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Ein Frühherbstabend

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Es ist ein Abend im Frühherbst ... ein stiller Abend mit unbegreiflich viel Frieden und einer silbernen Klarheit in der Luft ... Da hat man einen weiten Blick durchs Frühlingstal hinunter. Wenn einer die Strasse heraufkommt, sieht man ihn von weitem; und wenn es ein Fremder sein sollte, ein Mann mit braunem, hohem Hut und dunklem, langem Mantel, dann vergisst man möglicherweise die Arbeit und dreht den Kopf hinüber. Denn man ist in diesem Tal doch, wie überall in der Einsamkeit, so von Herzen neugierig.

„Bessere mich!“ wispert der Knecht Tollak und pufft den Knecht Sigurd in die Seite, „was soll das nun bedeuten ...?“

Auch der Hofbauer Haldor Enge hat sich aufgerichtet. Auf einmal fährt es ihm wie ein heisser Strahl in den Rücken. Seine Augen sind immer noch scharf und sicher; daran fehlt es wahrlich nicht. Aber er muss jetzt seine Hand über die Augen legen. Und so steht er ein Weilchen und sein breites Kinn beginnt zu arbeiten und zu beben.

Doch mit einem scharfen Rucke wendet der Hofbauer sich wieder seinem Bauwerk zu und hämmert wild drauf los. In diesem Falle dürfen die Knechte nicht länger müssig herumstehen. Nein, nein — aber die Knechte, von welcher Menschenrasse sie auch immer herstammen mögen, sind auch nur fleischliche Wesen. Es schoss doch auch ihnen heiss und kribbelig in den Rücken, denn sie verstehen ja alle beide, dass hier sogleich etwas vor sich gehen wird ... Drei Männer arbeiten; aber sie arbeiten nur mit fahrigen Händen. Bis der Knecht Tollak es unbedingt nicht länger aushalten kann, sondern rufen muss: „Peitsche mich — aber er ist es!“ Und damit nicht genug, wendet der Knecht Sigurd sich zurück und ruft seinem Hofbauer zu: „Haldor Enge — dort kommt der Sohn Dagfinn zurück ...“

Leider hat Haldor Enge zu dieser Stunde es mit einem Firstbalken zu tun, der sowohl verhext wie verzaubert sein muss, der will sich weder mit Güte noch mit Strenge fügen und einpassen lassen. Es handelt sich hier vielmehr um ein ganz und gar verfluchtes Holz, das nur emporgewachsen ist, die armen Menschen zu verdriessen und ihnen unnütze Arbeit zu bereiten, so dass sie nicht Auge und Ohr haben können für anderes. Und es geht wahrlich einzig und allein auf diese Weise, dass der Hofbauer der Strasse und jeder fremden Erscheinung auf der Strasse, ja, der gesamten Welt seinen breiten Rücken zukehren muss. Wie hätte er da bemerken können, dass ein junger Herr auf den Nyheimgaard ging? Wie hätte er es sehen können, dass die Mägde die Hände über den Köpfen zusammenschlugen? Nichts — nichts ... Haldor Enge knurrt wütend: „Beim Hunde — hast du je so etwas erlebt? Dreimal habe ich schon davon abgesägt ... und jetzt ist er also zu kurz ...“

Nein, mit diesem verzauberten Firstbalken ist durchaus nichts anzufangen ... Aber welch ein sonderbarer Abend. — Dem erzürnten Hofbauern streckte sich von hinten her eine Hand hin, so dass er verwundert aufschauen muss. Weiss er vielleicht, worum es sich hier handelt? Nein. Wie hätte er denn beim Tosen des Baches nahende Menschentritte hören sollen, an diesem Ort, wo das Moos fussdick über allen Steinen liegt?

„Guten Abend, Vater“, sagt jemand. „Gott segne dir deine Arbeit!“ sagt jemand. — „Guten Abend ...“ Aber dieser Hofbauer kämpft doch mit einem verhexten Firstbalken und steht in andern Gedanken. Und der Bergbach brüllt noch lauter als sonst. Der Hofbauer ruft: „Ja — siehst du — er sollte eigentlich sechs Ellen und fünf Zoll haben ... Pein und Tod! ... Aber jetzt hat er also ganze zwei Zoll zu wenig ...“

So redet an diesem klaren Herbstabend der Vater Haldor Enge, und fährt fort in seiner Arbeit ... „Du glaubst es wohl nicht ... aber dieses Holz hat wahrlich den Teufel im Leib ... Ja, ja, wie du wohl selber bemerken kannst, soll hier eine Säge und Mühle hingestellt werden ...“

Und wenn nun das mit dem zu kurzen Balken nicht passiert wäre, hätte an diesem Abend, bei diesem Herrenswetter der Dachstuhl noch aufgerichtet werden können ... Oh, dieser Haldor Enge, der unbesiegliche Hofbauer! Nur einen hastigen Blick aus den äussersten Augenwinkeln warf er auf seinen Sohn Dagfinn. Er nahm sich nicht einmal soviel Zeit, den Kopf ganz nach rückwärts zu drehen. Nein, er steht nur so da und kratzt sich unter dem Mützenrand und verwünscht mit bösen Worten die zwei Zoll, die am Balken fehlen.

Neben dem Hofbauern steht Dagfinn, braungebrannt von südlichen Sonnen, breit in den Schultern und mit einem überlegenen Lächeln. „Nimm es nur mit Geistesgegenwart und Seelengrösse!“ ruft Dagfinn. „Morgen, Vater, wirst du noch immer dein Herrenswetter haben — sonst will ich nicht länger Seemann sein und mich auf die Aspekte am Himmel verstehen ...“

Ja, dieser Haldor Enge! Sechs Jahre lang hat er auf den grossen Augenblick gewartet und ihn herbeigesehnt in tausend bösen Nächten. Aber er weiss ja wohl, dass sein Bett keine Zunge hat; darum darf er jetzt seinen Rücken ein wenig strecken und seinen Kopf ein wenig heben. „Bist du Seemann geworden?“ — „Das will ich meinen!“ ruft Dagfinn.

Darauf schweigt Haldor Enge und überlegt sich etwas und lässt sich gut Zeit dazu. Dann fragt er und schaut seinem Sohn auf einmal mitten ins Gesicht: „Wo kommst du her?“ Aber der Sohn Dagfinn ist nicht einer, der die Augen niederschlägt vor einer schnellen Frage. Ho, dieser Sohn musste durch die Schule des Lebens gehen. Da wuchs er in seiner Weise und wurde reifer. Seine Augen lächeln noch immer. Ja, und jetzt eben komme er aus einem Lande, das Argentinien heisst.

„Und warum bist du zurückgekehrt?“ fragt der Hofbauer.

„Warum ich zu euch hinauffuhr, fragst du? — Ja, siehst du, Vater, ein reiner Zufall ... Wir lagen vor zwei Wochen in Hamburg ... ja, und da hörte ich Möwen schreien ... Du kannst es wohl gar nicht verstehen, aber die Möwen schrien anders, als die Möwen auf anderen Meeren ... Und es wehte ein frischer Nordwind. Und es fuhr ein kleiner Blechkasten von einem Dampfer an uns vorbei, er kam von Haugesund mit Klippfisch ... Er roch so stark nach der Heimat ...“

„Wo hast du deine Schwester?“ fragt der Hofbauer. — „Margit? — Sie dient doch dort unten ... in einer Stadt im Süden ... Ich habe ihre Adresse im Koffer. — Doch, wenn es der Fall sein sollte, dass es dir nicht passt, Vater ... dann kann ich auch ebensogut gleich wieder davonfahren ... Heute nacht geht das Postschiff ...“

Ungefähr in dieser Weise ging das Wiedersehen vor sich. Es ging doch ziemlich anders, als Haldor Enge es sich gedacht. Keine Spur von Reue und verlorenem Sohn, nichts von Säuehüten und Lammfell um die Hüften, keine salzigen Tropfen in den Augen — rein gar nichts von Zerknirschung. Oh, nein. Es wurde vielmehr eine ganz unbiblische und alltägliche Begebenheit, ein kleines Gespräch vor einem Mühlenbau am Bach im obersten Frühlingstal ... Ein junger Seemann kehrte ins Vaterhaus zurück; und er tat dies grösstenteils zu seinem eigenen Vergnügen — keine Notwendigkeit trieb ihn hierher, nicht einmal eine überwältigende Sehnsucht. Es ist wohl nur eine flüchtige Laune ... Und, guter Vater Haldor, nur ein kleines Wort, nur ein leiser Wink — dann marschiert dein Sohn wieder die Strasse hinunter und fährt davon. Die Welt ist wahrlich immer noch gross genug und das Meer ist noch so strahlend blau von Abenteuern ... „Du kannst bleiben“, sagt der Hofbauer schnell.

Aber dann musste der Firstbalken doch noch gelegt werden ... Und das war nun trotzdem ein wenig wunderlich. Ein junger Seemann stand ein paar Schritte abseits, betrachtete den Wasserfall sehr genau und den braunen Felsenberg über dem Wasserfall und den reinen Herbsthimmel über dem Berg. Er lächelt nicht mehr in Überlegenheit und im Selbstvertrauen der Jugend. Wahrscheinlich hatte auch er sich diese Sache ziemlich anders vorgestellt. Sollte es denn wirklich so wenig bedeuten, wenn ein Sohn aus dem fernen Lande Argentinien bis in dieses oberste, einsamste Frühlingstal, von dem niemand in der Welt eine Ahnung hat, hinaufreist? Soll der junge Seemann hinfort im weichen Moosteppich stehen, das nordische Wasser brausen hören und Zeuge sein, wie ein zu kurzer Firstbalken auf eine kleine Sägemühle gelegt wird?

Und jener alte, eigenwillige Mann, Haldor Enge, der unermüdliche Landmann ... er verlor an einem Tage seine beiden Kinder und seinen schönen alten Hof und verliess die Stätte, die ihm vom Schicksal bestimmt war. Er wanderte allein für sich im Schatten der Felsenberge, als der Strand im Sonnentaumel und Goldrausch flimmerte; kein Hohn, kein Glanz brachte ihn von seinem Wege ab ... In unmenschlichem Trotz krümmte er seinen Rücken und schuf neues, grünes Land aus der Heide ...

Ein junger brauner Seemann hat gewiss schon mancherlei gesehen in der Welt; doch es wird ihm rein unbehaglich, wie der alte Hofbauer dort oben zwischen den Sparren seine Axt schwingt ... Und wenn man es richtig betrachtet, wird Dagfinn Enges Heimkehr schliesslich trotzdem noch zu einer kleinen Begebenheit ...

Mancherlei geschah ja schon vordem. Aber die seltsamen Ereignisse auf Nyheimen nahmen doch erst ihren Anfang, als der Sohn Haldor Enges aus der weiten Welt wieder am Strand von Solbö erschien.

*

Haldor im Frühlingstal

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