Читать книгу Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock - Страница 5

1 Einleitung

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Philosemitische Schwärmereien – der Titel wirft Fragen auf. Was ist eigentlich Philosemitismus? Und was genau ist hier mit ‚Schwärmerei‘ gemeint? Hat nicht Martin LutherLuther, Martin seine religiösen Gegner als Schwärmer diffamiert? War nicht noch in der deutschen Aufklärung der Vorwurf, ein Schwärmer zu sein, wenig schmeichelhaft? Und ist es überhaupt angemessen, den Begriff auf die dänische Literatur des frühen und mittleren 19.Jahrhunderts zu beziehen? ‚Schwärmerei‘ hat viele Konnotationen, von religiöser über fanatische Schwärmerei für einen unvernünftigen Irrglauben über eine krankhaft wirkende Unruhe bis hin zu einem ausschweifenden, bacchantischen Lebensstil (vgl. GrimmGrimm, Jacob und Wilhelm 1854–1961: 2292–2293). Als Teil des Titels für meine Untersuchung verwende ich den Begriff im Sinne einer moderaten, einer sinnlichen, jedoch nicht unbotmäßigen Form der Schwärmerei, wie sie im Wörterbuch der Brüder Grimm als dritte Bedeutungsnuance mit einem Zitat von Wieland umschrieben wird: „gerade diese schwärmerey, diese schöne seelentrunkenheit, die uns die gegenstände unsrer bewundrung, unsrer liebe, unsers verlangens, in einem so zaubrischen lichte zeigte“ (1854–1961: 2292). Diese Beschreibung, dem Kontext der spätaufklärerischen Schwärmerdebatte entnommen, hat ihren ursprünglichen Charakter als Kampfbegriff zur Diffamierung ideologischer Gegner zu diesem Zeitpunkt bereits weitestgehend verloren. Stattdessen öffnet sich nun, am Übergang zur Romantik, einer nachfolgenden Schwärmergeneration „die Pforte […] der Kunst“, so der Literaturwissenschaftler Manfred Engel. „In der nun anbrechenden neuen Zeit wird auch der Schwärmer in neuer Gestalt und glänzend rehabilitiert wiedergeboren: nämlich als Romantiker“ (2009: 66). Die Schwärmerei kann also, Engel folgend, als Kern der Romantik begriffen werden – und um die Literatur der dänischen Romantik geht es in der vorliegenden Untersuchung im Wesentlichen.1 Obwohl zunehmend positiv besetzt, behält der Begriff ‚Schwärmerei‘ auch im 19.Jahrhundert die einstigen Konnotationen seiner Geschichte bei: Religiöses und Metaphysisches schwingt in ihm ebenso mit wie Diskurse von Liebe, Ästhetik und Moral und schließlich „[f]ast alles, was mit dem nüchternen Verstandesblick auf die Erfahrungswelt nicht konformiert“ (Engel 2009: 58). Zugleich soll die Verwendung des Begriffs bereits im Titel dieser Arbeit anzeigen, wo der Philosemitismus, von dem hier weit häufiger als von der Schwärmerei die Rede sein wird, einzuordnen ist: nämlich im Bereich der Kunst, explizit der Literatur, und stets außerhalb eines „nüchternen Verstandesblicks“. Die Rede ist hier also von einer Schwärmerei, die ihr begehrtes Objekt verklärt und der als Wirklichkeit erlebten Erfahrungswelt enthebt. Wobei nicht außer Acht gelassen werden soll, dass sie zugleich normativ auf diese Erfahrungswelt einwirkt. Das Objekt ist im Falle der vorliegenden Untersuchung das Judentum beziehungsweise dessen Vertreterinnen und Vertreter: Juden und Jüdinnen, reale und fantasierte.

In den folgenden Abschnitten werde ich zunächst die Problemstellung und meine Fragestellung formulieren. Im Anschluss daran erläutere ich in einem kurzen Exkurs, wie in dieser Arbeit gegendert wird. Damit diese Frage von jedem Punkt der Arbeit aus geklärt werden kann, findet die Erläuterung nicht in einer Fußnote, sondern unter einem eigenen Gliederungspunkt statt. Es folgen eine historische und eine literaturgeschichtliche Kontextualisierung sowie die Erläuterung meiner Literaturauswahl und ein Überblick über die Forschungsliteratur. Danach stelle ich meine methodisch-theoretischen Zugänge vor und nehme abschließend eine ausführliche Diskussion des Begriffs ‚Philosemitismus‘ vor.

Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts

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