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Haldor Enge raucht die Meerschaumpfeife

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In Wirklichkeit fing es auch noch damit an, dass Margit, die Tochter Haldor Enges, wieder im Frühlingstal erschien. Auch Margit erschien mit einer Kiste und mit einem Köfferchen — ach, es war mehr nur ein armes Bastkörblein; jedoch die Tochter Margit stand nicht frierend und hungrig vor der Tür auf Nyheimen. Sie kam mit einer gewissen Selbstverständlichkeit aus der Ferne zurück. Somit gestaltete sich auch dieser Einzug nicht zu einem überwältigenden Ereignis. Aber der Hofbauer wurde dennoch davon überrumpelt ...

Es ist wiederum ein Abend, ein früher Oktoberabend. Haldor Enge schreitet über den Hof von der Scheune zur Schmiede hinüber, russig an Gesicht und Händen. Heute wurde der kleine Hebekrahn, der im Neuland in den Gräben verwendet wird, schadhaft — die Zeit fährt ja unaufhaltsam über die Dinge und die Menschen hin und darf niemals stille stehen ... Sie bringt dem Hofbauern stets Arbeit und bewahrt ihn vor üppiger Sorglosigkeit.

Da tritt ihm eine fremde Dame entgegen; eine Erscheinung in rotem Mantel, mit Pelzkragen und weichem Flauschhut — eine junge Dame in feinen Lackschuhen. „Vater!“ — Welch seltsame Stimme! Auf einmal wirft sich jemand an des Hofbauern Hals. Ei, diese Dame benimmt sich doch über alle Massen stürmisch mit Küssen und Seufzern und Tränen und unverständlichen Ausrufen. Der russige Hofbauer muss bei diesem Überfall in völlige Unordnung geraten. Er beginnt, teils aus Befangenheit und heimlicher Freude, teils aus alter Gewohnheit, zu fluchen: „Was — zum Satan? Was denn ...?“ — „Oh, lieber Vater!“ — „Vorsicht! Beim Hunde — du beschmierst dir ja Gesicht und Kleider. Siehst du denn nicht mit deinen eigenen zwei Augen, Mädchen, dass ich da einen rostigen Beschlag in der Hand halte?“ — „Vater — du bist so alt und weiss geworden ...“ — „So — so — so! Hör endlich auf! Ja, hörst du — nun muss es genug sein!“ Es ist doch schön, es ist geradezu feierlich, wie die Tochter ihrem Vater entgegenjubelt.

Nach diesem Empfang wurde gleich wieder alles gut. Ja, es wurde derart gut, dass der Hofbauer den rostigen Beschlag mitten auf den Tun warf, Margit an der Hand ins Haus führte und sich selber, obschon es mitten in der Woche war, in der Küche gründlich Gesicht und Hände wusch. Dieser verwunderliche Haldor Enge war ja gar nicht frei von Scheu und einer Art Ehrfurcht, als er so unvermutet seiner Tochter gegenübersass. „Sieh, da hast du dir also deinen schönen, neuen Mantel mit Russ verdorben ...“ — „Ach, der Mantel!“ ruft Margit. „Das hat nichts zu bedeuten, Vater ... Ja, es ist schön auf Nyheim ...“ — „So — na ja, wir haben einiges verändert. Es wird allmählich etwas — und manches könnte wohl schlimmer sein, als es ist.“ Ei, und es ist wahrhaftig keine geringe Sache vom Nyheimgaard zu sprechen. Und Margit? Sie strömt unglaubliche Wohlgerüche aus ...

„Wir wollen versuchen, die Flecken mit Terpentin auszuwaschen ...“ — „Denk doch nicht länger an die Flecken, Vater!“ Der Hofbauer wird von seinen Empfindungen hin und her geschaukelt; aber am stärksten bleibt doch die warme Freude. „Wie ich höre, hast du die Sprache verändert“, sagt er leise. — „Nein? Habe ich wirklich?“ fragt Margit mit hellem Lachen. — „Es ist so lange her ... Und sie reden wohl ein wenig anders, dort unten im Süden ...“

„Denke nicht daran!“ ruft Margit. Aber leider sind es dennoch mehr als fünf Jahre her. Haldor Enge denkt und denkt. Er grübelt in tiefem Weh und begreift es gar nicht, wie er sich nur so sehr vergessen konnte, wie er an einem Montagmorgen seine Hand legen konnte an dieses zierliche Geschöpf ... Margit — Margit! ...

Trägt Margit denn nicht auch heute Lackschuhe an ihren schmalen Damenfüssen? Ja, in Gottes Namen ... Und schaut aus dem offenen Mantel denn nicht wieder eine dünne Seidenbluse hervor? Oder erfüllt ihr Wohlgeruch nicht schon das ganze Haus? Oh, guter Herrgott! Aber Margit bleibt dennoch Haldor Enges einzige Tochter ...

Und wenn Haldor zum Überflüsse auch noch daran denkt, wie diese Tochter einstens in der Wiege lag und mit ihren blossen Beinchen strampelte. — Und wie sie sich einstens mit ihren kleinen warmen, feuchten Händchen an seine grossen Finger klammerte. — Und wie er sie einmal auf den breiten Rücken des Pferdes Topa setzte — und wie sie sich nicht die Spur fürchtete, sondern hell jauchzte ...

Alle diese kleinen Erinnerungen fliegen dem Hofbauern da auf einmal zu und klammern sich wie eine kalte Faust um sein Herz ... „Ja — ja!“ stöhnt der Hofbauer heute beschämt. „Ja, wie du wohl selber siehst, habe ich aus Vergesslichkeit die Pfeife angezündet. Ich muss in andern Gedanken gewesen sein. Ich meinte wohl, es müsse Sonntag sein, weil ich mir in der Küche Gesicht und Hände wusch ... ja, siehst du — und jetzt beisst mich also der Rauch in den Augen ... Bist du immer gesund gewesen, alle diese vielen Jahre? Du bist schmaler, will mir scheinen, als früher ...“ — „Lieber Vater ...“ stammelt Margit mit dicker Zunge, und die Tränenkugeln quellen ihr mit einem Schlage mächtig unter den Lidern hervor und tropfen in den Pelzkragen. „Lieber, guter Vater ...“

Der Hofbauer saugt mit einer Kraft an der Meerschaumpfeife, dass es im Rohr kocht und brodelt; gewaltige Rauchwolken bläst er um sich herum. „Schon gut, schon gut“, murmelt er. „Aber — was meinst du — kannst du jetzt wohl bei mir aushalten, auf meine alten Tage?“ — „Wenn du mich nur wieder haben willst — ja, ja! Oh, es war doch oft recht schlimm in der Fremde —.“

Der Bauer muss noch mächtiger rauchen. Kein Wunder, dass ihm dabei seine beiden Augen überlaufen. Der Bauer schämt sich gewaltig über seine Schwäche und Feuchtigkeit und wird wütend ... Wegen einer bunten Seidenbluse und ein paar lächerlichen Lackschuhen hat er sich einst selber um die Freude vieler Jahre gebracht. Um der Gerechtigkeit willen — liegt denn so gar viel an diesen kleinen Dingen? Und warum war er damals so hitzig und brutal? Ja, der Hofbauer schämt sich und tut Busse in seiner Art. Sicherlich ist er jetzt niedergeschlagen. Aber es ist doch auch wieder leicht und froh in seinem Herzen, so froh, wie seit langer, langer Zeit nicht mehr.

Zuerst kam nun Dagfinn, der Sohn, wieder heim. Ja, aber Margit, das ist doch etwas ganz anderes — Margit ... wie oft weinte sie an des Vaters Brust, als ihre Mutter tot und begraben und vergessen war und als das kleine Mädchen allein war und nur immer dem Vater nachtrottelte auf seinen kurzen Beinchen.

Herrgott, was ist denn nur mit dieser Tabakspfeife los? Geriet denn auch die Pfeife in Aufregung? Der Meerschaumkopf wird schon glühend heiss ... „Nein, du — ich glaub, dass ich das Rauchen nicht länger ertrag ... Hattest du es denn so schlecht in der Fremde, Mädchen?“ — „Nicht immer, nein ... Doch manchmal waren die Frauen streng. Und viele waren so grenzenlos hochmütig — das war das schwerste ...“ — „Aber warum bist du dann nicht früher zurückgekommen?“ — „Ich wagte es nicht. Und ich konnte ja nicht wissen, ob du mich noch haben wolltest.“ — „Endlich fandest du doch den Weg ...“ — „Dagfinn schrieb mir — wusstest du das denn nicht?“ — „Dagfinn? — So, er hat dir geschrieben? Jaso ...“ Haldor schweigt.

Margit ist immer noch so erregt und stürmisch, dass sie plötzlich aufspringt und sich auf des Hofbauern Knie setzt und sich so unglaubhaft klein und schmal macht ... ja sie kann sich an seiner breiten Brust noch völlig verkriechen, wie ehemals. Sie hört sein Herz in der Brust schlagen und klopfen, dieses Herz, das voll unendlicher Treue ist. Margits Schultern zucken und flattern. „Vergib — vergib!“ wimmert sie und schluchzt wie ein kleines Mädchen. „Schick mich nicht wieder fort ...“ — „Was für ein sinnloses Gerede?“ fragt der Hofbauer. Auch sein Kinn bebt verdächtig.

Es wird nun wirklich zu närrisch mit diesen beiden Menschen ... Der Hofbauer betrachtet Margits Hand auf seinen Ärmeln; es ist eine rote, abgearbeitete Hand mit welker Haut, ausgelaugt von vielen scharfen, heissen und kalten Wassern ... Früher waren Margits Hände weiss und weich, mit schmalen Fingern und rosenroten Nägeln. Es waren ja früher die reinen Damenhände ...

Margit Enge musste durch die Schule des Lebens ... Heute hat Margit bläuliche Furchen unter ihren braunen, strahlenden Augen. Heute hat Margit ein paar böse Falten ums Kinn und am Halse. — Kann es denn immer noch eine grobe Sünde und unverzeihlich sein, solche Wohlgerüche in die Luft hinaus zu strömen?

Haldor Enges Tochter Margit wurde vielleicht nicht gerade besser in der Schule des Lebens — Gott weiss es, aber sie wurde immerhin reifer.

Endlich ermannt sich der Hofbauer, und der Pfeifenkopf hört auf zu glühen. „Zieh jetzt deinen Mantel aus, du Margit, und geh in die Küche. Du wirst hungrig sein — sag nur, was du essen möchtest ... Früher mochtest du Waffeln so gern.“ Damit war auch dieses vollbracht.

Haldor Enges Kinder wohnten wieder im Vaterhaus. Im Leben des Hofbauern änderte sich dadurch nicht gar vieles. Aber einiges wurde doch anders. Einiges wurde besser. Zum Beispiel übernahm Margit sogleich die Führung des Haushaltes. Und es zeigte sich bald, dass sie etwas gelernt hatte in der Schule des Lebens, und dass die Jahre in der Fremde nicht völlig verlorene Jahre gewesen, sondern auch wieder ihr Gutes hatten.

Wahrlich, es wurde nun um vieles gemütlicher in den Stuben auf Nyheimen, das Essen wurde schmackhafter, die Fussböden reinlicher und der Ofen in der Grossstube durfte unter keinen Umständen mehr bespuckt werden, sondern es mussten ein paar Näpfe her, die wurden mit Wacholderzweiglein ausgelegt und verziert. Das alles waren keine Kleinigkeiten ... „Nun sind wir so weit“, sagt der Hofbauer zu seinen Knechten. „Jawohl, nun soll ich erzogen werden.“ Aber die Veränderung gefiel ihm über alle Massen ...

Auch der Sohn Dagfinn war tätig auf seine Weise. Zwar dem feuchten schwarzen Moorboden blieb er nach wie vor feindlich gesinnt, doch lag er deswegen noch lange nicht den langen schönen Herrgottstag faul auf seinem Bett und belauschte das Gesumme der Fliegen am Fenster. Weit entfernt! Der Sohn Dagfinn putzte manchmal seine gelben Schuhe, rieb sie spiegelblank und wanderte die Strasse hinunter.

Dieser junge Mann hatte ganz gewiss seine Absichten, Geschäfte und Verrichtungen. Fürs erste sammelte er Unterschriften unter den Leuten von Hylnes. Und er trug wohl die Perlennadel mit den verborgenen Kräften doch nicht umsonst am Rockkragen. Jedenfalls die Leute von Hylnes vermochten nicht, ihm zu widerstehen, und er brachte eine fabelhafte Zahl von Unterschriften zustande. Damit reiste er persönlich in die Stadt und machte auch dort Eindruck. So konnte es natürlich nicht fehlen.

Birger Vaarda wird nun Postöffner und königlicher Funktionär. Ein Mirakel. Indessen wuchs auch die Landungsbrücke höher und höher aus der Salzflut empor und wurde fertig, mit Prellböcken und schweren Eisenringen. Die Dampfer legten schon dreimal in der Woche an, und es wurde alsbald ein Trafik und Weltverkehr ohnegleichen. Es wurde alles so ungeheuer auf Hylnes, dass die alte Mutter Inga es nicht länger fassen konnte. „Ja, ich werde so nervös und aufgeregt von dem allen“, klagt die Mutter ihrem grossen Sohn Birger. „Und ich werde so grenzenlos verwirrt, dass ich mich noch versündige ... Ja, du, wenn dieses nur gut ausgeht ...“ — „Warum sollte es denn nicht gut ausgehn?“ fragt der Sohn und lacht kühn und zukunftsicher mit seinem schadhaften Mund. „Warte nur!“

„Oh, und alle diese Briefe!“ klagt Mutter Inga. „Und jetzt wundre ich mich bloss, was du noch weiter unternehmen willst?“ — „Ich werde noch dieses unternehmen, dass ich einen Kramladen eröffne.“ — „Herr im Himmel!“ schreit Mutter Inga entsetzt und lasst sich auf den Stuhl am Fenster fallen. „Nein, tu nur das nicht, du Birger!“ — „Wie? — Doch beim Hunde! Ganz gewiss werde ich es tun. Ich habe doch schon im Herbst mit den Grossisten in der Stadt verhandelt. Nächste Woche beginnen wir ...“

Nicht für nichts erschien Dagfinn Enge auf Hylnes und nahm Birger Vaardas Zukunft in seine Hände. „Hinfort stehe uns Gottvater selber bei!“ betet fassungslos die einfältige alte Frau. „Ja, das hätte Jens, dein Vater, noch erleben sollen ... Woher aber, Knabe, willst du das Geld nehmen — das unbändig viele Geld? Dein eigenes hast du doch schon in der Landungsbrücke verlocht.“ — „Wie du schwätzest! Habe ich es vielleicht verlocht?“ fragt der Sohn überlegen und unbeirrbar. „Nehme ich vielleicht jetzt nicht immerfort die Brückentaxen ein — gestern waren es mehr als acht Kronen ... Und das wird von nun ab so weiter gehn. Ho, es soll noch bedeutend besser werden. Und für das Postkontor werde ich vierhundert Kronen im Jahr erhalten ...“ — „In Jesu Namen“, seufzt die Mutter und ergibt sich in des Sohnes Willen und ins Unvermeidliche.

Demnach liegt es also klar auf der Hand, dass Dagfinn Enge nicht so gar wenig zu tun und zu denken hat an diesem Strande. Er half das Postkontor einrichten. Er musste auch helfen, den Kramladen in Gang zu bringen. Und als Zeit und Stunde nahte, brachten die Dampfer viele Waren aus der Stadt.

„Nun musst du aber konkurrieren!“ sagt Dagfinn. „Wieso — was meinst du damit?“ fragt Birger. „Du musst deine Waren billiger verkaufen als der Haifisch von Solbö — verstanden?“ — „Aber ich muss doch etwas verdienen ...“ — „Der Haifisch nimmt dreissig Prozent. Versuche du es am Anfang mit fünfzehn ...“ — „Ja — wenn du meinst ...“

Das war sicherlich kein dummer Einfall von Dagfinn Enge. Die Leute am Strande merkten bald den Unterschied in den Preisen, und Birger bekam gleich grossen Zulauf. „Siehst du nun!“ frohlockte Dagfinn. „Mach jetzt nur so weiter.“

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Haldor im Frühlingstal

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