Читать книгу Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock - Страница 10

1.4.2 Textauswahl und Aufbau der Arbeit

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Mit dieser Arbeit soll ein möglichst vollständiger Überblick über die belletristische Literatur des „Goldenen Zeitalters“ gegeben werden, in der von jüdischen Figuren erzählt wird.1 Diese Figuren sind auf eine Art und Weise gestaltet, die sich nur unzureichend mit Attributen wie ‚positiv‘, ‚negativ‘, ‚antisemitisch‘ oder eben auch ‚philosemitisch‘ beschreiben lassen. Warum es für diese Untersuchung unvermeidbar und schließlich sogar produktiv ist, dennoch den Begriff ‚Philosemitismus‘ zu verwenden, erläutere ich in Kapitel 1.6.

Der Hauptteil dieser Untersuchung ist in vier umfangreiche und drei kürzere Analysekapitel unterteilt. In den großen Kapiteln werde ich vier Erzähltexte analysieren, die für meine Fragestellung besonders ergiebig sind. Die übrigen Erzähltexte werden den ausgewählten Haupttexten in Form von Exkursen oder kürzeren Analysekapiteln gegenübergestellt. An den untersuchten Erzähltexten werde ich exemplarisch zeigen, wie sich der Philosemitismusbegriff für die Literaturwissenschaft fruchtbar machen lässt und wie vielfältig die Erzählmöglichkeiten sind, die sich durch die Präsenz jüdischer Figuren in den Texten ergeben. Die Anordnung der vier Haupttexte erfolgt im Prinzip chronologisch, diese Chronologie wird jedoch durch die Gegenüberstellung mit den anderen Texten wiederholt unterbrochen. Einerseits also folgt die Anordnung den Entstehungszeiten der Erzählungen und Romane, andererseits gehorcht sie thematischen Aspekten, indem Texte aus unterschiedlichen Erscheinungsjahren zueinander in Bezug gesetzt werden. Die Kapitel sind so konzipiert, dass sie thematisch aufeinander aufbauen, in sich aber geschlossen sind, so dass sie auch unabhängig voneinander gelesen und verstanden werden können. Kapitel 2 über Bernhard Severin IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle Den gamle Rabbin von 1827 dient der Einführung der literarischen Topoi ‚edler Jude‘, ‚schöne Jüdin‘ und ‚Ahasverus‘ sowie des kunstreligiösen Diskurses. Ergänzend werden AndersensAndersen, Hans Christian Debütroman Fodreise fra Holmens Canal til Østpynten af Amager i Aarene 1828 og 1829 [Fußreise vom Holmenkanal zur Ostspitze von Amager in den Jahren 1828 und 1829; 1829] und sein Märchen Jødepigen [Das Judenmädchen; 1855] herangezogen. Dieses Kapitel dient vor allem dazu, die Leserin mit den philosemitischen Themen und Topoi vertraut zu machen, die in den folgenden Texten ebenfalls aufgenommen, dann aber gebrochen und modifiziert werden. Ein komplexerer Zugang zu ihnen wird bereits in Kapitel 3 an Steen Steensen BlichersBlicher, Steen Steensen Novelle Jøderne paa Hald deutlich. In dieser Novelle verbindet sich ein politisches Sendungsbewusstsein einerseits mit Elementen aus historischer und Schauerliteratur andererseits. Hierauf folgt das kürzere Kapitel 4 zu Thomasine GyllembourgsGyllembourg, Thomasine Novelle Jøden [Der Jude; 1836]. Zu dieser Novelle liegt bereits Forschungsliteratur vor, so dass ich mich hier nur auf einzelne, für meine Fragestellung relevante Aspekte konzentriere. Deutlich umfangreicher ist Kapitel 5, in dem der Roman Guldmageren [Der Goldmacher; 1836/1851] von Carsten HauchHauch, Carsten untersucht wird. In diesem historischen Roman werden zwei gegensätzlich gestaltete jüdische Figuren einander gleichgewichtet gegenübergestellt, was den Roman von den zuvor untersuchten Texten unterscheidet. Hierauf folgt mit Kapitel 6 erneut eine kürzere Untersuchung, denn in Frederik Christian SibbernsSibbern, Frederik Christian Briefroman Udaf Gabrielis’s Breve til og fra Hjemmet [Aus Gabrielis’ Briefen von und nach zu Hause; 1850] gibt es nur wenige, jedoch sehr markante Passagen, in denen die jüdische Figur auftritt. Kapitel 7 behandelt Hans Christian Andersens Roman Kun en Spillemand [Nur ein Spielmann; 1837]. Diese Analyse nimmt aufgrund der äußerst komplexen Romankonzeption und Figurengestaltung nicht nur am meisten Raum ein, sondern steht deshalb auch (fast) am Ende der Untersuchung. Das kurze Kapitel 8 zu Andersens späterem Roman At være eller ikke være [Sein oder Nichtsein; 1857] schließt die Arbeit ab. Somit ergibt sich eine umfassende Diskussion sämtlicher dänischer Erzähltexte nicht-jüdischer Autor*innen, in denen von jüdischen Figuren erzählt wird. Ein Überblick über den jeweils relevanten Forschungsstand sowie eine historische wie biografische Kontextualisierung werden in den jeweiligen Kapiteln gegeben.

Wer in der Reihe dänischer Autor*innen des frühen und mittleren 19.Jahrhunderts fehlt, ist Meïr Aron GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron (1819–1887) mit seinem Debütroman En Jøde [Ein Jude] von 1845 (1927), schließlich fällt das Erscheinungsdatum in den hier untersuchten Zeitraum. Nicht allein die Tatsache, dass Goldschmidt literaturgeschichtlich in der Regel nicht mehr dem „Goldenen Zeitalter“ zugeordnet wird, da er wesentlich jünger ist als die anderen Autor*innen, ist für sein Fehlen in dieser Untersuchung ausschlaggebend – es ist in erster Linie sein Jüdischsein.2 Dieser Umstand fällt als extrem irritierend ins Auge, denn auf diese Weise reproduziert die Untersuchung paradoxerweise den Ausschluss dänischer Juden aus der nicht-jüdischen Gesellschaft. Dabei ist gerade dieser Ausschluss das Thema von Goldschmidts Roman En Jøde. Er erzählt aus einer jüdischen Innenperspektive vom „Lebensweg eines Juden, der aufgrund von Diskriminierungen an der Aufgabe der Akkulturation in der dänischen Gesellschaft scheitert“ (Schnurbein 2006: 118). Wäre nicht eine Einbeziehung dieser Perspektive lohnend? Ja, das wäre sie. Mit unterschiedlichen Fragestellungen sind Stefanie von Schnurbein (2004, 2006), Cecilie Speggers Schrøder Simonsen (2012a, 2012b) und Florian Brandenburg (2014) an Goldschmidt und En Jøde herangetreten. Mogens Brøndsted hat bereits 1967 mit Goldschmidts Fortællekunst [Goldschmidts Erzählkunst] eine Untersuchung von Goldschmidts Hauptwerken herausgegeben. Und 2016 erschien die Monografie Meïr Aron Goldschmidt and the Poetics of Jewish Fiction von David Gantt Gurley, der im Kapitel „Midrash and Metaphor“ En Jøde als Exegese der Hebräischen Bibel liest (2016: 60–102). Der Roman kann mir jedoch bei der Bearbeitung meiner Fragestellung nicht behilflich sein. Tatsächlich wurde GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde sogar dafür kritisiert, dass er, so formulierte es Georg Brandes, „serverer sin bestemor i skarp sovs [seine Großmutter mit scharfer Soße serviert]“ (zitiert nach Brøndsted 2007b: 25), also eine allzu intime Darstellung jüdischen Lebens aus der Innenperspektive vorgenommen habe. Philosemitismus ist aber ein nicht-jüdischer, in diesem Fall sogar ein dezidiert christlicher Diskurs (vgl. Kapitel 1.6), und dieser Diskurs ist Gegenstand meiner Analyse. Die jüdischen Figuren in den Romanen und Novellen, die ich hier als philosemitisch charakterisiere, sind weder zufällig oder beiläufig dort, noch sind sie Teil einer möglichst realistischen Darstellung dänischer Lebenswirklichkeiten. Sie dienen nicht einmal vornehmlich dazu, die politische Haltung der Autor*innen literarisch verarbeitet zu verbreiten. Die jüdischen Figuren haben als Außenseiter (vgl. Mayer 1981) und ‚Andere‘ (vgl. Polaschegg 2005: 41–49)3 vielmehr eine literarische Funktion für den Text selbst, die es zu erforschen gilt.

Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts

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