Читать книгу Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit - Karl Reiche - Страница 11
Die Höhle
ОглавлениеSie wurden bei ihrem Näher kommen von den Frauen misstrauisch beobachtet, und dann rief eine von ihnen etwas in den Höhleneingang.
Sofort traten drei Männer heraus.
Auch diese beobachteten die jungen Wanderer zunächst voller Argwohn. Erst als die Gruppe ganz nahe herangekommen war und die Männer erkannten, dass es Menschen ihrer eigenen Art waren, kamen sie freundlich näher, um sie zu begrüßen.
Ein großer, breitschultriger Mann mit den ersten grauen Strähnen im dunkelbraunen Haar trat ihnen lächelnd entgegen und streckte Kaar die rechte Hand hin. „Ich bin Ager, der Anführer dieser Gruppe. Seid uns willkommen.“
Auch Kaar reichte ihm die Hand und stellte dann sich und seine Gefährten vor.
„Entschuldigt unser anfängliches Misstrauen“, fuhr Ager fort. „Wir hatten hier noch nie Besuch von Menschen unserer eigenen Art. Wir haben zunächst geglaubt, ihr seid eine Gruppe der Alten.“
Kaar war überrascht.
„Gibt es denn hier in der Gegend viele von den Alten?“
„Nein, aber wir begegnen ihnen ab und zu auf unseren Jagdausflügen, wenn wir im Frühsommer den Tieren weiter nach Norden folgen.“
„Und wie kommt ihr mit ihnen aus?“
„Gar nicht; wir gehen ihnen aus dem Weg und sie uns auch. Als wir euch sahen, waren wir deshalb sehr verwundert, denn noch nie hat uns eine ihrer Gruppen besucht. Genauso wenig, wie wir sie und ihre Lager oder ihre Höhlen besuchen.“
„Warum eigentlich nicht?“
„Das kann ich dir nicht beantworten. Es ist nun einmal so, dass wir uns gegenseitig aus dem Weg gehen.“
Kaar vertiefte dieses Thema nicht weiter, sondern erzählte Ager von ihrem Anliegen.
„Da kann ich euch sicher helfen. Wir wandern im Sommer oft nach Norden. Dort gibt es eine große Ebene mit sehr viel Wild. Manchmal nehmen wir den Weg durch ein Tal, das nordöstlich von hier liegt und dort gibt es einige große Höhlen, in denen ihr im Winter gut leben könnt. Aber kommt erst einmal herein und seid unsere Gäste.“
Er drehte sich um und Kaar und seine Freunde folgten ihm in die Höhle. Nachdem sie einen kurzen Tunnel durchschritten hatten, erweiterte sich die Höhle zu einer riesigen Grotte und die Gruppe Wanderer kam aus dem Staunen nicht heraus.
Ager grinste zufrieden.
„Schön, nicht?“, fragte er stolz.
Kaar nickte sprachlos. Eine so große Höhle hatte er noch nie gesehen.
„Hier ist es ideal für uns“, bemerkte Ager weiter. „Im Winter verhängen wir den Eingang mit einem Mammutfell, dann kann uns auch der stärkste Sturm nichts mehr anhaben.“
Kaar war beeindruckt. „Gibt es in dem Tal, das du mir gerade beschrieben hast, auch solche Höhlen?“
„Nein, so große nicht, doch einige der Höhlen dort sind sehr schön. Wir haben sie uns immer nur kurz angesehen, wenn wir manchmal in einer übernachtet haben. Näher untersucht haben wir sie aber nie, weil wir ja eine ideale Höhle haben.“
Sie blieben drei Tage als Gäste bei den Menschen in dieser Höhle und Ager erläuterte Kaar ihre Lebensweise in dieser Gegend.
„Die Winter hier sind sehr hart und es herrschen oft starke und eisige Stürme, die eine Jagd unmöglich machen. Dann ist es in der Höhle warm und sicher. In den Sommermonaten, wenn wir im Norden jagen, legen wir deshalb große Vorräte an getrocknetem Fleisch an. Die schaffen wir dann in diese Höhle und lagern sie ein. Nur dadurch ist es uns möglich, die Sturmphasen zu überstehen, ohne hungern zu müssen. Ihr solltet es genauso machen, wenn ihr eine für euch geeignete Unterkunft gefunden habt.“
Bevor sie aufbrachen, beschrieb Ager ihnen noch den Weg zu dem Tal, das er ihnen anfangs empfohlen hatte.
„Am besten ist es, wenn ihr quer über die Berge direkt nach Nordosten geht. In einigen Tagen müsstet ihr das Tal erreichen.“
Kaar bedankte sich bei Ager für die guten Ratschläge und sie verabredeten, dass sie sich gegenseitig besuchen und während der Sommermonate in der Ebene im Norden gemeinsam jagen würden. Dann drängte er zum Aufbruch.
Es war ein sehr warmer und sonniger Nachmittag. Sie stiegen gerade mühsam, keuchend und schwitzend zu einem steilen Berggrat hinauf. Sig, der ihnen quirlig wie immer vorauseilte, blieb oben auf dem Grad stehen und stieß einen überraschten Ruf aus. Als auch alle anderen endlich oben angekommen waren, sahen sie voller Staunen in ein wunderschönes Tal hinunter. Es schien unendlich groß zu sein, verlief ungefähr in Ost-West-Richtung und eine steile Bergkette im Norden schützte das Tal vor den eisigen, aus dieser Richtung kommenden, Winden. Eine üppige Vegetation erstreckte sich entlang der Berghänge und im Tal glitzerte zwischen den Bäumen ein kleiner See. Ein Flüsschen schlängelte sich in östlicher Richtung, vorbei an sattgrünen Wäldern, Bergmatten und Wiesen. Äsende Hirsche und Rehe versprachen reiche Jagdbeute.
„Hier bleiben wir“, entschied Kaar und alle stimmten ihm nickend zu. „In diesem Tal suchen wir uns eine Unterkunft. Wenn wir Glück haben, finden wir eine von den Höhlen, die Ager uns beschrieben hat.“
Sie stiegen ins Tal hinab und schlugen am Ufer des kleinen Sees ihr Lager auf. Erschöpft und verschwitzt erfrischten sie sich zuerst im Wasser und bereiteten dann aus ihren mitgebrachten Vorräten ein Abendessen.
Am nächsten Morgen brachen sie in zwei Gruppen auf, die den südlichen und nördlichen Hang des Tales nach einer der von Ager beschriebenen Höhlen absuchen wollten. An den Hängen teilten sie sich noch weiter in Suchtrupps zu zweit oder zu dritt auf. Treffpunkt sollte am Abend wieder ihr Lager am See sein.
Kaar ging mit Bor den nördlichen Hang des Tals ab. Sie mussten sehr sorgfältig suchen, denn ein Höhleneingang konnte auch hinter dichtem Gebüsch verborgen sein. Jede nur denkbare Stelle schauten sie sich deshalb genau an, suchten hinter jedem am Hang wachsenden Busch und untersuchten jede Spalte im Berg.
Es ging sehr langsam voran. Auf ihrer Seite des Berges fanden sie nichts. Zwar gab es einige Spalten und Überhänge, aber nichts, für das sie sich besonders begeistern konnten. Deshalb waren Kaar und Bor sehr erfreut, als Sig am frühen Nachmittag von der anderen Talseite zu ihnen herüber gelaufen kam.
„Wir haben in einem Seitental eine sehr schöne große Höhle gefunden. Kommt alle mit.“
Sie brachen ihre Suche sofort ab und folgten Sig zum Südhang und dort weiter in ein kleines Seitental.
En und Mona standen unterhalb des Gipfels eines sich steil aus dem Tal erhebenden Berges auf einem sehr breiten Sims, mehr schon einer Terrasse, und winkten ihnen zu. Hinter ihnen konnte man bereits von unten den Eingang zu einer Höhle sehen. Der Berg fiel vor ihnen stufenförmig ab und auf der anderen Seite war ein steiler Hang. Neben dem Steilhang war ein zweiter Pfad, der zu einem weiteren Eingang hinaufführte. Sie konnten über die stufenförmige Formation mühelos zu der Terrasse hinaufsteigen.
„Die Höhle ist ideal für uns“, empfing En sie begeistert. „Sie ist mehr als groß genug für uns alle. Wie ihr seht, ist das hier der Süd-Westeingang und er ist durch diese Felswand vor den Nordwinden geschützt. Hinter dieser leicht schrägen Terrasse befindet sich ein weiterer Eingang, der sich nach Süden öffnet. Und innen führt ein Gang durch den Berg und hat am Ende einen weiteren kleinen Ausgang nach Norden. Dort befindet sich eine weitere kleine Höhle. Diese kleinere Höhle können wir vielleicht als Vorratshöhle nutzen.“
Kaar betrat die Höhle und war ebenfalls begeistert. Der Wind hatte in den Jahrhunderten seit dem Bestehen dieser Höhle Sand und Laub in die Höhle geweht und den ursprünglich kantigen Boden eingeebnet. Er sah sich sehr genau um und wurde dann stutzig. Die Stufen, die den Berghang zur Höhle hinaufgeführt hatten, sahen zwar natürlich aus, aber sie konnten auch von jemand angelegt worden sein, oder jemand hatte nur natürliche Stufen weiter ausgebaut.
Das Gleiche galt für den Boden dieser Höhle. Auch der sah aus, als wenn ihn jemand bewusst angelegt und geebnet hätte. Er bückte sich, sah sich den Boden genauer an und sagte dann zu den anderen: „Schaut euch einmal gründlich in dieser Höhle um. Ich habe das Gefühl, als wenn diese Höhle von jemandem bewohnt wird oder wurde. Schaut nach, ob es irgendwo Reste von Feuerstellen gibt.“
Sie brauchten nicht lange zu suchen. Von einer dünnen Schicht aus Laub, Sand und Staub nur notdürftig verdeckt, fanden sie mehrere Feuerstellen. Dazu auch noch allerlei zerbrochenes Werkzeug, Knochen und Reste von Jagdwaffen, abgebrochene Speerschäfte und eine alte Speerspitze aus Feuerstein. Kaar nahm diese in die Hand.
„Diese Höhle war einmal bewohnt. Aber das muss vor vielen Jahren gewesen sein. Schaut euch einmal diese Speerspitze an! Sie ist sehr einfach gearbeitet. Von unseren Leuten hat niemand diese Spitze hergestellt. Wir können das besser.“
„Vielleicht waren es die Alten“, meinte En.
„Das wäre möglich.“
„Und wo sind sie jetzt hin?“
„Wahrscheinlich sind sie weiter gezogen. Auf jeden Fall aber sind sie bereits vor längerer Zeit fort gegangen und haben diese Höhle aufgegeben. Wir bleiben hier. Das ist ab jetzt unsere Höhle, unser neues Zuhause. Vor die Eingänge können wir, wie wir es bei der Sippe von Ager gesehen haben, große Felle aufhängen. Dann haben wir es hier im Winter schön warm.“
Kaar ging mit En den Gang tiefer in den Berg hinein und sah einige kleine Nischen abzweigen. Lächelnd blickte er En an. „In diesen Nischen können sich die Paare Schlafbereiche einrichten, in die sie sich zurückziehen können, wenn sie allein sein wollen.“ En grinste zurück und deutete auf eine dieser Nischen.
„Das wird Monas und meine.“
Sie gingen weiter durch den Gang in die kleinere Höhle mit dem Ausgang nach Norden. „Du hast recht En, diesen kleinen Raum können wir als Vorratsspeicher einrichten. Er ist trocken und kühl.“
En warf einen Blick durch den Ausgang nach draußen, drehte sich dann um und sah sich in der kleinen Höhle um.
„Es ist sehr schön“, sagte er dann ehrfürchtig, „ob hier der Geist des Berges wohnt?“
„Ich glaube eher, dass er uns diese zweite Höhle zeigt, damit wir die ganze Anlage schön finden und als sein Geschenk annehmen. Lasst uns als Dank für ihn und als Zeichen, dass wir sein Geschenk annehmen hier in dieser kleineren Höhle ein Feuer anzünden“, antwortete ihm Kaar.
Sie riefen die anderen herbei, holten etwas Reisig und zündeten ein kleines Dankesfeuer für den Geist des Berges an. Eine Weile standen sie ehrfürchtig um das Feuer herum, bis Kaar sagte:
„Geist dieses Berges, wir nehmen dein Geschenk an und werden in Zukunft in dieser Höhle wohnen. Wir bitten dich, uns auch weiterhin wohl gesonnen zu sein und unser Leben hier zu beschützen.“
Nach dieser Zeremonie fühlten alle, dass sie angekommen waren. Sie hatten ein Zuhause gefunden.
Ian aber nörgelte: „Diese Höhle hat drei Eingänge und einer liegt genau im Norden. Durch diesen Eingang wird im Winter der Sturm in diese Höhle blasen. Bestimmt zieht es dann stark und wir werden frieren.“
Kaar sah ihn direkt an. Er wusste, dass Ian ihm gerne die Führerschaft streitig gemacht hätte, und antwortete deshalb diplomatisch, um keinen unnötigen Streit aufkommen zu lassen: „Ian, danke für diesen Hinweis. Du erinnerst dich sicher an Agers Bericht, dass sie den Eingang ihrer Höhle im Winter mit Fellen zuhängen. Wir werden es hier genauso machen. Der Nordeingang ist sehr schmal. Wir können ihn sicherlich im Winter verschließen, indem wir große Steine in dem Spalt aufeinander stapeln. Wenn wir dann noch zusätzlich Felle innen davor hängen, kann der Nordwind nicht mehr durch diese Höhle blasen.“ Alle nickten zustimmend und Ian gab sich geschlagen.
Kaar kletterte mit En zur Kuppe des Berges hinauf und war zunächst von dem Anblick, der sich ihm bot, sprachlos. Von ihrer Position aus konnten sie weit in beide Richtungen des Tals sehen. Es erstreckte sich, wie sie schon vom Berghang aus gesehen hatten, fast in Ost-West Richtung und war mit kleinen Wäldern und Wiesen durchsetzt. Überall sahen sie friedlich grasende Tierherden. „Von hier oben können wir immer sehen, wo sich gerade welches Wild aufhält. Dieser Berg mit seiner Höhle ist für uns ein idealer Wohnort!“, rief er und schlug En begeistert auf die Schulter. „Wir sehen, wohin wir zur Jagd aufbrechen müssen, um erfolgreich zu sein.“
Sie holten ihre Sachen aus dem Lager am See in die Höhle und planten ihr weiteres Vorgehen. „Lia und Eta, ihr kennt die essbaren Pflanzen in dieser Gegend besser als wir“, fasste Kaar ihre Überlegungen zusammen. „Bitte geht morgen mit den anderen Frauen ins Tal und schaut euch um, was hier so alles wächst. Die anderen werden derweil die Höhle wohnlich einrichten. Wenn alles fertig ist, müssen wir jagen gehen und Vorräte für den Winter anlegen.“
Lia und Eta, die beiden zuletzt zur Gruppe gestoßenen Frauen von den Leuten am großen Strom, machten sich mit Mona am nächsten Morgen auf den Weg. Derweil richteten Aja und Ina mit den Männern die Höhle wohnlich her. Schlaf- und Feuerstellen wurden angelegt und der hintere kleine Raum gereinigt. Hier bestimmte Kaar eine Ecke als künftige Räucherkammer, in der sie Fleisch räuchern und trocknen und damit haltbar machen wollten. Der Rauch der Feuer aus der Haupthöhle und der Räucherkammer würde durch den Gang und über die Eingänge abziehen.
Am Abend kamen Lia, Eta und Mona begeistert zurück.
„Im Tal wächst alles, was wir brauchen, um hier leben zu können. Jetzt im Herbst gibt es viele reife Früchte, die wir ernten und trocknen können. Dazu wachsen hier auch Einkorn- und Zweikornweizen, wilder Hafer und wilde Gerste, Haselnüsse und sehr viele andere essbare Pflanzen. Und die Laubwälder im Tal sind voller Pilze“, berichteten alle drei ziemlich aufgeregt und durcheinander redend.
„Lia und Eta, wisst ihr denn, welche von den Pilzen essbar sind und welche nicht?“, fragte Kaar die beiden.
„Ja natürlich. Die Landschaft hier ist nicht anders als bei uns am großen Fluss.“
„Gut, dann fangt an, alles, was essbar ist, zu sammeln und zu trocknen. Ich werde morgen mit En und Raf dem kleinen Fluss nach Westen folgen, um höher in die Berge hinauf zu gehen und die dortigen Jagdmöglichkeiten zu erkunden.“
Ian und Petr wollten das Tal nach Osten durchstreifen, um dort auf die Jagd zu gehen. Bor und Sig wurden von der Gruppe dazu ausersehen, den Frauen zu helfen. Die beiden nörgelten ein wenig herum, aber Kaar erklärte ihnen sehr bestimmt: „Die Frauen sollten nicht gänzlich allein sein, wenn sie Pflanzen sammeln gehen. Wir kennen die Tiere dieses Tales noch nicht, vielleicht brauchen sie euren Schutz. Lasst uns alle den Tag über ordentlich anpacken, dann haben wir heute Abend einen guten Grund, um zu feiern.“
Auf der Terrasse vor dem Höhleneingang wurde am Abend ein großes Feuer angezündet, auf dem sie ihre letzten Vorräte brieten und zum rhythmischen Klatschen ihrer Hände alle um das Feuer herum tanzten. Was für ein Glück, das sie so schnell eine Unterkunft gefunden hatten, um den kommenden kalten Winter zu überstehen. Es war zwar noch viel zu tun: Sie mussten genügend Vorräte anlegen, die Frauen Früchte, Pflanzen, Wurzeln und Pilze sammeln und trocknen und die Männer jagen gehen. Aber das war nur viel Arbeit. Wenn alles so lief, wie sie es planten, dann konnte der Winter kommen und würde ihnen nichts anhaben können.
Im Laufe der nächsten Monde und Jahre fanden sie noch mehrere andere Höhlen in diesem Tal, aber sie entschieden sich, in ihrer wohnen zu bleiben.