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I. Akt 1. Szene

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Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Etliche Wochen später. Fahnen an den Häusern. Vorbeimarschierende Soldaten werden bejubelt. Allgemeine Erregung. Es bilden sich Gruppen.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –!

Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee! Beidee Berichtee!

Ein Demonstrant (der sich von einer Gruppe den Prinz-Eugen-Marsch singender Leute loslöst, ruft mit hochrotem Gesicht und schon ganz heiser unaufhörlich): Nieda mit Serbieen! Nieda! Hoch Habsburg! Hoch! Hoch Serbieen!

Ein Gebildeter (den Irrtum bemerkend, versetzt ihm einen Rippenstoß): Was fällt Ihnen denn ein –

Der Demonstrant (anfangs verdutzt, besinnt sich): Nieda mit Serbieen! Nieda! Hoch! Nieda mit Habsburg! Serbieen!

(Im Gedränge einer zweiten Gruppe, in die auch eine Prostituierte geraten ist, versucht ein »Pülcher«, der dicht hinter ihr geht, ihr die Handtasche zu entreißen.)

Der Pülcher (ruft dabei unaufhörlich): Hoch! Hoch!

Die Prostituierte: Loslassen! Sie unverschämter Mensch! Loslassen oder –

Der Pülcher (von seinem Vorhaben ablassend): Wos rufn S' denn net hoch? Sie wolln a Padriodin sein? A Hur san S', mirken S' Ihna das!

Die Prostituierte: A Taschelzieher san S'!

Der Pülcher: A so a Schlampen – jetzt is Krieg, mirken S' Ihna das! A Hur san S'!

Ein Passant: Burgfrieden, wenn ich bitten darf! Halten S' an Burgfrieden!

Die Menge (aufmerksam werdend): A Hur is! Was hats gsagt?

Ein zweiter Passant: Wenn mr recht vurkummt, so hat s' was gegen das angestaamte Herrscherhaus gsagt!

Die Menge: Nieda! Hauts es! (Dem Mädchen ist es gelungen, in einem Durchhaus zu verschwinden.) Laßts es gehn! Mir san net aso! Hoch Habsburg!

Ein Reporter (zu seinem Begleiter): Hier scheinen Stimmungen zu sein. Was tut sich?

Der zweite Reporter: Ma werd doch da sehn.

Ein Armeelieferant (hat mit einem zweiten eine Ringstraßenbahn bestiegen): Da sehn wir sie besser. Wie schön sie vorbeimarschieren, unsere braven Soldaten!

Der Zweite: Wie sagt doch Bismarck, steht heut in der Presse, unsere Leut sind zum Küssen.

Der Erste: Wissen Sie, daß sogar Eislers Ältester genommen is?

Der Zweite: Was Sie nicht sagen! Das hat die Welt nicht gesehn! So reiche Leute auch. Daß sich da nichts machen hat lassen?

Der Erste: Es heißt, sie versuchen jetzt. Wahrscheinlich wird er hinaufgehn und sichs richten.

Der Zweite: Und im äußersten Fall – Sie wern sehn, jetzt wird er ihm doch das Automobil kaufen, was er sich hat in den Kopf gesetzt.

Der Erste: Kann man auch verunglücken.

Ein Passant: Habe die Ehre, Herr Generaldirektor!

Ein anderer Passant (zu seinem Begleiter): Hast ghört? Weißt, wer das is? Ein Generaldirektor in Zivil. Da muß man vorsichtig mit'n Reden sein. Das is nämlich der Vorgesetzte von die Generäle.

Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst?

Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich sag, es is alles wegen der Einkreisung.

Der Dritte: Weißt – also natürlich.

Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Der Dritte: Weißt, in der Zeitung steht, es war unanwendbar.

Der Zweite: Unabwendbar steht.

Der Dritte: Natürlich, unabwendbar, weißt ich hab mich nur verlesen. Also was is mit dir?

Der Vierte: No weißt ich hab halt also Aussicht ins KM.

Der Erste. No bist a Feschak, kommst halt zu uns. Du gestern war ich dir im Apollo bei der Mela Mars – hat mir der Nowak von Neunundfünfziger gsagt er hat ghört ich bin eingegeben für die Silberne.

Ein Zeitungsausrufer: Tagblaad! Kroßer Sick bei Schaabaaz!

Der Vierte: Gratuliere dir – hast die gsehn? Ein Gustomenscherl was sich gwaschen hat, sag ich euch – warts, ich – (ab.)

Die Andern (ihm nachrufend): Kommst also nachher zum Hopfner!

Ein Wiener (hält von einer Bank eine Ansprache): – denn wir mußten die Manen des ermordeten Thronfolgers befolgen, da hats keine Spompanadeln geben – darum, Mitbürger, sage ich auch – wie ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit! Sind wir doch umgerungen von lauter Feinden! Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir! Also bitte – schaun Sie auf unsere Braven, die was dem Feind jetzt ihnere Stirne bieten, ungeachtet, schaun S' wie s' da draußen stehn vor dem Feind, weil sie das Vaterland rufen tut, und dementsprechend trotzen s' der Unbildung jeglicher Witterung – draußen stehn s', da schaun S' Ihner s' an! Und darum sage ich auch – es ist die Pflicht eines jedermann, der ein Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter sein Scherflein beizutrageen. Dementsprechend!-Da heißt es, sich ein Beispiel nehmen, jawoohl! Und darum sage ich auch – ein jeder von euch soll zusammenstehn wie ein Mann! Daß sie 's nur hören die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg was mir führn! Wiar ein Phönix stema da, den s' nicht durchbrechen wern, dementsprechend – mir san mir und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx ausm Weltbrand sag ich! Die Sache für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien – muß sterbien!

Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist es! – Serbien muß sterbien! – Ob's da wüll oder net! – Hoch! – A jeder muß sterbien!

Einer aus der Menge: Und a jeder Ruß –

Ein Anderer (brüllend): – ein Genuß!

Ein Dritter: An Stuß! (Gelächter.)

Ein Vierter: An Schuß!

Alle: So is! An Schuß! Bravo!

Der Zweite: Und a jeder Franzos?

Der Dritte: A Roß! (Gelächter.)

Der Vierte: An Stoß!

Alle: Bravo! An Stoß! So is!

Der Dritte: Und a jeder Tritt – na, jeder Britt!?

Der Vierte: An Tritt!

Alle. Sehr guat! An Britt für jeden Tritt! Bravo!

Ein Bettelbub: Gott strafe England!

Stimmen: Er strafe es! Nieda mit England!

Ein Mädchen: Der Poldl hat mir das Beuschl von an Serben versprochen! Ich hab das hineingeben in die Reichspost!

Eine Stimme: Hoch Reichspost! Unser christliches Tagblaad!

Ein anderes Mädchen: Bitte, ich habs auch hineingeben, mir will der Ferdl die Nierndln von an Russn mitbringen!

Die Menge: Her darmit!

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links.

Ein Intellektueller (zu seiner Freundin): Hier könnte man, wenn noch Zeit wär, sich in die Volksseele vertiefen, wieviel Uhr is? Heut steht im Leitartikel, daß eine Lust is zu leben. Glänzend wie er sagt, der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit.

Die Freundin: Jetzt is halber. Die Mama hat gesagt, wenn ich später wie halber zuhaus komm, krieg ichs.

Der Intellektuelle: Aber geh bleib. Schau dir bittich das Volk an, wie es gärt. Paß auf auf den Aufschwung!

Die Freundin: Wo?

Der Intellektuelle: Ich mein' seelisch, wie sie sich geläutert haben die Leut, im Leitartikel steht doch, lauter Helden sind. Wer hätte das für möglich gehalten, wie sich die Zeiten geändert haben und wir mit ihnen.

(Ein Fiaker hält vor einem Hause.)

Der Fahrgast: Was bekommen Sie?

Der Fiaker: Euer Gnaden wissen eh.

Der Fahrgast: Ich weiß es nicht. Was bekommen Sie?

Der Fiaker: No was halt die Tax is.

Der Fahrgast – Was ist die Tax?

Der Fiaker: No was S' halt den andern gebn.

Der Fahrgast: Können Sie wechseln? (Reicht ihm ein Zehnkronenstück in Gold.)

Der Fiaker: Wechseln, wos? Dös nimm i net als a ganzer, dös könnt franzeisches Göld sein!

Ein Hausmeister (nähert sich): Wos? A Franzos? Ahdaschaurija. Am End gar ein Spion, dem wer mrs zagn! Von woher kummt er denn?

Der Fiaker: Von der Ostbahn!

Der Hausmeister: Aha, aus Petersburg!

Die Menge (die sich um den Wagen gesammelt bat): A Spion! A Spion! (Der Fahrgast ist im Durchhaus verschwunden.)

Der Fiaker (nachrufend): A so a notiger Beitel vardächtiga!

Die Menge: Loßts'n gehn! Mochts kane Reprassalien, dös ghört si nett! Mir san net aso!

Ein Amerikaner vom Roten Kreuz (zu einem andern): Look at the people how enthusiastic they are!

Die Menge: zwa Engländer! Reden S' deutsch! Gott strafe England! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Amerikaner flüchten in ein Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso!

Ein Türke (zu einem andern): Regardez l'enthousiasme de tout le monde!

Die Menge: Zwa Franzosen! Reden S' deutsch! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Tärken flüchten in das Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso! Dös war ja türkisch! Sechts denn net, die ham ja an Fez! Dös san Bundesgenossen! Holts es ein und singts den Prinz Eugen!

(Zwei Chinesen treten schweigend auf.)

Die Menge: Japaner san do! Japaner san a no in Wean! Aufhängen sollt ma die Bagasch bei ihnare Zöpf!

Einer: Loßts es gehn! Dös san ja Kineser!

Zweiter: Bist selber a Kineser!

Der Erste: 'leicht du!

Dritter: Alle Kineser san Japaner!

Vierter: San Sö vielleicht a Japaner?

Dritter: Na.

Vierter: Na olstern, aber a Kineser san S' do! (Gelächter.)

Fünfter: Oba oba oba wos treibts denn, habts denn net in der Zeitung g'Iesen, schauts her, da stehts (er zieht ein Zeitungsblatt hervor) »Derartige Ausschreitungen des Patriatismus können in keener Weisee geduldeet werden und sind überdies geeigneet, den Fremdenverkehr zu schädigeen«. Wo soll sich denn da nacher ein Fremdenverkehr entwickeln, wo denn, no olstern!

Sechster: Bravo! Recht hot er! Der Fremdenverkehr, wann mr eahm hebn wolln, das is schwer, das is net aso –

Siebenter: Halts Maul! Krieg is Krieg und wann einer amerikanisch daherredt oder türkisch oder so –

Achter: So is. Jetzt is Krieg und da gibts keine Würschtel! (Eine Dame mit leichtem Anflug von Schnurrbart ist aufgetreten.)

Die Menge: Ah do schauts her! Das kennt ma schon, ein verkleideter Spion! Varhaften! Einspirn stantape!

Ein Besonnener: Aber meine Herren – bedenken Sie – sie hätte sich doch rasieren lassen!

Einer aus der Menge: Wer?

Der Besonnene: Wenn sie ein Spion wäre.

Ein Zweiter aus der Menge: Drauf hat er vergessen! So hat er sich gfangt!

Rufe: Wer? – Er! – No sie!

Ein Dritter: Das is eben die List von denen Spionen!

Ein Vierter: Damit mrs net mirkt, daß Spionen san, lassen s' ihnern Bart stehn!

Ein Fünfter: Redts net so dalkert daher, das is ein weiblicher Spion und damit mrs net mirkt, hat s' an Bart aufpappt!

Ein sechster: Das is ein weiblicher Spion, was sich für ein Mannsbild ausgeben tut!

Ein Siebenter: Nein, das is ein Mannsbild, was sich für ein weiblichen Spion ausgeben tut!

Die Menge: Jedenfalls ein Vardächtiger, der auf die Wachstubn ghört! Packts eahm!

(Die Dame wird von einem Wachmann abgeführt. Man hört die »Wacht am Rhein« singen.)

Der erste Reporter (hält ein Notizblatt in der Hand): Das war kein Strohfeuer trunkener Augenblicksbegeisterung, kein lärmender Ausbruch ungesunder Massenhysterie. Mit echter Männlichkeit nimmt Wien die schicksalsschwere Entscheidung auf, Wissen Sie, wie ich die Stimmung zusammenfassen wer'? Die Stimmung läßt sich in die Worte zusammenfassen: Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche. Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, dieses Wort, das wir für die Grundstimmung Wiens geprägt haben, kann man nicht oft genug wiederholen. Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche! Also was sagen Sie zu mir?

Der zweite Reporter: Was soll ich sagen? Glänzend!

Der Erste: Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche. Tausende und Abertausende sind heute durch die Straßen gewallt, Arm in Arm, Arm und Reich, Alt und Jung, Hoch und Nieder. Die Haltung jedes Einzelnen zeigte, daß er sich des Ernstes der Situation vollauf bewußt ist, aber auch stolz darauf, den Pulsschlag der großen Zeit, die jetzt hereinbricht, an seinem eigenen Leib zu fühlen.

Eine Stimme aus der Menge: Lekmimoasch!

Der Reporter: Hören Sie, wie immer aufs neue der Prinz-Eugen-Marsch erklingt und die Volkshymne und ihnen gesellt sich wie selbstverständlich die Wacht am Rhein im Zeichen der Bundestreue. Früher als sonst hat heute Wien Feierabend gemacht. Daß ich nicht vergeß, wir müssen besonders schildern, wie sich das Publikum vor dem Kriegsministerium massiert hat. Aber vor allem, nicht vergessen erwähnt zu werden darf – raten Sie.

Der Zweite: Ob ich weiß! Nicht vergessen erwähnt zu werden darf, wie sie zu Hunderten und Aberhunderten sich in der Fichtegasse vor dem Redaktionsgebäude der Neuen Freien Presse massiert haben.

Der Erste: Kopp was Sie sind. ja, das hat er gern der Chef. Aber was heißt Hunderte und Aberhunderte? Ausgerechnet! Sagen Sie gleich Tausende und Abertausende, was liegt Ihnen dran, wenn sie sich schon massieren.

Der Zweite: Gut, aber wenn man es nur nicht als feindliche Demonstration auffassen wird, weil das Blatt letzten Sonntag, wo doch schon die große Zeit war, noch so viel Annoncen von Masseusen gebracht hat?

Der Erste: In einer so großen Zeit ist eine so kleinliche Auffassung ausgeschlossen. Überlassen Sie das der Fackel. Alle haben sie dem Blatt zugejubelt. Es erschollen stürmische Rufe: Vorlesen! Vorlesen! und das hat sich selbstredend auf Belgrad bezogen. Dann haben sie tosende Hochrufe ausgebracht –

Der Zweite: Tosende und abertosende Hochrufe –

Der Erste: – und zwar auf Österreich, auf Deutschland und auf der Neuen Freien Presse. Die Reihenfolge war für uns nicht gerade schmeichelhaft, aber es war doch sehr schön von der begeisterten Menge. Den ganzen Abend is sie, wenn sie nicht gerade vor dem Kriegsministerium zu tun gehabt hat oder auf dem Ballplatz, is sie in der Fichtegasse Kopf an Kopf gedrängt gestanden und hat sach massiert.

Der Zweite: Wo nur die Leut die Zeit hernehmen, staune ich immer.

Der Erste: Bittsie, die Zeit is so groß, daß dazu genug Zeit bleibt! Also die Nachrichten des Abendblatts wurden immer und immer wieder erörtert und durchgesprochen. Von Mund zu Mund ging der Name Auffenberg.

Der Zweite: Wieso kommt das?

Der Erste: Das kann ich Ihnen erklären, es is ein Redaktionsgeheimnis, sagen Sie's erst, bis Friede is. Also Roda RodaRoda Roda – österr. Schriftsteller, † 1945, im 1. Weltkrieg Berichterstatter im Kriegspressequartier hat doch gestern dem Blatt telegraphiert über die Schlacht bei Lemberg und am Schluß vom Telegramm stehn die Worte: Lärm machen für Auffenberg! Das war schon gesetzt. Im letzten Moment hat man 's noch bemerkt und herausgenommen, dann aber hat man ja Lärm gemacht für Auffenberg!

Der Zweite: Die Hauptsache sind jetzt die Straßenbilder. Von jedem Eckstein, wo ein Hund demonstriert, will er ein Straßenbild haben. Gestern hat er mich rufen lassen und hat gesagt, ich soll Genreszenen beobachten. Aber grad das is mir unangenehm, ich laß mich nicht gern in ein Gedränge ein, gestern hab ich die Wacht am Rhein mitsingen müssen – kommen Sie weg, hier geht's auch schon zu, sehn Sie sich nur die Leut an, ich kenne diese Stimmung, man is auf einmal mitten drin und singt Gott erhalte.

Der Erste: Gott beschütze! Sie haben recht – wozu man selbst dabei sein muß, seh ich auch nicht ein, man verliert nur Zeit, man soll drüber schreiben, stattdem steht man herum. Was ich sagen wollte, sehr wichtig is zu schildern, wie sie alle entschlossen sind und da und dort reißt sich einer los, er will ein Scherflein beitragen um jeden Preis. Das kann man sehr plastisch herausbringen. Gestern hat er mich rufen lassen und hat gesagt, man muß dem Publikum Appetit machen auf den Krieg und auf das Blatt, das geht in einem. Sehr wichtig sind dabei die Einzelheiten und die Details, mit einem Wort die Nuancen und speziell die Wiener Note. Zum Beispiel muß man erwähnen, daß selbstredend jeder Standesunterschied aufgehoben war und zwar sofort – aus Automobile haben sie gewinkt, sogar aus Equipagen. Ich hab beobachtet, wie die Dame in der Spitzentoilette aus dem Auto gestiegen is und der Frau mit dem verwaschenen Kopftuch is sie um den Hals gefallen. Das geht schon so seit dem Ultimatum, alles is ein Herz und eine Seele.

Stimme eines Kutschers: Fahr füra Rabasbua vadächtiga –!

Der zweite Reporter: Wissen Sie, was ich beobachtet hab? Ich hab beobachtet, wie sich Gruppen gebildet haben.

Der Erste: No und –?

Der Zweite: Und ein Student hielt eine Ansprache, daß jedermann seine Pflicht erfüllen muß, dann hat sich einer aus einer Gruppe gelöst und hat gesagt: »Besser so!«

Der Erste: Nicht übel. Ich kann nur konstatieren, ein großer Ernst breitet sich über der Stadt aus, und dieser Ernst, gemildert von Gehobenheit und dem Weltgeschichtsbewußtsein drückt sich in allen Mienen aus, in denen der Männer, die schon mitmüssen, in denen derer, die noch dableiben –

Eine Stimme: Lekmimoasch!

Der Erste: – und in den Mienen jener, denen eine so hohe Aufgabe zuteil wird. Vorbei die bequeme Lässigkeit, die genußfrohe Gedankenlosigkeit; die Signatur ist schicksalsfroher Ernst und stolze Würde. Die Physiognomie unserer Stadt hat sich mit einem Schlage verändert.

Ein Passant (zu seiner Frau): Du kannst von mir aus in die Josefstadt gehn, ich geh an die Wien!

Ein Zeitungsausrufer: Vormarsch der Österreicher! Alle Stellungen genohmen!

Die Frau: Mir is schon mies vor »Husarenblut«.

Der erste Reporter: Nirgends eine Spur von Beklommenheit und Gedrücktheit, nirgends fahrige Nervosität und von des Gedankens Blässe angekränkelte Sorge. Aber ebensowenig leichtherzige Unterschätzung des Ereignisses oder törichte, gedankenlose Hurrastimmung.

Die Menge: Hurra, a Deitscher! Nieda mit Serbieen!

Der erste Reporter: Schaun Sie her, südliche Begeisterungsfähigkeit, gelenkt und geregelt von deutschem Ernst. Das beobacht ich für die City. Sie können für die Leopoldstadt eine aufgeregtere Note wählen.

Der Zweite: Fallt mir nicht ein, ich bin auch mehr für abgeklärtere Stimmungen. Da und dort sieht man, wer ich sagen, einen weißköpfigen Greis, der sinnend entfernter Jugendtage gedenkt, oder ein gebeugtes Mütterchen, das mit zitternder Hand Abschiedsgruß und Segenswunsch winkt. Einer merkt man an, daß sie um einen Sohn oder Gatten bange. Drehn Sie sich um, da können Sie sehn wie sie winken, sie winken effektiv.

(Ein Trupp Knaben mit Tschako und Holzsäbel zieht vorbei und singt: Wer will unter die Soldaten – der ließ schlagen eine Brucken –)

Der Erste: Notieren Sie: Eine hübsche Genreszene. Überhaupt müssen wir trachten, möglichst viel vom Volk zu sagen, der Chef hat erst heute geschrieben, es is die Quelle, in der wir das Gemüt erfrischen.

Eine Gruppe (singend): Die Russen und die Serben die hauen wir in Scherben! Hoch! Nieda! Schauts die zwa Juden an!

Der zweite Reporter: Sie, ich hab keine Lust mehr, Genreszenen zu beobachten. Soll er sein Gemüt an der Quelle erfrischen gehn, wenn er sich traut. Ich bin lieber weit entfernt –

Der Erste: Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, dieses Wort, das wir für die Grundstimmung Wiens geprägt haben – (beide schnell ab.)

(Es entsteht eine Bewegung. Ein junger Mann hat einer alten Frau die Handtasche gestohlen. Die Menge nimmt Stellung gegen die Frau.)

Eine weibliche Stimme: Ja meine Liebe, jetzt is Krieg, das is net wie im Frieden, da muß schon jeder was hergeben, mir san in Wien!

Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Gestern hab ich mit dem (ab.)

(Es treten auf zwei Verehrer der Reichspost.)

Der erste Verehrer der Reichspost: Kriege sind Prozesse der Läuterung und Reinigung, sind Saatfelder der Tugend und Erwecker der Helden. Jetzt sprechen die Waffen!

Der zweite Verehrer der Reichspost: Endlich! Endlich!

Der Erste: Kriege sind ein Segen nicht nur um der Ideale willen, die sie verfechten, sondern auch um der Läuterung willen, die sie dem Volke bringen, das sie im Namen der höchsten Güter führt. Friedenszeiten sind gefährliche Zeiten. Sie bringen allzuleicht Erschlaffung und Veräußerlichung.

Der Zweite: Der einzelne Mensch braucht doch halt auch a wengerl Kampf und Sturm.

Der Erste: Besitz, Ruhe, Genuß darf für nichts erachtet werden, wo die Ehre des Vaterlandes alles bedeuten muß. So sei der Krieg, in den unser Vaterland verwickelt wurde –

Der Zweite: – so sei der Krieg, der Sühne für Frevel und Garantien für Ruhe und Ordnung will, mit ganzem Herzen erfaßt und gesegnet.

Der Erste: Auskehrn mit eiserner Faust!

Der Zweite: In Prag, Brünn und Budweis – überall jubeln s' den kaiserlichen Entschließungen zu.

Der Erste: In Serajevo haben s' Gott erhalte gsungen.

Der Zweite: In Treue steht Italien Österreich zur Seite.

Der Erste: Fürst Alfred WindischgrätzWindischgrätz – Alfred Fürst zu Windischgrätz, 1897 bis 1918 Präsident des österr. Herrenhauses, † 1927 hat sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet.

Der Zweite: Seine Majestät hat während des ganzen Tages in angestrengtester Weise gearbeitet.

Der Erste: Am 27. zwischen 12 und 1 Uhr wurde im Postsparkassenamt die finanzielle Vorsorge für den Krieg getroffen.

Der Zweite: Die Approvisionierung Wiens für die Kriegsdauer wurde vom Bürgermeister gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten und dem Ackerbauminister gesichert.

Der Erste: Hast glesen? Keine Teuerung durch den Krieg.

Der Zweite: Das is gscheit!

Der Erste: In unentwegter Treue –

Der Zweite: – huldigen wir unserem geliebten alten Kaiser.

Der Erste: Der Weiskirchner hat gsagt, meine lieben Wiener, ihr lebt eine große Zeit mit.

Der Zweite: Noja, es is keine Kleinigkeit!

Der Erste: Wir gedenken auch des Bundesgenossen in schimmernder Wehr, hat er gsagt.

Der Zweite: Die Huldigung der kaisertreuen Bevölkerung habens bereits an den Stufen des allerhöchsten Thrones niederglegt.

Der Erste: Am allerhöchsten Hoflager in Ischl.

Der Zweite: Wirst sehn, der Krieg wird eine Renaissance österreichischen Denkens und Handelns heraufführen, wirst sehn. Ramatama!

Der Erste: Höchste Zeit, daß amal a Seelenaufschwung kommt! Rrtsch – obidraht!

Der Zweite: Ein Stahlbad brauch 'mr! Ein Stahlbad!

Der Erste: Bist schon einrückend gmacht?

Der Zweite: Woher denn, enthoben! Und du?

Der Erste: Untauglich.

Der Zweite: Ein erleichtertes Aufatmen geht durch unsere Bevölkerung! Dieser Krieg – (ab.)

(Man hört den Gesang vorbeiziehender Soldaten: In der Heimat, in der Heimat da gibts ein Wiedersehn –)

Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant steht heute im Leitartikel, wie der serbische Hof und wie sie alle aus Belgrad fort müssen. (Er liest vor.) »Wien ist heute Abend nicht die Stadt gewesen, die vereinsamt dem Hofe, der Regierung und den Truppen keine sichere Stätte geboten hat. Belgrad war es.«

Der älteste Abonnent: Goldene Worte. So etwas tut einem wohl zu hören und man spürt doch bißl eine Genugtuung.

Der alte Abonnent: Allerdings könnte man einwenden, daß Wien momentan von den Serben weiter weg is wie Belgrad von den Österreichern, weil ja Belgrad direkt visavis liegt von Seinlin, während Wien nicht direkt visavis liegt von Belgrad, und weil sie schon zu schießen anfangen von Semlin auf Belgrad, während sie von Belgrad nicht herüberschießen können gottlob auf Wien.

Der älteste Abonnent: Ich kann Ihrem Gedankengang folgen, aber wohin führt das? Wie immer man die Situation ansieht, muß man zu dem Resultat kommen, daß das was er im Leitartikel sagt wahr ist. Daß nämlich in Wien der Hof und überhaupt alles bleiben kann wie es ist und in Belgrad nicht. Oder ist es vielleicht nicht wahr? Mir scheint Sie sind etwas ein Skeptiker?

Der alte Abonnent: Was heißt wahr? Es ist geradezu unbestreitbar und noch nie hab ich die Empfindung gehabt, daß er so recht hat wie er dasmal recht hat. Denn wo er recht hat, hat er recht. (Sie gehen ab.)

Ein Zeitungsausrufer: – Lemberg noch in unserem Besitzee!

Vier Burschen und vier Mädchen Arm in Arm – Er ließ schlageen eene Bruckn daaß man kont hiniebaruckn Stadtunfestung Belgerad –

Die Menge: Hoch! (Fritz Werner tritt auf und dankt grüßend.)

Fräulein Körmendy: Weißt du was, geh du jetzt zu ihm und bitt ihm.

Fräulein Löwenstamm (nähert sich): Ich bin nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein Autogramm –

(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und überreicht es ihr. Ab.)

So lieb war er.

Fräulein Körmendy: Hat er dich angeschaut? Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem Krieg. Ich schwärm nur für den Storm! (Ab.)

Ein Pülcher: Serwas Franz, wo gehst denn hin?

Ein zweiter Pülcher: Auxtrois Franzois.

Der Erste: Wohin?

Der Zweite: Auxtrois Franzois. Dem Hutterer die Auslagen einschlagen, wann er die Tafel net weggibt. I hab ein Viechszurn in mir!

Der Erste: Hast schon recht, das is ein Schtandal is das.

Der Zweite – Wo ich ein »Modes« seh, tippel i's eini! (Geht in Raserei ab.)

Der Erste: Serwas Pepi, wo gehst denn hin?

Ein Dritter: I geh ein Scherflein beitragen.

Der Erste: A hörst, was du für an Gemeinsinn betätingern tust –

Der Dritte: Wos? An Gemeinsinn? Du, dös sagst mr riet no amol, mir net – (haut ihm eine Ohrfeige herunter.)

Rufe aus der Menge: Do schaut's her! Schamen S' Ihna! Wer is denn der? San Sö vielleicht der Nikolajewitsch?

Einer aus der Menge: Wos die Leut für an Gemeinsinn betätingern mitten im Krieg, das sollt man wirkli net für möglich haltn!

(zwei Agenten treten auf.)

Der erste Agent: Also heut zum erstenmal, Sie, Gold gab ach für Eisen.

Der Zweite: Sie? Das können Sie wem andern einreden. Sie haben gegeben! Aufgewachsen –

Der Erste: Wer sagt, ich hab gegeben? Verstehn Sie nicht deutsch? Ich seh da drüben den Zettel von der Premier' heut: Gold gab ich für Eisen, ich möcht gehn.

Der Zweite: Gut, geh ich auch! Jetzt is überhaupt am intressantesten. Gestern hat bei der Csardasfürstin die Gerda Walde die Extraausgab vorgelesen von die vierzigtausend Russen am Drohtverhau – hätten Sie hören solln den Jubel, zehnmal is wenig, daß sie is gerufen worn.

Der Erste: Warn schon Verwundete??

Der Zweite: Auch! Jetzt is überhaupt am intressantesten. Kürzlich is einer neben mir gesessen. Was war da nur? Ja – Ich hatt einen Kameraden.

Der Erste: Sie??

Der Zweite: Wer sagt, ich? Das is von Viktor Leon!

Der Erste: Guut??

Der Zweite: Bombenerfolg!

Ein Zeitungsausrufer: Belgraad bombadiert –!

(Verwandlung.)

Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit

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