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II.
ОглавлениеSeit Ende der achtziger Jahre gehört die anthroposophisch orientierte Sozialarbeit und Sozialpädagogik zu meinen Interessens- und Forschungsschwerpunkten (Limbrunner 1993, 2011). Schon vorher fiel mir Karl Königs Buch in die Hand. Es ist hier nicht der Ort, ausführlicher über Königs Wirken in diesem Bereich angewandter, praktischer Anthroposophie zu schreiben, aber nur so viel: Nach Rudolf Steiners Besuch auf dem Lauenstein bei Jena, der ersten heilpädagogischen Gründung für «Seelenpflege-bedürftige» Kinder und seinen Vorträgen zur Heilpädagogik in Dornach, verbindet sich der Arzt Karl König über verschiedene örtliche und berufliche Stationen mit dieser Arbeit. Er – und neben ihm viele andere – fühlten sich dem Worte Steiners am Ende des Heilpädagogischen Kurses (1995, S. 189) verpflichtet:
Denken Sie in einer geistigen Bewegung daran, diese geistige Bewegung für das praktische Leben fruchtbar zu machen, dann muss man diese geistige Bewegung als eine lebendige ansehen.
Die Zeit des Nationalsozialismus unterbindet die weitere Entwicklung innerhalb Deutschlands – fast alle Heime und Schulen müssen geschlossen werden. In der Schweiz und in den Niederlanden geht die Arbeit weiterhin relativ ungestört weiter. Großbritannien wird zur Chance für Karl König, der 1902 in einer jüdischen Familie in Wien geboren wurde und 1966 in Überlingen starb. Mit seinen überwiegend jüdischen Weggefährten emigrierte er nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich auf Umwegen nach Schottland. Von dort aus wurde 1940 in Camphill das «Licht auf dem Hügel» entzündet, das zum Sinnbild einer längst weltweiten Bewegung geworden ist, die inzwischen an die hundert Einrichtungen umfasst, dreizehn davon in Deutschland. In den fünfziger Jahren, als hierzulande alle Formen der Sozialpädagogik und Sozialarbeit – und damit auch der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie – in Schwung kommen, nähert sich König auch wieder dem Sprachraum, dem er entstammt. Gründungen im Bodenseeraum kennzeichnen diese Zeit bis zu seinem Tod. Er ist einer der unermüdlichsten Anwälte für Menschen mit Behinderung. Die Idee der Heilpädagogik, so meinte er, müsse man noch viel weiter fassen, «um ihrer wahrhaften Bestimmung ansichtig zu werden, […] um der überall entstandenen ‹Bedrohung der Person› hilfreich entgegenzutreten. Die ‹heilpädagogische Haltung› muss in jeder sozialen Arbeit, in der Seelsorge, in der Betreuung der Alten, in der Rehabilitation der Geisteskranken sowohl als auch der Körperbehinderten, in der Führung der Waisen und Flüchtlinge, der Selbstmordkandidaten und Verzweifelten, … sich zum Ausdruck bringen» (2008b, S. 46). Den mit diesen Worten verbundenen rasanten Aufschwung, eingebettet in ein günstiges sozialpolitisches Klima, den die gesamte Wohlfahrtspflege in den siebziger und achtziger Jahre genommen hatte, von der auch anthroposophische Gründungen profitierten, erlebte König nicht mehr. Es ist anzunehmen, dass auch er, wie der Verfasser dieser Zeilen, zu jenen gehört hätte, die sich über die allgemeine Entwicklung vom Wesen wahrer Hilfe und Mitmenschlichkeit zur Hilfe als Ware und den Wandlungen hin zur Sozialindustrie nicht begeistert gezeigt hätten.
König war ein Visionär, ein Mensch nicht nur der Tat, sondern auch des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Die Stellung von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft, die wachsende Anteilnahme am Leid der Menschheit, der Angriff auf die Würde und Integrität des Menschen, forderten ihn immer wieder zu mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen heraus (Lindenberg 1991, S. 18). Ein Blick in die Bibliographie zeigt, dass er in Hunderten von Aufsätzen seine umfassenden Interessen unter Beweis stellte. Die Themen reichen von seinem ursprünglichen Fachgebiet, der Embryologie, bis hin zu Geschichte, biographischen Studien, Landwirtschaft und Zoologie. Er schrieb als Arzt, als Lehrer, als Forscher und Wissenschaftler. Sein Schrifttum umfasst Texte mit künstlerischem Ausdruck, beinhaltet Lyrik und Dramatik, Mischungen aus Wissenschaft und Poesie, ein Stil, der ihm näher lag als die streng wissenschaftlich begriffliche Ausformung von Erfahrung.
Ich glaube, dass es gerade diese Fähigkeit war, die es ihm ermöglichte, nicht Wissenschaftler im reinsten und klassischen Sinne zu werden, sondern in jenem gedanklich und sprachlich lebendigen Bereich zu bleiben, der es ihm ermöglichte, alle Menschen zu erreichen und insbesondere im therapeutischen Umfeld Camphills eine Sprache zu sprechen, die auch die Gruppeneltern, die Therapeuten und die Lehrer verstehen konnten. Es war eine Sprache, die mit künstlerischem Sinn erfasst und verstanden werden wollte, und sie hat nicht zuletzt dazu beigetragen, dass König Wissenschaftler und Heilpädagoge sein konnte.
(Müller-Wiedemann 2016, S. 431 f.).
Und da sind vor allem seine Bücher, die ihm, neben den Gründungen von Einrichtungen und Dorfgemeinschaften, die Wertschätzung und Anerkennung breiter Kreise, weit über den anthroposophischen Raum hinaus, einbrachten. Zu den bekanntesten Werken gehören: Die ersten drei Jahre des Kindes (1957), Der Mongolismus – Erscheinungsbild und Herkunft (1959), verstreute Aufsätze, die posthum unter Geister unter dem Zeitgeist – Biographisches zur Phänomenologie des 19. Jahrhunderts als Buch herausgegeben wurden. Über die menschliche Seele erschien 1966, Brüder und Schwestern – Geburtenfolge als Schicksal bereits 1957/58 in Folgen, die jeweils in der internen Zeitschrift The Cresset veröffentlicht wurden, dann als Privatdruck in England und schließlich 1963 auch in den Vereinigten Staaten. Seit 1964 ist das Buch in Deutschland zu haben, zunächst im Ehrenfried Klotz Verlag, später dann bei Vandenhoeck & Ruprecht. Im Jahre 2008 erlebte es seine vierzehnte Auflage – ein immergrünes Pionierstück.