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Kultur

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Der Mensch ist das Wesen, das sich selbst schafft, indem es sich eine Umwelt schafft. Der Mensch schafft sich eine Umwelt, indem er eine Distanz hervorbringt und sie zugleich mit Artefakten gestaltet, technischen wie symbolischen. In der Distanz des Werkzeugs, dann des Kultus grenzt sich der Mensch von der Natur ab. Das Ungeheuere dieses Vorgangs zeigt sich in der immer wieder aufbrechenden Schwierigkeit, das Menschsein vom Tiersein abzutrennen, von den Mischwesen aus Mensch und Tier, wie man sie in frühen Höhlenmalereien, antiken Mythen bis zu den Märchen, den Werwolf-Geschichten der Gegenwart erkennen kann, in Vorstellungen von Tieren als Schutzgeistern oder der Seelenwanderung in Menschen- und Tierkörpern. In solchen Mythen reflektieren die Menschen die Ahnung ihrer Herkunft aus dem Tierreich und des in ihnen fortdauernden Animalischen. In der Distanz zur Natur entsteht der Mensch, der sich in Gruppen verbindet, um überlebensfähig zu sein. In der Distanz zu anderen Gruppen entsteht das Kollektiv, das integriert, indem es sich abgrenzt. In der Distanz zwischen einzelnen Menschen entsteht das Individuum. In der Sprache bildet sich dann ein Mittel, um auf der Ebene des Bewusstseins solche Distanzen zu überbrücken. Die als Sprachwelt geformte Umwelt vollendet das Kulturverhältnis des Menschen, das mit den frühesten Werkzeugen begann und dessen Struktur das Handeln ist, das aktive, variable, lernfähige Verhalten einer objektivierten Natur, aber auch einem objektivierten (Mit-)Menschen gegenüber. Diese Distanz zwischen Menschen begründet Gesellschaft als Form sozialer Überbrückung, durch Sprache, durch Kooperation, durch soziale Hilfe, durch Formen einer die Gemeinsamkeit feiernden gemeinsamen Deutung des Kosmos. Gesellschaft wird damit zu einer Wertegemeinschaft, in der das richtige Verhalten in der Gruppe, also eines, das Vertrauen schafft, zu einer kosmologischen Größe überhöht wird, zum Gegensatz von »Gut und Böse«, der das Leben des Einzelnen nicht nur von der Zeit, sondern von der Ewigkeit her erfasst, ordnet, mit Schuld, Sühne, Rettung assoziiert.

In der Ordnung der Gesellschaft, in der Deutung dieser Ordnung als Bedeutung eines Komischen, das die Normen des sozialen Handelns legitimiert, wird die Religion zur Kultur festigenden sozialpsychischen Kraft. Der Einzelne wird Mitglied der Gesellschaft, einer jeweils bestimmten, indem er nicht nur die äußeren Formen des Verhaltens übernimmt, sondern auch von den symbolischen Verweisen weiß, die eine Gesellschaft von einem bloßen Netzwerk der Interaktion zu einem kulturellen Gebilde werden lassen, ohne das auch die Interaktion nicht längerfristig funktionieren könnte. Das »Mangelhafte« des Menschen in der Natur, seine immer wieder festzumachende Ambivalenz, zeigt sich demnach auch in der Kultur. Dieses Mangelhafte in der instinktiven Festlegung des Verhaltens wird zur Voraussetzung von Komplexität, weil das nur wenig Festgelegte »experimentell« versuchen muss, sich in kaum abschätzbaren Möglichkeiten einen Weg zu bahnen. Das Ungeschützte des Säuglings als menschlicher »Frühgeburt« erzwingt nicht nur die Sorgegemeinschaft der Familie als Kerngruppe menschlicher Gesellung, sie steht auch zeichenhaft für das menschliche Dasein. Der Mensch erzeugt Kultur, um sich in der Natur festzulegen. Doch auch in der Kultur bleiben Mängel, weil die Integration nicht völlig gelingt, weil sie stets aufs Neue erlernt, eingeübt, kontrolliert werden muss, von Kind an über die Initiation in das Erwachsensein und letztlich durch dieses hindurch bis zum Tod, von Generation zu Generation. Gesellschaft ist die Erzwingung von Regeln. Sie schafft dadurch erst Vertrauen.

Die Ambivalenz des Menschen, seine Unbestimmtheit, in der fehlenden körperlichen Spezialisierung wie der instinktiven Steuerung des Verhaltens, ist die Bedingung der Kultur. Kultur ist demnach das fortwährende Bemühen, diese Unbestimmtheit in Bestimmtheit zu überführen, was ebenso notwendig ist, um soziales Leben zu ermöglichen, wie unvollendbar bleibt und bleiben muss, weil jede endgültige Bestimmung die Fähigkeit zur Anpassung an sich ändernde äußere Umstände, zur Rezeption, zum Fortschritt zerstören würde. Der endgültig festgelegte Mensch müsste einer anderen menschlichen Gattung angehören, herbeigeführt durch einen göttlichen Erlösungsakt oder die revolutionäre Erzwingung des »neuen Menschen«, erträumt in den Albträumen der Utopie. Derartige Vorstellungen gehören bereits in den Fiktionsraum des menschlichen Denkens, in ein aus der Unbestimmtheit des Menschseins hervorschießendes Erkunden des Denkbaren. Im Spiel wird dieses Denken zur Handlung. In ihm findet sich, was für alle Kultur wesentlich ist. Das Spiel bleibt gewaltlos, selbst da, wo es mit Gewalt umgeht. Es bleibt im Als-Ob, in der geistigen Gleichzeitigkeit von Sein und Nichtsein, die aber nicht dualistisch wird. Das Als-Ob, fundamental für das kindliche Spiel, ist grundlegend für das menschliche Bewusstsein. Im Spiel ist Ernst, doch kein tödlicher, im Spiel ist Zeit, doch eine, die sich wiederholen lässt, im Spiel ist Regelhaftigkeit, doch eine soziale, die Beachtung mit Achtung belohnt. Im Spiel des Kindes, mit dem es sich zur Person verwandelt, wird alles zeichenhaft, jedes Holzstück, jeder Stein. Im Spiel macht der Mensch bereits in seinen geistigen Anfängen die riesenhafte Entdeckung des Denkmöglichen. Wesentlich für die Möglichkeit der Möglichkeit ist das Nachlassen der Notwendigkeit und der damit verbundenen emotionalen Überflutung. Tiere wie Menschen »spielen« im Zustand der Entspannung und also diesseits von Hunger und Angst.4 Üben Tiere dabei den Feingebrauch ihrer Glieder sowie funktionelle Abläufe in der Gruppe, so betritt der Mensch mit dem Symbolspiel einen Bereich des Fiktiven, dessen »Realität« nur im Bewusstsein vorhanden ist. Das Gedachte, Vorgestellte wird im spielerischen Handeln zur Entdeckung der Symbolbeziehung als Essenz des sozialen Handelns.

Der Mensch ist in der Kultur oder er ist nicht vorhanden. Kultur ist das, was der Mensch an Artefakten hervorgebracht hat, einschließlich der symbolischen Artefakte in Verhaltensweisen, Riten, Sprache. Kultur ist nur als Gesellschaft vorhanden und nur in Gesellschaft erlernbar, was bedeutet, dass der Mensch seinen Mittelpunkt außer sich hat, im Unterschied zum Tier. Dieser sich vermittelnde Mensch lebt im psychischen Zustand der Entfremdung, den er nur durch Ekstase oder Transzendenz zu überwinden vermag.

Von der Erinnerung zur Erkenntnis

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