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9. Szene
ОглавлениеIn einer Volksschule.
Der Lehrer Zehetbauer: – Jetzt aber sind höhere Ideale über uns hereingebrochen, so daß der Fremdenverkehr ein wenig zurückgedrängt ist und erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Trotzdem dürfen wir nicht verzagen, sondern es ist unsere Pflicht, nachdem wir jeglicher ein Scherflein zum Vaterlande beigetragen haben, auf dem einmal betretenen Wege unentwegt und unerschrocken fortzufahren. Die zarten Keime des Fremdenverkehres, die wir allenthalben gepflanzt und die dank der Fürsorge des hochlöblichen Landesschulrates und des löblichen Bezirksschulrates auch in eure jungen Herzen Eingang gefunden haben, sollen vom ehernen Tritt der Bataillone, so unentbehrlich derselbe auch in dieser großen Zeit ist, nicht zertreten werden, sondern im Gegenteil gehegt und gepflegt werden für und für. Sicherlich ist es notwendig, daß jeglicher heute seinen Mann stelle, so auch ihr und so müsset auch ihr euch betätigen, indem ihr an eure Herren Eltern oder Vormünder herantretet, sie mögen euch das schöne Jugendspiel »Wir spielen Weltkrieg« als Geburtstagsüberraschung bescheren oder da Weihnachten vor der Tür steht, den »Russentod«. Auch sollet ihr wissen, daß ihr zur Belohnung für Fleiß und gute Sitten, natürlich mit Zustimmung der p. t. Herren Eltern oder Vormünder, am Sonntag jeglicher einen Nagel in den Wehrmann in Eisen einschlagen dürfet und so durch Benagelung dieses Wahrzeichens –
Die Klasse: Das is gscheit!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Was willst du, Gasselseder?
Der Knabe: Bitt Herr Lehrer, ich hab schon mit dem Vattern einen Nagel einigschlagen, derf ich da noch einen Nagel einischlagn?
Der Lehrer: Wenn deine Herren Eltern oder Vormünder es gestatten, so steht deinem patriotischen Wunsche nach einer abermaligen Benagelung dieses Wahrzeichens von der Schulleitung aus nichts im Wege.
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Was willst du, Czeczowiczka?
Zweiter Knabe: Bitt, ich muß hinaus.
Der Lehrer: Hinaus? Du bist zu jung, warte, bis du in ein reiferes Alter kommst.
Der Knabe: Bitt, ich muß.
Der Lehrer: Diesen Wunsch kann ich jetzt nicht erfüllen. Schäme dich. Warum verlangt es dich hinaus?
Der Knabe: Bitt, ich hab Not.
Der Lehrer: Warte, bis bessere Zeiten kommen. Du würdest deinen Kameraden mit schlechtem Beispiel vorangehen. Das Vaterland ist in Not, nimm dir ein Beispiel, jetzt heißt es durchhalten.
(zwei Knaben zeigen auf.)
Der Lehrer: Was wollet ihr, Wunderer Karl und Wunderer Rudolf?
Beide: Bitt, wir möchten lieber im Stock im EisenStock im Eisen – eine Wiener Sehenswürdigkeit, ein Fichtenstamm, in den jeder ankommende Schmied einen Nagel einschlagen mußte einischlagn.
Der Lehrer: Setzen! Schämet euch. Der Stock im Eisen ist ein Wahrzeichen, auf dem kein Nagel mehr Platz hat. Aber der Wehrmann im EisenWehrmann im Eisen – eine Analogie im 1. Weltkrieg dazu soll mit eurer tatkräftigen Hilfe erst ein Wahrzeichen werden, eine Sehenswürdigkeit, von der noch eure Kinder und Kindeskinder erzählen werden.
Der Knabe Kotzlik: Bitt, der Merores stößt immer!
Memores: Das is nicht wahr, er hat Jud zu mir gesagt, ich sags dem Papa, der wirds ihm schon geben, er gibt es hinein ins Tagblatt.
Der Lehrer: Haltet Burgfrieden, Kotzlik und Merores! Wir kommen jetzt zu dem Lesestück: Haßgesang gegen England. Merores, du kannst gleich stehen bleiben, beantworte mir die Frage, wie der Dichter heißt, der dies Gedicht gedichtet hat.
Memores: Ob ich weiß, Frischauer.
Der Lehrer: Falsch, setz dich.
Ein Knabe (einsagend): Lissauer.
Der Lehrer: Praxmarer, wenn du noch einmal einsagst, laß ich dich den Prinz Eugen von HofmannsthalHofmannsthal – Hugo von Hofmannsthal, österr. Schriftsteller † 1929, war an der Begründung der Salzburger Festspiele beteiligt, schrieb das Libretto zu der Strauss-Oper »Der Rosenkavalier« abschreiben. Ich habe den Faden verloren.
(Einige Knaben eilen zum Katheder und bücken sich.)
Der Lehrer: Was suchet ihr?
Die Knaben: Den Faden, Herr Lehrer, der Herr Lehrer hat gesagt, der Herr Lehrer haben den Faden verloren.
Der Lehrer: Ihr seid töricht, ich meine ja das nicht bildlich, sondern wörtlich.
Ein Knabe: Derf ich vielleicht meinen Leitfaden –
Der Lehrer: Wottawa, auch du hast mich nicht verstanden. Ich sehe schon, daß ihr nicht reif seid. Ich wollte den Haßgesang prüfen, aber ich will euch das heute noch erlassen. Die Ideale, welche die große Zeit euch auferlegt, werdet ihr bis morgen präpariert haben, weil ich dann keine Nachsicht mehr üben kann. Was soll sich der Herr Bezirksschulinspektor denken, wenn er in die Klasse kommt und wenn das so weiter geht. Jetzt, wo ihr für die zweite Kriegsanleihe werben sollt, ist es umso mehr eure Pflicht, die Erwartungen nicht zu enttäuschen. Also, daß ihr mir morgen den Haßgesang auswendig wisset! Ich kann euch immer wieder nur einprägen: Haltet durch, traget ein Scherflein bei, werbet für die Kriegsanleihe, sammelt Metalle, suchet euer Gold hervor, das ungenützt in der Truhe liegt! Für heute aber will ich noch Nachsicht üben und den Fremdenverkehr mit euch durchnehmen. Hebet denselben! Ich habe euch früher erklärt, warum der Fremdenverkehr gerade jetzt nicht vernachlässiget werden darf. Wiewohl der rauhe Kriegessturm über unsere Lande hinwegfegt, indem unser erhabener Monarch Tausende und Abertausende unserer Söhne und Brüder zu den Waffen rief, so zeigen sich schon jetzt die ersten Ansätze zu einer Hebung des Fremdenverkehrs. Darum lasset uns dieses Ideal nie aus dem Auge verlieren. Wir haben da ein schönes Lesestück »Ein Goldstrom«. Nicht doch. Lasset uns vielmehr heute das alte Lied anstimmen, das ihr einst in Friedenszeit gelernt habt, kennet ihr es noch?
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Habetswallner?
Der Knabe: Bitt Herr Lehrer, ich weiß schon, bei einem Wirte wundermiId.
Der Lehrer: Falsch!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Braunshör?
Der Knabe: Üb immer Treu und Redlichkeit.
Der Lehrer: Nicht doch! Schäme dich!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Fleischanderl?
Der Knabe: Das Wandern ist des Müllers Lust.
Der Lehrer: Setz dich!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun, Zitterer?
Der Knabe: Hinaus in die Ferne!
Der Lehrer: Setz dich! Nicht wir können jetzt in die Ferne, die draußen sollen zu uns kommen!
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Süßmandl, weißt du es?
Der Knabe: Bitt, hinaus!
Der Lehrer: Was fällt dir bei, ich sagte doch, das gibt es jetzt nicht, weder in der Klasse noch wenn ihr ins Leben hinaustretet. Nun also, keiner von euch will das Lied kennen?
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Anderle, du?
Der Knabe: Was frag ich viel nach Geld und Gut.
Der Lehrer: Setz dich in die letzte Bank. Wo hast du denn das gelernt? Schäme dich, Anderle! Ich sehe schon, ihr habt es in eiserner Zeit vergessen. Und doch ist es das liebe alte Lied, nach welchem ihr alle einst die Vokale gelernt habt. Schämet euch doch. Nun so will ich denn die Fiedel nehmen und dann werdet ihr gleich von selbst einstimmen.
(Ein Knabe zeigt auf.)
Der Lehrer: Nun Sukfüll, willst du die Klasse beschämen?
Der Knabe Sukfüll: Pfleget den Fremdenverkehr!
Der Lehrer: Brav, Sukfüll, du beschämst die ganze Klasse. Ich werde das deinem Vater mitteilen, auf daß auch er dich belobe. (Er nimmt die Geige, die Klasse fällt ein und singt.)
>A a a, der Fremde der ist da. Die stieren Zeiten sind vergangen, Der Fremdenverkehr hat angefangen, A a a, der Fremde der ist da. E e e, Euer Gnaden wissen eh. Fesch das Zeugl, fesch die Madeln, Gstellt vom Kopf bis zu die Wadeln, E e e, Euer Gnaden wissen eh. I i i, wir wurzen wie noch nie. Seids net fad, ruckts aus mit die Maxen, Reiß'n ma aus der Welt a Haxen, I i i, wir wurzen wie noch nie. 0 o o, wie sind die Wiener froh. Mir werns euch schon einigeigen, Laßts euch das Wiener Blut nur zeigen, 0 o o, wie sind die Wiener froh. U u u, nun hat die Seel' a Ruh. Wien ist und bleibt die Stadt der Lieder, Bitte beehren uns bald wieder, U u u, nun hat die Seel' a Ruh. |
(Verwandlung.)