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Das Tal

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Der kleine Rüde war an ihnen hochgesprungen, hatte ihre Schnauzen geleckt und vor Freude laut gefiept und gewinselt. Zur Begrüßung hatte der Rüde für ihn eine frische, wieder etwas vorverdaute Rehleber hervor gewürgt.

Trotz der Freude über das glückliche Zusammentreffen und die Vereinigung ihrer kleinen Wolfsfamilie zogen sie in gedrückter Stimmung weiter, immer tiefer in das Gebirge hinein. Die beiden Altwölfe trauerten um den Verlust der kleinen Wölfin und auch der kleine Rüde vermisste seine Schwester sehr. Ihr Rudel bestand jetzt nur noch aus drei Wölfen. Wenn die beiden Altwölfe jetzt auf die Jagd gingen, nahmen sie den Welpen immer mit. Er war zwar eigentlich noch zu jung, um auf die Jagd mitgenommen zu werden. Aber das Risiko, ihn allein zu lassen, erschien ihnen zu groß.

Der Welpe genoss das Jagen. Die Wölfin behielt ihn immer an ihrer Seite, wenn sie Wild auf den Altrüden zu hetzte, und so lernte der kleine Rüde schon früh die verschiedenen Jagdmethoden der Wölfe kennen. Er beobachtete, wie sie sich an Wild heranschlichen, wie der Altrüde Wild tötete, wie sie in Notzeiten Mäuse und manchmal auch Kaninchen ausgruben und wie sie Wild immer im Wechsel müde hetzten.

Solange er klein war, überließen ihm die Altwölfe immer den ersten Teil der Beute. Er durfte zuerst fressen und wuchs schnell zu einem kleinen Jungwolf heran. Nachdem er aber das erste Mal ein Kaninchen selbst gefangen und getötet hatte, musste er schmerzlich erfahren, dass größer und erwachsener zu werden nicht immer mit Annehmlichkeiten verbunden war.

Eines Nachmittags hatten sie ein Reh gerissen und der junge Rüde wollte sich, wie bisher immer, als Erster ans Fressen machen und sich seine Lieblingsspeise, die Leber, holen.

Zu seiner Überraschung knurrte der Altrüde ihn an, stieß ihn beiseite und fraß selbst als Erster. Die Wölfin ignorierte ebenfalls seinen flehenden Blick und ließ ihn erst dann an die Beute, nachdem sie ebenfalls gefressen hatte.

Verunsichert und ängstlich zog er sich etwas zurück, legte den Kopf auf seine Vorderpfoten, beobachtete die beiden Altwölfe und wartete das weitere Geschehen ab.

Die beiden Altwölfe fraßen vom Reh und erlaubten ihm erst, nachdem sie satt waren, ebenfalls seinen Hunger zu stillen.

Als sich dieses Verhalten mehrere Male wiederholt hatte, begann er zu verstehen: Mit dem Beginn des Großwerdens war er in Zukunft der Rangordnung der Wölfe unterworfen. Entsprechend dieser Rangordnung nahm er ab jetzt den niedrigsten Platz in ihrem Rudel ein und wurde von seinen Eltern auch so behandelt. Größer und erwachsener zu werden hatte also auch seine Schattenseiten. Ab jetzt durfte er immer nur als Letzter seinen Hunger stillen.

Sie zogen stetig weiter, aber nirgends fanden sie einen Platz, an dem sie bleiben und den sie als ihr neues Revier beanspruchen konnten. Entweder fanden sie Duftmarken anderer Wolfsrudel oder das Areal wurde von großen Raubtieren wie Höhlenlöwen oder großen Hyänenrudeln beansprucht. Als so kleines Wolfsrudel konnten sie sich mit denen aber nicht anlegen. Fanden sie keine Marken anderer Raubtiere, dann handelte sich um karge Hochtäler, in denen es so gut wie kein Wild gab. So ging der Sommer langsam zu Ende und sie waren von der langen Wanderung erschöpft und ausgemergelt.

Endlich, sie hatten das Gebirge fast durchquert, fanden sie ein ideales Tal. Es erstreckte sich in Ost-West-Richtung und war durch einen Bergzug vor dem kalten Nordwind geschützt. So hatte sich eine üppige Vegetation aus Nadel- und Laubbäumen entwickelt, durchsetzt von grasbewachsenen Lichtungen. Und hier sahen sie sehr viel jagdbares Wild.

Zunächst suchten sie das Tal nach Duftmarken anderer Wölfe ab, fanden aber zu ihrer Beruhigung keine. Vielleicht zogen gelegentlich größere Raubtiere durch dieses Tal, aber außer ihnen schien kein anderes Raubtier es als sein Revier zu beanspruchen.

Ein idealer Platz für sie.

Sobald sie ihre erste Jagd in diesem Tal erfolgreich beendet hatten, suchten sie nach einem geeigneten Schlafplatz und fanden ihn in Form einer kleinen Höhle am Nordhang. Hier würden sie bleiben. Dieses Tal war künftig ihr Revier.

Der Sommer verging und der Herbst begann, langsam das Laub zu färben. Sie hatten sich in den letzten Wochen so gut eingelebt, als wäre dieses Tal schon immer ihr Jagdrevier gewesen. Auch der kleine Welpe war erheblich gewachsen. Aus ihm war durch die reichliche Nahrung in der letzten Zeit ein stattlicher Jungwolf geworden.

Es war später Nachmittag. Sie hatten in der Morgendämmerung ein Reh gerissen, hatten sich danach erst einmal ausgeruht und waren gerade zu ihrer Beute zurückgekehrt, als der Altwolf plötzlich alarmiert den Kopf hob und lauschte. Fremde Wesen drangen in das Tal ein.

Vorsichtig schlichen sich die drei Wölfe an diese Geschöpfe heran und staunten. Diese Geschöpfe liefen auf nur zwei Beinen umher, machten viele Geräusche und sie sahen, dass diese Wesen Feuer anzünden konnten.

Auch die beiden Altwölfe hatten bisher noch nie Menschen gesehen, doch das Feuer nötigte ihnen Respekt vor diesen Wesen ab. Sie hatten schließlich selbst genügend schlechte Erfahrungen mit Feuer gemacht. Sie beobachteten die Neuankömmlinge deshalb noch eine Weile weiter. Aber als sie bemerkten, dass diese in eine große Höhle in einiger Entfernung von ihrem eigenen Bau einzogen, kehrten auch sie wieder zu ihrer Jagdbeute zurück.

In der nächsten Zeit gewöhnten die beiden Altwölfe sich an, in weiter entfernt liegenden Teilen des Tals zu jagen. Sie entdeckten bald, dass auch diese fremden Wesen jagten, und gingen ihnen nach Möglichkeit aus dem Weg. Immerhin war das Tal groß genug.

Der Jungwolf dagegen war, wie alle noch sehr jungen Wölfe, überaus neugierig. Er begann, wann immer er konnte, diesen Wesen zu folgen und sie zu beobachten, ohne dass diese etwas von seiner Anwesenheit merkten.

Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit

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