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2 SYSTEME ABENDLÄNDISCHER MORALBEGRÜNDUNG 2.1 EINLEITUNG

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Die hier zu behandelnden Fragen setzen die Antwort auf eine ganz andere Frage voraus: Ist eine säkulare Ethik überhaupt möglich? Obgleich es gerade die Philosophie der Aufklärung – nicht zuletzt der englisch-schottischen – war, die die Morallehre aus der religiösen Umklammerung zu lösen versucht hat, finden sich nach wie vor Stimmen, die das für unmöglich halten. Der US-amerikanische Philosoph William K. Frankena hat die Auffassung vertreten, dass alle moralischen Werte letztlich einen religiösen, sogar theologisch zu bezeichnenden Ursprung haben:

»Ethische Urteile können nur durch logische Ableitung aus theologischen begründet werden; das bedeutet, sie hängen logisch ab von religiösen Glaubensvorstellungen für ihre Rechtfertigung.«{23}

Auch Hans Küng steht dieser Auffassung nahe. In seiner Besprechung von Küngs Buch Projekt Weltethos sagt Robert Spaemann:

»Die Frage, ob Moralbegründung ohne Religion möglich sei, ist seit dem 18. Jahrhundert immer wieder erörtert worden. Küngs Antwort lautet: Unreligiöse Menschen sind oft hochmoralisch. Allerdings kann nur die Religion diese Moralität begründen, vor allem die Unbedingtheit sittlicher Verpflichtungen in Fällen, wo sittliches Handeln mit schweren Nachteilen für den Handelnden verbunden ist. Diese These scheint mir richtig, aber sie stellt die Frage nicht, wie wichtig Begründungen für ein Ethos sind.«{24}

Spaemanns Einwand ist wohl zutreffend: Gleichgültig, ob man die Frage nach der Möglichkeit einer säkularen Ethik ohne religiöse Wurzeln bejaht oder verneint, in jedem Fall spielt hierbei die Begründung moralischer Urteile die entscheidende Rolle.

Es wurde freilich immer wieder auch behauptet, dass die Moral eigentlich keiner Begründung bedürfe. Sie sei in der menschlichen Natur verankert. Albert Einstein formulierte diesen Gedanken: Ethische Überzeugungen, sagt er,

»sind in einer gesunden Gesellschaft da als mächtige Traditionen, die auf das Verhalten, Streben und Werten der Individuen wirken; sie sind wie ein lebendiges Wesen da, ohne dass es für seine Existenz einer Begründung bedürfte. Sie treten ins Dasein nicht durch Begründung, sondern durch Offenbarung, durch das Wirken starker Persönlichkeiten. Man soll nicht versuchen, sie zu begründen, sondern sie ihrem Wesen nach möglichst klar und rein zu erkennen.«{25}

Einstein setzt an die Stelle einer göttlichen Offenbarung von Moralregeln ihre Verkörperung in herausragenden Persönlichkeiten, die solche Werte als Vorbild demonstrieren. Zweifellos ist dies eine wichtige Quelle für die Akzeptanz von Moralregeln oder Werten. Nur sind die Vorbilder hierbei keineswegs immer nur positiv. Die in der Politik, in Büchern, TV-Sendungen, Spielfilmen, Computerspielen usw. implizit transportierten Werte, die gerade auf Jugendliche besonders stark wirken, haben keineswegs immer eine moralische Qualität, die für die menschliche Gemeinschaft heilsam ist und in einer kritischen Analyse Anerkennung finden würde. Es ist also weiter unumgänglich, für moralische Regeln oder Werte vernünftige Begründungen zu finden.

Bezüglich der Frage, ob die Ethik stets einer religiösen, gar einer theologischen Grundlage bedürfe, habe ich meine Auffassung schon skizziert: Eine säkulare Ethik ist möglich, wenn man Ansätze zu ihrer Begründung aus dem unmittelbar religiösen Kontext löst. Denn auch in den Religionen gibt es durchaus logische Strukturen, die nicht auf bloßem Glauben beruhen. Dass der Buddhismus hier eine besondere Rolle spielt, versuche ich im dritten Abschnitt zu zeigen. Der Buddhismus ist in weiten Teilen, die man als »buddhistische Philosophie« begreifen kann, von Glaubensüberzeugungen unabhängig. Der Buddha fordert geradezu jeden auf, selber zu erkennen. Hierin liegt, ich wiederhole diesen Gedanken, eine tiefe Nähe zum sapere aude, ›wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen‹, das Kant als Motto der Aufklärungsphilosophie formuliert hat. Um aber den Blick nicht zu sehr zu verengen: Dieser Gedanke findet sich gelegentlich auch in der chinesischen Philosophie, die insgesamt sonst – wie die mittelalterliche Theologie im Abendland – die tiefe Verbeugung vor der Tradition als moralischen Grundwert vertritt. Dennoch gibt es vereinzelt andere Stimmen, wie die von Mong Dsi, die für die nachfolgende Untersuchung durchaus als Motto dienen könnte:

»Ein Edler, der tief eindringen will in die Wahrheit, strebt danach, sie selbständig zu erkennen. Hat er sie selbständig erkannt, so verweilt er bei ihr in Sicherheit. Verweilt er in Sicherheit bei ihr, so hat er sie reichlich zur Verfügung. Hat er sie reichlich zur Verfügung, so mag er nach rechts oder links greifen: immer trifft er auf ihre Quelle. Darum strebt der Edle nach selbständiger Erkenntnis.«{26}

Säkulare Ethik

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