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1.4 Jüdische Figuren in der dänischen Literatur 1.4.1 Vorläufer

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In der dänischen Literatur hatten bis in die späten 1820er-Jahre Juden und Jüdinnen fast ausschließlich als dramatische Figuren einen festen Ort in der Literatur. Dabei war ihr Platz tatsächlich auf der Bühne und nicht etwa zwischen zwei Buchdeckeln, da die dänische Dramenliteratur ihre Rezeption ausschließlich im Theater und nicht als Lesedrama fand. Darin unterscheidet sie sich von LessingsLessing, Gotthold Ephraim Nathan der Weise und Shakespeares Kaufmann von Venedig, die in Dänemark bis dahin vor allem als Lesedramen rezipiert wurden (vgl. hierzu Räthel 2016: 18, 125, 150). Die „Bühnenjuden“ auf dem dänischen Theater des 18. und frühen 19.Jahrhunderts waren zuvorderst komische Figuren. Gleichwohl waren sie nicht zwangsläufig auch lächerlich, wie Clemens Räthel in seiner Monografie Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater (2016) zeigt. Sie waren ambivalent und vielfältig, konnten Sympathieträger sein, Gewinner oder Verlierer, Entlarvende oder Schelme. Peter Andreas HeibergHeiberg, Peter Andreas (1758–1841) verlieh in seiner 1792 uraufgeführten Komödie Chinafarerne [Die Chinafahrer] (1806: 287–374) neben anderen, unsympathischen und auf finanziellen Vorteil bedachten jüdischen Figuren, erstmals in der dänischen Dramenliteratur auch einer edlen Judenfigur Körper und Stimme (vgl. Räthel 2016: 108–135).

Fast zur gleichen Zeit wie HeibergsHeiberg, Peter Andreas Chinafarerne, 1792/93, erschienen Jens BaggesensBaggesen, Jens (1764–1826) Reisebeschreibungen Labyrinten eller Reise gjennem Tydskland, Schweitz og Frankerig [Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich] (1965), in der er im Kapitel Jødegaden [Die Judengasse] (2007a) seine Eindrücke aus der Frankfurter Judengasse beschreibt. Eindringlich schildert er die armseligen Verhältnisse, in denen die Juden und Jüdinnen gezwungen sind zu leben und die existenzielle Not, in der ein jüdischer Kleiderhändler sich befindet, als er dem Verfasser und dessen Reisebegleitung schließlich zu einem viel zu niedrigen Preis eine Weste überlässt. Im Anschluss an diese Schilderungen fügt Baggesen ein weiteres Kapitel an, Det christne Fadermord [Der christliche Vatermord], in dem er die Ausgrenzung der Juden heftig kritisiert und dabei deren Ausschluss aus der „menschlichen Gesellschaft“ verurteilt:

Er det mueligt, at endu i vort Aarhundrede […] et heelt Folk i Generationers Generationer, med alle sine fødde og ufødde Individuer, kan ansees som uhenhørende til det menneskelige Selskab? Er det mueligt, at man endu i vor Tidsalder kan ansee en Nation, der har physisk og moralsk Existenz tilfælles med alle andre, som politisk uexisterende, som evig bestemt til Landflygtighed? (BaggesenBaggesen, Jens 2007b: 62)1

Ist es möglich, dass in unserem Jahrhundert noch immer ein ganzes Volk, Generation für Generation, mit all seinen geborenen und ungeborenen Individuen, als unzugehörig zur menschlichen Gemeinschaft angesehen wird? Ist es möglich, dass man noch in unserem Zeitalter eine Nation, die die physische und moralische Existenz mit allen anderen gemein hat, als politisch inexistent ansieht, als ewig bestimmt zur Landflucht?

Auf ThaarupsThaarup, Thomas judenfeindliche Publikation im Herbst 1813 reagierte BaggesenBaggesen, Jens mit einer Neuauflage dieser beiden Kapitel aus Labyrinten und unterstrich damit noch einmal die Forderung nach der bürgerlichen Gleichstellung der dänischen Juden. 1816 erschien eine Sammlung von Anekdoter om ædle og gode Jøder [Anekdoten über edle und gute Juden], herausgegeben von E. PetersenPetersen, E., der (oder die? – der Vorname ist nicht bekannt) außer mit dem Lustspiel De kristne Jøder [Die christlichen Juden] aus demselben Jahr literarisch weiter nicht in Erscheinung getreten ist. Während also 1813/1814 die verbalen und 1819/1820 die physischen Angriffe gegen Juden und Jüdinnen große Präsenz in der medialen Öffentlichkeit hatten, begann die literarische Auseinandersetzung mit den Ausschreitungen erst etwa ein Jahrzehnt später mit Bernhard Severin IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle Den gamle Rabbin [Der alte Rabbiner; 1827]. Mit dieser Novelle finden die weiterhin aktuellen Fragen nach Emanzipation und Akkulturation wie auch die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung ihren thematischen Niederschlag in der Erzählliteratur.2

Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts

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