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IV.
ОглавлениеFestzuhalten ist, dass nicht Walter Toman, Lehrstuhlinhaber für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Erlangen, es war, der im deutschsprachigen Raum erstmals über Geschwisterforschung veröffentlichte, sondern Karl König ein Jahr vor ihm. To-man war bereits vor seiner Berufung nach Erlangen als Professor in amerikanische universitäre Forschungskreise eingebunden. Ob König dessen Family Constellation (New York 1961) kannte, ist bei seinen beschränkten Möglichkeiten eher unwahrscheinlich. Das Buch findet sich zumindest nicht in der noch weitgehend erhaltenen Bibliothek Königs in Schottland. Toman hat in seiner überarbeiteten deutschen Fassung Königs Arbeit jedenfalls nicht zur Kenntnis genommen, es erscheint zumindest nicht in der Bibliographie. Erstaunlich für einen Professor, der mit seinen Forschungen über den Einfluss von Familienkonstellationen als internationale Kapazität galt. Oder eben auch nicht, weil es immerhin sein könnte, etwas bewusst nicht zur Kenntnis zu nehmen, zumal von einem Außenseiter, noch dazu einem mit dem «Stigma» des Anthroposophen.
Der ebenfalls in Wien gebürtige Toman (1920 – 2003) studierte dort Psychologie und veröffentlichte, wie König auch, nicht nur Fachliches, sondern sogar Lyrik und später manch anderes Geschriebene. Obgleich die beiden durchaus Ähnliches im Sinn hatten, sind ihre Werke über Geschwister kaum miteinander zu vergleichen. Hier der universitäre, stringent wissenschaftlich forschende Blick, dort die essayistische Abhandlung in einer Mischung aus Wissenschaft, bescheidener Empirie, breit gestreuter Literatur, einfühlsam aufbereitet, aber fern von streng geformter wissenschaftlicher Begrifflichkeit.
Toman orientierte sich, wie König auch, zunächst an den von dem Freud-Schüler und dessen späterem Kontrahenten Alfred Adler beobachteten Einflüssen, denen Geschwister ausgesetzt sind. Adler mit seiner Individualpsychologie war es, der in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts mögliche Verbindungen zwischen Geburtsrangplatz und Eigenschaften des Individuums vermutete. Die Bedeutung der Geschwisterpositionen, ihrer Eltern und die Beziehungen der Eltern untereinander für die menschliche Entwicklung und das spätere Leben, wurden zu Tomans Metier. Mittels breit abgestützter, systematischer Datenerhebung und einem theoretischen Modell wollte er vor allem für beratende und therapeutische Berufe ein diagnostisches Hilfsmittel, eine Art Tabellenkompendium zur Einschätzung der sozialen Beziehungen anbieten, das auch zur Messung des therapeutischen Fortschritts dienen sollte. Das Grundkonzept besagte, dass neue außerfamiliäre soziale Beziehungen nach den Vorbildern früherer und frühester innerfamiliärer sozialer Beziehungen gemacht werden. Ausgangspunkt ist,
… dass die ersten Lebensjahre notwendigerweise die psychologisch einflussreichsten sind. Dies auch deswegen, weil die regelmäßigen und intimen Personenkontakte der Kinder sich in diesen Jahren vorwiegend auf Familienmitglieder beschränken. Die frühen Erfahrungen mit Familienmitgliedern liefern gewissermaßen die Formen, in denen spätere Erfahrungen mit denselben Familienmitgliedern gemacht werden (Toman 1965, S. 13).
Tomans Modell umfasst folgende Typen: älteste Brüder von Brüdern, jüngste Brüder von Brüdern, älteste Brüder von Schwestern, jüngste Brüder von Schwestern, männliche Einzelkinder, älteste Schwestern von Schwestern, jüngste Schwestern von Schwestern, älteste Schwestern von Brüdern, jüngste Schwestern von Brüdern, weibliche Einzelkinder, gemischte und mittlere Geschwisterpositionen. In dieser Richtung wollte ja auch König weiterarbeiten.
Ein Ergebnis am Rande war, dass, je geringer der Altersunterschied zwischen den Geschwistern ist, desto größer und ernster sind ihre Konflikte miteinander, aber zugleich ist dabei die Neigung umso größer, einander auch im späteren Leben nicht zu verlassen (ebd., S. 14). Erwähnenswert sind auch seine Befunde zum Einzelkind, die Königs Darstellung ergänzen und erweitern.
Das Einzelkind lebt sozusagen nur von seinen Eltern […] Es lernt nicht, was die Kinder größerer Familien von ihren Eltern lernen können: die Behandlung anderer Kinder. Daher suchen Einzelkinder auch in möglichen Liebes- und Ehepartnern eher einen Vater oder eine Mutter als ein ‹Geschwister›, und öfter als andere bleiben sie kinderlos. Sie selbst wollen die Kinder sein. Unter gewissen Bedingungen neigen sie allerdings auch dazu, aus dieser Tendenz herauszubrechen und doch eigene Kinder zu haben, mitunter sogar ehrgeizig viele (ebd., S. 8).
Das triviale Hauptmerkmal des Einzelkindes sei seine Einmaligkeit in der Familie. Die Folge, insbesondere für das männliche Einzelkind, sei die Gewöhnung daran, der Liebling von zwei Erwachsenen, der Eltern, zu sein, ihr Stolz und ihre Freude, der mit ihrer sofortigen Hilfe rechnen kann. Später, so Toman sinngemäß, gehe ein solcher Mensch auch im Beruf davon aus, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und die Arbeitssituation in erster Linie zu seiner Talententfaltung zu deuten. Dennoch scheue er sich nicht, seine Fehler und Nachteile zu enthüllen. Schließlich: Wenn seine Talente ihn zum Star machen, diktiere er, mitunter hochmütig, seine Bedingungen. Auf Beziehungen zu Frauen sowie Männerfreundschaften sei er schlecht vorbereitet (ebd., S. 112).
In den neueren Veröffentlichungen zur Geschwisterforschung sucht man meist vergeblich nach den beiden Wienern, obgleich sich ihre Untersuchungen immer noch, länger als viele andere einschlägige Schriften, auf dem Buchmarkt und in der Lesergunst behaupten.