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1 EINIGE BEGRIFFSERKLÄRUNGEN

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Der Begriff »säkulare Ethik«

Das Wort »säkular« stammt vom Lateinischen saeculum und bezeichnet ursprünglich ein lang dauerndes Zeitalter. In der mittelalterlichen Theologie und Rechtsliteratur wurde der Begriff mehr und mehr im heutigen westlichen Wortsinn für alle Bereiche des menschlichen Lebens außerhalb der Kirche oder allgemeiner außerhalb der Religion verwendet. Besonders das bürgerliche und wirtschaftliche Leben, die bürgerliche Gesellschaft, wurde mit dem Wort »säkular« bezeichnet. Der Dalai Lama beruft sich in seinen Vorschlägen für eine säkulare Ethik auf die indische Verfassung. Hier hat »säkular« eine etwas andere Bedeutung: Das Wort bezeichnet dort das tolerante Nebeneinander verschiedener Religionen oder anderer Denksysteme. Eine säkulare Ethik ist demnach eine, die sich nicht auf eine Religion oder überhaupt auf religiöse Quellen stützt. Eine noch etwas anders begründete Idee stammt von Hans Küng in seinem »Projekt Weltethos«.{15} Er sucht in vielen Religionen nach Gemeinsamkeiten als Grundlage für eine globale Ethik. Während der abendländische Begriff einer säkularen Ethik vor der Schwierigkeit steht, aus einem nicht religiösen Bereich dennoch Moralregeln ableiten oder begründen zu wollen, steht der indische Begriff oder die Idee eines Weltethos vor dem Problem, tragfähige grundlegende Gemeinsamkeiten in sehr verschiedenen Religionen und Denksystemen finden zu müssen.

Ich schlage hier einen etwas anderen Weg zur Gewinnung einer säkularen Ethik vor, der seine Position, seinen Ort noch vor der Diskussion der oben genannten Probleme sucht. In der philosophischen Tradition und in den Religionen gibt es je eine Morallehre, die unterschiedlich begründet wird. Ich möchte also nicht auf so etwas wie gemeinsame Werte abzielen, sondern die Methoden der Begründung in der Ethik vergleichen. Wenn die Unterschiede in den Argumenten zur Begründung einer säkularen Ethik deutlich und bewusst geworden sind, kann man auch die Werte, die durch diese Begründungen fundiert werden sollen, auf eine vernünftige Weise, d.h. in einem an der Verständigung orientierten Gespräch vergleichen. Die Beschränkung auf die Begründungs- oder Argumentationsweisen erlaubt es mir auch, das Judentum, den Islam, das Christentum und indische Systeme, die auf einem Schöpfergott aufbauen, gemeinsam unter dem Stichwort »theistische Moralbegründungen« zusammenfassend zu behandeln. Unterschiede können später herausgearbeitet werden, und so kann jede Tradition im Diskurs gleichwohl ihre Eigenart bewahren.

In principio erat Sermo (= lógos), »im Anfang ist das Gespräch« – so übersetzte Erasmus von Rotterdam den Beginn des Johannes-Evangeliums neu. Tatsächlich bedeutet lógos im Griechischen auch nicht »das Wort«, sondern die sprechende Gemeinschaft der Menschen. Heraklit sagte im Fragment B 2: »Obwohl aber der lógos allen gemeinsam ist, leben die Vielen, als hätte sie ein Denken für sich.« Gesprächsbereitschaft und wechselseitige Toleranz in der Begründung ethischer Systeme ergibt sich hier als angemessene Haltung, nicht das Festhalten an einem Wort oder einer Wahrheit. Nikolaus von Kues sagte 1453 hellsichtig:

»Wo keine Gemeinsamkeiten in der Form festgestellt werden können, sollen die Religionsgemeinschaften, wenn nur Glaube und friedlicher Konsens gewahrt bleiben, bei ihren frommen Bräuchen und Riten bleiben. Vielleicht wird sogar durch eine gewisse Vielfalt die fromme Hingabe gefördert, wenn jede Religionsgemeinschaft versucht, ihre Bräuche besonders sorgfältig zu pflegen.«{16}

Nikolaus von Kues sagt ganz dasselbe, was im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung der buddhistische König Asoka in seinem 12. Felsenedikt festlegte:

Das »Wachstum der inneren Werte ist auf vielfache Weise möglich. Voraussetzung aber dafür ist die Zurückhaltung im Reden, auf dass man nicht bei unpassender Gelegenheit die eigene religiöse Vereinigung herausstreiche und über andere religiöse Vereinigungen abfällig urteile. (…) So ist denn nur das Zusammengehen gut, auf dass ein jeder der Sittenlehre des anderen Gehör und Aufmerksamkeit schenke.«{17}

Ethik versus Moral

Das Wort Ethik kommt aus dem Griechischen und ist – das wird sich bei der Darstellung der Ethik des Aristoteles noch genauer zeigen – von dem Wort für »Gewohnheit« abgeleitet. Gewohnheiten unterscheiden sich von der Natur – wir würden heute sagen: Moralische Regeln unterscheiden sich von Naturgesetzen. Man kann, sagt Aristoteles, einen Stein nicht durch Hochwerfen daran gewöhnen, in der Luft zu schweben. Er gehorcht eben einem Naturgesetz (der Schwerkraft). Aber man kann menschliche (natürlich auch tierische) Verhaltensweisen durch Erziehung, durch Gewöhnung formen. Die griechische, die römische und später die mittelalterliche Tradition vertreten gemeinsam die Auffassung, dass Moralregeln nicht aus der Natur abgeleitet werden können. Sie sind keine Naturgesetze.

»Moral« ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes »Ethik«, die Cicero eingeführt hat. In der deutschen Philosophie hat sich wiederum als Übersetzung von Ethik das Wort »Sittenlehre« eingebürgert. »Sitte« (Tradition) ist eine kulturelle Gewohnheit. Das Wort »Sitte« übernimmt die Bedeutung des ursprünglich griechischen Begriffs ēthos. Ethik, Moral und Sitte scheinen also in drei verschiedenen Sprachen dasselbe zu bezeichnen. Dennoch hat sich im – vor allem akademischen – Sprachgebrauch die Gewohnheit eingebürgert, dass man mit »Moral« nur die praktizierte Moral, die im Alltagsleben tatsächlich verfolgten Regeln des Handelns bezeichnet. Das Wort Ethik verwendet man dagegen für die Theorie, die Wissenschaft von der Moral. Der Ausdruck »Sittenlehre«, den noch Kant oder Fichte verwendeten, ist auch in Deutschland kaum noch gebräuchlich; er meint dasselbe wie Ethik als Wissenschaft.

Ethische Regeln versus Naturgesetze

Neben Regeln für Naturgegenstände (Naturgesetze) gibt es eine Vielfalt von anderen Formen des Verhaltens bei allen Lebewesen, natürlich auch beim Menschen. Sich die Hand zur Begrüßung zu geben, bei Hunden das Wedeln mit dem Schwanz oder die Fertigkeiten des Nestbaus bei Vögeln – all das sind Verhaltensmuster. Einige davon sind offenbar im Laufe der Evolution in das Erbmaterial (Genom) eingeschrieben worden – wie das Zwinkern mit den Augen oder der Kniereflex. Man kann diese Verhaltensweisen deshalb faktisch den Naturgesetzen gleichstellen. Sich die Hand beim Grüßen zu geben – und nicht ein Küsschen auf beide Wangen –, ist dagegen eine kulturelle Gewohnheit. Sie wird erlernt und unterscheidet sich zwischen den Völkern und Zeiten. All diese Verhaltensweisen sind nicht eigentlich moralisch. Zum Sprachgebrauch hier nur so viel: Wer sich nur verhält – wie ein fallender Stein oder wie ein bloßer Reflex –, der handelt nicht. Entscheidend ist bei moralischen Regeln immer, dass man sich aus Freiheit prinzipiell gegen eine Regel entscheiden kann. Es gibt hier allerdings wichtige Übergänge zwischen Handeln und Verhalten. Wer rein aus Gewohnheit handelt, der handelt weitgehend unbewusst. Auch wenn man einer Moralregel folgt, so tut man es oft nur aus Gewohnheit oder aus Gründen der Anpassung an das Verhalten anderer. Von außen betrachtet lässt sich also nicht immer sagen, ob eine Handlungsweise bewusst oder rein gewohnheitsmäßig und opportunistisch ausgeübt wurde.

Insofern zeigt sich bereits hier ein wichtiger Hinweis bei allen Diskussionen über Moral: Das Bewusstsein im Handeln spielt eine zentrale Rolle. Selbst wenn man einige Verhaltensweisen nur unbewusst durch Erziehung und Nachahmung übernommen hat, so erhalten sie doch dadurch einen moralischen Charakter, dass man sie sich bewusst machen und dann aus Freiheit verändern kann. Insofern kann jede Handlungsweise prinzipiell einen moralischen Charakter bekommen. Ob man jemand durch einen Handschlag oder durch zwei Küsschen auf die Wangen begrüßt, das kann durchaus auch moralisch gewertet werden: Wer einen Bischof auf die französische Küsschen-Art empfängt, verstößt in der Regel gegen die christliche Moral; ein Handschlag dagegen ist erlaubt. Dem japanischen Kaiser dagegen fröhlich die Hand zu reichen, widerspricht dem Protokoll, also der dort herrschenden Moral. Es gibt also keine klare Grenze zwischen Moralregeln und kulturellen Gewohnheiten. Dieselbe Verhaltensweise wird in unterschiedlichen Kontexten moralisch höchst unterschiedlich bewertet.

Moral versus Recht

Was unterscheidet die Moral- von einer Rechtsregel? Man verwendet für die Differenz gewöhnlich das Wort »sanktionsbewehrt«. Das heißt: Ein Verstoß gegen Rechtsregeln wird durch staatliche Gesetze näher definiert (darüber entscheiden Gerichte) und entsprechend bestraft (Sanktion). Dabei kann dieselbe Verhaltensweise sehr unterschiedlich gedeutet werden: Im Iran kein Kopftuch zu tragen ist verboten; in einigen islamischen Gemeinschaften in Deutschland ist das Tragen des Kopftuchs nur eine Moralregel – und in Frankreich ist gerade das Tragen eines Kopftuchs in öffentlichen Gebäuden gesetzlich verboten. Man kann also nicht aus einer bestimmten Handlung auf eine bestimmte Moral schließen. Ein Verstoß gegen moralische Regeln wird meist nicht direkt geahndet. Allerdings kann die Folge eine soziale Achtung oder ein sozialer Nachteil sein. Es ist nicht verboten, ungewaschen und mit schmutziger Kleidung ein Theater zu besuchen. Die Reaktion der Sitznachbarn kann aber sehr wohl beschämend wirken. Jede kulturelle Gewohnheit, die allgemein angenommen wird, bekommt einen moralischen Charakter, und eine damit verbundene Ächtung durch Mitmenschen bei einem Verstoß verleiht solch einer kulturellen Gewohnheit fast den Charakter einer Rechtsregel. Historisch sind die Übergänge hier fließend.

Egoismus versus Altruismus

Dieses Begriffspaar, heute weit gebräuchlich, stammt erst aus dem 19. Jahrhundert und wurde von Auguste Comte geprägt. Zwischen beiden Begriffen wird häufig eine Art Urgegensatz innerhalb der ethischen Diskussion vermutet. Sie unterscheiden in einer ersten Bedeutung das Streben nach dem je eigenen Wohl vom Streben nach dem Wohl der anderen. Doch gerade darin liegt ursprünglich gar kein moralischer Konflikt. Wer sich zur Erreichung eines Ziels anstrengt, sich Pflichten oder Tugenden auferlegt, auch gegen die Meinungen oder Gewohnheiten anderer, der ist in seinem Handeln durchaus selbstbezogen, aber noch kein moralischer Egoist. Der Dalai Lama betont das ausdrücklich, z.B. beim Umweltschutz. Zwar gilt das Ich im Buddhismus einerseits als Illusion, als Hindernis:

»Andererseits kann ein selbstsicheres Ich auch ein sehr positives Element sein. (…) Ohne ein starkes Selbstgefühl – das heißt, ohne sich seiner Fähigkeiten, seiner Möglichkeiten und seiner Überzeugungen sicher zu sein – kann niemand solch eine Aufgabe (gemeint ist hier der Umweltschutz, KHB) angehen. Da braucht man schon Selbstvertrauen, das liegt doch auf der Hand.«{18}

Ein starkes Selbstgefühl zu haben ist noch kein ethischer Egoismus. Und für das Wohl anderer etwas zu tun ist noch kein Altruismus: Man kann sehr wohl aus reinem Eigeninteresse auch die Interessen anderer fördern. Egoismus und Altruismus werden zu moralischen Extremverhaltensweisen, wenn sie je exklusiv motiviert sind. Wer sein eigenes Wohl auf Kosten anderer durchsetzt, ist im ethischen Sinn ein reiner Egoist. Und wer sein eigenes Wohl gänzlich für andere opfert, ist ein reiner Altruist. Beide Extreme – obgleich sie vorkommen – sind eher selten. Der Buddha sagte:

»Sich selber schützend, schützt man die anderen; die anderen schützend, schützt man sich selbst.« (SN 47.19){19}

Die Begriffe Egoismus und Altruismus werden zu ethischen Extremen, wenn man diese Formel in seinem Handeln nicht berücksichtigt.

Um diesen Unterschied im ethischen Sinn besser zu verstehen, ist zu klären, ob man die Differenz zwischen »eigen« und »fremd« auf Motive, Handlungen oder Handlungsresultate bezieht. Wer aus reinem Selbstinteresse andere einbezieht, mag zwar im Resultat auch das Gemeinwohl fördern. Seine Motivation bleibt gleichwohl egoistisch. Billigt man nur dem Motiv einen ethisch relevanten Charakter zu, so wäre solch eine Handlung moralisch gleichwohl abzulehnen. Blickt man dagegen auf das Handlungsergebnis, so kann eine in diesem Sinn egoistische Handlung gleichwohl ethisch positiv bewertet werden. Es war in der europäischen Moraltheorie eine Revolution des Denkens, als die Motivation (die Tugenden) in der Beurteilung durch den Blick auf Handlungsresultate ersetzt wurde. Eingeleitet wurde dies durch Bernard Mandeville, der in seiner Schrift The Fable of The Bees: or, Private Vices Publick Benefits (1714) zu zeigen versuchte, dass sogar moralisch verwerfliches Handeln dem Gemeinwohl nützen kann: Die Verschwendungssucht der Fürsten z.B. förderte die Produktion, das Handwerk usw., brachte damit wirtschaftlichen Fortschritt hervor und machte viele Menschen reicher. Adam Smith hat diesen Gedanken Mandevilles von seinem provokativen Charakter weitgehend befreit und sich in der Beurteilung der Wirtschaft auf das Ergebnis, nicht die moralische Bewertung der Motivation konzentriert. Das Motiv kann und soll sogar rein egoistisch bleiben, meinte Smith. Berühmt ist der Satz aus seinem ökonomischen Hauptwerk The Wealth of Nations (1776):

»Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen.«{20}

In der ethischen Diskussion hat gerade der Blick auf die Wirtschaft zum einen zum Utilitarismus geführt, der jede Handlung nur nach Kosten und Ertrag moralisch bewertet, zum anderen aber auch zu Kants Begriff der Pflicht, worin man auch ohne persönlich-emotionale Überzeugung eine Handlung einfach deshalb ausführt, weil es vernünftig ist. Beide Positionen werde ich noch genauer darstellen (vgl. Kapitel 2.4 und 2.5). Dass man die Auffassung von Smith nicht mehr als Urteil über die Funktionsweise einer Geldökonomie, des Kapitalismus, naiv übernehmen kann, erwähne ich hier nur am Rande: Interessen werden durch Werbung und PR manipuliert; Märkte, die bei Smith nur dem Interessenausgleich dienen, sind vielfach von großen Banken und Konzernen im durchaus egoistischen Interesse beherrscht. Und dies – wie Wirtschafts- und Schuldenkrisen belegen – gegen die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Smiths dialektischer Gedanke, dass gerade der Egoismus in der Wirtschaft das Gemeinwohl fördere, hat sich empirisch als unhaltbar erwiesen: Das Wirtschaftswachstum wird zwar nachdrücklich vom ökonomischen Egoismus gefördert, zieht aber zugleich eine breite Spur des Hungers, der sozialen und ökologischen Verwüstung hinter sich her. Der Versuch wiederum, den Egoismus durch Anreize und staatliche Institutionen »einzusperren« und so zu lenken, hat sich gleichfalls als Illusion erwiesen.{21} Die Moral lässt sich nicht durch nicht-moralische Mittel verwirklichen. Der Funke des Egoismus ist schon lange auf Unternehmen, von dort auf ganze Staaten übergesprungen und führt im Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte zu politischen Gegensätzen, die nur allzu oft auch in Kriegen eskalieren.

Die von Adam Smith versuchte Auflösung des Gegensatzes von Egoismus und Gemeinwohl führte Max Weber noch zu einer anderen Differenzierung. Er hat zwischen »Verantwortungsethik« und »Tugendethik« unterschieden. Die Verantwortungsethik orientiert sich nur an den Resultaten des Handelns, die Gesinnungsethik nur an der Motivation. Weber sagt,

»es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt (…) oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.«{22}

Nun kann man jede Handlung durch drei Elemente charakterisieren: (1) Handlungsziel, (2) Handlungsdurchführung und (3) Handlungsergebnis. Viele Irrwege in der Begründung einer Ethik kommen dadurch zustande, dass man diese drei Begriffe nur abstrakt nebeneinander stellt und dabei stillschweigend voraussetzt, dass moralisches Handeln das unabhängige Tun eines Individuums ist. Die Moral kommt, so die Vorstellung, immer erst nachträglich zum individuellen Tun hinzu. Doch keines der drei genannten Elemente des Handelns ist rein individuell zurechenbar und somit auch nicht exklusiv einer moralischen Beurteilung fähig. Deshalb ist die von Max Weber eingeführte, vielfach zustimmend rezipierte Trennung von Gesinnungsethik – die rein auf individuelle Motive abzielt – und Verantwortungsethik – die Handlungskonsequenzen heranzieht – nicht haltbar. Es liegt hier gar kein Gegensatz vor. Auch der gesinnungsethische Egoist bleibt von anderen Menschen und der Natur völlig abhängig; und der gesinnungsethische Altruist muss, um seine Ziele für andere zu erreichen, erstens sich selbst erhalten und zweitens in seinem Streben für das Wohl anderer durchaus auch selbstbezogen sein und sich oft gegen Konventionen durchsetzen. Um gesinnungsethisch ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, bedarf es der Kooperation mit anderen, damit auch einer zugehörigen, an der Gemeinschaft orientierten Motivation, die man in der Gegenwart mit den Begriffen »Fairness« oder »Teamgeist« bezeichnet.

Ich werde deshalb die Weber’sche Unterscheidung, trotz ihrer Popularität, nicht mehr benutzen. Wenn ich nachfolgend den Begriff »Egoismus« verwende, dann ist damit stets das rein selbstsüchtige Verhalten auf Kosten anderer, auf Kosten der Gemeinschaft oder der Natur gemeint. In diesem Sinn ist die Ethik immer eine Kritik des Egoismus. Eine egoistische Moral, die nur für einen einsamen Robinson gelten würde, wäre unsinnig. Der reine Egoismus richtet sich aus Selbstinteresse immer auch gegen die Interessen anderer und ist insofern schlicht unmoralisch – sieht man davon ab, dass er gar nicht vollständig denkbar, durchführbar oder universalisierbar ist. Auch der reine Egoist ist auf die Hilfe anderer angewiesen; auch nackte Gewalt braucht willige Helfer, die ein rein egoistischer Herrscher immerhin versorgen und motivieren, damit seinen Egoismus einschränken muss. Andererseits führt auch der Begriff »Altruismus« zu vielen Missverständnissen. Ich werde ihn deshalb systematisch im dritten Teil durch »Mitgefühl« ersetzen und das auch ausführlich begründen.

Säkulare Ethik

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