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Christi Geburt in den Evangelien Die Evangelien

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Wer nach Christi Geburt fragt, muss zur Bibel greifen, genauer gesagt: zu den Evangelien des Neuen Testaments. Christlich Erzogene können die Autoren noch hersagen: MatthäusMatthäus (Evangelist), MarkusMarkus (Evangelist), LukasLukas (Evangelist) und JohannesJohannes (Evangelist). Das sind sie, die vier Evangelisten, in alten Kirchen oft an den Kanzeln abgebildet, weil von dort schließlich das Evangelium verkündet wird. Es sind immer würdige Gestalten, die vergessen lassen, dass wir über sie wenig bis nichts wissen, auch nicht, ob gerade sie es waren, deren Texte wir lesen. Denn sie nennen sich nicht selbst mit Namen, die Zuschreibung stammt aus späteren Zeiten. Wobei wir es heute ohnehin nicht mehr mit Originalen zu tun haben. Dazu waren die damaligen Schreibstoffe zu schlecht. Papyri zerfallen leicht, schon die ältesten Zeugnisse sind Abschriften von Abschriften, von denen Reste aus dem 2. Jahrhundert stammen – zusammenhängende Darstellungen in Codexform gibt es erst seit dem 4. und 5. Jahrhundert. Diejenigen, die diese Texte aufzeichneten, hatten leider keine Ahnung, welche Bedeutung ihre Notizen bekommen sollten, dass sich Heerscharen von Interpreten einmal über jede Silbe hermachen würden. Und so bearbeiteten und ergänzten sie, nicht nach Gutdünken, aber nach den jeweiligen Umständen. Wenn man all die Varianten sammelt, übertrifft deren Umfang den der Texte.

Und dies ist nur die eine Schwierigkeit. Die nächste liegt in den Verfassern. Wie verändert auch immer ihre Botschaft die Zeiten überdauerte: Sie verfolgten mit dieser Botschaft einen Zweck. Sie wollten mit der Schilderung der Lebensgeschichte dieses »Gesalbten« (griech. christos) eine Wende in der Menschheitsgeschichte herbeiführen. Im Alten Testament war von Sündenschuld die Rede, und die Hoffnung auf einen Retter, den Messias, wurde geweckt. Die Botschaft der Evangelisten lautet, lax gesagt: Es hat funktioniert, der Retter ist da, man muss es nur glauben. Bekanntlich glaubten es die Juden selbst nicht. Umso wichtiger war der »Beweis«, der das Vertrauen wecken und sichern sollte. Die Evangelien sind Beglaubigungserzählungen. Jedes einzelne Ereignis ist Zeugnis der einigermaßen ungeheuerlichen Wahrheit, dass da vor ein paar Jahrzehnten Gottes Sohn in die Welt gekommen und Mensch geworden war. Jeder Evangelist wusste genau um die Schwierigkeit der Überzeugungsarbeit und malte die bislang überlieferte Geschichte aus, um sie glaubhaft zu machen.

Dabei spielen zwei Ereignisse eine überragende Rolle, wovon eines im Mittelpunkt dieses Buches steht: die Geburt Jesu durch eine Jungfrau sowie seine Auferstehung von den Toten nach der Kreuzigung, woraus schließlich die beiden kirchlichen Hochfeste Weihnachten und Ostern entstanden. Die junge Kirche hat zunächst ganz und gar auf Ostern, also die Auferstehung, gesetzt. An JesusJesus als Gottes Sohn und Erlöser zu glauben hieß: an die Auferstehung glauben. Der Apostel PaulusPaulus von Tarsus (Apostel), der nicht zum engsten Kreis der Jünger gehörte, sondern nach anfänglicher Verfolgung der Christen erst später dazustieß, formuliert dies am klarsten. In einem seiner Briefe an die Gemeinde in Korinth (im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 14; abgekürzt: 1 Kor 15,14) sagt er, ohne die Auferstehung sei »unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube«. Zur Geburt trägt Paulus nicht viel vor. Für ihn ist JesusJesus von einer »Frau« geboren, wobei er das griechische Wort für die verheiratete Frau benutzt, definitiv nicht »Jungfrau«. Im Römerbrief spricht er vom »Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme DavidsDavid (biblischer König), der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten« (Röm 1,3 f.). Und davon, »dass wir, die wir auf Christus JesusJesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind« (Röm 6,3). Das war in den Jahren um 50 n. Chr., als PaulusPaulus von Tarsus (Apostel) im Zusammenhang der Missionsreisen durch Kleinasien sowie nach Griechenland und Zypern seine Briefe schrieb, die ältesten Zeugnisse des Christentums überhaupt, da Jesus selbst nichts Schriftliches hinterließ. Auch das früheste Evangelium, das des MarkusMarkus (Evangelist), kennt in der Zeit vor 70 n. Chr. nur das leere Grab als Andeutung der Auferstehung, verliert kein Wort über die Geburt, sagt nichts zur Jungfrau.

Das änderte sich dann grundlegend. Beide Evangelien, die sich auf MarkusMarkus (Evangelist) stützen, das des LukasLukas (Evangelist) und das des MatthäusMatthäus (Evangelist), ungefähr gleichzeitig und unabhängig voneinander nach 70 n. Chr. entstanden, berichten ausführlich über die Geburt und stellen MariaMaria (Mutter von Jesus) als Jungfrau dar, womit die Gottessohnschaft von JesusJesus festgezurrt wird, ehe weitere Belege wie die Wunder bis hin zu Totenerweckungen und schließlich die Auferstehung hinzukommen. Wieder anders verhält es sich dann im letzten Evangelium, dem des JohannesJohannes (Evangelist), nach 90 n. Chr.: Hier ist Jesus der vor aller Zeit für seinen Auftrag der Erlösung bestimmte Sohn Gottes, der die Göttlichkeit in seinen Reden und Taten bezeugt – was die Taten betrifft, mit seiner Auferstehung von den Toten, aber ohne jungfräuliche Geburt. Die Evangelien unterscheiden sich also stark und widersprechen sich sogar in wesentlichen Punkten, wie wir noch näher sehen werden.

Weihnachten, darauf kommt es hier an, gibt es überhaupt nur in zwei von ihnen, die sich die Ereignisse gewissermaßen teilen: Lukas schreibt über die Geburt im Stall und den Auftritt der Hirten. MatthäusMatthäus (Evangelist) behandelt die Ankunft der »Magier« und die Flucht nach Ägypten vor dem Kindermord des HerodesHerodes (röm. Klientelkönig). Aber die Geschehnisse greifen eben nicht nahtlos ineinander, sie passen im Gegenteil überhaupt nicht zusammen.

Denn LukasLukas (Evangelist) lässt die Geburt in Betlehem stattfinden, nachdem MariaMaria (Mutter von Jesus) und Josef aufgrund der unter AugustusAugustus (vorher Gaius Octavius, röm. Kaiser) angeordneten Volkszählung aus dem weit entfernten Nazaret (wo der Engel Gabriel die Schwangerschaft angekündigt hatte) dorthin gewandert sind. Dann folgen nach mosaischem Gesetz die Beschneidung sieben Tage später sowie die »Darstellung« des Neugeborenen zusammen mit der »Reinigung« von MariaMaria (Mutter von Jesus) im Tempel zu Jerusalem nach 40 Tagen. Die Familie wohnt jedenfalls eine ganze Weile in Betlehem oder in direkter Nähe zu Jerusalem. Erst später kehrt JesusJesus zusammen mit der Familie in die alte Heimat Nazaret zurück. Bei MatthäusMatthäus (Evangelist) findet zwar ebenfalls die Geburt in Betlehem statt, in diesem Fall aber ganz ohne Volkszählung, weil die Familie dort schon immer wohnte, übrigens in einem Haus, nicht in einem Stall. Dann folgt die Huldigung durch die »Magier«, wonach HerodesHerodes (röm. Klientelkönig) den Mord an Jesus plant, dem die Familie mit ihrer schleunigen Flucht nach Ägypten zuvorkommt. Erst nach dem Tod von Herodes, der mittlerweile sämtliche Säuglinge in Betlehem umbringen ließ, kehrt die Familie zurück, aber nicht nach Betlehem oder Jerusalem, weil dort mittlerweile ein Sohn von HerodesHerodes (röm. Klientelkönig) regiert, der nicht minder gefährlich erscheint als sein Vater, sondern ins sicherere Nazaret, wovon zuvor nie die Rede war.

Warum dies nicht zusammenpasst, ist klar: Es handelt sich um jeweils eigene mythologische Konstruktionen. Nur machen die Evangelisten diesen mythologischen Charakter nicht deutlich, sondern schildern im Gegenteil alles so, als sei es tatsächlich geschehen. Vor allem LukasLukas (Evangelist) benutzt den Begriff der »Ereignisse, die sich unter uns erfüllt haben« sowie deren Überlieferung durch diejenigen, »die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes« waren. »Ereignisse« also und »Augenzeugen« – nichts Erdachtes, auch nichts Mythologisches, in das Historisches »eingekleidet« wäre. So bezeugt es schon MarkusMarkus (Evangelist) in seinem Evangelium, dem sich MatthäusMatthäus (Evangelist) und LukasLukas (Evangelist) eng anschlossen, weiter eine Sammlung von JesusJesusworten, die vermutlich nie schriftlich fixiert, sondern mündlich weitergegeben wurde. Noch im sicher nicht auf PetrusPetrus (Apostel) selbst zurückgehenden 2. Petrusbrief (wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jahrhunderts geschrieben) liest man: »Denn wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn JesusJesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe« (2 Petr 1,16).

Man muss sich zum besseren Verständnis die Situation in der Zeit um 80 n. Chr. vorstellen: Überall im Mittelmeerraum haben sich christliche Gemeinden gebildet, in denen Menschen an diesen Jesus als Erlöser glaubten, an die Botschaft von einem künftigen ewigen Leben dank seines Opfertodes. Es war jedoch wenig bekannt von dem Menschen JesusJesus, daher die schriftliche Fixierung der Tradition, die dann in Gottesdiensten nach dem Vorbild der jüdischen Synagogen vorgetragen werden konnte und nicht zuletzt der Werbung neuer Mitglieder diente. Eine ganze Reihe von Evangelien entstand, von denen die heutigen vier sich durchsetzten und kanonisiert wurden. Sie alle hatten dasselbe Problem: Beweise zu liefern für das, was normalerweise niemand glauben kann, weil es den Naturgesetzen widerspricht. Wobei damals die Bereitschaft zu einem solchen Glauben offenbar anders einzuschätzen ist als heute.

Dass man aber auch damals Probleme bei der Vermittlung sah, belegt etwas anderes: Tatsächlich beanspruchten alle Evangelisten neben der Augenzeugenschaft eine Art zweite Basis der Glaubwürdigkeit. Sie liegt in der Annahme, dass alle wichtigen Ereignisse im Alten Testament, also in den heiligen Schriften der Juden, »vorhergesagt« worden waren. Wichtige Passagen der Evangelien wie etwa die Passionsgeschichte lesen sich (schon bei MarkusMarkus (Evangelist)) wie aneinandergereihte Zitate aus den Propheten sowie den Psalmen. Wir werden dem bei der Weihnachtsgeschichte wiederbegegnen. Man kann sicher sagen, dass die damaligen Leser/Hörer in diesen Vorhersagen eine besonders starke Basis der Glaubwürdigkeit sahen, vielleicht sogar stärker als in der Berufung auf Augenzeugen. Von heute her gesehen kann man sich darüber nur wundern, denn sämtliche »Vorhersagen« sind äußerst vage, einige beruhen auf schlichter Fehlinterpretation. Den Musterfall dafür bietet die Jungfrauengeburt. Denn die Berufung auf den Propheten JesajaJesaja (Prophet) erledigt sich für jeden Kenner des Hebräischen dadurch, dass im originalen Text das Wort almah steht, das nicht ›Jungfrau‹ bedeutet, sondern lediglich ›junge Frau‹.

Davon später mehr. Hier interessiert etwas anderes. Wenn es keine wirkliche Augenzeugenschaft gibt und die Voraussagen keine sind: Was besagt dies über die »Wahrheit« der Evangelien? Sind sie eben doch Fälschungen, wie es Kritiker seit der Aufklärung behauptet haben? In gewissem Sinne schon. Aber dies rechnet zu wenig mit den erzählerischen Möglichkeiten der damaligen Zeit, die den uns geläufigen Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion nicht machte, sondern an einem »Gesamtbild« oder einer »Gesamterzählung« arbeitete, die ihre Wahrheit mit beiden Elementen konstruierte, mit Historischem und Mythischem. Dies gilt auch für die Lehren Jesu in Form von Gleichnissen und Reden, die früh gesammelt wurden, wobei die authentischen Worte dennoch kaum oder nur sehr schwer zu rekonstruieren sind. Die Bergpredigt beispielsweise, die MatthäusMatthäus (Evangelist) in ihrer ausführlichsten Form wiedergibt, könnte im »Original« eine Sozialutopie enthalten haben, bei der JesusJesus seinen Zuhörern konkrete Landversprechungen machte. LukasLukas (Evangelist) gibt sie ebenfalls wieder, als »Feldrede« mit stark abweichenden Äußerungen, die jedoch einen ähnlichen sozialutopischen Kern enthalten, angereichert durch ein ausgesprochenes Steckenpferd von Lukas: die Hochschätzung der Armut. Es spricht viel dafür, dass Jesus eine solche Rede gehalten hat. Nur wurde sie in der Überlieferung sofort dem Strom des eigenen Erzählens zu- oder untergeordnet.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Evangelisten griffen auf Berichte zurück, die Historisches mit Mythologischem in für sie nicht zu durchschauendem Gemenge präsentierten. Ganz sicher hatte sich in der Wahrnehmung der Ereignisse schon Grundlegendes geändert. Der historische Jesus war von einem kurz bevorstehenden Weltende überzeugt gewesen, predigte zu einer radikalen Umkehr angesichts der »Tatsache«, dass ohnehin bald alles vorbei sei. Das musste gut zwei Generationen später, als nichts passiert war, korrigiert werden. Die Botschaft lautete jetzt »nur« noch: Glaube an die Auferstehung und das ewige Leben im Vertrauen auf JesusJesus als den Erlöser. Die dazu passende »Erzählung« war im Gerüst da. Die ersten Jünger, die wirklichen Augenzeugen, hatten diese Erzählung entwickelt und mit den Elementen ausstaffiert, die Glauben erwecken sollten. Dann wurde weitergearbeitet, weitererzählt. Die Weihnachtsgeschichte war die erste neue Zutat, die zur Grunderzählung hinzukam. LukasLukas (Evangelist) und MatthäusMatthäus (Evangelist) wussten um das Mythologische ihres Erzählens (weil sie es ja selbst entwickelt hatten), während sie die vorhandene Mythologie wohl für historisch hielten. Ihre Leser bzw. Hörer nahmen dann auch die neue Mythologie für historisch hin.

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