Читать книгу Flucht aus der Würfelwelt - Karl Olsberg - Страница 7
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Aus purem Frust fange ich an zu graben. Nach kurzer Zeit stoße ich auf Grundstein. Probehalber dresche ich ein paar Mal mit meiner Eisenspitzhacke darauf ein, doch wie erwartet hat das keinen Effekt. Die Welt, in der ich mich befinde, scheint den normalen Regeln des Computerspiels zu gehorchen. Ob ich wohl auch die berühmte Schlusssequenz zu sehen bekomme, wenn ich den Drachen besiege?
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitz. Natürlich, das ist es!
Als ich das erste Mal durch die Würfelwelt irrte, wusste ich zu Anfang nicht, wer ich bin. All die merkwürdigen Dinge und Wesen, denen ich begegnet bin, waren dazu da, mir bei meiner Erinnerung zu helfen. Zum Schluss hat mir der Drache geholfen, indem er meinen Geist quasi in meinen Körper zurückgeflogen hat, und ich konnte aufwachen. Diesmal ist es anders: Ich bin freiwillig in die Würfelwelt geflüchtet. Ich habe auf der Suche nach einem unmöglichen Ding das Auryn gefunden und konnte damit in den Creative Mode wechseln, der mich quasi allmächtig gemacht hat. Das Ergebnis war diese Welt – eine exakte Kopie meiner ursprünglichen Traumwelt. Aber diesmal weiß ich, wer ich bin und wieso ich hier bin, und ich kenne die Spielregeln. Also verhält sich diese Version der Würfelwelt auch so: Alles ist wie im echten Computerspiel. Das bedeutet, ich muss das Spiel bis zu Ende spielen und den Drachen besiegen. Dann erscheint ein Portal, mit dem ich in die Wirklichkeit zurückkehren kann. Das ist doch vollkommen klar! Oder?
Vielleicht ist es doch nicht so klar. Vielleicht ist meine Theorie absoluter Unfug. Aber es ist einen Versuch wert und allemal besser, als bloß frustriert herumzuirren. Allerdings ist es keine Kleinigkeit, den Drachen zu bekämpfen. Ich habe es erst einmal versucht und bin grandios gescheitert. Damals war es nur ein Computerspiel. Diesmal hängt mein Leben davon ab, dass ich gewinne.
Die Schlacht mit dem Drachen erfordert eine Menge Vorbereitung. Ich benötige Schattenperlen und Lohenpulver, um daraus Schattenaugen zu machen, mit denen ich ein Endportal lokalisieren und aktivieren kann. Das wiederum heißt, ich muss mich an der Oberfläche mit Schattenmännern herumprügeln und in der Unterwelt mit Lohen. Dann erst folgt der Kampf mit dem Endboss. Zuallererst brauche ich also die bestmögliche Ausrüstung.
Ich beschließe, die Hütte, die ich am Vortag gebaut habe, als Operationsbasis zu nutzen. Zuerst schere ich ein paar Schafe und crafte ein Bett. Bis zum Sonnenuntergang lege ich mir einen Vorrat von gebratenem Schweinefleisch und Holz an. Die Nacht über schlafe ich im Bett und wache am nächsten Morgen erfrischt auf. Sollte ich unterwegs von einem Kriecher überrascht werden oder in Lava stürzen, werde ich hier spawnen.
Nun kommt der anstrengende Teil meiner Operation. Ich buddele Gänge, sammele Kohle und Eisenerz, das ich im Ofen schmelze, bis ich genug Eisenbarren für mehrere Vollrüstungen habe. Als nächstes suche ich nach Diamanten. Es dauert eine ganze Weile, bis ich mir daraus ein Schwert und eine Vollrüstung craften kann. Nebenbei finde ich noch allerhand andere nützliche Rohstoffe: Feuersteine für Pfeilspitzen und ein Feuerzeug, Gold und Redstone für einen Kompass und eine Uhr, Smaragde für den Handel mit Dorfbewohnern, falls ich welchen begegnen sollte, Spinnenseide für Pfeil und Bogen und eine Angel.
Immer wieder muss ich mich mit Zombies, Kriechern, Skeletten, Höhlenspinnen und gelegentlich sogar mit Hexen herumschlagen, die ihre giftigen Tränke nach mir werfen. Doch all das sind keine ernsthaften Gefahren für mich. Das Kämpfen fällt mir umso leichter, je länger ich hier in der Würfelwelt bin. Die Bewegungen meines Kastenkörpers fühlen sich so natürlich an, als wäre es mein echter. Das Einzige, was dieses Gefühl der Realität stört, ist das Fehlen einiger Sinne: Ich kann sehen und hören, aber nicht riechen, schmecken oder Dinge ertasten. Nur die Stromschläge, die mich bei gelegentlichen Monsterangriffen durchzucken, erzeugen so etwas wie Nervenempfindungen und hinterlassen ein unangenehmes Schwächegefühl.
Schließlich fühle ich mich gut genug gerüstet, um es auch mit den stärksten Gegnern aufzunehmen. Als Erstes sind die Schattenmänner an der Reihe. Die kann ich ohnehin nicht leiden, denn sie erinnern mich an Amelies Stiefvater und Dr. Johannsen. Am einfachsten findet man sie in der Wüste, wo man sie schon aus weiter Entfernung sehen kann. Sobald ich einen Schattenmann erblicke, provoziere ich ihn, indem ich ihm in die Augen sehe und den Blick abwende, woraufhin er sich zu mir teleportiert. Ich hacke mit dem Diamantschwert auf ihn ein, bis er sich mit einem hässlichen Geräusch in Luft auflöst und dabei mit etwas Glück eine Schattenperle zurücklässt. Meistens erleide ich dabei kaum Schaden. Einmal allerdings passe ich nicht auf und ärgere zwei Schattenmänner gleichzeitig. Zu allem Überfluss mischt sich auch noch ein Skelett in den Kampf ein, so dass ich nur knapp mit dem Leben davon komme.
Als der Morgen graut, habe ich immerhin fünf Schattenperlen erbeutet. Während des Tageslichts crafte ich mir einen Eimer und fülle ihn mit Wasser aus dem unterirdischen Fluss. Dann suche ich mir einen Lavateich und stelle Obsidian her, indem ich die Lava mit Wasser abkühle. So erzeuge ich zehn Obsidianblöcke, mit denen ich ein Unterweltportal errichte.
Inzwischen ist es wieder Nacht, und die Jagd auf die Schattenmänner geht weiter. Diesmal bin ich erfolgreicher und kehre mit ganzen neun Schattenperlen heim. Als der Tag anbricht, trete ich durch das Unterweltportal. Ein kurzes Schwindelgefühl packt mich, und Sekunden später stehe ich in der Region, die im Computerspiel der Hölle entspricht. Als ich das letzte Mal hier war, bin ich Zombie-Schweinemenschen-Mönchen begegnet, die mir geholfen haben, den Ausweg aus der Unterwelt zu finden. Damals war das Portal, das ich in der Stadt des Todes durchschritt, nur in einer Richtung begehbar. Doch diesmal ist es anders: Ich höre das beruhigende Summen des Unterweltportals hinter mir, kann also jederzeit an die Oberfläche zurückkehren.
Ein von Glühstein und brennendem Unterweltstein beleuchteter Gang führt in eine große Höhle, in der sich ein Lavafall aus der Decke ergießt. Und schon bekomme ich den ersten Ärger: Ein Blaster schwebt wie eine gigantische Qualle über dem Lavasee und fängt sofort an, mich mit Feuerbällen zu beschießen, wobei er weinerliche Babyschreie auszustoßen. Statt das Monster zu bekämpfen, verschwinde ich rasch durch einen Ausgang auf der anderen Seite. Dort führt ein enger Gang in eine langgestreckte Höhle, in der ich Zombie-Schweinemenschen begegne, den hässlichen, aber friedfertigen Bewohnern der Unterwelt. Sie tragen keine Mönchskutten; trotzdem versuche ich, mich mit ihnen zu verständigen. Doch sie reagieren auf meine Kommunikationsversuche nur mit Grunzlauten. Schade, ich hätte sie gern nach dem Weg zur nächsten Unterweltfestung gefragt. Dort gibt es Spawner für Lohen, die wiederum die Lieferanten für Lohenruten sind. Und die brauche ich, um aus meinen Schattenperlen Schattenaugen zu machen, mit denen man Festungen finden und die darin enthaltenen Endportale aktivieren kann.
Soweit die Theorie. In der Praxis muss man erstmal eine Unterweltfestung finden, und das kann dauern. Unverdrossen mache ich mich auf die Suche und begegne nach kurzer Zeit einem Magmaschleim. Wie ein rechteckiger Flummi hüpft das Wesen auf mich zu und versucht, auf mich zu springen und mir so Schaden zuzufügen, doch ich kann ihm mühelos ausweichen. Nachdem ich ihm ein paar Schwerthiebe verpasst habe, zerfällt das Monster in kleinere Schleimwürfel, die in noch kleinere Würfel zerplatzen, wenn ich auf sie einschlage. Nachdem ich auch diese beseitigt habe, bleibt eine glibbrige, grün-rote Kugel übrig: Magmacreme, eine wertvolle Zutat für Tränke.
Ich habe Glück: Nach ein paar hundert Schritten gelange ich in eine große Höhle, die von mehreren Lavafällen beleuchtet ist. In der Mitte eines großen Lavasees ragt eine Festung auf, die aus dunklen Unterweltziegeln besteht. Sie wird von einem Blaster bewacht, den ich diesmal nicht ignorieren kann. Also liefere ich mir ein kleines Duell mit ihm, hüpfe am Ufer des Lavasees hin und her, um seinen Feuerbällen auszuweichen, und schieße Pfeile in seine Richtung. Es dauert nicht lange, und das Wesen stürzt mit einem kläglichen Schrei in den Lavasee.
Bisher war das alles noch nicht besonders schwierig. Die wirklichen Probleme warten erst im Inneren der Festung auf mich. Dort gibt es Lohen und Zerberusskelette, beides mehr als ebenbürtige Gegner. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Brücke aus Unterweltstein zu dem Bauwerk zu bauen und mich der Gefahr zu stellen. Die Festung besteht aus mehreren auf Säulen errichteten Gängen, die auf eine zentrale geschlossene Struktur zulaufen. Im Inneren werde ich höchstwahrscheinlich einen Lohenspawner finden, der die kleinen Feuerteufel erzeugt.
Als ich mich dem Eingang zur Festung nähere, höre ich bereits das charakteristische Knochenklacken eines Skeletts. Kurz darauf stürzt mir einer der großen, dunkelgrauen Knochenmänner entgegen. Ich kämpfe wie ein Berserker, kann jedoch nicht verhindern, dass mich das Monster mit einem Schwerthieb trifft. Neben dem inzwischen schon gewohnten elektroschockartigen Gefühl breitet sich Übelkeit in mir aus. Das ist der Zerberus-Effekt, der ähnlich einer Vergiftung nach und nach meine Lebenskraft schwächt. Es fällt mir schwerer, mich zu bewegen, außerdem ist es hier oben auf dem schmalen Gang über dem Lavasee nicht einfach, Angriffen auszuweichen. Meine Lebensenergie sinkt bedrohlich ab, bevor ich es endlich schaffe, dem Skelett den Garaus zu machen.
Ich gehe auf sichere Distanz zum Inneren der Festung und nehme einen kleinen Imbiss aus gebratenem Schweinefleisch zu mir. Das Gefühl der Übelkeit und Schwäche klingt allmählich ab. Als ich mich wieder fit fühle, betrete ich den ersten Raum. Dahinter führt ein Gang zu einer Kreuzung. Kaum habe ich diese erreicht, stürmen aus zwei Richtungen Zerberusskelette heran. Ich schaffe es, eines der beiden zu erledigen, doch bevor ich mich umdrehen kann, um den anderen Knochenmann zu bekämpfen, trifft mich dieser in den Rücken und mir wird schwarz vor Augen.
Ich wache mit leerem Inventar in meinem Bett auf. Auch in dieser gehorcht diese Welt also den bekannten Spielregeln. Zum Glück habe ich für diesen Fall vorgesorgt und Ersatzausrüstung in einer Kiste bereitgelegt, allerdings nur eine Eisenrüstung, da ich nicht genug Diamanten hatte. Ich statte mich mit dem Nötigsten aus und kehre an den Ort des Geschehens zurück.
Diesmal bin ich etwas vorsichtiger, locke das Zerberusskelett hervor, fliehe vor ihm und bekämpfe es aus der Distanz mit Pfeilen, bis es so geschwächt ist, dass ich es im Nahkampf mühelos besiegen kann. Nachdem das Skelett besiegt ist, sammele ich die Ausrüstung ein, die bei meinem Tod hier liegen geblieben ist, lege meine Diamantrüstung wieder an und erkunde die Festung weiter.
Der Gang rechts führt zu einem quadratischen Raum mit einem Lavabrunnen, der keinen anderen Ausgang hat. Ich kehre also zur Kreuzung zurück und folge dem gegenüberliegenden Gang. Kaum habe ich ihn betreten, höre ich ein Geräusch, das an ein metallisches Luftholen erinnert. Eine Lohe! Sie schwebt in einem kleinen Raum, dessen Boden teilweise aus Seelensand besteht. Darauf wachsen rötliche Pilze, genannt Unterweltwarzen – äußerst nützlich für das Brauen von allerlei Tränken.
Die Lohe fackelt nicht lange, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Sie flammt kurz auf und entlädt ihre Feuerladung in drei rasch hintereinander abgeschossenen Feuerbällen, von denen mich einer trifft und mir einen schmerzhaften Stromstoß verpasst. Ich nutze die kurze Pause, in der sich die Lohe neu aufladen muss, um ihr eins mit dem Diamantschwert zu verpassen. Sie wehrt sich mit glühendem Eifer und fügt mir weiteren Schaden zu, so dass ich die Flucht ergreifen muss. Das Monster folgt mir und beschießt mich mit Feuerbällen, denen ich nur knapp ausweichen kann. Sobald es seine Feuerballsalve abgefeuert hat, nutze ich die Gelegenheit, kurz anzuhalten und einen Pfeil in seine Richtung abzuschießen. Auf diese Weise gelingt es mir schließlich, die Lohe zu besiegen. Zur Belohnung lässt sie eine Lohenrute fallen.
Im Raum mit den Unterweltwarzen pflücke ich die Pilze. Dann kehre ich zur Oberfläche zurück und crafte mir aus drei Steinblöcken und der Lohenrute einen Braustand. Im Ofen schmelze ich etwas Sand und stelle aus drei Glasblöcken einige Flaschen her, die ich mit Wasser fülle und dann mit den Unterweltwarzen in „Seltsame Tränke“ verwandele. In einen dieser Tränke gebe ich die Magmacreme, die ich beim Kampf mit dem Magmaschleim erbeutet habe, und erhalte so einen Trank der Feuerresistenz. Damit ist es wesentlich leichter, Lohen zu bekämpfen.
Derart ausgestattet kehre ich in die Unterweltfestung zurück. Wie erwartet dauert es nicht lange, bis ich auf die nächste Lohe treffe. Mit dem Schutz des Feuerresistenz-Tranks gelingt es mir mühelos, sie zu besiegen. Solange die Wirkung des Tranks anhält, renne ich durch die Festung, bis ich den Monsterspawner finde und dort zwei weiteren Lohen den Garaus mache. Nun habe ich zwei Lohenruten, aber keine Feuerresistenz mehr. Zeit für den Rückzug.
Ich durchstreife das Unterwelt-Höhlenlabyrinth auf der Suche nach Magmaschleim. Es dauert eine Weile, aber schließlich werde ich fündig und erobere zwei weitere Magmacreme-Kugeln, die ich in meiner Hütte zu Feuerresistenz-Tränken verarbeite. Mit deren Hilfe gelingt es mir, weitere Lohen zu vermöbeln, bis ich endlich acht Lohenruten besitze. Ich durchstöbere die Festung und finde in einem abgelegenen Raum eine Schatztruhe, die außer ein paar Goldbarren, einer goldenen Rüstung und anderem unnützen Kram einige Melonensamen enthält. Äußerst praktisch, denn Melonen spawnen von selbst nur im Dschungel, und ein Dschungelgebiet habe ich bisher noch nicht entdeckt. Sicherheitshalber baue ich noch ein paar Glühstein-Blöcke ab und kehre schließlich in die Oberwelt zurück. Dort pflanze ich die Melonensamen ein, verarbeite die Lohenruten zu Lohenstaub und crafte mir aus den Schattenperlen vierzehn Schattenaugen. Das sollte eigentlich reichen, um die nächste Festung zu finden und dort das Endportal zu aktivieren. Nachdem die Melonen reif sind, braue ich mir daraus zusammen mit Unterweltwarzen und etwas Gold drei Heiltränke. Die kann man immer gebrauchen.
Da gerade die Sonne untergeht, schlafe ich noch einmal in meinem Bett. Am nächsten Morgen breche ich ausgeruht und frohen Mutes auf, um das Ende zu finden und mich dem Kampf mit dem Drachen zu stellen.