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Befehl

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Erinnerung, als Sprache in die Syntax der Zeiten gesetzt, errichtet Dämme gegen die Despotie des Präsens, in der nur zu leben vermag, wer seine Identität in der Gegenwart sucht, im ständigen Agieren und Reagieren auf Außenreize, in Abläufen einer Psyche, die ohne den ständigen Zufluss von außen stillsteht. Wenn es nun gelänge, die Erinnerung zu kontrollieren, indem man deren Inhalt festlegt, könnte man Macht über das Bewusstsein gewinnen. Die Vorstellung ist sehr alt, reicht in die Antike zurück, wird in den folgenden Jahrhunderten als Geschichtstheologie erneuert und erreicht nach der Französischen Revolution als »Geschichtspolitik« ihre moderne Ausprägung.4 Vergangenheit und Gegenwart erhalten im Befehl ihre eindeutige Form. Der Befehl sagt, was in der Gegenwart von der Vergangenheit zu erinnern ist, und er gibt die Maßstäbe vor, denen gemäß zu erinnern ist. Bestimmte Ereignisse werden als begründend für eine bestimmte, d.h. machtpolitische Struktur der Gegenwart festgelegt, von jenen, die dadurch machtvoll geworden sind. Die moderne Formel dafür lautet, eine Vergangenheit, die stört, d.h. nicht in die Moralrede der je gegenwärtigen Machtverhältnisse einfügbar erscheint, »den Historikern« zu überlassen. Historiker sind hier Personen, die Totes in Archiven begraben, Totengräber der Geschichte gewissermaßen. Wo hingegen die Moralrede der Gegenwart hinzeigt, sollen diese Historiker keineswegs Vergangenes vergangen sein lassen, vielmehr im Gegenteil alles herbeitragen, was diesem Zeigen dient. Die Politik bzw. der sie legitimierende und propagierende öffentliche Diskurs verlangt nach der Historie als diensteifriger Magd, ihr kritisches Geschäft hasst sie. Geschichtspolitik nimmt der Vergangenheit ihre Andersartigkeit. Sie »fragt sich verdutzt«, warum man sich um das Verstehen eines Verhaltens bemühen soll, wenn man doch weiß, wie es ausgegangen ist. Die Vergangenheit wird entfremdet und auf die jeweils aktuellen Verhältnisse des richtigen, opportunen Redens zugeschnitten. Der Verzweigungscharakter der geschehenden Geschichte wie der kritischen Historie verschwindet in der teleologischen Moralisierung einer »uns« erzeugenden Geschichtskonstruktion, die auf einer zweifachen Befehlsanordnung beruht: Um die Moral erzeugende Eindeutigkeit zu wahren, muss die Hälfte der Geschichte vergessen werden, zudem ist jede Universalisierung der als universal behaupteten Moralurteile zu vermeiden, man könnte sonst selber betroffen sein. Geschichtspolitik folgt demselben psychosozialen Mechanismus wie die politische Gewalt, sie schließt das Bewusstsein wie die Reihen, in die sich einzureihen ein Akt der Klugheit ist. Sie fordert zu einem »Lernen aus der Geschichte« auf, die der Eindimensionalität des Befehls entspricht und also wirkliches Lernen – als Aneignung unter Zweifeln – unmöglich macht, als Fragen nach dem Ausgelassenen, Inopportunen, als Frage nach der Konsequenz des Moralischen, auch unter Einbezug der jeweils letzten Sieger. Den Preis der Kritik bzw. einer kritischen Historie zu bezahlen, nämlich die Vergangenheit einer kritischen, d.h. distanzierenden Historie zu überlassen, die es einer Gegenwart schwer macht, im kurzen Schluss sich ihre jeweils passende Vergangenheit zu erfinden: Diesen Preis der Kritik will keine Politik zahlen. Daher ist ihr die Geschichtspolitik so notwendig. Imperativische Historie mündet stets in ein Hierarchisierungsgebot, das der »Logik der Geschichte« folgt, d.h. dem jeweiligen machtpolitischen Ergebnis eines bestimmten historischen Ablaufs, dessen Tatsächlichkeit als ebenso folgerichtig wie moralisch behauptet wird.5 Ein Drittes gibt es nicht, es wäre sonst um die Eindeutigkeit geschehen und also um den politischen Nutzen.

Öffentliche Macht ist ohne Regulierung des verbindlichen Geschichtsbewusstseins kaum zu haben, weil die säkularisierten Gesellschaften – insbesondere des Westens – ihre Existenz über den Tag hinaus nur noch historisch zu begründen vermögen. Eine »ethisch-praktische« Historie formiert dann Erinnerung zum Nutzen nationaler Politik.6 Ihre fortdauernde Relevanz als Geschichtspolitik reflektiert die Macht, wie sie politisch durch die Formierung der Erinnerung zu gewinnen ist.

Von der Erinnerung zur Erkenntnis

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