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»Bitte treten Sie zurück, bitte.«

Noch mehr Autos kamen, noch mehr Männer, mit oder ohne Uniform, stiegen aus, noch mehr Lampen leuchteten auf, noch mehr Neugierige kamen schlaftrunken aus den Häusern, stellten sich zu mir; wir wirkten wie ein aufgeschreckter Haufen müder Nomaden, die fassungslos auf ihre versenkten Behausungen starrten.

»Bitte, Herrschaften, es ist kurz nach Mitternacht. Gehen Sie nach Hause!«

Es hatte wieder angefangen zu regnen. Die eintreffenden Polizisten sahen mich äußerst vorwurfsvoll an, so als wollten sie eigentlich sagen: Warum haben Sie nicht bis zum Morgen gewartet mit Ihrem Anruf?

Ein Froschmann stand etwas unentschlossen am Rand des Kanals. Das Regenwasser auf seiner schwarzen Haut konnte den Eindruck erwecken, er sei bereits unten gewesen, aber er sah nur zu, wie die Fluten in den aufgerissenen Bauwagen drangen und den Toten gegen die Scheibe uns entgegenhoben. Das aufgedunsene Gesicht tauchte hinter dem Glas auf. Es schien unendlich weit entrückt, und ich spürte, wie es mir den Brustkorb zusammenpresste; als ein Krampf meine Kehle zu ergreifen drohte, wandte ich mich ab und trat zurück.

Wenig später tauchte der glänzende Körper des Froschmanns ins Wasser ein. Er verschwand. Es kam mir vor, als wäre auch er jetzt ertrunken. Regentropfen fielen auf die ölige Wasseroberfläche dort, wo er eingetaucht war.

Endlich war er wieder zu sehen, im Innern des Wracks presste er das Gesicht gegen die Scheibe, als wollte er vorm Auftauchen nochmal die Perspektive des Toten einnehmen. Gleich darauf sah man ihn auf der anderen Seite aus dem Wagen schießen, einen gespenstischen Flor aus Seetang hinter sich herschleppend.

Zu dritt zogen sie die Leiche ans Ufer, der Froschmann legte seine Sauerstoffflaschen ab, und die Lichter in den Streifenwagen erloschen.

Zwei Polizisten beugten sich mit Taschenlampen über den Toten.

»Höchstens vierundzwanzig Stunden vermutlich.«

»Wo bleibt die Gerichtsmedizin?«

»Müsste jeden Moment hier sein.«

Einer der Polizisten drehte sich um und leuchtete mir mit der Lampe ins Gesicht. Eine Weile musterte er mich interessiert, horchte auf mein Schluchzen.

»Haben Sie ihn gekannt?«

»Nein.«

»Und warum sind Sie so …?«

»Er ist tot, mein Gott, und ich hab ihn gefunden.«

Ich erinnerte mich, wie ich an einem heißen Sommertag an einer Straßenkreuzung einen Mann unter einem Auto hatte liegen sehen. Der Fahrer war gerade aus dem Wagen gesprungen und blickte auf den Körper hinab. Ich war mitten im Schritt erstarrt, etwas Hellrotes lag auf dem Gehweg, direkt neben meinem Schuh, ein einzelnes Stück Hirngewebe, wie ich es einmal im Formalinbad einer anatomischen Sammlung gesehen hatte. Eine Frau, die vorüberkam, blieb lange stehen und schaute auf die Leiche unter dem Auto. Dann beugte sie sich langsam hinab, kniete sich neben den Toten. Sie streichelte ihm die Schulter, berührte ihn ganz sanft, als wollte sie ihm mitteilen: Es wird alles wieder gut.

»Er ist – ermordet worden?«, hörte ich mich fragen.

Der Polizist wandte sich zu mir um.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Wie sollte er da hineingekommen sein, ohne dass jemand nachgeholfen hat?«

Die Taschenlampe leuchtete wieder auf, und der Lichtstrahl glitt über mein Gesicht wie eine ärztliche Hand, die es nach Symptomen abtastet.

»Vielleicht hat ihn die Strömung hineingespült. Haben Sie uns angerufen?«

»Ich habe geschrien, davon werden wohl einige Anwohner wach geworden sein.«

Ein Kriminalpolizist mit schütterem Haar kniete neben der Leiche und kehrte die Manteltaschen nach außen. Eine ausgedrückte Tube Gummilösung fiel heraus, ein Aufrauer und dazu zwei runde Fahrradschlauchflicken.

»Was ist denn das?«, fragte jemand.

Meine Hand zitterte, als ich mich niederbeugte, nach dem Flickzeug griff und meine Faust darüber schloss, gerade als ich es in meiner Jacke verschwinden ließ, sah der kniende Polizist zu mir hoch.

»Sie sind doch völlig durchgeweicht«, sagte er. »Geben Sie meinem Kollegen Ihre Adresse und gehen Sie nach Hause. Sehen Sie zu, dass Sie aus den nassen Klamotten rauskommen.«

Es regnete immer noch, und ich zitterte. Ich gab dem anderen Polizisten meine Personalien und lief im Dauerlauf davon.

Ich war noch nicht weit gekommen, als ein Wagen neben mir hielt und die Tür aufging. Der Kriminalbeamte mit dem schütteren Haar blickte zu mir heraus.

»Steigen Sie ein.«

»Ich hab’s nicht mehr weit.«

»Nun machen Sie schon, Mann.«

Ich stieg widerstrebend zu, und er fuhr mich das letzte Stück bis zu meiner Kaserne. Als ich ausstieg, wäre ich auf der glitschigen Straße beinahe gestürzt.

»Krummnow«, stellte er sich vor. »Edgar Krummnow. Rufen Sie mich an, wenn Sie mit dem Zeug, das Sie eingesteckt haben, etwas anfangen können.«

Schuldbewusst fuhr ich mit der Hand in die Hosentasche. Dann nickte ich.

»Selbstverständlich.«

»Und hören Sie auf, darüber nachzudenken, dann kriegen Sie auch wieder ein bisschen Farbe«, empfahl mir Krummnow. »Es war doch schließlich niemand …«

Er brach ab, es schien ihm unangenehm zu sein. Er zog den Kopf ein und wollte nochmal ansetzen.

»Irgendwo hab ich ihn schon mal gesehen«, kam ich ihm zuvor. »Wenn ich mich erinnern sollte, wo, rufe ich Sie an.«

Starr vor Kälte stand ich auf der Straße.

»Los jetzt!«

Edgar Krummnow knallte die Autotür zu.

Dann sah ich nur noch zwei rote Lichtpunkte, die durch den Regen davonrasten, der jetzt in Strömen niederging und mich zwang, meine Augen zuzukneifen.

Ich tastete nach dem Flickzeug in meiner Tasche und dachte: Ich werde Kat anklingeln, werde sie bitten zurückzurufen, ihr von dem Bauwagen und dem Mann erzählen und – zu Tode erschrecken würde ich sie.

Hör auf die Polizei, sagte ich mir. Los jetzt!

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