Читать книгу Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit - Karl Kraus H. - Страница 5

Vorspiel 1. Szene

Оглавление

Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Ein Sommerfeiertagabend. Leben und Treiben. Es bilden sich Gruppen.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Ermordung des Thronfolgers!Thronfolger – Franz Ferdinant d'Este, der öster.-ung. Thronfolger. War beim Adel unbeliebt, seine Ermordung am 28.07.1914 war der Vorwand zum Weltkrieg I. Da Täta vahaftet!

Ein Korsobesucher (zu seiner Frau): Gottlob kein Jud.

Seine Frau: Komm nach Haus. (Sie zieht ihn weg.)

Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Neue Freie Presse! Die Pluttat von Serajevo! Da Täta ein Serbee!

Ein Offizier: Grüß dich Powolny! Also was sagst? Gehst in die Gartenbau?

Zweiter Offizier (mit Spazierstock):Woher denn? G'schlossen!

Der Erste (betroffen): G'schlossen?

Ein Dritter: Ausg'schlossen!

Der Zweite: Wenn ich dir sag!

Der Erste: Also was sagst?

Der Zweite: Na gehn mr halt zum Hopfner.

Der Erste: Selbstverständlich – aber ich mein, was sagst politisch, du bist doch gscheit –

Der Zweite: Weißt, no wer' mr halt (fuchtelt mit dem Spazierstock) – a bisserl a Aufmischung – gar nicht schlecht – kann gar nicht schaden – höxte Zeit –

Der Erste: Bist halt a Feschak. Weißt, einer wird ganz aus'n Häusl sein, der Fallota, der was –

Ein Vierter (tritt lachend hinzu): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst?

Der Zweite: Weißt, diese Bagasch hat Umtriebe gemacht ganz einfach.

Der Dritte: Weißt – also natürlich.

Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Der Zweite: Weißt, der Fallota das ist dir ein Patriot, der sagt immer, es genügt nicht, daß man seine Pflicht erfüllt, man muß ein Patriot sein unter Umständ. Wenn der sich was in den Kopf setzt, da gibts keine Würschtel. Weißt was ich glaub? Wern mer halt schwitzen müssen die Täg. No von mir aus!

Der Dritte: Was is mit'n Hopfner?

Der Vierte: Du, hast die zwei Menscher gekannt da?

Der Zweite: Weißt, der Schlepitschka von Schlachtentreu, der is furchtbar gebildet, der liest dir die Presse also auswendig von A bis Z, er sagt wir sollen auch lesen, dort steht sagt er, wir sind für den Frieden wenn auch nicht für den um Frieden um jeden Preis, du is das wahr? (Eine Büfettdame geht vorüber.) Du schau, das ist das Mensch wo ich dir erzählt hab was ich umsonst gehabt hab neulich. (Der Schauspieler Fritz Werner geht vorüber.) Djehre!

Der Dritte: Du mir scheint den kenn ich nicht.

Der Vierte: Den kennst nicht? Geh mach keine Gspaß den kennst nicht! Das is doch der Werner!

Der Dritte: Klassisch, weißt was ich mir eingebildet hab, ich hab mir eingebildet, das is der Treumann!

Der Erste: Geh hör auf! Wie kann man denn den Treumann mit dem Werner verwechseln!

Der Zweite: Siehst du, weil du nicht Logik studiert hast – er hat doch konträr den Werner mit dem Treumann verwechselt.

Der Dritte: Weißt, nein – wart (denkt nach). Weißt überhaupt was meine Ansicht is? »Husarenblut« is besser wie »Herbstmanöver«!

Der Zweite: Hör auf.

Der Erste: Du, du bist ja furchtbar gebildet, also –

Der Vierte: Also natürlich war das der Werner!

Der Erste: Du bist ja furchtbar gebildet –

Der Zweite: Warum?

Der Erste: Warst schon beim »Lachenden Ehemann«? Kennst auch den Marischka?

Der Zweite: Leider nicht.

Der Erste: Kennst auch den Storm?

Der Zweite: Aber selbstverständlich.

Der Vierte: Gehts, stehts nicht herum bei der Potenz-Ecken. Gehn wir zum Hopfner, wenn also die Gartenbau –

Der Dritte: Kennst auch den (Im Gespräch ab.)

Ein Zeitungsausrufer (kommt im Laufschritt): Tagblaad – da Thronfolga und Gemalin ermordet bittä –!

Der Agent: Was fangt man mit dem angebrochenen Abend an?

Ein Zweiter: Venedig soll offen sein.

Der Erste: Also schön, steig ma in eine BK und fahr ma nach Venedig.

Der Zweite: Ich weiß nicht, ich bin doch etwas nerves, bevor man nicht gehert hat –

Der Erste: Hert ma doch unten! Im Imperial haben sie auf (er ruft zur Allee hinüber) Fischl, Melpomene?

Fischl: Nu na nicht!

Der Erste: Der Schlag soll Sie treffen.

Fischl: Nach Ihnen. Glaukopis – zweiter!

Ein Wiener: (zu seiner Frau): Aber laß dir doch sagen, er war nicht beliebt –

Seine Frau: Marandjosef, warum denn?

Der Wiener: Weil er nicht papolär war. Der (ab.)

Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten Abonnenten): Schöne Bescherung!

Der älteste Abonnent: Was heißt Bescherung? (Sieht sich um.) Besser wird alles! Es wird eine Zeit wie unter Maria Theresia kommen, sag ich Ihnen!

Der Alte: Sagen Sie!

Der Älteste: Wenn ich Ihnen sag!

Der Alte: Ihnen gesagt! Aber – um Gotteswillen – Serbien! Mein Jüngster!

Der Älteste: Erstens ist ein Krieg heutzutag ausgeschlossen und dann – grad ihn wern sie nehmen! Warum, ma hat nicht genug andere? (murmelt) Gott, du bist gerecht! Ich – freu mich morgen am Leitartikel. Eine Sprache wird er finden, wie noch nie. Wie Gojims sag ich Ihnen, und sogar den höheren Gojims und sogar den höchsten und denen ganz besonders. Er hat gewußt, was am Spiel steht, er jo!

Der Alte: Man soll's nicht berufen. Vielleicht is es nicht wahr.

Der Älteste: Pessimist Sie! (Beide ab.)

Einige Betrunkene (drängen sich durch die Passanten): Grüß enk Good allamitanandaa! Nieda! Nieda mit Serbien! Hauts es zsamm! Hoch!

Vier Burschen und vier Mädchen Arm in Arm: Er ließ schlageen eene Bruckn daaß man kont hiniebaruckn Stadtunfestung Belgerader ließ schlagen einen Brucken – aus dem Lied »Prinz Eugenius, der edle Ritter« von 1717 –

Die Menge: Hoch! (Fritz Werner kommt zurück und dankt grüßend) Hoch Werner!

Fräulein Löwenstamm: Geh jetzt zu ihm und bitt ihm.

Fräulein Körmendy (nähert sich): Ich bin nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein Autogramm –

(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und überreicht es ihr. Ab.)

So lieb war er.

Fräulein Löwenstamm: Hat er dich angeschaut? Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem Mord. Ich schwärm nur für den Storm! (Ab.)

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Eazheazog Franz Ferdinand –

Ein Gebildeter: Kolossaler Verlust wird das sein für die Theater, das Volkstheater war total ausverkauft –

Seine Frau: Schön verpatzter Abend, wärn wir zuhausgeblieben, aber du, du bist ja nicht zu halten –

Der Gebildete: Ich staune über deinen Egoismus, einen solchen totalen Mangel an sozialem Empfinden hätte ich bei dir nicht vorausgesetzt.

Die Frau: Du glaubst vielleicht ich intressier mich nicht, selbstredend intressier ich mich, im Volksgarten essen hat gar keinen Sinn, wenn sowieso keine Musik is geht man gleich zu Hartmann –

Der Gebildete: Immer mit deinem Essen, wer hat jetzt Gedanken – Du wirst sehn was sich da tun wird, Kleinigkeit –

Die Frau: Wenn man nur wird sehn können!

Der Gebildete: Ein Begräbnis wird das doch sein, wie es noch nicht da war! Ich erinner mich noch wie der Kronprinz – (ab.)

Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Heut wird (ab.)

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!

Ein Zeitungsausrufer: Reichspost! Zweate Oflagee! Die Ermordung des Thronfolgapaares!

Ein Kleinbürger: Leben und leben lassen! Also natürlich für den Wiener, für den kleinen Mann, war das nicht das richtige. Wofern, das kann ich dir also aufklären verstehst du. Denn warum? Der Wiener is gewohnt, daß man ihm seine Gewohnheiten loßt. Er herentgegen – der Hadrawa hat ihm einmal erkannt, wie er einmal, also natürlich im Kognito war, da is er sogar nach der Tax gfahren und hat Trinkgeld geben wie ein Prifater, aber nicht um a Sexerl mehr sag ich dir.

Zweiter Kleinbürger: Hör auf!

Der Erste: Und in die bessern Gschäfte hat er auch nicht mehr zahln wolln. Das war einer! Glaubst, der hätt sich von unseran überhalten lassen? Der hätt sich hergstellt mit unseran! Wo unseraner doch auch leben will! Nix hat er auslassn. Nicht um die Burg! Also das is Gefühlssache. I sag, leben und leben lassen und dafür stirb i. Denn warum? Der kleine Mann –

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –!

Der Kleinbürger: Her mitn Bladl! kost –?

Der Zeitungsausrufer: Zehn Heller!

Der Kleinbürger: An Schmarrn! Wurzerei. Steht eh nix drin. Du – pst – schau dir dös Madl an, sauber, wos? Die Gspaßlaberln! Da kann sich meine Alte also natürlich vastecken.

Zweiter: Hör mr auf, das is eine Protestierte!

Erster: Da schau her, vorm Bristol stehn Leut, gehma hin, da muß eine Persönlichkeit sein. (Ab.)

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!

Ein Reporter (zu seinem Begleiter): Hier nimmt man am besten die Stimmung auf. Wie ein Lauffeuer, sehn Sie, hatte sich am Korso die Nachricht verbreitet, wo sich die Wogen brechen. Das fröhliche Leben und Treiben, das sich sonst um diese Stunde zu entfalten pflegte, verstummte mit einem Male, Niedergeschlagenheit; das Gefühl tiefer Erschütterung, zumeist aber stille Trauer, konnte man von allen Gesichtern ablesen. Unbekannte Leute sprachen einander an, man riß sich die Extrablätter aus der Hand, es bildeten sich Gruppen –

Zweiter Reporter: Da möcht ich so vorschlagen: In den Alleen der Ringstraße sah man Gruppenbildungen von Leuten, die das Ereignis besprachen. Wachleute zerstreuten die Gruppen und erklärten, daß sie weitere Gruppenbildungen nicht dulden würden. Hierauf bildeten sich Gruppen und das Publikum begann sich zu massieren – sehn Sie, dort!

(zwischen einem Fahrgast und einem Fiaker, vor dem Hotel Bristol, hat sich ein Wortwechsel entsponnen, die Passanten nehmen Partei, man hört Pfui-Rufe.)

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Der Thronfolger und seine Gemahlin von Verschwörern ermordet!

Der Fiaker: Aber Euer Gnaden! An so an Tag –!

(Verwandlung.)

Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit

Подняться наверх