habe.
Die Wohnzimmertür schloss sich, danach Stille.
Seltsamerweise konnte ich nun endlich schlafen.
Das schrille Klingeln des Weckers riss mich aus meinem gewohnten Traum, in dem ich an der Kasse von Harrods stand und der Kaufhausdetektiv mich zwang, meine Taschen zu leeren. Diesmal hatte ich Gläser gestohlen, die ich als Eigentum von Michael Campbell erkannte. Er selbst baute sich plötzlich vor mir auf und durchbohrte mich mit drohenden Blicken. „Hässliche Diebin!“, zischte er.
Ich schüttelte die Erinnerung daran ab, sprang aus dem Bett, ging unter die Dusche und zog meine Arbeitskleidung an. Ein dunkelgraues, wadenlanges Kleid, das mich sehr diskret und farblos machte. Meine Haare frisierte ich streng zurück und band sie zu einem Knoten. Zusammen mit der Brille wirkte ich so unattraktiv, wie Michael Campbell es wohl haben wollte. Ich hatte seine Worte nicht vergessen. Nun gut, dann war ich eben hässlich, aber es war mir ohnehin lieber, nicht beachtet als betatscht zu werden. Ich hatte meine Lektion gründlich gelernt!
Leise betrat ich die Küche und bemerkte, dass sich mein neuer Arbeitgeber den Imbiss, den ich vorbereitet hatte, noch einverleibt hatte. Das leere Teller mit den Krümeln stand auf der Anrichte.
Da ich Mr Campbells Wünsche betreffend Frühstück noch nicht kannte, bereitete ich Schinken, Tomaten, perfekt gebräunten Toast und ein Glas frisch gepressten Orangensaft zu. Dazu Butter, Erdbeermarmelade und Tee. Leider wusste ich nicht, ob Mr Campbell ihn mit Milch oder Zitrone trank, also stellte ich beides auf das Tablett. Ich durchquerte das Wohnzimmer und klopfte leise an die Schlafzimmertür.
Keine Antwort.
Also klopfte ich kräftiger. Nun hörte ich ein Geräusch.
„Mr Campbell? Sir?“
Ich öffnete die Tür, trat in das Zimmer. Dunkelheit empfing mich und ein angenehmer Duft nach teurem Männerparfüm. Wieder hörte ich ein Geräusch. Ein Klackern?
Ein riesiger, schwarzer Schatten sprang auf mich zu, an mir hoch. Ich schrie auf, verlor das Gleichgewicht, stürzte zu Boden. Die Teekanne konnte ich gerade noch einfangen, aber der Orangensaft ergoss sich über meine Oberschenkel, Geschirr schepperte und klirrte. Etwas Nasses fuhr über mein Gesicht. Ich schrie noch einmal.
„Was zum Teufel …“
Eine schlaftrunkene männliche Stimme.
Ich wollte mich aufrappeln, aber das schwarze Ungeheuer lag noch immer auf mir. Heißer Atem hechelte in mein Gesicht.
„Henry? Aus!“
Auf den gebieterischen Befehl befreite mich das Ungetüm und kehrte zum Bett zurück. Ich lag noch immer auf dem Rücken, mit durchnässtem Kleid. Mein Herz raste.
„Sind Sie in Ordnung?“
Michael Campbell stand plötzlich vor mir. Ich erhaschte einen Blick auf einen nackten, perfekten Oberkörper, auf hellgraue Seidenshorts und lange Beine, bevor ich die Augen schloss.
Eine nasse Nase fuhr in mein Gesicht und erwischte meine Brille. Ich hob abwehrend die Hand. „Pfui, lass das!“, fauchte ich und riss die Augen auf.
Der riesige schwarze Hund hechelte freundlich und schien die ganze Sache ziemlich spaßig zu finden. „Aus!“, sagte ich streng. Zu meiner Verwunderung gehorchte das Tier und kehrte an die Seite seines Herrn zurück. Ich ahnte mehr als ich sah, dass sein Blick auf meine Beine gerichtet war und zog hastig mein Kleid darüber. Zum Glück trug ich blickdichte Strümpfe!
„Tut mir leid“, murmelte er. „Henry ist manchmal ein wenig stürmisch. Geht es Ihnen gut? Sie haben sich hoffentlich nicht verletzt? Kann ich Ihnen helfen?“
Ich ignorierte seine ausgestreckte Hand und erhob mich, glättete meinen Rock und blinzelte. „Meine Brille – ich brauche meine Brille“, sagte ich hastig. Ich trat einen Schritt zurück, als der Hund wieder auf mich zukam und hörte ein Knirschen unter meinen Schuhsohlen.
„Schei … - Verzeihung!“ Ich bückte mich, um die Überreste meines Sehbehelfs aufzuheben. Gott, das fing ja wirklich gut an!
Michael Campbell lachte.
„Hören Sie auf! Ohne meine Brille bin ich nutzlos! Da kann ich gleich wieder kündigen!“ Ich biss mir auf die Lippen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
„Haben Sie keine Ersatzbrille?“ Sein mitfühlender Tonfall machte die Sache nicht besser.
„Nein! Kann ich mir nicht leisten“, stotterte ich. Ich blinzelte, sah verschwommen seinen noch immer nackten Oberkörper.
„Tja, dann wäre es wohl am besten, Ihnen gleich eine neue Brille zu besorgen. Frühstück fällt wohl ohnehin aus.“
Mir wurde heiß vor Scham. „Das … nein, das müssen Sie nicht. Es … es tut mir leid! Bitte verzeihen Sie!“, stammelte ich.
„Keine Widerrede! Das ist ein Befehl!“, knurrte er. „Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann ist es unterwürfiges Gejammer! Jetzt gucken Sie nicht so! Ich ziehe mir schnell etwas über und dann verfrachte ich Sie zum nächsten Optiker, verstanden?“
„Ja, Sir“, flüsterte ich kleinlaut.
„Wie bitte?“
„Vielen Dank, Sir“, sagte ich und bemühte mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben.
„Schon besser. Und lassen Sie sich nicht von Henry unterkriegen.“
Ich musste lachen. „Keine Bange. Mit Hunden komme ich normalerweise gut zurecht.“
Als hätte Henry es verstanden, kam er wieder auf mich zu und schnüffelte an meiner Hand.
„Sitz!“, sagte ich. Er befolgte meinen Befehl sofort.
„Alle Achtung! Eins zu null für Sie. Jetzt haben Sie nichts mehr von ihm zu befürchten.“
„Was ist das überhaupt für ein Riesentier?“
Campbell lachte. „Eine Dänische Dogge. Er heißt eigentlich Hendrik af Stenhavn. Ich fürchte, ich kann mich zu wenig mit ihm beschäftigen, deshalb rächt er sich von Zeit zu Zeit. Vor allem erschreckt er gerne Frauen. Vielleicht mag er es, wenn sie so kreischen wie Sie gerade eben.“
„Es wird nicht mehr vorkommen“, sagte ich so würdevoll wie möglich, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. Die Szene war bestimmt Slapstick reif gewesen.
Und so kam es, dass ich eine Viertelstunde später zusammen mit Michael Campbell in einem Taxi saß, das uns zu einem Optiker brachte. Er suchte eine Brillenfassung für mich aus und als ich wegen des Preises protestieren wollte, stauchte er mich gnadenlos zusammen. Schließlich wolle er, dass ich meine Arbeit perfekt verrichten könne und wenn er dazu das nötige Hilfsmittel beisteuern müsse, würde er das tun. Schließlich habe ja sein Hund Schuld an dem Missgeschick. Die passenden Gläser sollten gleich am Nachmittag lieferbar sein. Ich hätte ohnehin neue gebraucht, die Stärke stimmte nicht mehr. Eine Ersatzbrille gab er auch gleich in Auftrag. Er brachte mich in die Wohnung zurück und fuhr ins Büro, um seinen Geschäftstermin wahrzunehmen.
Ich verbrachte einen unangenehmen Tag, verdammt zur Untätigkeit und schämte mich für meine Unzulänglichkeit. Nicht im Traum hätte ich gedacht, dass mein Dienstantritt meinen Arbeitgeber gleich in Unkosten und Peinlichkeiten stürzen würde. Davon durfte ich Eileen bestimmt nichts erzählen!