Читать книгу Haldor im Frühlingstal - Karl Friedrich Kurz - Страница 7

Weisse Hennen

Оглавление

Hingegen durfte man kaum erwarten, dass der Besitzer von drei neuen Anzügen, einer dicken Golduhr und einer wundertätigen Perlennadel im Morgendämmer aufstehen und im kalten Moorboden herumstapfen soll. Deshalb ist dieser Mann nicht über die weiten Weltmeere bis hinauf ins Frühlingstal gefahren ...

Drei Tage lang hielt Dagfinn Enge sich auf dem Nyheimgaard still und führte ein zurückgezogenes Leben. Er half sogar beim Bau der Sägemühle mit. Ja, er durfte wirklich da und dort seine Meinung äussern, und zuweilen musste selbst der Hofbauer nicken und beipflichten: „Darin hast du wirklich recht.“

Aber nun war der Mühlenbau vollendet. Dagfinn bürstet sich den Staub von Rock und Schuhen und spaziert an den Strand hinab. Es ist immer noch das stille, warme Herrenswetter. Der Herbstwald duftet, die Wiesen fangen, erstaunt und verschämt, noch einmal zu blühen an. Die Vögel singen im Walde ihre vergessenen Frühlingslieder. Das ganze Tal träumt im Sonnenschein ... Dagfinn hat sich hinters Ohr eine Zigarette mit goldenem Mundstück gesteckt, wohl deshalb, weil in seinen Taschen gar kein Platz mehr vorhanden war. So marschiert er talwärts und bläst schwere Rauchwolken um sich her.

Am Solböstrande hatte sich in den Jahren, da Dagfinn Enge auf fernen Meeren schaukelte, einiges verändert. Gewiss. Aber nach dem unerwarteten Friedensschluss ereignete sich nichts mehr — seither liegt dieser Strand im Starrkrampf ... Erst in der letzten Zeit begannen die Leute sich allmählich von dem schweren Schlag zu erholen; zögernd richteten sie sich auf aus ihrer hoffnungslosen Demut. Sie schauten sich fast erstaunt um nach dem grossen Schreck und schenkten einander aufs neue Anteilnahme.

Wenn da ein Dagfinn Enge in all seiner strahlenden Herrlichkeit im Kramladen Friesaks erscheint, laufen die Leute zusammen und wollen gerne Neuigkeiten hören aus der Welt dort hinter den Bergen. Nun, da sollten sie an den rechten Mann kommen. „Wieder willkommen zu Hause, du Dagfinn! Was gibt es denn an Veränderungen draussen in den fremden Ländern?“ — „Schlechte Zeiten“, erwidert Dagfinn Enge. „Kein Handel, kein Verkehr ... In allen Häfen werden die Schiffe aufgelegt. Bald sind alle Meere öde und leer ...“ — „Also darum bist du nach Hause gekommen?“ — „Ich? Wer behauptet das? Ich? — ich war doch Bootsmann auf einem Zehntausendtonner, wenn ihr zufällig wisst, was das sagen will ...“ — „So — so!“ sagen sie und nicken ungläubig.

Dagfinn richtet sich in seinen neuen Kleidern gar prächtig vor ihnen auf. Sie betrachten ihn. Um sich sogleich noch mehr in Achtung zu setzen, wirft er eine Banknote auf den Ladentisch: „Komm mit einer Rolle Tabak, du Friesack!“ — „Mit einer ganzen Rolle?“ — „Mit der grössten Rolle, die du in deinem Geschäft hast ...“ So gewaltig wurde Dagfinn Enge. Er befasst sich nicht länger mit Kleinigkeiten. Sondern er setzt sich auf den Ladentisch und baumelt mit seinen Beinen, dass alle Welt die gelben Schuhe bewundern kann.

„Was ist das für Geld, du Dagfinn? Soviel ich davon verstehe, muss es ein ausländischer Schein sein“, sagt der Krämer Friesak. „Das dort — ei beim Hunde, das ist natürlich eine Zehndollarnote — da hab ich mich in der Hast vergriffen. In meinen Taschen steckt doch so vielerlei ausländisches Papier, dass ich mich bald selber nicht mehr darin auskenne. Gib ihn nur wieder her, du Friesak — hier sollst du gleich ein paar brave norwegische Kronen mit Löchern haben ... Und ich wundere mich bloss, wie viel Silber noch in diesen Kronen ist, sie sind so schwarz ...“

Grossartig. Der Zehndollarschein geht von Hand zu Hand. Wahrlich dieser Sohn Dagfinn kehrte nicht mit leeren Taschen aus der Ferne zurück.

„Seid so gut — greift zu!“ sagt Dagfinn, strahlend aufgelegt.

Die Tabakrolle wird aufgedreht; auch sie geht von Hand zu Hand. Ein jeder beisst ein gutes Stück davon ab. Oh, es wird schon mehr als grossartig ... Vor einigen kleinen Jahren noch, zur Zeit des Glanzes, wäre in diesem Kramladen kein Mensch vor einer fremdländischen Banknote und einer Tabakrolle in die Knie gesunken; erst später wurden die Leute wieder schlicht in ihren Seelen.

Es hebt alsbald ein grosses Kauen und Spucken an. „Ja, du Dagfinn — du Dagfinn!“ rufen sie und stöhnen vor Wohlbehagen. „Es heisst, in Amerika seien gute Zeiten“, sagt einer. Dagfinn wälzt sich auf dem Ladentisch. Es ist ihm herrlich wohl in der Flut der allgemeinen Aufmerksamkeit und Anerkennung. „Wer das sagt, sagt es nur pro forma! Die Zeiten sind in der ganzen Welt so elend, dass sie überhaupt nicht mehr elender sein könnten ...“ — „Aber du hast doch alle Taschen voll Geld, du Dagfinn ...“ — „Ho — sie sind nicht völlig leer, meine Taschen — nein.“ — „Das kann hier nicht mancher von sich behaupten!“ ruft einer. Hierauf schweigen sie in Zerknirschung.

Bald beginnt Dagfinn aufs neue: „Ich bemerke rundherum am Strande neue Gebäulichkeiten ... Haha — das war doch einmal Mons Bauges Merkurfabrik ...“ „Die ist total kaputt und fertig, mausetot“, lachen sie. „Ohne Maschinen und alles — ein Reich der Schatten und der Ratten.“ Zwar die Spinnerei AG. lebt noch und auch die Ziegelei lebt noch — aber wie ... Nein, das Leben ist nicht länger leicht an diesem Strande ...

„Dass ihr das alles so schnell aus der Hand fallen liesst“, tadelt Dagfinn Enge, indem er seinen Kopf hin und her wiegt, als wisse er selber manchen Rat und Weg, eine Besserung in den Verhältnissen herbeizuführen. Und jetzt holt er endlich die Zigarette vom Ohr und brennt sie an. Es ist wirklich ein hervorragender Anblick, wie Dagfinn so, mit allem Erdenklichen ausstaffiert, auf Friesaks Ladentisch liegt und von Zeit zu Zeit die dicke Golduhr mit dem Deckel funktionieren lässt.

Die Leute vom Solböstrande haben scharfe Augen; wenn sich etwas Neues unter ihnen zeigt, betrachten sie es genau. Sie entdeckten zur rechten Zeit auch die Perlennadel. Und dadurch kamen sie zu Geschichten mit Blut und Schauern im Rücken. An diesem Tage liefen die Menschen wahrlich nicht umsonst im Kramladen zusammen.

Freilich bleiben Menschen überall Menschen — wenn ein anderer im strahlendsten Glück steht, hält es stets schwer, ihm lauteren Herzens den Segen zu gönnen, insbesondere wenn man es selber nicht gut hat. Wenn aber ein Bursche wie Dagfinn mit Geld um sich wirft und fast platzt vor Überfluss, so hält es doppelt schwer. Es war in der Tat ungerecht von der Vorsehung, einem Lügenhals und Windhund sämtliche Taschen mit ausländischen Reichtümern anzufüllen, während hier am Strande mancher ehrliche Familienvater darben sollte. —

Aber sonst — welch ein gesegneter Schwatz! „Noch mehr Tabak, gutes Volk?“ fragt Dagfinn, der Spender. „Nur keine Umstände ... Hol noch eine Rolle her!“ kommandiert er. Kein Mensch wundert sich, dass Dagfinn Enge den mächtigen Krämer duzt und wie seinesgleichen behandelt. „Da kann man es wieder sehn, wohin es manchmal führt, wenn einer in seiner Jugend hinauszieht in die Fremde“, sagen sie und nicken beifällig.

Auf diese höchst angenehme Weise naht die Mittagszeit heran. Dagfinn verfällt auf eine neue Idee und lädt die ganze Gesellschaft zum Essen ein. „Auch du kannst für dieses eine Mal mithalten“, wendet er sich vermessen an Friesak. Aber nein, der Krämer will sich doch nicht so völlig wegwerfen und gemein machen mit allem Volk. „Nein, danke!“ sagt er. Und er sagt es kurz, bestimmt, abweisend.

„Wie du willst“, sagt darauf Dagfinn. „Hast du Kuchen?“ „Ich habe Biskuits.“ — „Und Brauselimonade hast du wohl auch? Komm mit fünf Flaschen ... Komm mit zehn Flaschen!“ — „Zehn Flaschen — jawohl!“ wiederholt Friesak begeistert. „Hast du Eier?“ — „Ganz frische Eier sind da — acht Ör das Stück.“ — „Das ist — der Hund pfeife mir — billig!“ ruft Dagfinn. „Leider, ich für meine eigene Person kann nur die Eier von weissen Hennen vertragen ...“

„Was erzählst du da?“ wundert sich der Krämer mit hoher Stimme. „Wie sollte ich nur die Eier von weissen Hennen herausfinden?“ „Ho — kannst du das vielleicht nicht?“ fragt Dagfinn Enge mit viel Erstaunen in der Stimme. „Nein — ob ich jemals im Leben dergleichen gehört habe ...“, sagt der Krämer. „Komm also her mit deiner ganzen Eierkiste — ich will sie dir schon auslesen helfen.“

Friesak stellt lachend die Kiste auf den Tisch: „Suche nur! He he — welch ein Humbug!“ lacht er. Dagfinn Enge aber nimmt es ernsthaft und sucht gewissenhaft — er sucht die grössten Eier heraus und verteilt sie, rundhändig, wie er ist, an die Gesellschaft. Oh, die Leute von Solbö freuen sich kolossal. Und diesmal lachen sie aufrichtig. „Ist es nun aber auch sicher, dass es nur die Eier von weissen Hennen sind?“ fragt Friesak wütend. „Das ist vollkommen sicher und gewiss“, entgegnet Dagfinn Enge. „Oder willst du nachträglich das Gegenteil behaupten — du, der sie doch gar nicht voneinander unterscheiden kann? ...“ Dagfinn hackt mit einem unerhört feinen Taschenmesser zwei Löcher in die Eierschale und lehrt das Volk vom Solböstrande, wie man in Amerika frische Eier austrinkt.

Hernach spaziert er hinaus zu Birger Vaarda, wo die Landungsbrücke gebaut wird. Birger Vaarda ist doch Dagfinn Enges Jugendfreund. Aber Birger — dieser Jüngling hat zur Stunde keinen andern Gedanken im Kopf als sein grosses Werk. Er wälzt mit Hilfe zweier Taglöhner schwere Steine den Hang hinab.

„Hallo, Birger — alter Knabe!“ ruft Dagfinn welt- und seemännisch schon von weitem. „Hol mich der Teufel — du allein machst in dieser Gegend Fortschritt und Weiterentwicklung. Ja, du bist der einzige am ganzen Strande, der noch eine Hand zu heben wagt ...“ Worauf Birger Vaarda das Hebeisen zur Erde und sich selber auf ein schmales Rasenflecklein zwischen den Felsen sinken lässt. Dagfinn setzt sich neben ihn. Und sie beginnen mit der Unterhaltung. Sie führen Gespräche, wie alte, gute Kameraden, während sie den Fortgang der Arbeit, mit Taucher und Luftblasen, munteren Blickes verfolgen.

„Wie breit und braun du geworden bist!“ staunt Birger Vaarda. „Mich hingegen hat die See auf einmal ganz kaputt gemacht. Und ich gehe jetzt herum und bin marode ...“ — „Sagst du das?“ Jawohl, die gefrässige See hat diesen Birger nicht nur durch ein paar Rippenbrüche gezeichnet, sie schlug ihm auch noch alle oberen Vorderzähne aus. Birger Vaarda öffnet den Mund, lässt die Sonne hinein scheinen und zeigt den erlittenen Schaden dem Jugendfreunde. Eine ganz verteufelte Lücke, mit je einem spitzen Eckzahn auf den Seiten.

„Das hat nichts auf sich“, bemerkt Dagfinn Enge. „Draussen in der Welt hab ich noch ganz andere Sachen gesehn.“ — „Ja, ja — das hast du sicherlich“, nickt Birger und schliesst seinen defekten Mund wieder. — „Und Zähne kannst du dir doch jederzeit einsetzen lassen, soviele du nur willst und Lust hast.“ — „Ja, das könnte ich wohl ...“ — „Und du kannst dir sogar goldene Zähne einsetzen lassen ...“ — „Kann ich das?“ — „Ja, das darfst du mir schon glauben ... Und wenn die Landungsbrücke hier fertig ist, dann musst du selbstverständlich sogleich einen Kramladen starten ... Oder soll denn der gefrässige Haifisch Friesak von Solbö euch alle verschlingen und das gesamte Geld des Strandes in seine Tasche scharren ...? Später musst du noch ein Postkontor bekommen. Und ich soll dich grüssen von Margit ...“

Birger Vaarda wird hiermit glatt überrannt und überwältigt und derart verwirrt in seinem Kopfe, dass er alles untereinandermengt. „Margit — wie?“ murmelt er, wird gefährlich dunkel im Gesicht und beginnt das arme Gras um sich her auszurupfen. „Wie hat sie es denn? Wo lebt sie? — Und denk nur, ich habe doch früher oft mit ihr getanzt ... in der letzten Nacht noch, ehe ihr davonzogt ... O du! Und heute bin ich also derart marode ... Wie aber soll ich ein Postkontor bekommen? Und meinst du es wirklich ernst mit dem Kramladen? — Gott sei mir gnädig! Ich selber wäre doch niemals darauf verfallen ... Ja, wenn du es nun so sagst und ich es recht bedenke ... Aber Zähne! Salze mich — nein! — Neue Zähne ... Nein, du, das geht allerdings nicht ...“ — „Geht es vielleicht nicht?“ — „Verdammt nein! — Die sind wohl so höllisch teuer ... Und ich muss doch jetzt mein ganzes Geld für diese Landungsbrücke hergeben ... Kommt Margit nie wieder heim? — Ach nein, du — das tut sie gewiss nicht ... Sie hat schon längst einen reichen Liebhaber gefunden ...“ Oh, es ist eine heillose Verwirrung in Birgers Kopf entstanden. Er muss jetzt auf die Beine springen und eine Zeitlang rund im Kreise laufen, derart plagen ihn die vielen neuen Gedanken.

Doch wäre auch in dieser Angelegenheit Dagfinn Enge der rechte Mann und wie dazu geschaffen, alles wieder ins sichere Gleise zu bringen. — Fortschritt? Und Möglichkeiten? ... Birger Vaarda muss einen Kramladen beginnen — das steht fest! Warum sollte dieses denn unmöglich sein? „Das wäre noch schöner!“ ruft Dagfinn, ernstlich empört. „Und wenn du Geld brauchst, dann komm nur zu mir!“ — „Ja — aber was denn?“ stottert Birger, setzt sich wieder zwischen die Felsen und fährt fort, das Gras auszurupfen.

Da wird aber Dagfinn Enge von seiner eigenen Grösse hingerissen. „Sieh einmal her, mein Lieber! Hier, diese Uhr zum Exempel — was glaubst du — die wird wohl schon ihren Wert haben. Wieviele von eueren elenden Lochkronen müsstet ihr dafür geben? ... Hahaha! Euer Geld — ihr könnt es ja auf Schnüre ziehen und um den Hals tragen ... Auch die Chinesen haben Geld mit Löchern drin ... Und wenn ich gründlich nachschaue in meinen Taschen, werde ich schon noch ein paar ausländische Scheine für deine Zukunft finden ... Fang du also nur ruhig an mit deinem Handel ...“ — „Soll ich anfangen? — Ich weiss wirklich nicht ...“ — „In des Herrn Namen, mein lieber Kamerad! — Und fühl nur einmal den Deckel ... wie dick er ist, und ganz massiv von Gold ... kenne das Gewicht in deiner Hand! — In Amerika nennt man sie Watsch ...“

„Watsch?“ Birger Vaardas Augen glänzen feucht — Kinderaugen, die ein unbegreifliches Wunder schauen. Wie ungeheuer wuchs doch der Jugendfreund empor. — „Über dem Gangwerk ist eine zweite Glasscheibe ... sie geht auch noch unter dem Wasser ...“ Dagfinn öffnet seine märchenhafte Uhr mit seinem märchenhaften Messer. Und da findet man also wirklich ein Glas. Alles funkelt in der Sonne des Nordens und strahlt Herrlichkeit und Reichtum aus.

„Du hast es gut getroffen, du Dagfinn“, sagt Birger anerkennend. — „Ho — warte nur, bis ich erst meine Kisten und Koffer öffne! ... Und das mit dem Postkontor ist doch die einfachste Sache von der Welt. Zuerst muss man eine Liste machen ...“ — „Nein, du — jetzt versprichst du aber zuviel!“ — „Überlass das mir ... Soll man vielleicht in einem anständigen Kulturland zwei Stunden weit laufen, wenn man einen gewöhnlichen Brief in den Kasten werfen will? Ja, das dürfte nur fehlen ... Überlass es getrost mir, sag ich! — Du solltest nur wissen, wie es in dieser Beziehung dort unten in der Welt steht. Ja, dort unten haben sie einen Briefeinwurf an jedem Haus. Und manche sind rot gemalt, und einige sind sogar vergoldet ...“ — „Unmöglich! — Wieso denn vergoldet?“ — „Du musst doch begreifen, Mensch, dass es in jenen Ländern viel mehr Gold und viel weniger Steine gibt als hier oben bei uns. Und wenn sie vor Überfluss gar nichts mehr anzufangen wissen, dann streichen sie das Gold überall herum ... Ja, ich kann dir sagen — hier bei uns ist noch alles so klein und jammervoll, dass es mich in meiner Seele ganz elend macht. Ich weiss wahrlich noch nicht, ob ich diesen Anblick lange aushalten und ertragen kann ... Ja, vielleicht bleibe ich nur, bis mein Schiff, der Zehntausendtonner, in Hamburg gelöscht und geladen hat — denn es ist doch gar zu erbärmlich, nachdem man all das Grossartige in der Welt draussen erlebt hat, mein Lieber.“

„Du darfst nicht wieder fortreisen!“ ruft Birger schnell und verzweifelt. „Warte nur — mit der Zeit wird es dir bei uns auch wieder besser gefallen.“ — „Das kommt wahrlich sehr darauf an“, seufzte Dagfinn, den Blick in die Ferne gerichtet. Aber bald setzt er wohlwollend hinzu: „Nun, fürs erste bin ich ja noch da — was morgen geschehen wird, weiss niemand. Vieles ist möglich ...“

Birger Vaarda vergass über dem allen seine Landungsbrücke. Nun erhebt er sich. „Komm mit mir hinauf. Ich bin sicher, dass die Mutter schon einen starken Kaffee für uns gekocht hat. Verschmähe es nicht! Es ist ja, bei Gott, nichts, einem Mann, wie dir, das anzubieten. Aber du wirst dich noch erinnern, wie das Leben an diesem Strande geführt werden muss.“ — „Mach dir nur keine Kosten“, entgegnet Dagfinn Enge, immer noch leutselig. „Nein, das ist nicht notwendig, du; denn ich komme ja eben vom Mittagessen.“ — „Wie magst du so etwas sagen, Dagfinn!“

Mutter Inga hatte den feinen Gast schon längst bemerkt. Als Birger die Tür öffnete, strömte auch schon der Kaffeeduft heraus.

„Hast du Papier und Tinte im Haus?“ fragt Dagfinn Enge. „Dann will ich gleich eine Liste schreiben.“ — „Ist es Margits Absicht, ihr ganzes Leben im Süden zu bleiben?“ fragt Birger. „O ja — das will sie sicher, und sie hat uns andern hier oben wohl längst vergessen. Auch Margit wird jetzt an grössere Verhältnisse gewöhnt sein.“ — „Margit? Nein, ich weiss nicht ... Aber wenn du schon davon sprichst, könnte ich ihr ja gelegentlich schreiben. Bring mir noch ein Blatt Papier, sogleich schreibe ich ihr.“

Dagfinn setzt sich hin und schreibt an seine Schwester Margit mit flotten Zügen und vielen Grüssen von Birger Vaarda. Und Nyheimen sei ein grosser Gaard, ungeheuer viel Wildmark gehöre dazu, der ganze Taakefjell. „Was aber den Vater anbetrifft, so kann ich dir nur so viel melden, dass er immer noch der alte und der gleiche ist. Er hat sich nach dir erkundigt; und wenn ich es richtig verstehe, möchte er dich gerne wieder im Hause haben ...“ Dieser Dagfinn Enge war doch von jeher der reine Teufelskerl, wenn es sich darum handelte, mit Worten umzuspringen oder einen Brief aufzusetzen. Nicht für nichts hat er in seiner Jugend die vielen Bücher gelesen.

„Und jetzt musst du selber noch einen persönlichen Gruss dazu setzen“, wendet er sich an Birger Vaarda. „Nein du — soll ich das wirklich?“ fragt Birger überrascht und froh und verzagt zugleich. Schon wieder bekommt er dunkle Wangen. „Am Ende wird sie es übel auffassen — was meinst du? Ja, wenn ich nur wüsste ...“ — „Was bist du doch für ein Feigling geworden!“ scherzt Dagfinn gutmütig. „Früher warst du ein so kecker Bursche — hast jede rechtschaffene Schlägerei mitgemacht.“ — „Ja, früher“, seufzt Birger. „Aber jetzt, wo ich so marode bin ...“

Schliesslich setzt er doch noch seinen persönlichen Gruss hin. Dann trinken sie Kaffee. Und es muss endlich von der Perlennadel gesprochen werden. Denn Birger Vaarda, in seiner Befangenheit und mit seinen vielen neuen Gedanken und Entschlüssen, hätte aus eigenem Antriebe diese Nadel niemals bemerkt, wenn Dagfinn ihn nicht mit der Nase darauf gestossen hätte.

Doch schliesslich gelang es. Da trieb nun Dagfinn Enge sein Wesen und Unwesen auch in dieser Stube. Hierauf nahm er in der besten Stimmung Abschied und ging davon. Birger liess Brücke und Taucher im Stich und folgte ihm ein Stück weit auf dem Wege, und als er endlich umkehren musste, streckte er dem Freunde Dagfinn die Hand hin und bekam vor Rührung eine schwingende Stimme. „Also — und das mit dem Handel ist fest abgemacht“, erklärte Dagfinn — „Ja, ja. Ich will es mir überlegen.“ — „Wieso? Morgen schon schreibe ich in deinem Namen in die Stadt an die Grossisten! — Du wirst schon selber sehen, dass es ausgezeichnet geht.“ — „Ja, ja.“ — „Auf mich kannst du in jeder Hinsicht zählen“, ruft Dagfinn Enge noch zurück, nachdem er schon zwanzig Schritte gemacht hat. „Ja — tausend Dank ...“

Dagfinn hat einen guten Tag gehabt. Er spaziert jetzt wieder ins Frühlingstal hinauf. Und als er hoch genug hinauf kommt, hört er dumpfe Minenschläge. Und als er noch höher hinauf kommt, steht der Hofbauer Haldor mit seinen beiden Knechten bis an die Knie im Moor. Helle Steinbrocken liegen überall herum; das Erdreich ist an verschiedenen Stellen schon tief aufgerissen und durchwühlt. Der Sohn Dagfinn betrachtet sich das alles, schüttelt seinen Kopf und fragt seine Seele: „Ist das denn im allgemeinen überhaupt noch ein würdiger Lebenszustand?“

*

Haldor im Frühlingstal

Подняться наверх