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4.

Torben Großkopf knallte das Heft auf Alex' Schreibtisch. Auf der Titelseite war eine Fotomontage zu sehen, die die explodierende Erde vor der Fotografie einer Supernova zeigte. „Die Physikalische Falle – droht das Ende der Welt?“, lautete der Aufmacher. Unten links neben einem Bild des ATLAS-Detektors während der Bauphase stand: „Exklusivbericht vom CERN – Physiker rüsten auf“. Erst jetzt fiel Alex auf, dass die beiden Schlagzeilen einen ungewollten, düsteren Zusammenhang bildeten.

„Weißt du eigentlich, was du gemacht hast?“, rief Torben. Sein Kopf war rot vor Aufregung.

„Was denn?“

Der Chefredakteur starrte ihn einen Moment an. Dann grinste er breit. „Du hast uns unseren gottverdammten Arsch gerettet, Mann! Okay, die PR-Abteilung hat auch einen guten Job gemacht. In den Blogs und Foren reden sie anscheinend über nichts anderes mehr als die Physikalische Falle. Die Startauflage war schon gestern komplett weg, und das, obwohl wir 15.000 Hefte mehr gedruckt haben als sonst. Ausverkauft! Am ersten Tag! Das gab's in der Geschichte dieser Zeitschrift noch nie!“

„Na super“, sagte Alex. Irgendwie konnte er sich nicht richtig darüber freuen. Nicht, dass er nicht stolz auf seinen Artikel gewesen wäre – immerhin war eine Menge Herzblut hineingeflossen, wie in jeden seiner Texte. Aber er hatte das Gefühl, dass sie mit diesem Heft, besonders mit dem reißerischen Titel, das Niveau der Zeitschrift deutlich abgesenkt hatten. Es kam ihm vor, als hätte er seine journalistischen Ideale verraten.

Es war weniger der Artikel selbst, der ihm Unwohlsein bereitete. Aber es fehlte der Kontrapunkt, die Gegenmeinung. Ausgewogenheit war immer ein Grundprinzip der Redaktion gewesen. Wann immer sie über konträre wissenschaftliche Standpunkte oder umstrittene Theorien berichtet hatten, war stets auch die Gegenseite zu Wort gekommen.

Diesmal nicht.

Trotz Dr. Delandres unsympathischer Art hatte Alex mehrfach darauf gedrungen, ihm den Artikel vorab zu schicken und ein offizielles Statement des CERN einzuholen. Doch Torben hatte sich strikt dagegen ausgesprochen. „Wenn die was dazu zu sagen haben, bringen wir das im nächsten Heft“, hatte er gemeint. „Wir werden die Aussage des Artikels nicht durch irgendwelche Pressestatements verwässern. Es wird Zeit, dass wir als Magazin mal klar Position beziehen!“

Alex bedauerte die Entscheidung jetzt, wo das Heft ein Erfolg geworden war, umso mehr.

„Was machst du denn für ein Gesicht?“, fragte Torben. „Das ist doch ein Grund zum Feiern! Komm, wir köpfen in meinem Büro eine Flasche Schampus!“

„Sorry, aber ich musste gerade an Paula denken und an all die anderen. Für sie kommt der Erfolg zu spät.“

Torben machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was! Wir haben jetzt den Turnaround geschafft! Noch ein oder zwei solcher Artikel, und wir sind schneller über den 100.000, als es sich diese bekloppten Bürohengste in der Zentrale vorstellen können. Dann stellen wir sie alle wieder ein. Versprochen!“

Alex lächelte schief. Torbens Versprechen hatten ungefähr dieselbe Halbwertszeit wie Uran 229. Aber vielleicht hatte sein alter Freund ja auch recht – Ausgewogenheit hin oder her, das Heft war ein Hit und die Zukunft der Zeitschrift sah nun deutlich rosiger aus als noch vor drei Wochen. Jedenfalls hatte er dazu beigetragen, die Arbeitsplätze der übrigen Mitarbeiter zu sichern.

Sofern dieser Erfolg keine einmalige Ausnahme blieb.

„Also was ist, trinken wir jetzt einen?“, fragte Torben.

Alex schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Ich muss noch ein bisschen über die Sache mit den angeblich überlichtschnellen Neutrinos recherchieren, die das Team in Chicago …“

„Ach, vergiss das doch. Alle paar Jahre kommt irgendwer mit so einer Geschichte, und dann stellt sich das hinterher als Messfehler oder statistischer Effekt raus. Einstein hat recht: Nichts ist schneller als Licht, basta. Kümmer dich lieber um diese Geistererscheinungen in Irland, von denen ich dir erzählt habe. In dem Thema steckt was drin: Mythologie, keltische Kultur, Übersinnliches …“

Alex seufzte. „Mach ich später.“

„Spaßbremse!“, sagte Torben in halb vorwurfsvollem, halb kameradschaftlichem Tonfall und klopfte Alex auf die Schulter, bevor er wieder in sein Büro ging.

Im Laufe des Vormittags kamen fast alle Mitarbeiter der Redaktion, um Alex zu gratulieren. Ihm war das unangenehm – schließlich war das Heft nicht nur das Produkt seiner Arbeit, auch wenn er den Aufmacher geschrieben hatte.

„Echt supi“, sagte Jenny vom Empfang. „Ich dachte schon, ich bin die Nächste, die wegrationalisiert wird! Du hast was gut bei mir!“

„Nun hört endlich auf mit dem Schwachsinn!“, protestierte Alex. „Ich hab ein Interview geführt und einen Artikel geschrieben, mehr nicht! Wenn dieses Heft eine Zukunft haben soll, müssen wir alle zusammen daran arbeiten. Ich allein – oder irgendwer sonst als Einzelperson – kann das nicht hinkriegen!“

„Das ist eine Supereinstellung, echt! Wenn's nach mir ginge ...“

In diesem Moment klingelte das Telefon. Alex erkannte eine Schweizer Vorwahl auf dem Display.

„Abenteuer Universum, Mars?“, meldete er sich. Er wusste, dass das ein bisschen seltsam klang, und hatte schon ein paar Mal Bemerkungen zu hören bekommen wie „Guten Tag, hier ist Venus“, doch so lautete nun mal sein Name.

„Hier ist Dr. Delandre vom CERN. Wissen Sie eigentlich, was Sie getan haben?“

Alex' schlechtes Gefühl verstärkte sich. Er fühlte sich augenblicklich genötigt, sich zu rechtfertigen. „Tut mir leid, ich wollte Sie eigentlich vorher …“

„Es tut Ihnen leid?“ Delandres französischer Akzent war jetzt wesentlich deutlicher zu hören als bei ihrem ersten Gespräch. Vielleicht lag das daran, dass er sich aufregte. „Was Sie getan haben, ist unverantwortlich! Sie verbreiten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung! Bei uns ist die Hölle los, seit Ihr alberner Artikel erschienen ist.“ Er sprach das Wort „Hölle“ wie „Öl“ aus. „Sie behindern die Arbeit an einem der wichtigsten Forschungsprojekte der Gegenwart! Unsere Wissenschaftler kommen nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen, der ganze Terminplan für das Wiederhochfahren der Anlage ist gefährdet!“

Während des Gesprächs hatte Alex seinen Webbrowser gestartet und die Seite des Nachrichtenmagazins REFLEKTOR aufgerufen. Der dritte Artikel auf der Homepage zeigte ein Foto des Besucherzentrums, in dem er Delandre getroffen hatte. Davor hatte sich eine große Menschenmenge mit Transparenten versammelt. „Massive Proteste am CERN“, lautete die Überschrift.

„Du meine Güte!“, entfuhr es ihm.

„Ja, genau, du meine Güte!“, bestätigte Delandre. „Wie konnten Sie nur so einen hanebüchenen Unsinn verbreiten! Ich habe immer gedacht, Abenteuer Universum sei ein wissenschaftliches Magazin!“

Während der Pressesprecher sich aufregte, hatte Alex den REFLEKTOR-Bericht überflogen. Sein Artikel wurde darin erwähnt und als „Panikmache, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt“ bezeichnet. Ein angesehener Astrophysiker wurde zitiert, der „über 30 wesentlich plausiblere Erklärungen für das so genannte Fermi-Paradoxon“ nennen könne.

„Sind Sie noch dran?“, fragte Delandre.

„Was? Ja, entschuldigen Sie. Ich lese gerade den REFLEKTOR-Artikel. Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dass es zu solchen Protesten kommen würde, damit habe ich … haben wir nicht gerechnet. Das war nicht unsere Absicht.“

„Jetzt tun Sie doch nicht so scheinheilig!“, sagte Delandre mit der schneidenden Stimme eines Staatsanwalts beim Schlussplädoyer. „Sehen Sie sich bloß mal das Titelbild Ihres Magazins an! Eine explodierende Erde, also wirklich! Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten nicht gewusst, dass sowas den Leuten Angst macht!“

Alex wollte erklären, dass er nicht für die Gestaltung des Heftcovers verantwortlich sei. Doch er wusste, dass es wie lahme Ausflüchte geklungen hätte. „Es … es tut mir leid“, war alles, was er sagen konnte.

Delandre schwieg einen Moment. Er seufzte vernehmlich, als fiele es ihm schwer, den nächsten Satz auszusprechen. „Also schön, Sie sind Journalist, ich bin Wissenschaftler. Wir haben vielleicht bisher aneinander vorbei geredet. Ich denke, wir sollten in Zukunft mehr miteinander sprechen.“

„Ja, das sehe ich auch so“, erwiderte Alex, der sich ein wenig über Delandres Stimmungswandel wunderte. Der Pressesprecher hatte wohl auch einigen Ärger bekommen.

„Ich möchte Sie gerne einladen“, sagte Delandre.

„Einladen?“ Alex war alarmiert. Das klang allzu sehr nach einer dieser „Informationsreisen“ für Journalisten, die gern von großen Firmen und Lobbyisten veranstaltet wurden und in Wahrheit schlecht kaschierte Bestechungsversuche waren.

„Ich möchte Sie bitten, noch einmal nach Genf zu kommen und sich unsere Arbeit hier genauer anzusehen. Dann können Sie sich selbst davon überzeugen, dass wir seriöse Wissenschaft betreiben und nicht die Zukunft der Welt aufs Spiel setzen.“

„Dr. Delandre, ich denke ebenso wenig wie Heiner Krombach, dass die Experimente am CERN gefährlich sind. In dem Artikel geht es ja eher darum, wie wir mit dem Wissen umgehen, das wir gewinnen.“

„Ja, ich weiß. Aber die Leser Ihres Magazins verstehen den Unterschied nicht. Die sind vollkommen hysterisch. Deshalb möchte ich Sie bitten, uns zu helfen, die Menschen wieder zu beruhigen. Sie könnten zum Beispiel einen zweiten Artikel über unsere Arbeit schreiben. Einen, der auf ausgewogenen Fakten beruht, so dass sich die Öffentlichkeit ein Bild machen kann, wie es wirklich am CERN zugeht. Sind Sie dazu bereit?“

„Ich muss das mit unserem Chefredakteur besprechen. Aber ich glaube, grundsätzlich ist das machbar.“

„Gut. Wie Sie wissen, geht der LHC in Kürze wieder in Betrieb. Wir rechnen damit, dass wir nächsten Mittwoch die ersten Kollisionen mit einer maximalen Energie von etwa 14 Teraelektronenvolt erreichen. Wenn Sie möchten, können Sie diesen historischen Moment live miterleben.“

„Also gut, Dr. Delandre. Ich kläre das und melde mich dann.“

Torben hielt zunächst nicht viel von der Idee, die Aussagen aus dem aktuellen Heft nachträglich abzumildern. Doch als Alex ihm klar machte, dass ein weiterer Bericht vom LHC eine Art Fortsetzung der erfolgreichen Geschichte wäre, stimmte er schließlich zu.

Mygnia - Die Entdeckung

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