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Der Stern

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Ein Stern – nehmen wir den Faden wieder auf – fungiert als Ankündiger eines großen Ereignisses (Mt 2,1–12). MatthäusMatthäus (Evangelist) sagt darüber nichts Genaues, eher Verwirrendes, wenn dieser Stern nach seinem Erscheinen zunächst wieder verschwindet, so dass die Magier in Jerusalem nach dem Ort fragen müssen, und dann plötzlich »zu ihrer großen Freude« wiederkehrt, um sie zur Krippe zu führen. Das »Führen« ist also eigenartig unbestimmt gelassen, obwohl es ein durchaus prägnantes Vorbild gab. Denn VergilVergil (Publius Vergilius Maro) hat nicht nur in seiner Ekloge einen Stern als Zeichen für eine bedeutende Geburt bemüht, sondern in seinem berühmteren Werk, nämlich der Aeneis, einen Stern als dauerhaften Führer geboten, nämlich von Aeneas und seinem Vater, als sie aus dem brennenden Troja fliehen – übrigens ist es ein Komet mit einem Schweif (stella facem ducens, ein ›Stern, der eine Fackel mit sich führte‹), der dann auf den Stern der drei Könige übertragen wurde und bis heute in kaum einer Krippendarstellung fehlt. Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang von einem »Wunder« die Rede.

Literarisch sind Sterne, speziell Großes ankündigende, also nichts Besonderes. Wo man auch hinsieht, tauchen sie gerade bei der Geburt von wichtigen Persönlichkeiten auf. Der römische Historiker SuetonSueton (Gaius Suetonius Tranquillus) berichtet es in seinen Kaiserviten von CaesarCaesar, Gaius Iulius (in Kapitel 88, bei der Begräbnisfeier) und AugustusAugustus (vorher Gaius Octavius, röm. Kaiser) (als Sternzeichen in Kapitel 94), in anderen Quellen findet man es im Hinblick auf den Pharao genauso wie auf den Philosophen PlatonPlaton. Ein damals bekannter Fall war auch noch König Mithridates VI. von PontosMithridates VI. von Pontos (König), der im 2. Jahrhundert v. Chr. kurzzeitig die römische Herrschaft in Kleinasien bedrohte. MatthäusMatthäus (Evangelist) hat also aus vielen Quellen schöpfen können. Eigenartigerweise lässt er sich jedoch eine Vorausdeutung entgehen, die später die Theologen vorbrachten, nämlich den Spruch des nichtjüdischen Propheten Bileam, eines Zeitgenossen von MoseMose (Prophet), der sich auf die Rückkehr des jüdischen Volkes aus Ägypten bezieht: »Ein Stern geht in JakobJakob (Stammvater) auf, ein Zepter erhebt sich in Israel« (Num 24,17).

Neuzeitliche Astronomen haben sich natürlich kundig gemacht und nach Ereignissen am Himmel gesucht, die für das himmlische GPS in einem historischen Sinne in Frage kommen. Im Jahr 12 bis 11 v. Chr. (also für die Geburt deutlich zu früh) war der Halleysche Komet zu sehen, der alle 75 Jahre wiederkehrt, wie Johannes KeplerKepler, Johannes herausfand. Zeitlich etwas besser positioniert, dafür ansonsten weniger spektakulär, gab es 7 v. Chr. eine große Konjunktion der drei Planeten Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild der Fische, wobei die Fische immer dem »fruchtbaren Halbmond«, also auch Palästina, zugeordnet waren und der Fisch als Symbol der Christen galt, weil griechisch ichthýs mit seinen Buchstaben für iēsoûs (›Jesus‹)Jesus, christós (›der Gesalbte‹), theoû (›Gottes‹), hyiós (›Sohn‹) und sōtér (›Retter‹) standen.

Hinzu kam noch, dass die eng nebeneinander am Himmel stehenden Planeten eine besondere Helligkeit erzeugten: Astronomen sprechen von einem Zodiakallicht, das aus der Bestrahlung der interstellaren Materie zwischen Sonne und Erde resultiert. Wie der Astronom Konradin Ferrari d’OcchieppoFerrari d’Occhieppo, Konradin herausgefunden hat, strahlte dieses Zodiakallicht, von Jerusalem aus gesehen, genau in Richtung Süden, also nach Betlehem, übrigens auch nach Edom, der Heimat der herodianischen Königsfamilie. Auch weitere Konstellationen kommen in Frage, von denen allerdings keine das Zeug dafür hat, vor Beobachtern herzuziehen und sie an einen Ort zu führen. Über irgendeine Form von astronomisch akzeptablem Wissen (auch nach dem Kenntnisstand der damaligen Zeit) kann MatthäusMatthäus (Evangelist) ohnehin kaum verfügt haben. Aber er hatte ja letztlich Besseres: den Sternenglauben der Zeit, nach dem irdische Ereignisse mit himmlischen verknüpft sein müssen.

Letztlich wollte Matthäus eine dramatisch-eindrucksvolle Geschichte erzählen, die nebenbei zeigt, wie sehr dieser Neugeborene von Anfang an gefährdet war, den man ja später wirklich ans Kreuz nagelte. Und so macht Matthäus HerodesHerodes (röm. Klientelkönig) für seine Zeitgenossen wohl immer noch überzeugend zum Gegenspieler des neugeborenen Kindes. Im Übrigen geht die Geschichte für JesusJesus selbst vorläufig ja gut aus. Denn erstens kommt es zur berühmten Szene, in der die Könige im Stall eintreffen und als Zeichen ihrer Huldigung ihre Gaben abliefern. Damit ist ihre Aufgabe erfüllt, sie ziehen weiter, ohne noch einmal mit Herodes zusammenzutreffen. Dessen Soldaten aber erwischen nicht das richtige Kind, weil es längst weg ist. Die Eltern fliehen mit JesusJesus nach Ägypten, wo sie den Tod von HerodesHerodes (röm. Klientelkönig) abwarten, ehe sie zurückkehren. Wir kennen schon die unkonkrete Vorausdeutung, die MatthäusMatthäus (Evangelist) damit verbindet. Aber man sieht auch den Hintergrund der Erfindung: Die Ereignisse um die Geburt Jesu ähneln der Geschichte des jüdischen Volkes, das ja ebenfalls nach Ägypten floh (in diesem Fall, weil es an Nahrungsmitteln mangelte) und später in sein angestammtes Land zurückkehrte. Wobei auch noch der Kindermord seine Parallele besitzt. Auch der damalige Pharao ließ die Erstgeborenen des jüdischen Volkes ermorden, weil er fürchtete, sie würden in Ägypten die Macht übernehmen. Und auch in diesem Fall entwischte das »wichtigste« Kind, nämlich MoseMose (Prophet), der dann zum Führer seines Volkes aufstieg.


Der Betlehemitische Kindermord. Ausschnitt des Bodenmosaiks im Dom von Siena

Es könnte allerdings auch sein, dass dem »mythologischen« Motiv der Weisen aus dem Morgenland ein konkretes geschichtliches Ereignis als Anregung diente. Denn im Jahr 66 n. Chr., diesmal also in unmittelbarer Nähe zur Abfassungszeit des Evangeliums, gab es einen spektakulären Auftritt vor Kaiser NeroNero (röm. Kaiser) in Rom, der unter anderem von einem ganz unabhängigen Autor bezeugt wird, nämlich von Plinius dem ÄlterenPlinius der Ältere, dem römischen Flottenkommandanten mit naturkundlichen Interessen, in dessen Naturgeschichte (30,6,16 f.). Der armenische König Tiridates war mit dreitausend Reitern auf dem Landweg nach Italien gezogen, um genau das zu vollziehen, was die Heiligen Drei Könige getan hatten: nämlich dem Gott-Kaiser zu huldigen. PliniusPlinius der Ältere bezeichnet sie übrigens ausdrücklich als »Magier«. Die pomphaften Umstände kann man sich leicht ausmalen. Ob MatthäusMatthäus (Evangelist) von dem aufsehenerregenden Ereignis gehört hatte und die Anbetung in Betlehem als Gegenstück konzipieren wollte (wie der Theologe August StrobelStrobel, August vermutete)? Gegen die Utopie vom römischen Weltfrieden, der auf Waffengewalt gründete, die Utopie von einem ganz anderen Frieden, der vom Kind in der Krippe ausgeht? Gegen die dreitausend Perser die Heiligen Drei? Und nicht zuletzt: gegen den Weltherrscher in Rom, der vor gerade einmal zwei Jahren anlässlich des Brandes von Rom die Christen als Verursacher verdächtigte, weil man ihn selbst im Verdacht hatte, und sie bevorzugt als lebendige Fackeln verbrennen ließ?

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