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Der Aufbruch

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Durch den Wald zogen eine kleine Gruppe von sieben jungen Männern und zwei Frauen nach Norden. Sie waren zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt. Ihr Anführer Kaar war mit siebzehn Jahren und mit mehr als 180 cm Größe zwar der Größte von ihnen, aber nicht der Älteste. Er hatte langes dunkelbraunes Haar, den ersten Ansatz eines Bartes am Kinn und blaue Augen. Trotz seiner schlanken Gestalt war er sehr kräftig.

Seine Führung hatten die anderen schon immer anerkannt, seit sie als kleine Kinder zusammen gespielt und Streiche ausgeheckt hatten. Er hatte sich immer die interessantesten Unternehmungen für sie ausgedacht, manchmal nicht ganz ungefährliche, aber immer höchst spannende. Er war auch der Nachdenklichste der jungen Männer, beobachtete seine Umgebung genau, konnte Situationen gut einschätzen und aus ihnen die richtigen Schlüsse ziehen. Andererseits war er aber der Unternehmungslustigste und auch der Intelligenteste der Gruppe und somit einfach ein geborener Anführer.

Die meisten der anderen jungen Männer erkannten dies problemlos an.

Die beiden jungen Frauen in der Gruppe, Aja und Ina, waren die Gefährtinnen der beiden ältesten der jungen Männer Petr und Ian und wollten ihre Männer unbedingt begleiten.

En war Kaars um ein Jahr älterer Bruder und sah ihm sehr ähnlich, war aber nicht ganz so groß. Er war ein sympathischer und sehr gewinnender junger Mann, der ständig gut gelaunt und immer fröhlich war. Seine gute Laune sorgte dafür, dass es in der Gruppe so gut wie nie zu Spannungen kam.

Raf war genauso alt wie Kaar, kräftig und untersetzt. Er war ein ruhiger und ausgeglichener Typ und gemeinsam mit En und Kaar trug er viel zum Zusammenhalt der jungen Männer bei.

Sig und Bor waren mit 16 und 14 Jahren die jüngsten Mitglieder dieser Gruppe. Obwohl Bor der Jüngste von ihnen war, konnte er es, was seine Kraft anging, mit den anderen aufnehmen. Er war nur mittelgroß, aber sehr gedrungen und man ahnte bereits jetzt, welche ungeheuren Körperkräfte er noch entwickeln würde.

Sig war ebenfalls nur mittelgroß und sehr schlank, aber der Lebhafteste unter ihnen. Er sprühte förmlich vor Energie.

Ian war mit neunzehn Jahren der Älteste. Er hatte an vielem etwas auszusetzen, nörgelte oft an Entscheidungen von Kaar herum, und er war es auch, der immer wieder versuchte, Kaars Rolle als Anführer infrage zu stellen.

Vor einigen Jahren waren Besucher aus dem Süden in ihre Höhle gekommen und hatten, während sie mit den Jägern der Sippe Jagdabenteuer austauschten, eine abenteuerliche Geschichte erzählt: „Wir waren mit zehn Jägern unterwegs und wollten in der Steppe Elenantilopen erlegen. Von Weitem beobachteten wir gerade eine Herde, als diese von einem großen Rudel Wölfe angegriffen wurde, die es wohl auf einige der Kälber abgesehen hatten. Die Antilopen spritzten auseinander, doch einige der Tiere wurden von den Wölfen genau in unsere Richtung getrieben. Wir versteckten uns also, und als sie an uns vorbei gerannt kamen, konnten wir sechs von ihnen erlegen.“

Der Erzähler hatte in diesem Moment die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Jäger der Sippe. Diese Wölfe gab es auch in ihrer Gegend. Sie waren nicht sehr groß, sehr schlank und hatten große Ohren.

„Was geschah dann? Haben die Wölfe euch angegriffen?“

„Nein, sie waren wohl von unserem Auftauchen genauso überrascht wie die Antilopen. Während die restlichen Tiere der Herde flohen, blieben die Wölfe in unserer Nähe und beobachteten uns.“

„Sie haben euch nichts getan?“

„Nein, sie haben uns nur beobachtet.“

„Was habt ihr gemacht?“

„Nun, wir waren zehn Männer und zwei von uns konnten gerade mit Mühe eine dieser großen Antilopen tragen. Mit so viel Beute hatten wir gar nicht gerechnet. Wir haben also aus schlanken Baumstämmen Tragestangen hergestellt und fünf der Antilopen nach Hause gebracht. Die Sechste haben wir einfach liegen gelassen. Ich nehme an, die Wölfe haben sie gefressen, sobald wir weg waren.“

Die Männer hatten alle genickt und aus der Erzählung dieses Besuchers nur den Schluss gezogen, dass selbst ein großes Rudel Wölfe sie nicht angriff. Auch Kaar hatte interessiert zugehört.

In seinem Kopf kreiste eine Idee, die er aber noch nicht genau formulieren konnte. Ihm brannte die Frage geradezu auf der Zunge, ob diese Jäger nicht versucht hatten, einen solchen Jagderfolg in Zusammenarbeit mit den Wölfen zu wiederholen.

Doch er war nur ein Junge, galt noch nicht als erwachsener Mann und durfte in dieser Versammlung zwar zuhören, aber nicht sprechen. Also verkniff er sich seine Frage, begann aber, sich für die Wölfe zu interessieren und sie, so oft er dazu Gelegenheit hatte, zu beobachten. Die Idee, mit Wölfen gemeinsam auf die Jagd zu gehen, begann langsam in seinem Kopf Gestalt anzunehmen.

Er überlegte, wie er sich mit diesen Wölfen anfreunden könnte. Aber wie sollte er überhaupt Kontakt zu ihnen bekommen – sie waren scheu und ließen ihn nie sehr nahe an sich heran – wie ihr Vertrauen erringen?

Er fand keine Lösung, auch nicht im Laufe der Zeit, während er älter wurde. Also stellte er seine Überlegungen in dieser Richtung erst einmal zurück.

Er vergaß sie aber nie.

Im vergangenen Winter hatte ein anderer weit gereister Besucher in der Höhle ihrer Sippe, in der Nähe des großen Binnenmeeres, überwintert und ihnen an den langen Abenden unglaubliche Geschichten erzählt.

Er war weit oben im Norden gewesen und hatte von vereisten Gebirgen, tiefen dunklen Nadelwäldern und weiten grasbewachsenen Tundren berichtet. Das Interessanteste aber waren seine Erzählungen von den dort lebenden Tieren gewesen. Er hatte vom riesigen Mammut und Wollnashorn, von Wisenten und Riesenhirschen und von gefährlichen Raubtieren, wie dem Höhlenlöwen und dem Höhlenbären, berichtet. Angeblich hatte er dort oben im Norden auch den Rand des großen Eises gesehen, das sich mehrere Hundert Meter hoch aus der Tundra erhob.

Mit diesen Geschichten hatte er die Neugier und die Abenteuerlust der jungen Männer geweckt und Kaar hatte seine Freunde nicht lange überreden müssen. Auch sie wollten eine Reise in den Norden unternehmen und fieberten bereits dem großen Abenteuer entgegen.

Als sie ihren Entschluss den Sippenältesten mitgeteilt hatten, gab es in der Gruppe einige Aufregung, vor allem bei Bors Mutter, die sich aber bald wieder legte.

Die jungen Männer galten mit 14 bis 19 Jahren als Erwachsene und viele von ihnen hatten gar keine Eltern mehr. Nur die Mutter von Bor machte sich Sorgen um ihn und musste erst beruhigt werden.

Ihre Gemeinschaft war aber in den letzten Jahren immer stärker gewachsen und in der Höhle war es ziemlich eng geworden. Es war allen klar gewesen, dass bald einige von ihnen fort wandern und sich eine andere Bleibe würden suchen müssen. Schon immer waren in der Vergangenheit Teile ihrer Sippe fortgezogen, um sich in weit entfernten Gegenden niederzulassen.

So weit, wie Kaar und seine Freunde wollten, war aber bisher noch niemand fort gegangen. Deshalb beteiligten sich auch alle an der Planung und Vorbereitung für diese Reise. Ihr Oberhaupt Aar und der weit gereiste Besucher setzten sich mit ihnen zusammen, als der Winter langsam zu Ende ging.

„Welchen Weg würdest du uns empfehlen?“, fragte Kaar den Mann.

„Am Besten geht ihr von hier aus immer an der Küste entlang nach Norden und folgt ihr, solange sie nach Westen oder Norden führt. Erst wenn sie nach Süden abbiegt, müsst ihr die Küste verlassen und direkt nach Norden marschieren. Ihr werdet erst durch ein dichtes Waldgebiet kommen und müsst dann ein karges Gebirge überqueren. Danach kommt ihr in eine Ebene, durch die ein großer breiter Fluss fließt.“ Kaar wollte sich schon bedanken, aber der Besucher sprach weiter: „Ihr müsst seinem Lauf aufwärts folgen, bis ihr zu einer Gruppe der Unseren kommt. Die haben Boote, mit denen sie euch hinübersetzen können.“

„So weit im Norden leben Menschen von unserer Art?“, fragte Aar erstaunt.

„Ja, aber auch viele von den Alten. Mit den Menschen unserer Art werdet ihr euch leicht verständigen können. Sie sprechen manche Worte zwar etwas anders aus als wir, aber ihr werdet sie leicht verstehen können. Mit den Alten könnt ihr euch nur mit Zeichen verständigen. Was immer die für eine Sprache sprechen, falls sie überhaupt sprechen können, wir können diese nicht verstehen.“

„Ja, ich weiß“, meinte Aar nachdenklich. „Ab und zu sieht man auch einige von ihnen hier in der Gegend. Wir gehen uns gegenseitig aus dem Weg.“

Kaar wollte noch mehr wissen:

„Warum nennen wir diese Menschen die Alten?“

„Weil sie eine sehr helle Haut haben und schon vor uns hier waren. Sie lebten hier und wahrscheinlich auch im Norden, lange bevor die Ersten von uns hier ankamen.“

„Hier haben wir eigentlich keine Probleme mit ihnen. Wie ist es dort im Norden? Sind sie uns dort feindlich gesonnen? Müssen wir damit rechnen, dass sie uns angreifen werden, wenn wir durch ihr Gebiet ziehen?“

„Nein, im Großen und Ganzen ist es so wie hier. Sie gehen den Unsrigen aus dem Weg und wir ihnen auch. Es ist ja Platz genug für alle da und wir respektieren ihre Jagdgebiete. Nur ärgern sollte man sie nicht. Sie sind gute Jäger und sehr kräftig. Ich habe auf meiner Reise sogar einmal in einem Lager von ihnen übernachtet. Sie sind sehr gastfreundlich. Nur schade, dass man mit ihnen nicht reden kann.“

Kaar nickte. Sie wollten im Norden das große Eis sehen und sich umsehen, ob sie dort vielleicht für immer leben konnten. Ärger mit den Alten wollten sie keinen haben.

Die ganze Sippe beteiligte sich an der Zusammenstellung der Ausrüstung, die die jungen Leute mitnehmen sollten.

Nahrungsmittel, weitere Kleidung und Werkzeuge wurden in Kiepen verstaut, die sie auf dem Rücken tragen konnten. Dazu natürlich die Jagdwaffen.

Die Wichtigsten waren lange, schlanke Speere, die in einen Wurfstab eingelegt und mit dem geschleudert werden konnten. Dieser Stab wurde mit einem Riemen an Daumen und Zeigefinger befestigt, während die anderen Finger der Hand den Speer hielten, und diente als Verlängerung des Wurfarms. Auf diese Weise bekamen die Speere eine größere Geschwindigkeit beim Abwurf und flogen sehr viel weiter, als nur mit der Hand geschleuderte Speere.

Lange Lanzen mit schlanker rasiermesserscharfer Spitze und Feuersteinmesser in einer Lederscheide gehörten ebenfalls zur Jagdausrüstung.

Wie Petr und Ian hätte auch Kaar gern eine junge Frau als Gefährtin mit auf diese Reise genommen, aber er war Mädchen oder jungen Frauen gegenüber schüchtern. Schon mehrmals hatte er sich von einem Mädchen angezogen gefühlt, aber wegen seiner Schüchternheit nie näheren Kontakt zu ihr gefunden. Trotzdem sehnte er sich danach, eine Gefährtin zu finden, die mit ihm zusammenlebte, die er lieben und die ihn lieben würde.

Sobald es wärmer geworden, und noch ehe der Schnee ganz geschmolzen war, vollführte der Schamane der Sippe noch eine Segnungszeremonie für sie. Er ließ sie sich um ein kleines Feuer setzen und warf einige Kräuter und Harze ins Feuer, die angenehm dufteten. Sie mussten ihre Köpfe in den Rauch halten, während er um sie herum tanzte und mit lauter Stimme einen Gesang intonierte. Diese Zeremonie sollte sie einerseits vor Beginn der Reise reinigen, ihnen aber andererseits auch Glück und Schutz auf der Reise bringen.

Früh am nächsten Morgen waren sie aufgebrochen. Da alle aus der Sippe etwas zu ihrer Ausrüstung beigetragen hatten, schleppte jeder der neun jungen Menschen eine große aus Weidenzweigen geflochtene Kiepe mit Lederriemen auf dem Rücken. Diese enthielt nicht nur Werkzeuge und Nahrung für das erste Stück des Weges, sondern auch zusätzliche Kleidung und Felle, aus denen sie sich unterwegs provisorische Unterkünfte errichten konnten.

Außer ihren Kiepen trugen die Männer noch ihre Jagdwaffen, mit denen die Sippe sie reichlich ausgestattet hatte. In einem langen Köcher etwa 2,5 m lange und am Ende befiederte schlanke Wurfspeere mit der Spitze nach unten, mit der dazu gehörenden Wurfverlängerung. Dieser Köcher war an der Seite der Tragekiepe befestigt.

Dazu Bögen und in einem weiteren Köcher ein Sortiment verschiedener Pfeile.

Außerdem trug jeder noch eine sehr lange kräftige Lanze mit einer flachen, aber rasiermesserschaften und aus Feuerstein herausgearbeiteten Spitze. Ein dolchartiges Messer, ebenfalls aus Feuerstein gefertigt und eine Steinaxt mit einem Blatt aus Feuerstein und einem etwa ein Meter langem Hartholzgriff, vervollständigten die Ausrüstung.


Sie kamen nur langsam voran und folgten dem Lauf der Küste nach Norden. Wege gab es nicht und nur ganz selten konnten sie Tierpfaden folgen, die zufällig in ihrer Richtung verliefen. Die meiste Zeit stapften sie mühsam durch niedriges, am Boden wachsendes Gestrüpp, umgingen größere Büsche oder stolperten über Steine und Geröll. Manchmal mussten sie kleinere Umwege machen, um steil abfallende Buchten zu umgehen; dann wieder konnten sie Abkürzungen nehmen, indem sie eine weit ins Meer hinausreichende Landzunge einfach durchquerten. Wann immer es ging, marschierten sie aber direkt an der Wasserlinie oder doch ganz in ihrer Nähe, denn hier war der Boden nicht bewachsen. Auch wenn sie manchmal über große Steine oder Felsen klettern mussten, war das Vorwärtskommen doch leichter und sie konnten außerdem abends, wenn sie ihr Lager aufschlugen, im Meer noch nach essbaren Muscheln suchen und auf diese Weise ihren mitgeführten Nahrungsmittelvorrat schonen. Sie brauchten in den ersten Tagen nicht zu jagen und verloren dadurch keine Zeit für ihre Wanderung. Erst als ihre Vorräte langsam zur Neige gingen, begaben sich die Männer mit Pfeil und Bogen auf die Jagd nach Kleintieren, während die beiden Frauen ihren Speiseplan durch weiteres Sammeln von Muscheln und von ersten essbaren Frühlingskräutern erweiterten.

Nach zehn Tagen änderte die Küstenlinie ihre Richtung und führte sie nach Westen, wo sie einen knappen Mondzyklus nach ihrem Aufbruch auf eine andere große Gruppe ihrer Art trafen, die dort in der Nähe des Strandes unter mehreren Felsenüberhängen wohnte.

Diese Sippe lebte neben der Jagd in den Bergen auch vom Meer, sammelte Muscheln am Strand und angelte von kleinen, runden, aus Reisiggeflecht und Tierhäuten hergestellten Booten, nach Fischen in den Buchten dieser Küste.

Die Wanderer wurden anfänglich etwas erstaunt, aber sehr freundlich, willkommen geheißen. Sie blieben mehrere Tage, nahmen an einer Jagd mit den Männern dieser Sippe teil und konnten so ihre Vorräte für die nächsten Tage wieder auffüllen.

Kaar drängte aber zum Aufbruch. Wenn sie noch in diesem Jahr das große Eis erreichen wollten, dann mussten sie das Frühjahr und den Sommer nutzen, um möglichst weit nach Norden zu gelangen. Denn im Herbst würden sie sich dort irgendwo eine Höhle suchen und Vorräte zum Überwintern anlegen müssen.

Aber so einfach ging es nicht. Der immer fröhliche En hatte sich in eines der Mädchen dieser Sippe verliebt und sie sich in ihn. Sie hieß Mona, war 16 Jahre alt und ihm in ihrer Art sehr ähnlich. Schon am Abend ihrer Ankunft hatten sich die beiden immer wieder scheue Blicke zugeworfen, sich aber zunächst nicht getraut, miteinander zu sprechen. Erst am zweiten Tag hatte sie Ens Nähe gesucht und er hatte ihr ausführlich von ihrer Absicht erzählt, bis zu der großen Eismauer im Norden zu wandern.

Mona hatte weniger seinen Worten zugehört, als mehr auf seine Stimme gelauscht und seine Begeisterung gespürt. Sie verspürte selbst eine unbändige Lust, ebenfalls an diesem Abenteuer teilzunehmen. Das Wichtigste aber war für sie, mit En zusammenzubleiben. Vorsichtig versuchte sie das En klar zumachen, indem sie ihm tief in die Augen sah, ihn bedeutungsvoll anlächelte und all ihren weiblichen Charme spielen ließ, um ihn zu ermuntern, sie endlich zu umarmen oder zu küssen oder sonst etwas zu tun, um auf ihre Annäherungsversuche einzugehen.

En war aber, bei all seiner Fröhlichkeit und Unbekümmertheit, genau so wie Kaar, Mädchen gegenüber etwas schüchtern. Er wollte ja, aber er wusste nicht, wie er es anstellen und den Anfang machen sollte.

Als er auch am zweiten Tag noch nicht einmal für längere Zeit ihre Hand hielt, sondern sie, sobald sie sich berührten, sofort wieder losließ, fragte Mona am Abend ihren Vater um Rat. Ihre Mutter war schon vor Jahren bei der Geburt ihres kleineren Bruders gestorben und ihr Vater hatte sich keine neue Gefährtin genommen, sondern zog seine beiden Kinder mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen alleine groß.

Seine erste Frage war deshalb: „Liebst du ihn?“

Ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern antwortete Mona: „Ja.“

„Und liebt er dich auch?“

Mona zögerte einen Moment und antwortete dann: „Ich glaube ja.“

„Das glaube ich auch“, murmelte ihr Vater verständnisvoll lächelnd. „Ich habe euch in den letzten beiden Tagen beobachtet. So wie En dich ansieht, wie er rot wird, wenn du ihn ansprichst und wie er dich mit den Augen verschlingt, sobald er glaubt, dass du es nicht merkst, denke ich auch, dass er dich liebt. Ich glaube, Mona, der junge Mann ist Mädchen gegenüber einfach nur schüchtern, vielleicht gerade weil er dich liebt.“

„Was soll ich nur tun?“

„Du musst die Initiative ergreifen und ihn verführen.“

Mona riss überrascht die Augen auf, starrte ihn mit offenem Mund an und wurde dunkelrot.

„Das ist nicht dein Ernst. Ich soll ihn verführen?“

„Weißt du, deine Mutter war auch schüchtern, als ich sie kennenlernte. Ich habe sie erst verführen müssen, um sie als Gefährtin zu bekommen. Außer deinem schönen Aussehen hast du eigentlich wenig von ihr geerbt. Du bist mehr wie ich, abenteuerlustig und draufgängerisch.“

Mona hatte inzwischen ihren ersten Schock über seinen Vorschlag überwunden. „Wie hast du das gemacht?“

„Nun, ich habe das gut vorbereitet. Ich habe ein Fest abgewartet und am Tage des Festes einige warme und weiche Felle in einem lauschigen Versteck deponiert. Dann habe ich ihr auf dem Fest tief in die Augen gesehen, ihre Hand genommen und sie von dem Fest fort in dieses Versteck geführt. Dort wurden wir dann ein Paar und sie hat es nie bereut. Ich bedauere sehr, dass sie so früh gestorben ist.“

Mona wusste, dass ihr Vater auch nach so vielen Jahren immer noch um ihre Mutter trauerte und wollte ihn eigentlich nicht weiter bedrängen, aber inzwischen faszinierte sie die Vorstellung, En zu verführen. Mit einem verschmitzten Lächeln fragte sie ihn deshalb: „Ihr geht doch morgen mit den Besuchern auf die Jagd in die Berge, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Ihr Vater mit einem wissenden Grinsen im Gesicht. „Und wenn wir von der Jagd zurück kommen, feiern wir ein Fest. Das wird deine Gelegenheit.“

Mona fiel ihrem Vater mit einem fröhlichen Jauchzen um den Hals. „Danke für diesen Rat.“

„Ich hoffe, du weißt, was du tust und wirst glücklich mit ihm.“

Am nächsten Morgen brachen die Jäger, auch Kaar, En und ihre Freunde, bereits beim ersten Morgengrauen zur Jagd auf und kehrten am späten Nachmittag zurück. Sie hatten einen Rothirsch und zwei Hirschkühe erlegt. Gut gelaunt kamen sie bei der Höhle an.

Mona erwartete ihre Rückkehr voller Ungeduld und mit laut klopfendem Herzen.

Sie hatte eine Lieblingsstelle am Strand, zu der sie sich immer zurückzog, wenn sie einmal alleine sein wollte. Es war eine kleine halbkreisförmig Bucht mit einem schönen Sandstrand. Dorthin hatte sie im Laufe des Tages mehrere Felle gebracht und hinter einigen großen Steinen versteckt.

Als das Fest an diesem Abend begann, setzte sie sich neben En und nahm seine Hand. En hielt für einen kurzen Augenblick die Luft an, dann dreht er seine Hand um, umschloss ihre kleine Hand mit seiner eigenen und hielt sie fest. Mona lächelte zufrieden.

Das Fest nahm seinen Fortgang und als ihr Vater gerade die Aufmerksamkeit der anderen mit einer spannenden Geschichte ablenkte, stand sie leise auf, hielt Ens Hand fest und zog ihn aus dem Kreis der um das Feuer versammelten Menschen.

Leise führte sie ihn zum Strand. Es war eine helle Mondnacht und das Mondlicht glitzerte auf den kleinen Wellen des Meeres. Das Licht des Mondes fiel sanft in ihre Bucht. Mona holte die Felle aus dem Versteck und breitete sie auf dem Sandstrand aus. Dann trat sie vor En, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.

En war zwar etwas schüchtern, aber auf den Kopf gefallen war er nicht.

Als Monas Hände unter sein Lederhemd glitten und sanft seinen Rücken streichelten, griff er an den Lederriemen, der ihr Kleid zusammenhielt, löste den und zog ihr das Kleid über den Kopf aus.

Nackt stand sie im Mondlicht vor ihm.

Monas Hände beschäftigten sich inzwischen mit dem Lederriemen, der seinen Lendenschurz hielt. En half ihr und als sie beide nackt waren, riss er sie in seine Arme und küsste sie wild.

Fest umschlungen und sich küssend, als wären sie am Ertrinken, sanken sie auf die Felle.

In dieser Nacht wurde Mona Ens Frau.

Als sie sich am folgenden Morgen glücklich lächelnd wieder bei dem Rest der Gruppe einfanden, war allen klar, was diese Nacht bedeutete: En und Mona hatten sich gefunden.

Mona würde in Zukunft mit ihm zusammen leben. Wo und wie, das war eine andere Frage.

Während Mona glücklich zu ihrem Vater trat, ihn umarmte und ihm leise ins Ohr flüsterte: „danke“,

war Kaar enttäuscht und etwas ärgerlich. Bereits so früh am Beginn ihrer Reise würde der erste von Ihnen ausscheren und sie verlassen. Als er diese Überlegungen mit En besprach, winkte der lachend ab. „Oh nein“, erklärte er Kaar. „Mona will mit uns kommen. Sie ist bereits ganz aufgeregt und freut sich auf die lange Reise und das große Abenteuer.“

Am gleichen Tag noch verkündete Mona diesen Entschluss nicht nur ihrem Vater, sondern auch dem Rest der Sippe. Alle packten für sie ebenfalls eine Kiepe mit den zum Überleben notwendigen Dingen und wünschten ihr alles Gute.

Und so waren sie jetzt zu zehnt, als sie weiterwanderten.

Mona war eine wirkliche Bereicherung für ihre Gruppe, denn sie sorgte, ebenso wie En, immer für eine gute Stimmung, lachte viel und brachte alle mit ihren Scherzen oft zum Lachen. Und sie und En liebten sich sehr.

Die Gruppe konnte an manchen Tagen nur eine kurze Strecke ihrer Route zurücklegen. Oft mussten sie Umwege machen, um unpassierbares Gelände zu umgehen, und nach einer Weile begann Kaar sich zu fragen, ob ihr Plan, in diesem Jahr noch bis zu der großen Eismauer zu gelangen, überhaupt durchführbar war. Eines hatte ihm ihr damaliger Besucher nämlich unmissverständlich klar gemacht:

Dort oben im Norden waren die Winter unerbittlich und sie mussten, lange bevor der eigentliche Winter begann, eine geschützte Unterkunft suchen und mit Vorräten einrichten, sonst hatten sie keine Chance zu überleben.

Einen Teil des Weges begleitete Monas Vater sie. Er erzählte ihnen, dass er als junger Mann einmal bis an den großen Fluss, von dem ihnen auch der Besucher erzählt hatte, gewandert war. Er beschrieb ihnen auch den besten Weg.

Aber als Kaar ihn fragte: „Warum bist du nicht weiter nach Norden gewandert?“, antwortete er nur:

„Nein, die Menschen, die am großen Strom leben, haben mir davon abgeraten. Weiter im Norden leben hauptsächlich die Alten und obendrein ist das Klima dort sehr rau.“

„Aber hast du denn keine Lust verspürt, dort einmal ein Mammut zu sehen oder zu jagen?“

„Nein, ich hatte mir meinen Traum erfüllt und war bis an den großen Fluss gewandert, das reichte mir. Aber ich kann euch gut verstehen und auch, warum meine Tochter unbedingt mit euch kommen will.“

Als die Küstenlinie einen Bogen nach Süden machte, verließ Monas Vater sie und verabschiedete sich tränenreich von ihr.

„Ab hier führt die Küste nach Süden und ihr könnt ihr nicht länger folgen. Von hier aus müsst ihr geradewegs nach Norden marschieren.“

Sie wandten sich, entsprechend diesem Rat, von der Küste ab und wanderten landeinwärts. Dabei folgten sie zunächst dem Lauf eines Gewässers aufwärts, das genau aus dem Norden kam und sie immer höher in die Berge hinaufführte. Das Wetter war jetzt im Frühling in den Bergen sehr angenehm und in den Wäldern fanden sie auch genügend jagdbares Wild, sodass sie also keinen Hunger litten.

Das änderte sich aber, je höher sie ins Gebirge kamen. Hier wurde der Baumbestand immer geringer. Zuletzt wanderten sie durch eine karge Hochgebirgslandschaft, die nur noch mit einzelnen Buschinseln bewachsen war und in der es so gut wie kein Wild mehr gab. Und hier sah Kaar das erste Mal einen der hiesigen Wölfe.

Er blieb stehen und betrachtete das Tier eine Zeit lang erstaunt. Der Wolf stand ganz in ihrer Nähe am Rande eines kleinen niedrigen Kiefernwäldchens und beobachtete sie. Es war ein Rüde und er war mehr als doppelt so groß und schwer wie die Wölfe, die er von seiner Heimat her kannte.

Der Wolf hatte das Herannahen der Menschen schon sehr früh bemerkt und war in einiger Entfernung von ihnen stehen geblieben, um zu sichern. Wölfe begegneten Menschen nur sehr selten und sie gehörten nicht zu seinem Beuteschema. Er schätzte sie eher als Raubtiere ein und behielt sie deshalb im Auge, bis sie an ihm vorbei gezogen waren. Dann drehte er sich wieder um und lief zu seinem Rudel zurück.

Viel Zeit, den Wolf weiter zu beobachten, blieb Kaar aber nicht, denn sie mussten zügig weiter, wenn sie in diesem Sommer noch wenigstens bis zu den Menschen am großen Fluss gelangen wollten. Da es ihnen in dieser Gegend nicht gelang, irgendwelches Wild zu erlegen, wurden ihre Nahrungsvorräte langsam knapp.

Wenige Tage nach der Begegnung mit dem Wolf, sie waren immer noch hoch oben im Gebirge, zogen auf einmal dunkle Wolken von Norden heran, und dann hörten sie in der Ferne das typische Grollen eines herannahenden Gewitters.

So schnell sie konnten, suchten sie einen Felsüberhang auf, der ihnen etwas Schutz bot, und bauten aus den mitgeführten Fellen ein Zelt auf. Gerade noch rechtzeitig wurden sie fertig und krochen hinein. Gewitter kannten und fürchteten sie bereits aus ihrer Heimat. Was sie aber jetzt hier im Gebirge erlebten, hatte mit den Unwettern, die sie kannten, keinerlei Ähnlichkeit und übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Fast pausenlos blitzte und donnerte es über ihnen. Immer wieder fuhr ein Blitz mit anschließendem ohrenbetäubendem Krachen in ihrer Nähe in den Boden. Zu allem Überfluss kam auch noch ein Sturm auf und plötzlich regnete es faustgroße Hagelkörner, denen ein wolkenbruchartiger Regen folgte. Eine besonders heftige Bö riss das Zelt über ihnen fort und sie waren dem Unwetter jetzt schutzlos ausgeliefert. Ängstlich, durchnässt, frierend und hungrig kauerten sie sich ganz nah an der Felswand zusammen. Das Gewitter hing über ihnen in den Bergen fest und dauerte fast die ganze Nacht. Erst in den frühen Morgenstunden zog es nach Süden ab und sie hörten, wie sich das Donnern immer weiter von ihnen entfernte.

Vorwurfsvoll sah Ian Kaar an. „Du hast uns in eine große Gefahr geführt. Wir sind alle halb erfroren und zu essen haben wir auch nichts mehr.“

Sofort widersprach ihm En. „Was kann Kaar denn für dieses Gewitter?“

Ian wollte En schon erwidern und Kaar weitere Vorwürfe machen, als er an den Mienen der Anderen bemerkte, dass sie seine Vorwürfe für ungerechtfertigt hielten. Nur Petr, mit dem ihn, weil sie fast gleich alt waren, eine besondere Freundschaft verband, hielt zu ihm, aber auch er schüttelte etwas den Kopf. Ian verstummte und Kaar hatte das letzte Wort: „Lasst und so schnell wie möglich aufbrechen und zusehen, dass wir aus diesen Bergen herauskommen.“

Sie brachen auf, fanden ihr Zelt völlig durchnässt und zerfetzt an einem Felsen hängen, und nahmen es mit, um es später zu reparieren.

Nachdem sie den Scheitelpunkt des Gebirges überschritten hatten, ging es wieder bergab. In einem der dortigen Täler gelang es ihnen, eine Gämse zu erlegen, und damit hatten sie fürs Erste wieder ausreichend Nahrung. Sie folgten wieder einem Wasserlauf, der in etwa in nördliche Richtung führte, und standen auf einmal am Ufer eines breiten und schnell nach Nordosten fließenden Flusses.

„Der große Strom kann das nicht sein“, meinte Mona. Sie schaute nach dem Stand der Sonne. „Wir haben jetzt etwa die Mitte des Tages. Die Sonne steht also jetzt genau im Süden.“

Sie deutete in die entsprechenden Richtungen.

„Dann ist dort Westen und in der entgegengesetzten Richtung Osten. Vater hat uns doch gesagt, dass der große Strom, wenn wir ihn erreichen, nach Osten oder nach Süden verläuft. Aber dieser Fluss fließt nach Nordosten.“

„Vielleicht ist das einer der Nebenarme des großen Stromes und dein Vater hat nur vergessen, uns von ihm zu berichten“, antwortete ihr En mit einem liebevollen Blick.

„Ich glaube das auch“, schaltete Kaar sich jetzt ein. „Als dein Vater hier war, war es Sommer und dieser Fluss war deshalb nicht so breit. Jetzt im Frühjahr ist er durch das Schmelzwasser von den Gletschern angeschwollen. Er hat ihn sicherlich nicht für so wichtig gehalten.“

„Es ist egal, wie kommen wir hinüber?“, fragte Sig.

„Wir werden schwimmen müssen“, antwortete ihm En.

Ungläubig schaltete Ian sich ein: „Mit den Kiepen auf dem Rücken? Das wird nicht gehen!“

„Wir bauen uns ein Korbboot, wie wir es bei Monas Leuten gesehen haben, und legen die Kiepen hinein. Dann halten wir uns am Rand dieses Bootes fest und schwimmen hinüber“, schlug Kaar vor. „Alles, was wir zur Herstellung eines solchen Bootes brauchen, haben wir oder es wächst hier an den Ufern.“

Ihre Höhle hatte zwar im Binnenland gelegen, aber sie waren ab und zu auch einige Male von dort aus zur Küste gewandert. Dort hatten sie Menschen ihrer Art getroffen, die, wie auch die Leute aus Monas Sippe, an der Küste mit solchen Booten in Ufernähe aufs Meer hinaus paddelten, um zu fischen. Das Prinzip der Bauweise kannten sie und hatten deshalb unter den nützlichen Dingen in ihren Kiepen auch einen kleinen Vorrat an Birkenpech. Das war schwer herzustellen und deshalb hatte Aar ihnen geraten, für alle Fälle einen Vorrat davon mitzunehmen. Weiden wuchsen am Ufer dieses Flusses genug und die Männer machten sich daran, so viele und so dünne Weidenzweige wie möglich mit ihren Steinäxten zu schneiden. Aus diesen flochten die Frauen einen überdimensional großen und breiten runden Korb.

Der fertige Korb wurde mit einer aus mehreren großen Fellen zusammengenähten Plane überzogen, die um den Rand des Korbes gelegt und befestigt wurde. Die Nähte bestrichen sie mit heiß gemachtem Birkenpech, und als es abkühlte und hart wurde, hatten sie ein wasserdichtes rundes Boot.

Nachdem es fertig war, verstauten sie ihre Kiepen darin, zogen ihre Kleidung aus, verstauten sie ebenfalls in ihrem schwimmenden Korb und schoben den in den Fluss. Sie konnten alle mehr oder weniger gut schwimmen. Die drei Frauen sowie Bor, Sig und Raf waren ihre schwächsten Schwimmer. Deshalb sollten sie sich am Rand des Korbes festhalten und ihr Gefährt mit den Füßen vorantreiben, während Kaar, Ian, Petr und En das Boot vom gegenüberliegenden Ende an Lederleinen ziehen wollten.

Es war ein heißer Frühlingstag, aber das Wasser war dennoch eiskalt. Sobald sie das Boot in den Fluss geschoben hatten, wurde es von der Strömung erfasst und riss sie mit sich. Am schnellen Vorbeigleiten der Ufer konnten sie die Stärke der Strömung erkennen. Sie war enorm stark und zerrte an ihnen. Nur langsam und ganz allmählich näherten sie sich der gegenüberliegenden Seite.

Auf einmal hörten sie einen lauten Schrei von Mona und dann sahen die vier Schwimmer vorn, wie sie, von der Strömung erfasst, schnell davon getrieben wurde. Sie hatte wohl vor Kälte den Rand des Bootes losgelassen. En brüllte vor Schreck auf, ließ seine Lederleine los und folgte ihr mit schnellen Schwimmzügen. Er war ein sehr guter Schwimmer und erreichte sie gerade noch, als sie unterzugehen begann. Er schaffte es, ihr Haar zu ergreifen und ihren Kopf wieder über Wasser zu ziehen. Mona schnappte nach Luft. Sie war in Panik geraten und klammerte sich jetzt verzweifelt an ihn. So drohten beide unterzugehen.

Doch Kaar war En gefolgt und packte einen von Monas Armen. Er löste ihre Umklammerung von En und schrie sie an: „Halt dich mit je einer Hand an Ens und meinem Haar fest. Wir helfen dir an Land.“

Durch Ens Nähe beruhigte Mona sich wieder etwas, griff dann Kaar und En in die langen Haare, wickelte sie in einer dicken Strähne um ihre Hände und hielt sich so über Wasser.

„Es geht wieder“, rief sie ihnen zu. „Meine Hände waren vor Kälte ganz starr und ich habe einen Moment nicht aufgepasst und bin abgerutscht.“

Sie hatte ihre Panik überwunden und brachte sogar wieder ein etwas verkrampftes Lächeln zustande.

Während Kaar und En zügig in Richtung des gegenüberliegenden Ufers schwammen, hielt sie sich an deren Haaren fest und unterstützte sie durch Schwimmbewegungen mit den Beinen. Kaar verzog dabei ständig das Gesicht. Der Griff in seinem Haar war außerordentlich fest und tat weh.

Als sie endlich das andere Ufer erreichten und an Land gingen, konnten sie gerade noch das Boot in einer Biegung flussabwärts verschwinden sehen. Doch es hatte weit mehr als die Hälfte der Flussbreite überquert und näherte sich ebenfalls der gegenüberliegenden Seite. Alle anderen fünf Schwimmer hielten sich noch am Bootsrand fest und Ian und Petr zogen ebenfalls noch an den Lederseilen am anderen Ende.

En nahm Mona in die Arme und küsste sie erleichtert, während Kaar mit einer komischen Grimasse seinen Hinterkopf massierte.

„Was machst du da?“, fragte ihn Mona erstaunt.

„Ich fühle nach, ob ich noch alle Haare habe. Du hast einen sehr festen Griff.“

Auch En rieb grinsend seinen Hinterkopf. „Ich hätte gern mehr als nur meine Haare geopfert, um dein Leben zu retten“, murmelte er dann lakonisch.

Mona fiel ihm mit einem verliebten Lächeln noch einmal in die Arme. „Danke En, dir auch Kaar.“

„Kommt, wir müssen weiter und die anderen suchen. Hoffentlich sind die wenigstens gut an Land gekommen.“

Doch bevor er sich abwandte, um am Fluss entlang nach dem Rest ihrer Gruppe zu suchen, hockte Kaar sich noch einmal ans Ufer, schöpfte mit der Hand eine kleine Menge Wasser und ließ es wieder in den Fluss rinnen. „Geist des Flusses, wir danken dir für deine Hilfe und dass du uns erlaubt hast, Monas Leben zu retten.“

Ehrfürchtig und dankbar taten En und Mona es ihm nach.

Dann liefen sie das Ufer entlang stromabwärts und fanden die anderen Mitglieder ihrer Gruppe bereits nach kurzer Zeit. Ian und Petr hatten als Erste den Strand erreicht und das Boot mit den am anderen Ende hängenden Schwimmern an Land gezogen.

Sie waren vom kalten Wasser stark ausgekühlt, froren trotz des warmen Sonnentages und beschlossen deshalb, zunächst ein großes Feuer anzuzünden, um sich wieder aufzuwärmen.

„Was machen wir mit dem Boot?“, fragte En, nachdem sie ihre Kleidung wieder angezogen hatten und allen wieder warm geworden war.

„Wir lassen es hier. Vielleicht findet es jemand, kann es gebrauchen und freut sich“, schlug Kaar vor.

Alle, bis auf Ian, nickten zustimmend. „Warum sollen wir es hier zurücklassen“, mäkelte der. „Es hat uns doch so viel Arbeit gekostet, es herzustellen.“

„Es ist zwar nicht schwer, aber viel zu sperrig, um es mitzunehmen“, antwortete ihm En. „Und Felle haben wir mehr als genug.“

Der Rest ihrer Wanderung war dann einfach. Sie folgten diesem Wasserlauf einige Tage flussabwärts und kamen an die Stelle, an der er in den großen Fluss mündete. Es war ein breiter Strom der, wie Monas Vater es ihnen beschrieben hatte, hier fast genau nach Süden floss.

Sie brauchten diesem Strom nur noch nach Norden zu folgen.

Nach einem Marsch von einem weiteren halben Mondzyklus sahen sie schon von weitem das Lager der Leute am großen Strom.

Mitten im späten Frühsommer kamen sie bei der Höhle der dort lebenden Menschen an.

Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit

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