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Nyheim

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Die Zeit geht. — Der Bauer Haldor Enge verlor die Hoffnung nicht und wartete ... Es ging Jahr um Jahr ...

Haldor Enge wohnt auf seinem Einödgaard zuoberst im Frühlingstal und wird immer älter; aber er glaubt an die Zukunft. Sein Haar ist darüber dünn und ganz weiss geworden; doch sein Kinn blieb breit und seine Nase kräftig — ho — und wenn er den Brustkorb wölbt und seine Stimme über den Hof hin erschallen lässt, mit Befehlen und Anweisungen, dann dröhnt es so mächtig, dass die nahen Felsenwände Antwort geben ...

Der Solböstrand und alle Welt lachte einst über Haldor Enge, den Hofbauern, den Unermüdlichen und Eigenwilligen, und meinte, dieser Mann müsse in der Entwicklung um mehrere Schritte zurückgeblieben sein. Dass er den schönen Engegaard, unten am Solböstrande, an Mons Bauge verkaufte, nun, das war noch seine Sache. Viele haben damals, gleich ihm, verkauft und Gottes Erdboden verschachert um Geld und Scheine und märchenhafte Aktien. Es zeigte sich ja bald, dass es Dreckgeld war, jammervolle Papiere ...

Jedoch gerade in der Zeit der schönsten Blüte, in der Zeit, da die goldene Woge herrlich über den Strand schlug und alle alten Überlieferungen über den Haufen warf und die erstaunten Menschen hoch emporhob und glücklich und reich machte und alle Dinge verzauberte — zu dieser Zeit wühlte und grub Haldor Enge am Rande der grossen Wildmark und kümmerte sich in keiner Weise weder um den fernen Kriegslärm und blutigen Wahnsinn, noch um den unerhörten Segen und den gewaltigen Fortschritt in diesem Fjord. Nein, Haldor Enge baute Wege und zog Gräben. Er hatte zwei Knechte — gewiss zwei schwachsinnige Menschen, die sich, gleich ihm, nicht auf die Wunder der Konjunktur verstanden ... Und so gruben denn diese drei und hatten wahrlich eine kindische Freude, wenn zwischen den braunen Felsen eine neue Wiese entstand oder ein kleiner Acker. Drei einfältige Arbeitstiere — sie gingen nur noch selten hinunter an den Strand von Solbö, weil die Welt ihnen so fremd geworden, weil das Gespötte der Leute ihnen lästig fiel.

Aber sie lebten auf ihre Weise ihre guten Tage und es fehlte ihnen an nichts ... Sie machten sich nur ein wenig lächerlich und verkauften, wie ehedem, ihre Waren: Milch, Butter, Eier, Fleisch, Kartoffeln und Birkenholz. Ja, damit trieben sie ihren spasshaften Handel, wo andere mit ihren Aktien von selber immer reicher und reicher wurden ... Sie nannten ihren Einödgaard Nyheim ...

Und sie lebten also ganz auf ihre eigene Weise. Sie lebten wie im Märchen, mit kräftiger Kost und viel frischer Luft; abends legten sie sich nieder und schliefen — ohne besondere Freuden, Erwartungen und Aufregungen, sie hatten nicht wilde Träume von Bankkursen. Allen dreien, den Knechten so gut wie dem Hofbauern lag immer nur der Gaard im Sinn. Sie blieben somit völlig altertümliche Landbewohner und Erdmenschen — eine Rarität, eine fast ausgestorbene Rasse ...

Sogar Ornulf am Hang lachte über diese komischen Nyheimleute. Seht, Ornulf besass in grauer Vorzeit dort am Hang den kleinen Gaard — knapp drei Kühe und ein halbes Dutzend Schafe ... Jesus — auch dieser Ornulf war einmal Landmann. Aber er war auch ein Mann, der sich wach hielt. Er erkannte die Zeichen der Zeit, bemerkte als einer der ersten die gute Veränderung in den Weltläufen und nutzte sie aus. Ohne zu zaudern liess er Gaard und Landwirtschaft fahren und kaufte Spekulationspapiere, tat einen kühnen Schritt. Und es glückte — einen Tag gewann er tausend Kronen und den andern Tag gewann er zweitausend Kronen. So konnte es gar nicht fehlen, Ornulf am Hang musste unbedingt gross und mächtig werden, Ornulf, der einmal einer der Geringsten war, der keinen Krämer duzen und kaum den Vogt auf offener Strasse anreden durfte ... Bald hatte dieser Mann so viele Wertpapiere in seiner Tasche, dass er von den Renten geschwollen und üppig wurde und sich an der Hauptstrasse ein Haus mit zwei Türen und zehn Fenstern bauen durfte. — Hei, ein Haus mit Fenstern auf sämtlichen vier Seiten und einem fremdländischen Knie im Dach, ein fast unmögliches Haus, das schon mehr eine regelrechte Villa war, mit Veranda und hoher Steintreppe, mit Säulen am Eingang. Und es musste selbstredend ein Zaun an den Weg und ein unnötiges Tor in den Zaun — Herr des Himmels — es wurde alles miteinander so unerhört grossartig, dass man es sich kaum grösser hätte vorstellen können.

Der Hofbauer Haldor Enge musste an diesem lästerlichen Übermut vorbeifahren, wenn er mit seinen erbärmlichen Waren zum Strande hinunter wollte. Haldor Enge drehte natürlich seinen Kopf scharf nach der andern Seite. Aber Ornulf war doch noch nicht so gross, dass er einen Haldor Enge einfach hätte übersehen dürfen. Unmöglich — überhaupt stand doch Ornulf jetzt tagtäglich hinter dem Fenster und rauchte seine Meerschaumpfeife wie ein Pastor. Deshalb kam er auf den Einfall, vor sein unerhörtes Gartentor hinauszutreten und den Hofbauern zu grüssen „Guten Morgen, du Haldor ... ja, du fährst Waren“, musste er sagen. Und da er auf eine solche höfliche Anrede keine Antwort erhielt, musste er weiter fragen: „Ich wundere mich nur, welcher Art Produkte du dort in deiner grossen Kiste hast, du Haldor ...“

Nein. Der Hofbauer dreht sein Gesicht noch ein wenig mehr zur Seite. Aber keine irdische Macht vermag Ornulf aufzuhalten. „Ja, du Haldor — mit mir verhält es sich nämlich so, dass mein Weibervolk so mancherlei verwendet und nötig hat in der Küche ... Ich bin sicher, dass du dir davon gar keinen Begriff machen kannst ... Ja, und hier stehe ich also vor dir und bekenne, dass es sogar mir selber bald zuviel wird, so wie sie es treiben, seit die Dienstmagd zu uns gekommen ist. Oh, du — und ich kann des Nachts schon gar nicht mehr schlafen wegen dem überfüllten Magen. Und, du Haldor, wenn es sich in deiner grossen Kiste dort zufällig um Butter handeln sollte, so steht hier vor dir wahrlich ein Mann, der imstande und willens wäre, dir dafür einen guten Preis zu zahlen ... Und ich will nicht zu viel behaupten, aber ich offeriere dir blank zwanzig Kronen für das Kilo ...“

Aber nein. Diesem Hofbauern gegenüber ist alle Vornehmheit nutzlos. „Butter? Ja, gewiss ist es Butter.“ „Aber weisst du denn nicht, dass alles rationiert ist und abgeliefert werden muss?“ fragt Haldor wütend. „Ja — ha ... Und die gesegnete Obrigkeit ... Man wird dir nicht mehr als fünf Kronen geben, du Haldor ... Und das bleibt ein schreiendes Unrecht — so wie du darum schuftest und dich abrackerst ... Und wenn es doch Gott sei Dank Leute in der Welt gibt, die einen anständigen Preis zahlen wollen und können ... Warte!“

„Nein, sag ich! Nimm die Hand vom Pferd weg! Was kümmert es denn dich und den Satan, wie ich arbeite und schufte ... und ich verkaufe dir die Butter nicht ...“ —

„Fünfundzwanzig!“ ruft Ornulf. —

„Nichts — fahr zur Hölle, du Lauspelz!“ sagt der Hofbauer.

„Sagst du das?! — Jetzt verklage ich dich!“ ruft Ornulf. —

„Nur zu — klage du!“ ruft Haldor Enge und bleibt rein unmöglich.

Ornulf mag nun auf der Strasse stehenbleiben und vor Wut lachen. „Hahaha — Was seid denn ihr noch für eine Menschenrasse, dort oben in euerer Ödmark? Seid ihr überhaupt noch Christenwesen, möcht ich wissen ...“ Oh, für die Nyheimleute wurde es in diesen Tagen sehr verdriesslich am Strande von Solbö.

Haldor lieferte also seine Butter ab; er bekam knapp fünf Kronen dafür. Der Staat setzte zum Exempel Höchstpreise auf Butter — zum Teufel ... Aber warum, zum Teufel, setzte derselbe Staat dann nicht auch Höchstpreise für Tabak? Überhaupt, warum liess der Staat all dieses verdammte Getriebe mit den Spekulationspapieren zu und machte nicht hundert neue Gesetze und verbot es? So ungefähr fragt Haldor Enge sich selber und ist ein finsterer Mann, der nicht viel reden mag in der verkehrten Welt vom Solböstrande.

Hingegen die Worte, die Haldor Enge nicht zurückhalten konnte, sondern fallen liess, waren kräftige und unzweideutige Worte. Man verstand sie und verstand sie doch nicht richtig, man wunderte sich über so viel Unvernunft bei einem alten Manne. Aber es war in gewissem Sinne auch wieder lustig, solches zu vernehmen — die überwundene Anschauung aus längst entschwundener Zeit ...

„Er ist vollständig verrückt und wunderlich — haha!“ riefen die Leute und lachten. „Fortschritt, alter Mann!“ riefen sie munter. „Wir andern haben uns also aufgerafft — wir gehen mit der Zeit ...“ Worauf Haldor Enge noch ein starkes Wort fallen lassen musste. Dann fuhr er wieder das Tal hinauf. Er war unveränderlich und unverbesserlich, mit Flüchen und bösen Worten geladen und ohne tieferen Respekt gegen Obrigkeit und Weltordnung ...

Die Leute standen in Friesaks Kramladen und schauten ihm nach. „In seinen gottvergessenen Ödlandsgaard — da passt er gerade noch hin“, sagten sie zueinander. „Und dieser Mensch kann niemals zu schicklichen Menschen passen, so brutal und rückständig, wie er ist ... Habt ihr gesehen?“ fragten sie, „er trug wahrhaftig seine Fellmütze, jetzt zur Mittsommerzeit ... Haldor Enge im Frühlingstal! Er steht einzig da in seiner Art — Gott bewahre uns alle vor ihm!“

Ach, man hatte über Haldor Enge wahrlich genug zu reden und zu lachen, in jenen schönen Jahren, die so schnell dahinschwanden. Der ganze Strand belustigte sich. Haldor Enge war ja allerdings niemals der Mann, der sich auf der Nase herumtanzen liess; er wurde mit der Zeit immer mehr aufbrausend und böse. Wenn es zum Beispiel ein junger Bursche wagte und es gar zu weit trieb mit dem Gespötte, dann konnte es in Friesaks Kramladen leicht vorkommen, dass Haldor Enge sich blitzschnell umdrehte und einem jungen Burschen eine braune, harte und unheimlich grosse Faust unter die Nase hielt und mit den Augen funkelte und mit den Zähnen knirschte. Und es war da kein Bursche am ganzen Solböstrande, der gewagt hätte, es dann noch weiter zu treiben. Nein. Sie wurden alsbald klein und zahm, und es trat Stille ein in Friesaks Kramladen. In dieser Stille vernahm man Haldor Enge: „Sag nur noch ein einziges Wort ... Ich will dich zermalmen, Knabe!“

Und es war nicht länger spasshaft. „Man sollte ihn nicht mehr unter schickliche Menschen lassen!“ riefen die Leute, wenn Haldor Enge gegangen war. „Denn er wird schlimmer und schlimmer. Und er ist jetzt schon so brutal, dass es rein gefährlich ist ...“

Mein Gott, Haldor Enge war nicht beliebt am Strande von Solbö. „Erinnert ihr euch noch, wie er seine eigenen Kinder misshandelte und vom Hofe vertrieb?“ fragten die Leute. „Er ist ein Tier! Er ist schlimmer als ein Tier. Er ist kolossal ...!“

Seine eigenen Kinder — ach ja. Das ist es eben, worauf Haldor Enge wartet. Er wartet auf die Rückkehr von Margit und Dagfinn. Sie liefen ihm vom Hofe fort. Haldor war vielleicht gar zu streng und hitzig und gewiss ziemlich grob mit Worten. Nur eine kleine, lächerliche Begebenheit war die Ursache ... Als der Sohn Dagfinn an einem Montagmorgen in vollem Sonntagsstaat den grossen Acker bei der Strasse pflügte, wurde Haldor Enge rasend. Als die Tochter Margit am gleichen Montagmorgen in Seidenbluse und dünnen Florstrümpfen und mit hochstöckligen Lackschuhen zum Melken in den Stall ging, wurde Haldor Enge rasend. Haldor war so hackend und kochend wütend, dass er dem Sohne Dagfinn den hohen, steifen Kragen und den bunten Schlips vom Halse riss. Und er riss der Tochter Margit die feine Seidenbluse von den Schultern, drehte sie um und trat ihr die hohen Absätze von den Stöckelschuhen. Und zu der Handlung sagte er nach seiner Art viele kräftige Worte und verging sich schwer gegen die Majestät des Kindes — überhaupt gegen die Kultur. Das sollte ihm nicht vergessen und verziehen werden.

Dagfinn liess an jenem unglücklichen Morgen Pflug und Pferde auf dem Acker stehen, verwünschte laut seine Ahnen und lief davon. Margit liess den Melkkübel im Stich, weinte und lief ebenfalls davon. Noch am gleichen Tage fuhren beide mit dem Postdampfer in die Stadt und verschwanden in der Ferne.

So wurde es also der Welt offenbar, welch grässlicher Tyrann dieser Haldor Enge war und wie er gegen sein eigen Fleisch und Blut wütete. Die armen Kinder — sie hatten eine Nacht durchtanzt ... Und sollte es vielleicht ein Verbrechen sein, mit steifem Kragen und buntem Schlips einen Acker zu pflügen? Oder sollte es wohl ein Verbrechen sein, in Seidenbluse und Lackschuhen die Kühe zu melken? Der Himmel sei diesem Vater gnädig ...

Nun, der Vater hat es bald bereut; er büsste wahrlich schwer für sein hitziges Geblüte ... Wären die Kinder ihm nicht davongelaufen, dann hätte er niemals, niemals seinen schönen Engegaard unten am Strand jenem Windhund Mons Bauge, dem Totengräberbub und Grossgauner verkauft. Nein, das soll Gott wissen! Es war eine fürchterliche Strafe. Jenes gute Stück Erdreich herzugeben für Papiere! Heiliger Boden war es, über den alle Vorfahren, soweit es an diesem Solböstrande eine Geschichte gab und man zurückdenken konnte, hinweggegangen und ihren Schweiss und ihr Leben vertropften ... Viele Menschen waren über das Engeland hingegangen; Männer und Frauen hatten sich selber geopfert und in Demut ihre Zeit gedient — und alles das nur, damit Haldor, der späte Sprössling, den Boden hergeben sollte, an einen Menschen wie Mons Bauge, dessen Vater nichts war als ein Totengräber und Hungerbäuerlein, dessen Grossvater ein elender Häusler gewesen und von dessen weiteren Vorfahren man überhaupt nichts wusste ... Es war eine wahrhaft höllische Strafe. Doch es sollte noch nicht Strafe genug sein ...

Was weiss der Solböstrand und das Frühlingstal von den vielen bösen Nächten, die Haldor Enge zugemessen wurden? Die Leute sind überall sehr schnell in ihrem Urteil und leichtfertig mit ihrer Abneigung; aber sie wissen so wenig vom Hintergrund der Dinge. Wenn Haldors Bett eine Zunge hätte und erzählen könnte, würde man einiges erfahren. Man würde Unglaubliches vernehmen, von Seufzen und Stöhnen und friedlosem Hin- und Herwerfen. Denn dieser Hofbauer Haldor liebte trotz allem seine Kinder. Haldor Enges viele Vorfahren mussten alle ihre Kinder lieben, darum opferten sie sich selber und schafften den Kindern ein schönes Heim und vertropften das eigene Leben auf der Scholle ... Es liegt doch ein tieferer Sinn auch in diesem. Alle die vielen Vorfahren sind streng gewesen gegen ihre Kinder und erzogen sie mit Prügeln und Härte, denn solches war Sitte in ältester Zeit. Hat nicht Gottvater selber seinen treuen Knecht Hiob geschlagen und streng gezüchtigt, nur weil er ihn so sehr liebte?

Soweit es sich um Haldor Enge handelt, nahm er seine Strafe auf sich und büsste. Er selber fand vielleicht, dass Gott ihm da sehr viel auferlegte — Gott, der doch sein Herz kennen sollte ... Ja, da konnte Haldor Enge hin und wieder auffahren und hitzig werden. Und wenn die Leute am Strande ihn zu allem Übel noch foppten, konnte er wohl seine mächtige Faust ballen und knurren. Er nannte die Leute vom Solböstrande „Schofelisten“. „Oh, ihr verfluchten Schofelisten!“ knurrte er, und hasste sie aus aufrichtigem Herzen.

Dann zog er ins oberste Frühlingstal hinauf, vergass sich selber, seine Ahnen und den stolzen Engegaard und richtete seine Blicke auf das Heideland und auf den neuen Boden. Nicht für nichts nannte er das neue Land Nyheim. Er wollte seinen fernen Kindern eine neue Stätte schaffen. Er lehnte sich im Trotze auf gegen die unverständige Welt, die er kaum kannte ... Aber die Welt hastete ruhelos weiter — und nun schritt sie über ihn hinweg.

Haldor Enge war so sicher, dass die ferne Welt seine Kinder einmal wieder von sich stossen und ihm zurückgeben musste. Darum zog er die vielen Gräben im obersten Frühlingstal, baute eine gute Fahrstrasse bis vor sein Haus, vergrösserte Stall und Scheune, verschönerte das Wohnhaus. Er strich das Wohnhaus sogar in reiner Vermessenheit mit weisser Ölfarbe an und setzte ihm ein graues Schieferdach auf, das glatt lag und schimmerte und noch seine Kindeskinder überdauern sollte.

Des Abends sass Haldor Enge mit seinen beiden Knechten und den beiden Mägden in der Grossstube. Die Mägde spannen Wolle, genau wie in den fernen Tagen, ehe Mons Bauge seine Tuchfabrik an diesem Strande gründete. Die Männer schnitzelten Holzschuhe und kauten Tabak dazu und bespuckten den eisernen Ofen. Es roch in dieser Stube nach wirklichem Menschendasein, nach Landwirtschaft und Weltabgeschiedenheit.

Dieserart ging die Zeit auf Nyheimen. Ja, die Zeit ging — über den Solböstrand ging sie mit unerhörtem Glanze und übermenschlichem Reichtum, sie brachte Fortschritt und Entwicklung und verhiess eine Zukunft ohne Grenzen ... Doch völlig unvermutet rollte die goldene Woge wieder davon und verebbte. Zurück blieb ein sorgenvoller Zustand. Und ein Jammer sondergleichen erhob sich.

Mons Bauge, der das neue Leben und alle Schönheit brachte, verschwand. Alle strahlende Zukunft verschwand. Alle Reichtümer und alle Träume zerflossen in nichts ... Das neue Leben? Es war ein wundervolles Märchen — auf einmal war das Märchen zu Ende und die harte, hässliche Wirklichkeit begann abermals. Ein Mann wie Ornulf vom Hange verlor mit allen seinen Wertpapieren auch noch seine zehnfenstrige Villa und die Dienstmagd — es war in der Tat eine grausame Prüfung. Bald hatte dieser Mann Ornulf nicht einmal mehr billigste Margarine aufs Brot, sondern nur Tränen. Noch viel weniger hatte er Zucker in den Kaffee ... Er fiel unvermittelt aus allem Luxus der Gemeinde zur Last. Heute sitzt er mit seinem Weib im Altersheim von Akerud und der volle Magen bereitet ihm keine schlaflosen Nächte mehr.

Das Schicksal spinnt unermüdlich seine Fäden und hat verwunderliche Launen. Mit dem Volk von diesem Solböstrande sprang das Schicksal doch gar zu lustig um. Es gab ihm zuerst viel, machte die, die wenig hatten, wohlhabend und die Wohlhabenden reich — dann auf einmal nahm es ihnen alles wieder, auch das Wenige, was sie vordem besessen. Kein Mensch kann solche Ungerechtigkeit ruhigen Sinnes hinnehmen. Die Leute kamen viele Wochen lang nicht mehr aus Empörung und Zähneklappern heraus. Das Volk vom Solböstrande sollte aus unerforschlichen Gründen überaus hart gezüchtigt werden; es wurde mit unnötig viel Leid geschlagen.

Bald war man hier ebenso klein, wie man vor kurzem noch gross gewesen. Und alle waren jetzt um vieles ärmer. Der geringe Besitz war mit Schulden vertauscht — die Lasten drückten ungeheuer und machten die Leute demütig. Es fiel nun keinem mehr ein, über Haldor Enge, den ewigen Hofbauern, zu spotten, den Mann zu verachten, der sich eigensinnig an seinen Erdboden klammerte und weder gehoben noch gesenkt werden konnte von der gleissenden Woge. Seht, dieser Haldor Enge ging völlig unberührt durch die Zeit des Märchens und des Glanzes hindurch. Nun stand er auch vom Elend unversehrt da ...

Ei, gewiss, die Menschen vom Solböstrand und die Menschen vom Frühlingstal überlebten schliesslich die Ebbe irgendwie ... sie lebten einfach weiter. Dabei mussten sie sich allerdings wieder vieles abgewöhnen, was der Wohlstand ihnen geschenkt. Und sie gewöhnten es sich ab und wurden wieder anspruchslos und gottgefällig. Aber es bleibt doch ein grosses Unglück, zu fallen und arm zu werden.

Einige taten öffentlich Busse und bereuten ihre Sünden und klagten mit zitternder Stimme die Welt und das lasterhafte Leben an. Einige klagten nur Mons Bauge, den Grossgauner und die Zeitläufte an, ohne an die eigene Schuld zu denken ... Oh, es entstand grenzenlose Verwirrung an allen Ecken und Enden.

Haldor Enge aber blieb genau so, wie er immer gewesen — ein Mann mit breitem Kinn und dunkeln, funkelnden Augen. Er wurde durch Krieg und Friedensschluss weder besser noch schlimmer, weder reicher noch ärmer. Allerdings, man liebte ihn noch immer nicht am Solböstrande. Nein, weit entfernt. Man liebte ihn jetzt noch weniger als vordem. Solange die Millionen rollten und die Leute im Überflusse schwelgten, durften sie über den Einödbauern aus ehrlichem Herzen lächeln und konnten ihm das Seine gönnen. Jetzt aber gönnten sie ihm das Seine nicht länger, denn der Mangel schnitt ihnen schmerzhaft ins eigene Fleisch. Sie meinten wohl, ganz nach Menschenart, irgendwie sei hier ein Unrecht geschehen. Weshalb, in des Herrn Namen, sollte ein brutaler Mensch und ein Mann, der sogar seine eigenen Kinder vom Hof vertrieb, nicht ebenfalls Mangel leiden? Aber nein. Haldor Enge hat jetzt auf seinem Gaard mehr als zwanzig Milchkühe, drei Pferde und wohl ein halbes Hundert Schafe. Haldor Enge hat keine Schulden auf seinem Gaard. Wo bleibt hier die gepriesene Gerechtigkeit? Wenn doch so viele rechtschaffene Menschen vollends niedergeschlagen werden ...

In seiner Einfalt blieb Haldor Enge das, wozu er auf diese Welt kam — jetzt ist er Herr über ein gewaltiges Stück Wildmark, Herr über einen ganzen Berg ... „Was tat er eigentlich dafür?“ fragten die Leute unter sich und schüttelten missbilligend die Köpfe. Und dermassen gingen also die Jahre mit ihren Freuden und Leiden — es vergingen ihrer volle sechs ...

In Nyheimen kamen sie auf die tolle Idee, eine Mühle und Säge zu bauen. Eine Mühle? Ja. Da stürzte sich doch ein weisser, mutiger Wasserfall über die hohen Felsen und erfüllte die ganze Gegend mit Gepolter und Getöse. Das tat er seit ungezählten Jahrhunderten. Die Menschen beachteten ihn gar nicht, sondern liessen ihn nach seinem Gutdünken weiter fauchen und brausen. Und das ging nun so lange, bis Haldor Enge im Frühlingstal erschien; der konnte nicht, wie alle die andern, an dem starken, mutigen Wasserfall vorbeigehen und ihn ungestört tosen lassen, sondern musste sich sogleich seine Gedanken machen. Schon im Winter hatte er die Grundmauer angelegt. Aber es kam dann so vieles dazwischen, und immer wieder etwas Neues. Meistens rief das Land und brauchte alle Arme. Dann, als man endlich bauen wollte, waren nicht genug Balken da. Gar manches stellte sich diesem Werk entgegen. Aber nun soll es vollbracht werden. Überall liegen Haufen von Bohlen und Brettern herum. Es soll hier nicht nur eine elende Klappermühle, es soll eine neuzeitliche Säge erbaut werden. Wahrhaftig die blanke Zirkelscheibe mit den vielen Zähnen und andere Maschinenteile sind schon angekommen.

Was will Haldor Enge mit diesem ungeheueren Werk? Ach, er will wohl im Grunde gar nichts weiter, als seinen Willen durchsetzen und dem starken Bach Zügel anlegen. Er denkt an nichts Besonderes, weder an grosse Einkünfte noch ferne Möglichkeiten; er denkt höchstens so: In meinem Wald stehen heute wirklich gute Tannen und Lärchen und Föhren ... ei, gar nicht so wenige ... und ich habe sie nun manches Jahr gepflegt und geschont. Bald werden die jungen nachwachsen und ihren Raum fordern. Warum aber sollte ich mit den Stämmen den langen Weg ins Tal und mit dem geschnittenen Holz den noch längeren Weg bis nach Nyheimen herauf machen? ...

Mehr dachte Haldor Enge gewiss nicht. Er wollte nur unabhängig werden vom Tal. Er wollte auf sich selber gestellt sein. Da er aber die Mittel und die Macht dazu hatte, konnte er sein Werk vollbringen.

*

Haldor im Frühlingstal

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