Читать книгу Der Ursprung des Christentums (Eine historische Untersuchung in 4 Bänden) - Karl Kautsky - Страница 14
e. Der ökonomische Niedergang
ОглавлениеEine Ahnung davon, daß es abwärts ging, erstand frühzeitig in den herrschenden Klassen, die ausgeschaltet wurden aus jeder Tätigkeit, alle Arbeit immer mehr von Sklaven besorgen ließen, selbst die Wissenschaft, selbst die Politik. In Griechenland hatte die Sklavenarbeit zunächst dazu gedient, den Herren volle Muße zu gewähren für die Verwaltung des Staates und das Nachdenken über die wichtigsten Probleme des Lebens. Aber je mehr sich die Überschüsse steigerten, die durch die Konzentration des Grundbesitzes, die Ausdehnung der Latifundien und die Vermehrung der Sklavenmassen in den Händen weniger vereinigt wurden, desto mehr wurde das Genießen, die Verschwendung dieser Überschüsse die vornehmste gesellschaftliche Funktion der herrschenden Klassen, desto mehr entbrannte unter ihnen der Konkurrenzkampf der Verschwendung, der Wetteifer, einander an Glanz, Üppigkeit, Nichtstun zu überbieten. Das vollzog sich in Rom noch leichter als in Griechenland, weil jenes in seiner Kulturhöhe verhältnismäßig rückständiger war, als es diese Produktionsweise erreichte. Die griechische Macht hatte sich hauptsächlich barbarischen Völkern gegenüber ausgedehnt, dagegen war sie in Kleinasien und Ägypten auf starke Hindernisse gestoßen. Ihre Sklaven waren Barbaren, von denen die Griechen nichts lernen konnten, denen sie nicht die Staatsverwaltung überlassen durften. Und die Reichtümer, die man aus den Barbaren herauszuholen vermochte, waren relativ gering. Die Römerherrschaft dehnte sich dagegen rasch über die ganzen uralten Kulturstätten des Ostens bis nach Babylonien (oder Seleukia) hinaus; aus diesen neu eroberten Provinzen zogen die Römer nicht bloß unendliche Reichtümer, sondern auch Sklaven, die ihren Herren an Wissen überlegen waren, von denen diese zu lernen hatten, denen sie leicht die Staatsverwaltung überlassen durften. An Stelle der großgrundbesitzenden Aristokraten als Verwalter des Staates traten in der Kaiserzeit immer mehr Sklaven des kaiserlichen Hauses und ehemalige Sklaven des Kaisers, Freigelassene, die dem früheren Herrn verpflichtet blieben.
So blieb den Latifundienbesitzern und ihrem zahlreichen Anhang an Schmarotzern keine andere Funktion in der Gesellschaft übrig als die des Genießens. Aber der Mensch wird gegen jeden Reiz abgestumpft, der dauernd auf ihn einwirkt, gegen die Freude wie gegen den Schmerz, gegen die Wollust wie gegen die Todesfurcht. Das ununterbrochene bloße Genießen, das keine Arbeit, kein Kampf unterbrach, erzeugte zunächst eine stete Jagd nach neuen Genüssen, durch die man die .alten zu überbieten, die abgestumpften Nerven aufs neue zu kitzeln suchte, was zu den unnatürlichsten Lastern, zu den ausgesuchtesten Grausamkeiten führte, aber auch die Verschwendung aufs höchste und sinnloseste steigerte. Alles hat jedoch seine Grenzen und war der einzelne einmal so weit, aus Mangel an Mitteln oder an Kräften, infolge finanziellen oder körperlichen Bankrotts, daß er nicht mehr die Genüsse zu steigern vermochte, dann trat bei ihm der schlimmste Katzenjammer, Ekel vor jedem Gemäß, ja völliger Lebensüberdruß ein, das Empfinden, daß alles irdische Dichten und Trachten eitel sei – vanitas, vanitatum vanitas. Verzweiflung, Todessehnsucht, aber auch die Sehnsucht nach einem neuen, höheren Leben trat ein – so tief wurzelte jedoch die Abneigung gegen die Arbeit in den Gemütern, daß auch dies neue, ideale Leben nicht als ein Leben freudiger Arbeit gedacht wurde, sondern als eine völlig tatlose Seligkeit, die ihre Freude nur daraus zog, daß sie von allen Schmerzen und Enttäuschungen der leiblichen Bedürfnisse und Genüsse befreit war.
In den besten unter den Ausbeutern erstand aber auch ein Gefühl der Scham darüber, daß ihr Wohlleben sich aufbaute auf dem Untergang zahlreicher freier Bauern, auf der Mißhandlmg Tausender von Sklaven in den Bergwerken und Latifundien. Der Katzenjammer erweckte auch Mitleid mit den Sklaven – ein seltsamer Widerspruch gegen die rücksichtslose Grausamkeit, mit der man damals über deren Leben verfügte –, wir erinnern nur an die Gladiatore1ispiele. Endlich erweckte der Katzenjammer auch Abscheu gegen die Gier nach Gold, nach Geld, die damals schon die Welt beherrschte.
„Wir wissen,“ ruft Plinius im 33. Buche seiner Naturgeschichte, „daß Spartakus (der Führer eines Sklavenaufstandes) in seinem Lager verbot, Gold oder Silber bei sich zu führen. Wie sehr übertreffen uns unsere entlaufenen Sklaven an Geistesgröße! Der Redner Messala schreibt, der Triumvir Antonius habe sich zu aller schmutzigen Notdurft goldener Gefäße bedient ... Antonius, der das Gold zur Schändung der Natur so herabwürdigte, hätte die Ächtung verdient. Aber es hätte ein Spartakus sein müssen, der ihn ächtete.“
Unter dieser herrschenden Klasse, die teils in toller Genußsucht, Geldgier und Grausamkeit verkam, teils von Mitleid mit den Armen und Abscheu vor Geld und Genuß, ja von Todessehnsucht erfüllt wurde, breitete sich eine ungeheure Schar von arbeitenden Sklaven aus, die schlechter gehalten wurden, als unsere Lasttiere, aus den verschiedensten Völkern zusammengeholt, vertiert und verroht durch die stete Mißhandlung, durch das Arbeiten in Ketten, unter Peitschenhieben, voll Erbitterung, Rachsucht und Hoffnungslosigkeit, stets zu gewaltsamer Empörung geneigt, aber durch den intellektuellen Tiefstand ihrer barbarischen Elemente, der Mehrheit unter ihnen, außerstande, die Ordnung des gewaltigen Staatswesens umzustürzen und eine neue zu begründen, wenn auch einzelne hervorragende Geister unter ihnen derartiges anstreben mochten. Die einzige Art der Befreiung, die ihnen gelingen konnte, war nicht der Umsturz der Gesellschaft, sondern die Flucht aus der Gesellschaft, die Flucht entweder ins Verbrechertum, das Räubertum, dessen Scharen sie immer wieder schwellten, oder die Flucht über die Reichsgrenze zu den Reichsfeinden.
Über diesen Millionen der Unglückseligsten aller Menschen wieder erhoben sich viele Hunderttausende von Sklaven, oft in Üppigkeit und Wohlleben, stets die Zeugen und Objekte des wüstesten und wahnsinnigsten Sinnentaumels, Mithelfer bei jeder erdenklichen Korruption und entweder von dieser Korruption erfaßt und ebenso verderbt wie ihre Herren, oder, ebenfalls wie viele dieser und oft noch früher als sie, weil sie die bittere Seite des Genußlebens weit eher zu verkosten bekamen, aufs tiefste angeekelt von der Verderbnis und dem Genußleben und voll Sehnsucht nach einem neuen, reineren, höheren Leben.
Und neben allen diesen wimmelten noch Hunderttausende von freien Bürgern und freigelassenen Sklaven, zahlreiche, aber dürftige Überreste der Bauernschaft, verelendete Pächter, armselige städtische Handwerker und Lastträger, sowie endlich großstädtische Lumpenproletarier, mit der Kraft und dem Selbstbewußtsein des freien Bürgers, und doch ökonomisch überflüssig in der Gesellschaft, ohne jegliches Heim, ohne jegliche Sicherheit, völlig auf die Abfälle angewiesen, die ihnen die großen Herren aus ihrem Überfluß zuwarfen, aus Freigebigkeit oder Furcht, oder aus dem Wunsch nach Ruhe.
Wenn das Evangelium des Matthäus Jesus von sich sagen läßt: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel der Luft ihre Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen könnte“ (8, 20), so spricht es bloß für die Person Jesu einen Gedankengang aus, dem Tiberius Gracchus bereits 130 Jahre vor Christi Geburt für das ganze Proletariat Roms Ausdruck gegeben hatte: „Die wilden Tiere Italiens haben ihre Höhlen und ihre Lager, auf denen sie ruhen, die Männer aber, die für Italiens Herrschaft kämpfen und sterben, besitzen nichts als Luft und Licht, weil man ihnen diese nicht rauben kann. Ohne Hütte und Obdach irren sie mit Weib und Kind umher.“
Ihr Elend und die stete Unsicherheit ihrer Existenz mußte sie um so mehr erbittern, je schamloser und üppiger der Reichtum der Großen demgegenüber zur Schau getragen wurde. Grimmiger Klassenhaß der Armen gegen die Reichen entstand, aber dieser Klassenhaß war ganz anderer Art als der des modernen Proletariers.
Auf der Arbeit des letzteren beruht heute die ganze Gesellschaft. Er braucht diese Arbeit bloß einzustellen, und sie erbebt in ihren Grundfesten. Der antike LumpeNproletarier leistete keine Arbeit, und selbst die Arbeit der Reste freier Bauern und Handwerker war nicht unentbehrlich. Die Gesellschaft lebte damals nicht vom Proletariat, sondern das Proletariat lebte von der Gesellschaft. Es war vollständig überflüssig und mochte völlig verschwinden, ohne sie zu bedrohen. Im Gegenteil, es konnte sie dadurch nur erleichtern. Die Arbeit der Sklaven war die Grundlage, auf der die Gesellschaft ruhte.
Der Gegensatz zwischen dem Kapitalisten und dem Proletarier spielt sich heute in der Fabrik, der Werkstelle ab. Es ist die Frage, wer die Produktion beherrschen soll, die Besitzer der Produktionsmittel oder die Besitzer der Arbeitskraft. Es ist ein Kampf um die Produktionsweise, ein Streben, eine höhere Produktionsweise an Stelle der bestehenden zu setzen.
Darum war es dem antiken Lumpenproletarier nicht zu tun. Er arbeitete überhaupt nicht und wollte nicht arbeiten. Was er verlangte, war Anteil an den Genüssen der Reichen, eine andere Verteilung der Genußmittel, nicht der Produktionsmittel, eine Plünderung der Reichen, nicht eine Änderung der Produktionsweise. Die Leiden der Sklaven in den Bergwerken und Plantagen ließen ihn ebenso kalt, wie etwa die von Lasttieren.
Noch weniger konnte es den Bauern und Handwerkern einfallen, eine höhere Produktionsweise anzustreben. Sie tun das nicht einmal heute. Ihr Traum war im besten Falle die Wiederherstellung der Vergangenheit. Aber sie standen den Lumpenproletariern so nahe und deren Ziele waren auch für sie so verführerisch, daß sie ebenfalls nichts anderes wünschten und ersehnten als jene: ein arbeitsloses Leben auf Kosten der Reichen; Kommunismus durch Plünderung der Reichen.
So gab es in der römischen Gesellschaft am Ende der Republik und während der Kaiserzeit wohl ungeheure soziale Gegensätze, wohl viel Klassenhaß und Klassenkämpfe, Empörungen und Bürgerkriege, wohl ein unendliches Sehnen nach einem anderen, besseren Leben, nach einer Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung, aber keine Bestrebungen nach Einführung einer neuen, höheren Produktionsweise.
Die moralischen und intellektuellen Bedingungen dafür waren nicht gegeben, es gab keine Klasse, die das Wissen, die Tatkraft, die Arbeitsfreudigkeit und die Selbstlosigkeit besessen hätte, um einen wirksamen Drang nach einer neuen Produktionsweise entwickeln zu können, es fehlten aber auch die materiellen Vorbedingungen, um auch nur die Idee einer solchen aufkommen zu lassen.
Wir haben ja gesehen, wie die Sklavenwirtschaft technisch keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt bedeutete, wie sie nicht bloß die Herren entnervte und zur Arbeit untauglich machte, nicht bloß die Zahl der unproduktiven Arbeiter in der Gesellschaft vermehrte, sondern. auch die Produktivität der produktiven Arbeiter herabsetzte und die Fortentwicklung der Technik hemmte – mit Ausnahme vielleicht einiger Luxusproduktionen. Verglich man die neue Produktionsweise der Sklavenwirtschaft mit der von ihr zurückgedrängten und niedergedrückten freien Bauernwirtschaft, dann mußte man darin einen Abstieg sehen, keinen Aufstieg. So kam man zur Anschauung, die alte Zeit sei die bessere, die goldene gewesen, die Zeitalter würden immer schlechter. Ist der kapitalistischen Zeit mit ihrem steten Streben nach Verbesserung der Produktionsmittel die Anschauung vom unbegrenzten Fortschritt der Menschheit eigen, neigt sie dazu, die Vergangenheit möglichst schwarz und die Zukunft möglichst rosig zu sehen, so finden wir in der römischen Kaiserzeit die umgekehrte Anschauung, die des unaufhaltsamen Niederganges der Menschheit und der steten Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Soweit damals soziale Reformen und soziale Ideale überhaupt einer Gesundung der Produktionsverhältnisse galten, zielten sie nur auf Wiederherstellung der alten Produktionsweise hin, der der freien Bauernschaft, und mit Recht, denn diese Produktionsweise war die höhere. Die Sklavenarbeit führte in eine Sackgasse. Die Gesellschaft mußte wieder auf die Grundlage der bäuerlichen Wirtschaft gestellt werden, ehe sie ihren Aufstieg von neuem beginnen konnte. Aber auch das zu tun, war die römische Gesellschaft unfähig, denn die dazu erforderlichen Bauern waren ihr verloren gegangen. Erst mußten in der Völkerwanderung zahlreiche Völker freier Bauern das ganze Römerreich überschwemmen, ehe die Reste der Kultur, die es geschaffen hatte, die Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung abgeben konnten.
Wie jede auf Gegensätzen aufgebaute Produktionsweise, grub sich auch die antike Sklavenwirtschaft selbst ihr Grab. In der Form, die sie schließlich im römischen Weltreich erlangt hatte, beruhte sie auf dem Kriege. Nur ununterbrochene siegreiche Kriege, ununterbrochenes Niederwerfen neuer Nationen, ununterbrochene Ausdehnung des Reichsgebiets konnten das massenhafte billige Sklavenmaterial schaffen, dessen sie bedurfte.
Aber man kann nicht Krieg führen ohne Soldaten, und das beste Soldatenmaterial bot der Bauer. An ununterbrochene harte Arbeit im Freien, in Hitze und Kälte, im Sonnenbrand und Regen gewöhnt, konnte er am ehesten die Strapazen aushalten, die der Krieg dem Soldaten aufs erlegt. Der städtische Lumpenproletarier, der Arbeit entwöhnt, aber auch der fingerfertige Handwerker, der Weber oder Goldschmied oder Bildschnitzer, war weit weniger dazu geeignet. Mit den freien Bauern schwanden dem römischen Heere die Soldaten. Man wurde immer mehr genötigt, die Zahl der dienstpflichtigen Milizsoldaten durch angeworbene Freiwillige zu ergänzen, Berufssoldaten, die über ihre Dienstzeit hinaus dienten. Bald reichte man auch mit diesen nicht aus, wenn man sich auf römische Bürger beschränken wollte. Schon Tiberius erklärte im Senat, an besseren Freiwilligen sei Mangel, man müsse allerhand Gesindel und Vagabunden nehmen. Immer zahlreicher wurden in den römischen Heeren die barbarischen Söldner aus den unterworfenen Provinzen, ja schließlich mußte man zur Ausfüllung der Lücken des Heeres zur Anwerbung von Ausländern, von Reichsfeinden greifen. Bei Cäsar schon finden wir Germanen in den römischen Heeren.
Je weniger aber die Armee ihre Rekruten aus der Herrennation ziehen konnte und je seltener und kostbarer die Soldaten wurden, desto mehr mußte die Friedensliebe Roms steigen, nicht wegen eines Umschwunges seiner Ethik, sondern aus sehr materiellen Gründen. Es mußte seine Soldaten schonen, es konnte aber auch die Reichsgrenzen nicht mehr erweitern, denn es mußte froh sein, wenn es genug Soldaten auftrieb, um die gegebene Grenze zu schützen. Gerade zu der Zeit, in die Jesu Leben verlegt wird, unter Tiberius, kommt die römische Offensive im wesentlichen zum Stillstand. Von da an bestrebt sich das römische Reich immer mehr, sich der Feinde zu erwehren, die es bedrängen. Und diese Bedrängnis nimmt gerade von da an immer mehr zu, denn je mehr Ausländer, namentlich Germanen, in den Heeren Roms dienten, desto mehr lernten dessen barbarische Nachbar Roms Reichtum und Kriegskunst, aber auch Roms Schwäche kennen und desto mehr regte sich in ihnen die Lust, nicht als Besoldete und Diener, sondern als Eroberer und Herren in das Reich einzudringen. Statt Menschenjagden nach den Barbaren zu unternehmen, sahen sich die Herren Roms bald gezwungen, sich vor den Barbaren zurückzuziehen oder deren Schonung zu erkaufen. So hörte im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung der Zustrom billiger Sklaven rasch auf. Immer mehr wurde man auf die Züchtung von Sklaven angewiesen.
Das war aber ein sehr kostspieliges Verfahren. Die Sklavenzüchtung lohnte sich nur bei Haussklaven höherer Art, die qualifizierte Arbeit zu verrichten hatten. Mit gezüchteten Sklaven die Latifundienwirtschaft fortzuführen, war unmöglich. Die Anwendung von Sklaven in der Landwirtschaft hörte immer mehr auf und auch der Bergbau ging zurück, zahlreiche Gruben wurden unrentabel, sobald die kriegsgefangenen Sklaven ausblieben, die man nicht zu schonen brauchte.
Aber aus dem Verfall der Sklavenwirtschaft erstand keine neue Blüte der Bauernschaft. Dazu fehlte ein Geschlecht zahlreicher, ökonomisch kraftvoller Bauern, das verhinderte auch das Privateigentum am Grund und Boden. Die Latifundienbesitzer waren nicht gewillt, ihren Besitz aufzugeben. Aber sie schränkten ihre Großbetriebe ein. Einen Teil ihres Bodens verwandelten sie in kleine Pachtgüter, die sie an Pächter, Kolonen, ausgaben unter der Bedingung, daß diese einen Teil ihrer Arbeitskraft dem Hofe des Grundherrn widmeten. So entstand jenes System der Bodenbewirtschaftung, zu dem auch später in der Feudalzeit die großen Grundherren immer wieder hinstrebten, bis der Kapitalismus es durch das kapitalistische Pachtsystem verdrängte.
Die Arbeitskräfte, aus denen sich die Kolonen rekrutierten, waren teils ländliche Sklaven und verkümmerte Bauern, teils auch Proletarier, freie Handwerker und Sklaven der Großstädte, die dort keine Existenz mehr fanden, seitdem die Einkommen aus der Sklavenwirtschaft im Landbau und dem Bergbau zurückgingen, so daß die Freigebigkeit und das Genußleben der Reichen eingeschränkt wurden. Dazu dürften sich später noch Bewohner der Grenzprovinzen gesellt haben, die von den vordringenden Barbaren aus ihrem Besitz vertrieben wurden und in das Innere des Reiches flohen, wo sie als Kolonen Unterkunft fanden.
Aber diese neue Produktionsweise konnte den ökonomischen Verfall nicht aufhalten, der aus dem Ausbleiben der Sklavenzufuhr hervorging. Auch sie blieb technisch hinter der freien Bauernwirtschaft zurück und war ein Hindernis weiterer technischer Entwicklung. Die Arbeit, die der Kolone auf dem Gutshof zu leisten hatte, blieb Zwangsarbeit, mit derselben Unwilligkeit und Lässigkeit, mit derselben Mißachtung für Vieh und Werkzeuge betrieben, wie die Sklavenarbeit. Dabei erlangte der Kolone freilich auch einen eigenen Betrieb für sich, aber dessen Ausdehnung war ihm so karg zugemessen, daß er nicht zu üppig wurde, daß sie ihm gerade nur die Fristung des Lebens ermöglichte. Der in Naturalien gezahlte Pachtzins wurde dafür so hoch angesetzt, daß der Kolone alles, was er über den dürftigsten Lebensunterhalt hinaus produzierte, dem Herrn ablieferte. Das Elend der Kolonen konnte sich ungefähr mit dem der Zwergpächter Irlands messen oder mit dem der Landleute des heutigen Süditalien, wo eine ähnliche Produktionsweise fortbesteht. Aber für die agrarischen Gegenden von heute ist wenigstens das Sicherheitsventil der Auswanderung in Gegenden mit industriellem Aufchwung eröffnet. Dies fehlte für die Kolonen des römischen Reiches. Die Industrie diente damals nur in geringem Maße der Produktion von Produktionsmitteln, vornehmlich der von Genußmitteln des Luxus. Mit den Überschüssen der Besitzer von Latifundien und Bergwerken ging auch die Industrie in den Städten zurück, deren Bevölkerung nahm rapid ab.
Gleichzeitig verminderte sich aber auch die Bevölkerung des flachen Landes. Die Zwergpächter konnten keine großen Familien erhalten. Der Ertrag ihrer Betriebe reichte in normalenZeiten eben hin, sie notdürftig zu ernähren. Mißernten fanden sie ohne Vorräte oder Geld, sich das Fehlende zu kaufen. Da mußten Hunger und Elend besonders stark wüten und die Reihen der Kolonen lichten, namentlich die ihrer Kinder. Wie seit einem Jahrhuudert die Bevölkerung Irlands immer mehr abnimmt, so verringerte sich auch die des römischen Reiches.
„Es ist sehr begreiflich, daß sich die Ursachen wirtschaftlicher Art, die im ganzen römischen Reiche die Abnahme der Bevölkerungszahl herbeiführten, in Italien besonders fühlbar machten, und am stärksten wieder in Rom. Wenn man Zahlen anführen soll, so mag man annehmen, daß die Stadt zur Zeit des Augustus ungefähr die Million erreicht hat und sich die Bevölkerungszahl im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit ungefähr gleich geblieben, dann in der Zeit der Severe auf etwa 600.000 zurückgegangen ist; dann ist die Einwohnerzahl rapid gefallen.“
In seiner schönen Schrift über, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums (1895) gibt Eduard Meyer in einer Beilage die Schilderung wieder, welche Dio Chrysostomus (geboren um 50 n. Chr.) in seiner siebenten Rede von den Verhältnissen einer von ihm nicht genannten Kleinstadt in Euböa entwarf. Die Entvölkerung des Reiches kommt darin drastisch zur Darstellung.
„Der ganze Landkreis ist städtisches Gebiet und der Stadt steuerpflichtig. Größtenteils, wenn nicht ausschließlich, ist das Land im Besitz reicher Leute, denen ausgedehnte Güterkomplexe gehören, die teils als Weide, teils als Ackerland bewirtschaftet werden. Aber es ist vollständig verödet. ‚Fast zwei Drittel unseres Gebiets‘, sagt ein Bürger in der Volksversammlung, ‚liegen öde da, weil wir uns nicht darum kümmern und zu wenig Bevölkerung haben. Ich selbst habe so viele Morgen, wie nur irgend einer, nicht nur in den Bergen, sondern auch in der Ebene, und wenn ich jemanden fände, der sie bebauen wollte, würde ich sie ihm nicht nur umsonst überlassen, sondern mit Vergnügen noch Geld dazu geben ...‘ Jetzt beginne die Verödung unmittelbar vor den Toren, ‚das Land ist vollständig öde und bietet einen traurigen Anblick, als läge es tief in der Wüste und nicht vor den Toren einer Stadt. Innerhalb der Mauern dagegen wird das städtische Terrain großenteils besät und beweidet ... Das Gymnasion hat man in Ackerland verwandelt, so daß Herakles und die anderen Götter- und Heroeustatuen im Sommer im Korn versteckt sind, und auf den Markt läßt der Redner, der vor mir gesprochen hat, jeden Morgen sein Vieh treiben und vor dem Amtshaus und den Amtslokalen weiden, so daß die Fremden, die zu uns kommen, die Stadt verlachen oder bedauern.‘“
„Dem entspricht es, daß in der Stadt selbst viele Häuser leerstehen, die Bevölkerung geht offenbar ständig zurück. An den Kapharischen Felsen wohnen einige Purpurfischer; sonst ist das ganze Gebiet auf weite Strecken unbewohnt. Ehemals gehörte dies ganze Land einem reichen Bürger, ‚der viele Herden von Pferden und Rindern, viele Weiden, viele und schöne Äcker und auch sonst großes Vermögen besaß.‘“
Er wurde um seines Reichtums willen auf Befehl des Kaisers getötet, seine Herden wurden weggetrieben, dabei auch das Vieh, welches seinem Hirten gehörte, und seitdem liegt das ganze Land unbenutzt da. Nur zwei Rinderhirten, freie Männer und Bürger der Stadt, sind zurückgeblieben und ernähren sich jetzt von Jagd und etwas Feld- und Gartenbau und Viehzucht ...
„Die Zustände, welche Dio hier schildert – und überall in Griechenland sah es schon zu Beginn der Kaiserzeit ebenso aus –, sind dieselben, welche sich während der nächsten Jahrhunderte in Rom und seiner Umgebung entwickelt und der Campagna bis auf den heutigen Tag ihre Signatur aufgedrückt haben. Auch hier ist es ja dahin gekommen, daß die Landstädte verschwunden sind, das Land nach allen Seiten meilenweit brach liegt und nur noch zur Viehzucht (und an einzelnen Stellen am Abhang der Berge zum Weinbau) dient, bis schließlich auch Rom menschenleer wird, die Häuser leerstehen und zusammenstürzen wie die öffentlichen Bauten und auf Forum und Kapitol Viehherden weiden. Dieselben Zustände haben sich in unserem Jahrhundert (dem neunzehnten) in Irland zu entwickeln begonnen und treten hier jedem Besucher, der nach Dublin kommt oder über Land geht, sofort augenfällig entgegen.“ (A. a. O., S. 67 bis 69)
Und gleichzeitig sank die Fruchtbarkeit des Bodens. Die Stallfütterung war wenig entwickelt, und sie mußte unter der Sklavenwirtschaft noch abnehmen, da diese schlechte Behandlung des Viehes mit sich brachte. Ohne Stallfütterung gab es aber keinen Dünger. Ohne viele Düngung und ohne intensive Bestellung wurde dem Boden eben entnommen, was er liefern wollte. Nur auf den besten Böden lieferte diese Art Anbau lohnende Erträge. Die Menge solcher Böden wurde aber immer kleiner, je länger die Bebauung währte, je länger der Boden ausgesogen wurde.
Etwas Ähnliches haben wir noch im neunzehnten Jahrhundert in Amerika gesehen, wo unter der Sklavenwirtschaft in den Südstaaten der Boden ebenfalls nicht gedüngt und daher rasch erschöpft wurde, indes gleichzeitig die Anwendung von Sklaven bloß auf den besten Böden profitabel war. Die Sklavenwirtschach konnte sich dort nur dadurch halten, daß sie immer weiter nach Westen vordrang und immer wieder neues Land in Angriff nahm, den ausgesogenen Boden verödet hinter sich lassend. Das gleiche finden wir im römischen Reiche, und das war auch eine der Ursachen des steten Landhungers seiner Herren und ihres Strebens, durch Kriege neuen Boden zu erobern. Schon im Anfang der Kaiserzeit waren Süditalien, Sizilien, Griechenland verödet.
Aussaugung des Bodens und wachsender Mangel an Arbeitskräften, dabei deren irrationelle Anwendung – das konnte nichts anderes ergeben als stetiges Abnehmen der Bodenerträge.
Gleichzeitig sank aber auch das Vermögen des Landes, Lebensmittel aus dem Auslande zu kaufen. Gold und Silber wurden immer rarer. Denn die Bergwerke versiegten wegen Mangels an Arbeitskräften, wie wir gesehen. Von dem vorhandenen Gold und Silber floß aber immer mehr ab ins Ausland, teils nach Indien und Arabien zur Erkaufung von Luxusmitteln für die übrigbleibenden Reichen, namentlich aber zur Bezahlung der barbarischen Nachbarvölker. Wir haben ja gesehen, daß die Soldaten immer mehr aus diesen rekrutiert wurden; immer mehr stieg die Zahl derjenigen unter ihnen, die ihren Sold, oder doch alles, was ihnen schließlich am Ende ihrer Dienstzeit davon blieb, mit sich ins Ausland nahmen. Je mehr die Wehrkraft des Reiches verfiel, desto mehr versuchte man aber auch, die gefährlichen Nachbarn zu beschwichtigen und bei guter Laune zu erhalten, was durch Zahlung reicher Tribute am ehesten erreicht wurde. Wo das nicht gelang, da brachen die feindlichen Scharen nur zu oft in das Reichsgebiet ein, um es zu plündern. Auch das entführte ihm wieder einen Teil seines Reichtums.
Dessen letzter Rest wurde endlich verpulvert durch das Streben, ihn zu schützen. Je mehr die Wehrkraft der Bewohner des Reiches verfiel, je seltener die Rekruten des Inlandes wurden, je mehr man solche jenseits der Grenzen holen mußte und je stärker der Andrang der feindlichen Barbaren wurde, je mehr also die Nachfrage nach Söldnern wuchs, indes ihr Angebot abnahm, desto höher stieg der Sold, den man ihnen zahlen mußte.
„Er betrug seit Cäsar jährlich 225 Denare (196 Mark) und außerdem erhielt der Mann monatlich zwei Drittel Medinnen (der Medinnus = 54 Liter) Getreide, das sind vier Modien, später erhielt er sogar fünf Modien. Ein Sklave, der nur von Getreide lebte, erhielt monatlich ebensoviel. Bei der Mäßigkeit des Südländers war mit dem Getreide also der größte Teil des Nahrungsbedürfnisses zu bestreiten. Domitian erhöhte den Sold auf 300 Denare (261 Mark). Unter den späteren Kaisern wurden auch noch die Waffen unentgeltlich geliefert. Septimius Severus und später Caracalla haben den Sold noch weiter erhöht.“
Dabei war aber damals die Kaufkraft des Geldes viel höher als heute. So meinte Seneca zur Zeit Neros, ein Philosoph könne mit einem halben Sesterz (11 Pfennig) im Tag leben. 40 Liter Wein kosteten 25 Pfennig, ein Lamm 40 bis 50 Pfennig, ein Schaf 1½ Mark.
„Man sieht, daß bei solchen Preisen der Sold des römischen Legionärs sehr bedeutend war. Und außer dem Sold erhielt er noch Antrittsgeschenke von neuen Kaisern ; in Zeiten, wo alle paar Monate ein neuer Kaiser von den Soldaten aufgestellt wurde, machte auch das viel aus. Nach Ablauf der Dienstzeit bekam er ein Entlassungsgeschenk, welches zur Zeit des Aug1istus 3.000 Denare (2.600 Mark) betrug, von Caligula zwar auf die Hälfte reduziert, dann aber von Caracalla wieder auf 5.000 Denare (4.350 Mark) erhöht wurde.“ (Paul Ernst, Die sozialen Zustände im römischen Reich vor dem Einfall der Barbaren, Neue Zeit, XI, 2, S. 253 ff.)
Und dabei mußte noch der Umfang des stehenden Heeres in dem Maße ausgedehnt werden, in dem die Angriffe auf die Reichsgrenzen an allen Seiten zahlreicher wurden. Zur Zeit des Augustus umfaßte es 300.000 Mann, später mehr als das Doppelte.
Das sind ungeheure Zahlen, wenn man bedenkt, daß, dem damaligen Stande der Landwirtschaft entsprechend, die Bevölkerung des Reiches sehr dünn und der Überschuß, den ihre Arbeit lieferte, sehr gering war. Beloch berechnet die Bevölkerung des ganzen römischen Reiches, das ungefähr viermal so groß war wie das jetzige Deutsche Reich, zur Zeit des Augustus auf etwa 55 Millionen Einwohner. Italien, das heute allein 33 Millionen enthält, zählte damals nur 6 Millionen. Diese 55 Millionen mit ihrer primitiven Technik mußten ein Heer unterhalten, ebenso groß wie das, welches für das heutige Deutsche Reich eine drückende Last bildet trotz des enormen technischen Fortschritts, der seitdem vor sich gegangen ist, ein Heer angeworbener Söldner, die weit besser bezahlt wurden als der deutsche Wehrmann von heute.
Und während die Bevölkerung abnahm und verarmte, stiegen gleichzeitig die Lasten des Militarismus immer mehr.
Das hatte zwei Ursachen, die beide den ökonomischen Zusammenbruch vollendeten.
Dem Staat oblagen damals vornehmlich zwei Aufgaben: das Kriegswesen und das Bauwesen. Wollte er die Ausgaben für jenes steigern, ohne die Steuern zu erhöhen, so mußte er dieses vernachlässigen. Und das geschah auch. Zur Zeit des Reichtums und der großen Überschüsse der Arbeit massenhafter Sklaven war auch der Staat reich und imstande gewesen, große Bauten aufzuführen, die nicht bloß dem Luxus dienten, der Religion, der Hygiene, sondern auch dem Wirtschaftsleben. Mit Hilfe der enormen Menschenmassen, über die er gebot, baute der Staat jene kolossalen Werke, die wir heute noch bewundern, jene Tempel und Paläste, Wasserleitungen und Kloaken, aber auch ein Netz ausgezeichneter Straßen, das Rom mit den entferntesten Enden des Reiches verband und ein kraftvolles Mittel ökonomischen und politischen Zusammenhalts und internationalen Verkehrs wurde. Und daneben große Bewässerungs- und Entwässerungswerke. So bildeten zum Beispiel die Pontinischen Sümpfe ein ungeheures Gebiet fruchtbarsten Landes südlich von Rom, durch dessen Entwässerung 100.000 Hektar der Bodenkultur erschlossen wurden. Nicht weniger als 33 Städte standen einmal dort. Der Bau und die Erhaltung von Entwässerungsanlagen der Pontinischen Sümpfe bildeten eine ständige Sorge der Machthaber Roms. Diese Anlagen verfielen so vollständig, daß heute noch das ganze Gebiet der Sümpfe und ihres Umkreises eine unfruchtbare Einöde ist.
Sobald die Finanzkraft des Reiches erlahmte, ließen dessen Beherrscher eher alle diese Werke verfallen, als daß sie den Militarismus einschränkten. Die kolossalen Bauten wurden zu kolossalen Ruinen, die um so eher verfielen, als man bei dem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften es vorzog, das Material zu gelegentlichen Neubauten, die nicht zu umgehen waren, durch Abreißen der alten Werke zu gewinnen, statt es aus Steinbrüchen zu holen. Diese Methode hat die antiken Kunstwerke mehr geschädigt, als die Verheerungen der eindringenden Vandalen und sonstiger Barbaren.
„Der Beschauer, der einen trauervollen Blick über die Ruinen des alten Rom wirft, gerät in Versuchung, das Andenken der Goten und Vandalen ob des Unheils zu verwünschen, zu dessen Vollführung sie weder Zeit noch Kraft noch vielleicht auch die Neigung hatten. Der Sturm des Krieges mochte einige hohe Türme dem Erdboden gleichmachen; aber die Zerstörung, welche die Grundlagen dieser erstaunlichen Bauwerke untergrub, nahm langsam und still ihren Fortgang während der Dauer von zehn Jahrhunderten ... Die Denkmäler konsularischer oder kaiserlicher Größe wurden nicht mehr als der unsterbliche Ruhm der Hauptstadt verehrt; man schätzte sie nur als eine unerschöpfliche Mine von Steinen, die wohlfeiler und bequemer zu haben waren als die der fernen Steinbrüche.“
Nicht bloß Kunstwerke wurden von dem Verfall betroffen, sondern auch die öffentlichen Anlagen, die dem Wirtschaftsleben oder der Hygiene dienten, Straßen und Wasserbauteil. Dieser Verfall, eine Folge des allgemeinen ökonomischen Niederganges, trug mm seinerzeit wieder dazu bei, ihn zu beschleunigen.
Die Militärlasten aber wuchsen trotz alledem, sie mußten daher immer unerträglicher werden und den völligen Ruin vollenden. Die Summe der öffentlichen Lasten – Naturalabgaben, Arbeitsleistungen, Geldsteuern – blieb gleich oder vermehrte sich, indes die Bevölkerung und ihr Reichtum ab nahm. Auf den einzelnen häufte sich eine stets schwerere Staatslast. Jeder suchte sie auf schwächere Schultern abzuwälzen; auf die unglückseligen Kolonen wurde am meisten abgeladen, ihre ohnehin schon traurige Lage dadurch zu einer verzweifelten, wie zahlreiche Aufstände bezeugen, zum Beispiel die der Bagauden, gallischer Kolonen, die sich zuerst unter Diokletian, 285 n. Chr., erhoben, nach siegreichen Anfängen niedergeschlagen wurden, aber ein volles Jahrhundert lang immer wieder durch neue Unruhen und Aufstandsversuche die Größe ihres Elends dartaten.
Indes wurden auch die anderen Klassen der Bevölkerung immer tiefer herabgedrückt, wem auch weniger hart wie die Kolonen. Der Fiskus nahm alles, was er finden konnte, die Barbaren konnten nicht ärger plündern als der Staat. Eine allgemeine Auflösung der Gesellschaft trat ein, eine steigende Unwilligkeit und Unfähigkeit der einzelnen Glieder der Gesellschaft, für das Gemeinwesen und für einander auch nur das Notdürftigste zu leisten. Was sonst Sitte und ökonomisches Bedürfnis geregelt hatte, mußte nun immer mehr durch die Gewalt des Staates erzwungen werden. Seit Diokletian wuchsen diese Zwangsgesetze. Die einen fesselten den Kolonen an die Scholle, verwandelten ihn also gesetzlich in einen Hörigen; andere verpflichteten die Grundbesitzer, an der Stadtverwaltung teilzunehmen, die freilich hauptsächlich in der Eintreibung von Steuern für den Staat bestand. Wieder andere organisierten die Handwerker in Zwangsinnungen und verpflichteten sie, ihre Dienste und Waren zu bestimmten Preisen zu liefern. Und es wuchs die staatliche Bureaukratie, die diese Zwangsgesetze durchzuführen hatte.
Bureaukratie und Armee, kurz die Staatsgewalt, gerieten dadurch in immer stärkeren Gegensatz dicht bloß zu den ausgebeuteten, sondern auch zu den ausbeutenden Klassen. Auch für diese verwandelte sich der Staat immer mehr aus einer schützenden und fördernden in eine plündernde und verheerende Einrichtung. Die Staatsfeindschaft stieg; selbst die Herrschaft der Barbaren wurde als eine Erlösung betrachtet. Zu ihnen, den freien Bauern, flüchtete immer mehr die Bevölkerung der Grenzbezirke, sie wurden schließlich von ihr als Retter, als Erlöser von der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung herbeigerufen und mit offenen Armen empfangen.
Ein christlicher Schriftsteller des ausgehenden Römerreichs, Salvianus, schrieb darüber in seinem Buche De gubernatione dei:
„Ein großer Teil von Gallien und Spanien ist schon gotisch, und alle Römer, die dort leben, haben nur den einen Wunsch, nicht wieder römisch zu werden. Ich würde mich nur darüber wundern, daß nicht alle Armen und Bedürftigen überlaufen, wenn nicht der Grund wäre, daß sie ihre Habseligkeiten und Familien nicht im Stiche lassen können. Und wir Römer wundern uns, daß wir die Goten nicht überwinden können, wenn wir Römer es vorziehen, lieber unter ihnen als unter uns zu leben.“
Die Völkerwanderung, die Überschwemmung des römischen Reiches durch die Schwärme roher Germanen bedeutete nicht die vorzeitige Zerstörung einer blühenden hohen Kultur, sondern nur den Abschluß des Verwesungsprozesses einer absterbenden Kultur und die Grundlegung zu einem neuen Kulturaufschwung, der dann freilich jahrhundertelang recht langsam und unsicher vor sich ging.
In den vier Jahrhunderten von der Begründung der kaiserlichen Gewalt durch Augustus bis zur Völkerwanderung bildete sich das Christentum: in jener Zeit, die mit dem höchsten Glanzpunkt beginnt, den die antike Welt erreicht hat, mit der kolossalsten und berauschendsten Zusammenfassung von Reichtum und Macht in wenigen Händen; mit der massenhaftesten Ansammlung des größten Elends von Sklaven, verkommenden Bauern, Handwerkern und Lumpenproletariern; mit den schroffsten Klassengegensätzen und dem grimmigsten Klassenhaß – und die endet mit völliger Verarmung und Verzweiflung der ganzen Gesellschaft.
Alles das hat dem Christentum seine Merkmale aufgedrückt und seine Spuren in ihm hinterlassen.
Aber es trägt noch Spuren anderer Einflüsse, die aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben entsprangen, das auf dem Boden der eben geschilderten Produktionsweise erwuchs und das deren Wirkungen vielfach noch verstärkte.