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Frankfurt am Main
Оглавление19. Februar 2012
Ido hatte auf ein weiteres Treffen bestanden, am besten so schnell wie möglich. Einige Tage später trafen sie sich daher erneut, dieses Mal in einem anonymen Flughafenhotel in Frankfurt am Main, das ebenso seelenlos war wie das Hotel in London Heathrow. Fast komplett anonym. Einige Geschäftsmänner, viele Angestellte, Reinigungskräfte. Ido hatte dieses Treffen zwar vorgeschlagen, war aber hinsichtlich der Gründe nicht ins Detail gegangen.
„Okay, Ido, was geht hier eigentlich vor sich?“, konfrontierte Hans ihn, kaum dass sie beide ihr Essen bekommen und der Kellner sie in ihrer Ecke der unscheinbaren Bar allein gelassen hatte. Ido schaute ihn verwundert an.
„You tell me, Hans! Was geht hier vor sich?“
Hans versorgte ihn mit ausgewählten Einzelheiten der jüngsten Ereignisse. Zum Schluss zog er eine Kopie der Namensliste mit den vier Vermissten aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Ido nahm die Liste und überflog sie prüfend. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
„Na ja, darüber müsste ich nachdenken. Bin mir nicht sicher, was diese Namen anbelangt.“
„Hast du denn vielleicht einen eigenen Vorschlag? Der auf jeden Fall Wurzeln in der Vergangenheit hat?“
Ido ignorierte die Frage gekonnt und begann stattdessen mit einem Monolog über den Mossad.
„Weißt du, Hans, so arbeiten wir nun einmal. Auf lange Sicht. Wir leiten Informationen an euch Schweden weiter, und wenn wir eines Tages im Gegenzug eure Hilfe brauchen, ist der Kontakt schneller hergestellt. Uns kostet es schließlich nichts, euch von dieser Spur zu berichten.“
Nach einer Lüge hörte sich das nicht an, aber ganz ehrlich klang Ido ebenfalls nicht.
„Wisst ihr mehr über das Haus?“, fragte Hans.
„Nein, nicht mehr als das, was unser Sayanim uns zugetragen hat. Aber wir haben versucht, mittels Satellitenbilder mehr herauszufinden. Das Ergebnis hat uns ziemlich verwundert.“
„Inwiefern?“
„Unsere Analytiker hatten das Gefühl, als hätte irgendetwas das Bild gestört. Irgendetwas Elektromagnetisches. Das Haus hatte eine Art äußeren Schutzschild gegen die Beobachtung durch klassische Satelliten. Ich bekomme die ganzen technischen Details nicht mehr auf die Reihe, aber auf jeden Fall war es so, dass wir keine elementaren Informationen ergattern konnten – zu den Leuten im Gebäude, der Raumaufteilung und so weiter. Irgendjemand will dieses Haus wirklich von der Außenwelt abschirmen.“
„Der KGB – entschuldige … der FSB?!“
„Weiß nicht. Wir sprechen hier von einer ziemlich ausgeklügelten Ausrüstung – nichts, was man einfach so auf der Straße kaufen kann. Wir gehen davon aus, dass sie das russische Aviaconversiya MAKS anwenden. Das wirkt in einem Umkreis von fünfundvierzig Kilometern auf offenem Gelände. Kostet fünfzigtausend Dollar pro Stück. Die Iraker haben diese Technik gegen die Navigationsgeräte und Präzisionswaffen der Amerikaner angewendet.“
„Kommst du über deinen Sayanim nicht an mehr Informationen heran?“
Ido dachte über die Frage nach, bevor er antwortete.
„Warum sollte ich das tun?“
„Weil ich mehr wissen will. Auf dem bisschen kann ich einfach nicht aufbauen.“
„In Moskau kann man bei den zuständigen örtlichen Stadtteilbüros die Hauspläne einsehen. Das ist ein Überbleibsel aus der Zeit des Kommunismus. Das weiß ich zufällig.“
„Weißt du zufällig noch irgendetwas anderes, was wichtig sein könnte?“
„Ich glaube nicht.“
„Mosaic theory. Das kommt doch bestimmt aus Israel, oder nicht? Klingt auf jeden Fall ganz danach. Informationen aus verschiedenen Quellen zu suchen, um eine plausible Geschichte zusammenzubauen. Ich brauche alles, was ich bekommen kann.“
„Das ist jetzt dein case, Hans. Nicht meiner. Denk aber daran, dass ein Befreiungsversuch bis ins kleinste Detail geplant sein muss. Ein gut geplanter Versuch ist keine Erfolgsgarantie, aber ein schlecht geplanter Versuch endet garantiert in einem Misserfolg. Jetzt lass uns etwas trinken und eine Weile abschalten.“
Ido lenkte das Gespräch auf ein allgemeineres Thema und gab sich ganz jovial. Er scherzte und erzählte die neuesten Anekdoten, und ihre Gläser leerten sich schnell, obwohl sie immer wieder aufgefüllt wurden. Als beide sich vom Tisch erhoben, stellte Hans die Frage, über die er seit ihrem ersten Gespräch nachgedacht hatte.
„Ido, lass mich dir nur eine Frage stellen. Warum versuchen wir es hier nicht auf ehrliche, diplomatische Weise? Von Außenminister zu Außenminister?“
„Glaub mir, wenn ich dir sage, dass das keine gute Idee ist.“
„Warum nicht?“
„Der Schwede würde noch während des Telefonats der beiden Minister verlegt werden, und du würdest ihn nie mehr wiedersehen. Russland ist das flächenmäßig größte Land der Erde. Da gibt es so viele Verstecke außerhalb unserer Reichweite. Angesichts der Heimlichtuerei gehen wir davon aus, dass nur wenige in die Geschichte eingeweiht sind. Vielleicht nur eine kleine Gruppe innerhalb des KGBs. Wenn ihr es auf diplomatischem Wege versucht, riskiert ihr, alles zu ruinieren. Oder den Schweden auf direktem Weg ins Grab zu befördern.“
„Okay, ich verstehe ja, was du sagst. Ich werde nur das Gefühl nicht los, dass du mehr weißt, als du mir sagen willst. Aber lassen wir es für heute gut sein. Komm gut nach Hause!“
Ido zögerte einen Moment. Hans lag gleichermaßen richtig und falsch. Ido hatte durchaus eine Theorie, doch die behielt er für sich. Er hatte auch nicht alle Abläufe geschildert. Er hatte für sich behalten, wie lange er die Situation schon im Auge behielt, weil er seine Gründe hatte. Einerseits war das ein Teil des Spiels, das sie beide miteinander spielten. Nach und nach wurde geteilt. Ein Schritt nach dem anderen, bei jedem zweiten Zug, wie beim Schach. Und andererseits wollte er Hans nicht gleich überwältigen. Der sollte sich noch nicht komplett ins Zeug legen, bevor er der Geschichte nicht vollen Glauben schenkte, und die Geschichte sollte Hans dann selbst aufdecken, wenigstens einen Teil davon. Sein Job war es, den Schweden einen sanften Start zu ermöglichen. Ido versuchte, die Frage zurückzugeben.
„Hans, mein Gefühl sagt mir, dass du auch mehr weißt, als du zugeben willst …“
Jetzt wurde Ido wiederum von Hans gemustert, aber anscheinend zeigten die Worte direkt Wirkung.
„Okay. Setz dich wieder.“
Ido zog einen Umschlag aus seiner Innentasche und öffnete ihn langsam. Ein kleines Bild rutschte heraus. Hans rückte es zurecht, sodass es im richtigen Winkel lag. Das Bild war zwar unscharf, zeigte aber eindeutig einen Mann hinter einem Fenster. Ido hielt den Atem an. Unglaublich. Er musterte das Foto, enthielt sich aber eines Kommentars.
„Wir konnten es nicht lassen“, sagte Hans und versuchte, seinen Stolz zu verbergen. „Wir brauchten unbedingt einen Bildbeweis.“
„Ihr habt doch aufgepasst?“, brachte Ido hervor. „Ihr lasst es ruhig angehen?“
„Sicher. Hast du eine Idee, wer das sein könnte?“
„Für mich sieht das eher nach einem Mann als nach einer Frau aus“, stellte Ido fest, nicht gewillt, mehr von sich zu geben.
„Jap“, erwiderte sein Kollege. „Ein älterer Mann, wenn unsere Software richtig liegt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kandidat von unserer Liste mit den vier Namen.“
„Welcher von denen?“
„Wir überprüfen das gerade. Das dauert ein bisschen. Ich habe noch kein Team zusammengestellt. Wir tasten uns langsam heran, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Klingt vernünftig. Kann ich das Bild mitnehmen?“
„Bitte. Mach damit, was du willst.“
Sie gaben einander die Hand und gingen wieder getrennter Wege. Als Hans ins Flugzeug nach Stockholm stieg, fühlte er sich etwas angetrunken und musste sich anstrengen, seine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Am bemerkenswertesten war vermutlich die Information, dass der Mossad versucht hatte, die Villa via Satellit zu überwachen. Warum? Man missbrauchte doch keinen Satelliten, nur um eine launenhafte Neugierde zu befriedigen. Hans wurde den Verdacht nicht los, dass der gefällige Israeli ihn schon wieder hinters Licht geführt hatte.
Und wer hatte eigentlich von einer Befreiungsaktion gesprochen? Wieso war das Thema plötzlich aufgekommen? Und Idos Reaktion auf das Foto? Einen kurzen Moment lang hatte Hans den Eindruck gewonnen, als wüsste der Israeli, wer der Mann auf dem Bild war, hatte aber aufgrund irgendeiner Anweisung nichts dazu sagen wollen. Stina hatte recht gehabt. Mit dem Austausch von Fakten und Hypothesen ging eine Überprüfung seiner Persönlichkeit und der Säpo einher. Hans nickte ein, noch bevor das Flugzeug seine Reisehöhe erreicht hatte, und erwachte erst wieder, als ihn eine Flugbegleiterin vorsichtig anstupste und ihn bat, seinen Sicherheitsgurt zu schließen, weil die Landung bevorstand.