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Moskau

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5. Februar 2012

Die beiden Streifenpolizisten hatten ihren Wagen an der Kaimauer geparkt. Sie waren nicht besonders unglücklich darüber, die tote Frau gefunden zu haben. Sie war aus der Tiefe des Flusses aufgetaucht und an die Treppenstufen gespült worden. Ein verantwortungsbewusster Bürger hatte die Polizei informiert. Die beiden eingetroffenen Beamten waren nicht erpicht darauf, nasse Füße zu bekommen, also riefen sie ihrerseits nach Verstärkung mit entsprechender Ausrüstung und zogen sie mit einem Haken heran.

„Verdammt! Verfluchte Moskwa …“, murmelte einer der beiden. Der andere lächelte. Immerhin passierte überhaupt einmal etwas und sorgte für etwas Abwechslung. Ein bisschen Action. Sie zogen den leblosen Körper an Land und ließen ihn eine Weile liegen, während sie verschnauften und Verstärkung riefen. Das hier war auf jeden Fall eine wenig glamouröse Art abzutreten. Schließlich näherte sich der einem Krankenwagen ähnelnde Leichenwagen, und sie verfrachteten die Tote in den hinteren Teil, damit diese quer durch Moskau zum Leichenschauhaus gebracht werden konnte. Dort würde man versuchen, sie zu identifizieren, was – da waren sich alle Beteiligten einig – vermutlich zwecklos war. Die beiden Polizisten gönnten sich eine ausgiebige Mittagspause mit einem Extraschluck Wodka.

„Also“, sagte der eine. „Ich habe mich immer schon gefragt, warum Leichen wieder an die Wasseroberfläche treiben. Ich meine, zum Teufel, die gehen doch erst direkt unter. Was passiert dann?“

Sein Kollege, der die Antwort zufällig wusste, lächelte überlegen und begann, ihm einen Vortrag zu halten.

„Weißt du das wirklich nicht? Hast du auf der Polizeischule nur gepennt? Die Leiche sinkt erst einmal nach unten, wenn sich die Lungen mit Wasser füllen. Aber irgendwann bilden sich Gase im Körper, dadurch wird er leichter als Wasser und wird nach oben getrieben. Hast du wenigstens eine Ahnung, warum das Gesicht dabei immer nach unten zeigt?“

„Absolut keine Ahnung. Sag schon!“

Der Kollege biss ein Stück von einer Pirogge ab.

„Das hat eigentlich nichts mit dem Gesicht zu tun, sondern mit den Gliedmaßen. Sowohl die Arme als auch die Beine knicken nach vorn ab beziehungsweise nach unten. So funktionieren die Gelenke eben. Deshalb zeigt der Oberkörper immer nach unten.“

„Wie bei der Frau, die wir gerade gefunden haben?“

„Wie bei der Frau, die wir gerade gefunden haben! Du lernst schnell. Prost!“

Gläser klirrten, und die Mittagspause wurde fortgesetzt. Wenn man bedachte, wie viele Menschen in Moskau regelmäßig verschwanden und wie lausig die Nachverfolgung dieser Fälle ablief, war es äußerst unwahrscheinlich, dass die Leiche einen Namen bekommen und mit einem Menschenschicksal in Verbindung gebracht werden würde. Die Leiche konnte sonst wo ins Wasser geworfen worden sein. Vielleicht war sie schon längere Zeit und eine weite Strecke getrieben. Oder gar nicht. Durch den ungewöhnlich milden Winter hatte sich das Eis nur spärlich und langsam gebildet.

Aber wie durch einen Zufall passte die Leiche genau zur Beschreibung einer erst neulich verschwundenen Frau, und über die israelische Botschaft wurde diejenige Person, welche die andere Frau als vermisst gemeldet hatte, offiziell in Kenntnis gesetzt. Sie war, ebenso wie die Tote, als Reinigungskraft tätig und ging direkt ans Telefon – so, als hätte sie schon angespannt auf den Anruf gewartet. Sie hatte seit Langem nichts mehr von ihrer Freundin gehört.

„Ida Feinberg. Mit wem spreche ich?“

„Hier spricht die Polizei. Es geht um eine mögliche Identifizierung.“

„Lena?“

„Sie haben eine gewisse Lena Feldbin als vermisst gemeldet. Haben Sie die Möglichkeit, ins Leichenschauhaus zu kommen, um die Tote zu identifizieren?“

„Um Gottes willen! Ist sie es denn?“

„Bitte seien Sie so freundlich und kommen Sie zur Identifizierung …“

Ein paar Tage später wurde die als Lena Feldbin identifizierte Leiche eingeäschert. Als Todesursache war ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand festgestellt worden. Sie war bereits tot gewesen, als man sie ins Wasser geworfen hatte. Außer ihrer Freundin Ida hatte Feldbin niemanden – keine Verwandten, weder Kinder noch Eltern oder Geschwister. Die meiste Zeit hatte sie als Reinigungskraft gearbeitet. Die Polizei machte deutlich, dass keine weiteren Ressourcen für diesen Fall aufgebracht werden würden. Eine unspektakuläre Mitbürgerin, die einen unspektakulären Tod gestorben war. Die israelische Botschaft versuchte gar nicht erst zu widersprechen. Hier war jegliche Mühe umsonst.

Die Mitteilung über ihren Tod fand jedoch den Weg in einen der routinemäßigen Berichte der Botschaft, der wiederum an einen Botschaftsangestellten weitergeleitet wurde. Dieser hatte zufälligerweise gerade eine Anfrage aus Jerusalem bezüglich der betreffenden Person, Lena Feldbin, erhalten, und konnte daher umgehend weitergeben, dass sie tot war, vermutlich ermordet, und dass die Moskauer Polizei kein Interesse daran zeigte, weitere Nachforschungen anzustellen oder umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Für sie war der Fall bereits abgeschlossen.

Als Ido Zakai vom Mossad in Jerusalem ein paar Tage später die Nachricht erreichte, blieb er im Gang vor seinem Büro stehen und schaute aus dem Fenster hinaus auf die in der Mittagssonne leuchtenden Gebäude der Stadt. Aber da war noch etwas anderes. Er erkannte ein Muster. Ido machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück in sein Büro und wühlte sich durch all die alten Visitenkarten, die er in einer Schublade aufbewahrte. Es war an der Zeit, den Schweden zu kontaktieren. Auf dieses Zeichen hatte er gewartet.

Der Schwede

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