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22. Szene
ОглавлениеVor dem Kriegsministerium. Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Sie legen Scheuklappen an, um die Fülle von Edelsinn und Opfermut, die der Krieg an den Tag gefördert hat, nicht zu bemerken.
Der Nörgler: Nein, ich übersehe nur nicht, welche Fülle von Entmenschtheit und Infamie nötig war, um dieses Resultat zu erzielen. Wenn's einer Brandstiftung bedurft hat, um zu erproben, ob zwei anständige Hausbewohner zehn unschuldige Hausbewohner aus den Flammen tragen wollen, während achtundachtzig unanständige Hausbewohner die Gelegenheit zu Schuftereien benützen, so wäre es verfehlt, die Tätigkeit von Feuerwehr und Polizei durch Lobsprüche auf die guten Seiten der Menschennatur aufzuhalten. Es war ja gar nicht nötig, die Güte der Guten zu beweisen, und unpraktisch, dazu eine Gelegenheit herbeizuführen, durch die die Bösen böser werden. Der Krieg ist bestenfalls ein Anschauungsunterricht durch stärkere Kontrastierung. Er kann den Wert haben, daß er künftig unterlassen werde. Ein einziger Kontrast, der zwischen gesund und krank, wird durch den Krieg nicht verstärkt.
Der Optimist: Indem die Gesunden gesund und die Kranken krank bleiben?
Der Nörgler: Nein, indem die Gesunden krank werden.
Der Optimist: Aber auch die Kranken gesund.
Der Nörgler: Sie denken da an das bekannte Stahlbad?Stahlbad – Hindenburg soll gesagt haben, der Krieg sei für ihn ein verjüngendes Stahlbad gewesen Oder an die bewiesene Tatsache, daß die Granaten dieses Krieges Millionen Krüppel gesund geschossen haben? Hunderttausende Schwindsüchtiger gerettet und ebensoviele Luetiker der Gesellschaft zurückgegeben?
Der Optimist: Nein, dank den Errungenschaften der modernen Hygiene ist es gelungen, so viele im Krieg Erkrankte oder Beschädigte zu heilen –
Der Nörgler: – um sie zur Nachkur an die Front zu schicken. Aber diese Kranken werden ja nicht durch den Krieg gesund, sondern trotz dem Krieg und zu dem Zweck, um wieder dem Krieg ausgesetzt zu werden.
Der Optimist: Ja, es ist nun einmal Krieg. Vor allem aber ist es unserer fortgeschrittenen Medizin gelungen, die Verbreitung von Flecktyphus, Cholera und Pest zu verhindern.
Der Nörgler: Was wiederum nicht so sehr ein Verdienst des Krieges ist als einer Macht, die sich ihm in den Weg stellt. Aber sie hätte es noch leichter, wenn's keinen Krieg gäbe. Oder soll es für den Krieg sprechen, daß er die Gelegenheit geboten hat, ein wenig seinen Begleiterscheinungen beizukommen? Wer für den Krieg ist, hätte diese mit größerem Respekt zu behandeln. Schmach einem wissenschaftlichen Ingenium, das sich auf Prothesen etwas zugute tut anstatt die Macht zu haben, Knochenzersplitterungen vorweg und grundsätzlich zu verhüten. In ihrem moralischen Stand ist die Wissenschaft, die heute Wunden verbindet, keine bessere als jene, die die Granaten erfunden hat. Der Krieg ist eine sittliche Macht neben ihr, die sich nicht nur damit begnügt, seine Schäden zusammenzuflicken, sondern es zu dem Zweck tut, das Opfer wieder kriegstauglich zu machen. Ja, so antiquierte Gottesgeißeln wie Cholera und Pest, Schrecknisse aus Kriegen von annodazumal, lassen sich von ihr imponieren und werden fahnenflüchtig. Aber Syphilis und Tuberkulose sind treue Bundesgenossen dieses Kriegs, mit denen es einer lügenverseuchten Humanität nicht gelingen wird einen Separatfrieden abzuschließen. Sie halten Schritt mit der allgemeinen Wehrpflicht und mit einer Technik, die in Tanks und Gaswolken daherkommt. Wir werden schon sehen, daß jede Epoche die Epidemie hat,die sie verdient. Der Zeit ihre Pest!
Der Optimist: Da wären wir ja vor dem Kriegsministerium angelangt. Das ist heute ein erwartungsvoller Tag –
(Man sieht einen Trupp Schieber aus dem Haupttor kommen.)
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee – Weltblaad!
Ein Flüchtling (der mit einem andern geht): Geben Sie her! (reißt dem Kolporteur das Blatt aus der Hand, liest vor) »Alles steht gut! Kriegspressequartier 30. August 10 Uhr 30 Minuten vorm. Die Riesenschlacht geht heute Sonntag weiter. Die Stimmung im Hauptquartier ist gut, weil alles gut steht. Das Wetter ist prachtvoll. Kohlfürst.«
Der zweite Flüchtling: Das muß etwas ein Heerführer sein! (Ab.)
Der Nörgler: Die Masken an der Fassade dieser Sündenburg, die rechts schaut und links schaut machen, sind heute besonders stramm orientiert. Wenn ich länger auf einen dieser entsetzlichen Köpfe schaue, bekomme ich Fieber.
Der Optimist: Was haben Ihnen diese alten martialischen Typen getan?
Der Nörgler: Nichts, nur daß sie martialisch sind und dennoch den Sendboten Merkurs den Eintritt nicht wehren konnten. Zu aller Blutschlamperei noch dieser mythologische Wirrwarr! Seit wann ist denn Mars der Gott des Handels und Merkur der Gott des Krieges?
Der Optimist: Der Zeit ihren Krieg!
Der Nörgler: So ist es. Aber die Zeit hat nicht den Mut, die Embleme ihrer Niedrigkeit zu erfinden. Wissen Sie, wie der Ares dieses Krieges aussieht? Dort geht er. Ein dicker Jud vom Automobilkorps. Sein Bauch ist der Moloch. Seine Nase ist eine Sichel, von der Blut tropft. Seine Augen glänzen wie Karfunkelsteine. Er kommt zum Demel gefahren auf zwei Mercedes, komplett eingerichtet mit Drahtschere. Er wandelt dahin wie ein Schlafsack. Er sieht aus wie das liebe Leben, aber Verderben bezeichnet seine Spur.
Der Optimist: Sägen Sie mir, ich bitt Sie, was haben Sie gegen den Oppenheimer?
(Vor dem Kriegsministerium ist inzwischen die Menschenmenge angewachsen, sie besteht zumeist aus deutschnationalen Studenten und galizischen Flüchtlingen. Man sieht vielfach beide Typen Arm in Arm und plötzlich ertönt der Gesang: Es broost ein Ruf wie Donnerhall –
Nepalleck und Angelo Eisner v. Eisenhof treten auf einander zu.)
v. Eisner: Verehrter Hofrat, servitore, wie steht das Befinden, was macht Seine Durchlaucht? Wir haben uns ja seit damals –
Nepalleck: Djehre. Danke. Kann nicht klagen. Durchlaucht gehts famos.
v. Eisner: Das Allerhöchste Anerkennungsschreiben damals, ja das war Seiner Durchlaucht zu gönnen, das muß seinen Nerven rasend wohl getan haben, die Gesellschaft ist jetzt auch nur einer Ansicht –
Nepalleck: No ja natürlich – und Sie Baron, machen Sie viel mit? Von der Wohltätigkeit sehr in Anspruch genommen, kann mir denken –
v. Eisner: Nein, da überschätzen Sie mich, lieber Hofrat. Ich ziehe mich jetzt zurück. Da ist eine Reihe neuerer Streber, denen man gern das Feld überläßt. Es ist nicht jedermanns Geschmack, mit so einer Klasse – nein, das tentiert mich gar nicht – da –
Nepalleck: No aber die gute Sache, die gute Sache Baron, wie ich Sie kenne, werden Sie die vielen Arrangements doch nicht ganz vernachlässigen, wenn Sie auch, wie ich ganz begreiflich finde, nicht mehr selbst in die Komitees –
v. Eisner: Nein, ich walte jetzt nur im Herrnhaus – ah was red ich, im Hausherrnverein, da gibts Hals über Kopf zu tun, der Riedl, Sie wissen ja, ist nicht mehr der Alte – er muß eine Enttäuschung erlebt haben oder, ich weiß nicht, er scheint sich durch den Krieg halt ein bißl vernachlässigt zu fühlen – ja, ja, die populärsten Persönlichkeiten sind jetzt ein wenig aus ein Geleise gekommen, andere drängen sich vor –
Nepalleck: Na ja, wird sich schon wieder ausgleichen – auch bei uns ist –
v. Eisner: Ja, wir müssen alle Geduld haben. Ich für meine Person habe sehr bittere Erfahrungen gemacht. Wissen Sie, die Wohltätigkeit, das ist auch so ein Kapitel. Uje, da könnt ich der Fackel Stoff geben – wenn man sich mit dem Menschen einlassen könnte heißt das. Wissen Sie, Hofrat, nur opfern und nichts wie opfern und gar keinen Dank? Mein Gott ja, ich entziehe mich natürlich nicht – meine Freunde Harrach, Schönborn und die andern geben ihre Feste, sie schicken mir ihre Karten – erst gestern hat mich der Pipsi Starhemberg, Sie wissen doch, der was sich mit der Maritschl Wurmbrand –
Nepalleck: Gehn S', ich war der Meinung, daß er sich mit der Mädi Kinsky –
v. Eisner: Aber im Gegenteil, wo denken Sie hin, da kommt doch nur der Bubi Windischgrätz in Betracht, wissen S' der Major, der jetzt bei der Gard is – also ich sag Ihnen, bestürmt wird man von allen Seiten, erst gestern sagt mir der Mappl Hohenlohe bei der Meß, wissen S', der wo sie eine Schaffgotsch is, du, sagt er, warum machst du dich jetzt so rar, sag ich ihm lieber Mappl tempora mutatur, was jetzt für Leut obenauf sind, ich begreif euch alle nicht, daß ihr da noch mittuts. Ich für meine Person bin rasend gern dort, wo's still is. Mit einem Wort, wo man nicht bemerkt wird. Wissen Sie lieber Hofrat was er drauf gesagt hat? Recht hast du, hat er gesagt! Ich denk nämlich darin ganz wie der Montschi. Selbstverständlich leiste ich pünktlich mein Scherflein – aber hingehn? Nein, da kennen Sie mich schlecht. Ich war nie ein Freund von der Öffentlichkeit. Wissen Sie, da kann es einem noch passieren – man ist da harmlos bei einem Tedeum, und am nächsten Tag steht man unter den Anwesenden in der Zeitung!
Nepalleck: No das is zwider, das kenn ich. Jetzt hab ich wenigstens drauf gedrungen, wenn's mich schon nennen müssen, so wenigstens mit dem vollen Namen. Nicht mehr wie bisher Hofrat Nepalleck, oder Hofrat Wilhelm Nepalleck, sondern weil ich also eigentlich Wilhelm Friedrich heiß – Hofrat Friedrich Wilhelm Nepalleck. Was, das macht sich jetzt ganz gut, da könnt ich gleich nach Potsdam übersiedeln –
v. Eisner: Das macht sich famos! Aber – nach Potsdam übersiedeln? Hätten S' denn dazu Lust?
Nepalleck: Woher denn, es is nur wegen der Nibelungentreue. Ich – meine Durchlaucht verlassen! Noch heut is mir die Durchlaucht für das Arrangement des höchsten Begräbnisses dankbar.
v. Eisner: Das war aber auch schön!
Nepalleck: Mit strikter Einhaltung – wie eben ein Begräbnis dritter Klasse –
v. Eisner: Das ist Ihnen wieder einmal gelungen, erstklassig. Wirklich furchtbar nett war das damals auf der Südbahn. (Er grüßt einen Vorübergehenden.) War das nicht ein Lobkowitz? Dann beklagt er sich wieder, daß ich ihn nie erkenn – Also in Artstetten natürlich, da – da hat man leider schon ein bißl gemerkt, daß Sie Ihre Hand nicht im Spiel ghabt haben, da is ziemlich ordinär zugegangen.
Nepalleck: Selbstverständlich – weil es uns unmöglich gemacht wurde! Das Belvedere hat sichs nicht nehmen lassen. Oh, wir haben drauf bestanden, ich hab gsagt: nach dem spanischen Zeremoniell, da gibts keine Würschtel! No, und da hats dann leider, weil die Herrschaften so entetiert warn, also in Artstetten halt doch Würschtel gegeben.
v. Eisner: Wie?
Nepalleck: No ja, die Feuerwehrleut habens neben die Särge Ihrer Hoheiten gfressen, wie's Gewitter war, die Särge sind nämlich im Kassenraum vom Frachtenbahnhof gstanden, Zigarren hams graucht, das war ein Skandal, na Sie wissen ja, wir sind unschuldig, am Südbahnhof wars so schön feierlich.
v. Eisner: Ich denk's wie heut, ich bin damals zwischen dem Cary Auersperg und dem Poldi Kolowrat gestanden. Wir haben uns ja seit dem historischen Augenblick nicht gesehn.
Nepalleck: Ja, wir haben unser Möglichstes getan. Das Allerhöchste Anerkennungsschreiben hat aber auch den gewissen Herrschaften die p. t. Münder gestopft: »Stets in Übereinstimmung mit meinen Intentionen.« Und vor allem, daß anerkannt worn is, wie sich Durchlaucht, das heißt also wir sich mit dem Begräbnis geplagt haben. Ich kanns auswendig: »In den jüngsten Tagen hat das Hinscheiden Meines geliebten Neffen, des Erzherzogs Franz Ferdinand, mit welchem Sie andauernd vertrauensvolle Beziehungen verbanden –«
v. Eisner: Das waren zwei Fliegen auf einen Schlag.
Nepalleck: Sehr richtig. »- ganz außerordentliche Anforderungen an Sie, lieber Fürst, herantreten lassen und Ihnen neuerlich Gelegenheit geboten –«
v. Eisner: Gewiß, Seine Durchlaucht muß glücklich gewesen sein, daß ihm das Hinscheiden Gelegenheit geboten hat. Das kann man ihm nachfühlen.
Nepalleck: So ist es. »– Ihre aufopfernde Hingebung an Meine Person und an Mein Haus in hohem Maße zu bewähren.« Also bitte! Und wärmsten Dank und volle Erkenntlichkeit für ausgezeichnete treue Dienste, was will man mehr, da dürften wohl manche Herrschaften zersprungen sein.
v. Eisner: Das Allerhöchste Anerkennungsschreiben kann wohl nicht überraschend für Seine Durchlaucht gekommen sein?
Nepalleck: Gar keine Spur, Durchlaucht hat gleich nach der Leich die Initiative ergriffen – das heißt, ich meine –
v. Eisner: Ach ja, Sie wollen sagen, die Ereignisse haben sich überstürzt. Sehn Sie, lieber Hofrat, und jetzt haben wir gar den Weltkrieg.
Nepalleck: Ja, eine gerechte, eine erhebende Sühne! Ja, ja. Wenn Durchlaucht nicht die Initiative ergriffen hätte –
v. Eisner: Wie? zum Weltkrieg?
Nepalleck: Ah was red ich. Ich wollte sagen, Allerhöchstes Ruhebedürfnis ganz einfach.
v. Eisner: Wie? Für'n Weltkrieg?
Nepalleck: Nein – verzeihen S' – ich hab an was anderes gedacht. Ich wollte sagen, so hat das nicht weitergehn können, so nicht. Wissen Sie, seit der Annexion –
v. Eisner: Ich hab's dem Ährenthal vorausgesagt. Ich denk's wie heut, das war doch in dem Jahr, wo die Alin' Palffy in die Welt gegangen is. Ich hab ihn noch bis am Ballplatz begleitet –
Nepalleck: Wenns auch für den einzelnen eine schwere Last ist –
v. Eisner: Ja, freilich, wer hat nicht zu klagen, ich habe Verluste –
Nepalleck: Was? Auch Sie Baron?
v. Eisner: Ja, ja, kaum daß man sich mit ein paar Lieferungen herausreißt. Ich bin eben grad auf dem Weg da hinüber – dann treff ich vielleicht noch den Tutu Trauttmansdorff – ja jetzt heißt es durchhalten, durchhalten – die Hauptsache ist und bleibt, daß sich unsre Leut gut schlagen, das Weitere findet sich – Kompliment, Handkuß an Seine Durchlaucht –
Nepalleck: Danke, danke. Wer's bestellen, Kompliment, Wedersehn –
(Man hört den Gesang: Es broost ein Ruf)
(Verwandlung.)