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ОглавлениеSpanische Näherinnen in Deutschland
Der Bedarf an guter Bekleidung war nach dem Krieg in den Aufstiegsjahren der 50er- und 60er-Jahre außergewöhnlich groß, und es wurde in erster Linie produziert. Produktionsmengen und technische Weiterentwicklung zählten. Kosten und Rationalisierung standen im Vordergrund. Schönheit und Eleganz der Mode stand an zweiter Stelle, zumindest im konsumigen Genre. Von Marketing hatten die meisten Firmen noch nicht viel gehört. Markenbildung in der Mode war noch nicht angesagt.
Bei Wilvorst war für die Technik Hans Tiefenbach, der Sohn des ehemaligen Fahrers von Lina und Wilhelm, zuständig. Er war wie Friedrich-Wilhelm Vordemfelde im Krieg Soldat gewesen und hatte als echter Haudrauf an allen Fronten tapfer gekämpft. Leider hatte er bei einem Gefecht in den letzten Kriegstagen seinen rechten Arm durch Beschuss verloren. Deshalb musste er nach dem Krieg mit einer Armprothese zurechtkommen. Aber er war trotzdem ein fescher Bursche, der bei allen Frauen Eindruck machte, und Wilvorst war ein Frauenbetrieb mit vielen netten Näherinnen.
Gleichzeitig entwickelten sich aber auch in der Bekleidungsindustrie wie auch in allen anderen Industriebereichen Gewerkschaften, die die Arbeitnehmervertretung übernahmen und immer mehr Arbeitnehmerrechte einforderten. Die Gewerkschaft Textil- und Bekleidung GTB erreichte auch bei Wilvorst in der Produktion einen hohen Organisationsgrad. Nahezu alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren Ende der 50er-Jahre in der Gewerkschaft. Jedes Jahr wurde in den Tarifverhandlungen über die Höhe der Löhne verhandelt. Und die Gewerkschaften setzten mit ihren Forderungen in den Tarifverhandlungen immer höhere Löhne durch. Aus einem armen, zerstörten Land mit niedrigen Löhnen wurde innerhalb von wenigen Jahren ein Industrieland mit gehobener Lohnstruktur. Alle wollten am wachsenden Wohlstand teilhaben, und die Gewerkschaften forderten und forderten, immer mit der Drohung von Streik und Arbeitsniederlegung. Damit wurde die Produktion von Bekleidung am Standort Deutschland immer teurer.
Das merkten natürlich auch die Unternehmer. Jede Saison wurde die Kollektion neu kalkuliert, und man stellte schon Ende der 50er-Jahre fest, dass aus preiswerten Anzügen teure Produkte wurden. Die Unternehmen wollten sich natürlich auch gegenseitig keine Vorteile geben, und die Preise wurden deshalb sehr knapp kalkuliert und gaben damit auch nur wenig Marge. Also suchte man nach Möglichkeiten, Kosten zu sparen. Die Löhne waren dabei ein maßgeblicher Kostenverursacher. An dieser Stellschraube wollte man ansetzen. Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen waren mittlerweile zu teuer, also mussten Arbeitskräfte aus dem Ausland, die billiger waren, importiert werden. In Spanien gab es viele fleißige Näherinnen, die gerne für günstige Löhne auch in Deutschland nähen wollten. Diese wurden dann im großen Stil im Ausland angeworben und nach Deutschland transportiert. Dort wurden sie in Sammelunterkünften untergebracht und übernahmen die Nähtätigkeiten ihrer ehemaligen deutschen Kolleginnen.
Auch Wilvorst machte mit. Ende der 50er-Jahre hatte man circa 40 Näherinnen aus Spanien angeworben. Man gab ihnen als Lohn nur etwa 60 % des Tariflohnes, den man an deutsche Näherinnen zahlte. Sie brachten damit einen deutlichen Kostenvorteil für die Firma im Vergleich zu deutscher Arbeit nach Tariflöhnen. Die Spanierinnen wurden in einem Wohnheim in der Nähe der Firma untergebracht und hatten kurze Wege zur Arbeit. Das Wohnheim war spartanisch eingerichtet. In den Zimmern lebten vier bis sechs Frauen zusammen in drangvoller Enge und hatten nur geringen Komfort. Aber sie nähten fleißig zu den billigen Löhnen und waren damit auch zufrieden. Nicht zufrieden war natürlich die Gewerkschaft, die eine Zweiklassengesellschaft im Betrieb befürchtete.
Die Spanierinnen waren fröhliche, junge Frauen, die Spaß am Leben hatten und sich von der Enge in den Unterkünften nicht einschüchtern ließen. Sie freuten sich, in Deutschland Geld verdienen zu können, und schicken jeden Monat einen Teil ihres Lohnes in die Heimat zurück. Ansonsten hatten sie nicht so viel Gelegenheit, Geld auszugeben, denn sie sprachen ja kaum Deutsch und Ausgehen war deshalb kaum angesagt. In Spanien freute man sich aber über die tüchtigen Töchter, die im fernen Deutschland Karriere machten.
Unter den Frauen aus Spanien waren auch ganz hübsche Weiber, die mit ihrem südländischen rassigen Wesen richtig etwas hermachten. Die schönste von ihnen war Maria Soares. Sie hatte langes schwarzes Haar, ein schönes Gesicht, einen großen Busen und lange schlanke Beine. Da konnte der Betriebsleiter Hans Tiefenbach sich nicht zurückhalten. Er war ein richtiger Mann und Frauenheld und hatte sich in Maria schnell verliebt. Sie machte ihm auch schöne Augen und legte es auf ein Techtelmechtel an. Hans Tiefenbach konnte nicht Nein sagen. Es kam, wie es kommen musste. Sie fanden zueinander, und in einem verschwiegenen, günstigen Moment küssten sie sich heftig und schworen sich ewige Liebe. Maria sprach zwar nur wenig Deutsch, aber die Sprache der Liebe ist international, und es kam nicht auf einzelne Worte an.
Friedrich-Wilhelm Vordemfelde, sein Chef, machte wie jeden Tag auch an einem Donnerstag im Oktober 1959 seinen obligatorischen Rundgang durch die Firma. Er machte dabei auch einen Abstecher in das Wohnheim der Spanierinnen. Er wollte sehen, ob dort alles in Ordnung war und ob die Arbeiten, die er den Handwerkern zum Abdichten der Fenster aufgegeben hatte, erledigt worden waren. Als er in das Gebäude eintrat, hörte er nach wenigen Minuten in einem der hinteren Räume verdächtige Geräusche. Es war eindeutig Liebesgesäusel und heftiges Stöhnen einer Frau mit schöner Stimme. Er näherte sich langsam der Tür und war sich dann schnell im Klaren, dass in dem kleinen Zimmer internationale Freundschaft gepflegt wurde. Er wollte aber nicht so brutal sein und alles durch lautes Dazwischengehen kaputt machen. Er wusste, dass er Hans Tiefenbach mit einer Spanierin erwischt hatte, und er würde ihn bei nächster Gelegenheit zur Rede stellen. Natürlich sprach sich dieses Ereignis in der ganzen Firma schnell herum, und alle wussten: „Der Hans, der kann’s“, aber Hans Tiefenbach war ja Betriebsleiter, und keiner wagte was zu sagen. Der Chef drückte ein Auge zu.
Ich, der Junior Karl-Wilhelm, erlebte die Spanierinnen auch als Junge im Alter von acht, neun Jahren. Die jungen Frauen wohnten ja nicht weit weg von der Firma, quasi auf der anderen Seite gegenüber der Stelle, wo sich das Wohnhaus vom Chef befand. Sie freuten sich, wenn ich sie mal auf meinen ewigen Streifzügen durch das Firmengelände besuchte. Dann machten sie mit mir, dem kleinen Jungen, Scherze und trieben ihren Schabernack. In der Behausung der Spanierinnen stand auch das große alte Klavier. Dort sollte ich Klavier spielen lernen, unterrichtet vom Musikdirektor Kirchner, der auch den Lehrlingschor dirigierte. Da wir kein eigenes Klavier hatten, musste ich dazu immer in das Wohnheim der Spanierinnen gehen. Das Üben war dann nicht nur angenehm, wenn sie mir über die Schultern schauten und mir an den Haaren zupften. Aber sie freuten sich immer, mich zu sehen.
Die Spanierinnen blieben drei Jahre in Deutschland bei Wilvorst und machten gute Arbeit zu günstigen Löhnen. Spielverderber war aber auch hier wieder die Gewerkschaft Textil und Bekleidung, die nach einer gewissen Zeit auch für die Spanierinnen den gleichen Lohn wie für deutsche Arbeitnehmerinnen forderte. Mit Tariflöhnen war der Vorteil der Beschäftigung von Ausländerinnen dahin, und deshalb wurden die Spanierinnen wieder in die Heimat zurückgeschickt. Einige blieben allerdings noch über Jahre und Jahrzehnte in Northeim bei Wilvorst und fühlten sich in Deutschland wohl. Sie heirateten teilweise deutsche Männer und wurden dann eingebürgert. Auch Maria Soares fand ihren Mann bei Wilvorst, nicht Hans Tiefenbach, aber einen schicken Meister und blieb in Deutschland. Sie hatte später drei schöne Kinder mit ihm, die eindeutig spanische Gesichtszüge hatten und ihrer schönen Mutter sehr ähnelten.