Читать книгу Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock - Страница 31
2.9 Jüdische Figuren als Türöffner und Alleskönner
ОглавлениеMit diesem Arsenal an Figuren, Topoi, Assoziationen und literarischen Querverbindungen haben jüdische Figuren die dänische Erzählliteratur betreten: eine ‚schöne Jüdin‘ und ein ‚edler Jude‘, dazu ein christlicher Retter und künstlerischer Schöpfer; Ahasverus als literarischer Alleskönner und Allesverbinder, als unerschöpflicher Ideengeber für die Gestaltung literarischer Judenfiguren und als Bindeglied zwischen christlichem Heilsgeschehen und dem sich neu erfindenden Dichter als kunstreligiösem Erlöser; literarische Juden und Jüdinnen als Türöffner für unwahrscheinliche, bisweilen märchenhafte Erzählmöglichkeiten; jüdische Gegenfiguren zur Kontrastierung der „guten“ mit den „schlechten“ Juden aber auch christliche Gegenfiguren zur Kontrastierung des „wahren“ mit dem „falschen“ Christentum; nicht zuletzt ist die Verbindung zwischen Geschlecht und Religion augenfällig in diesem Fadenspiel aus Aktivität und Passivität, Sehen und Gesehenwerden, Erlösen und Erlöstwerden, Vergehen und Werden, Alt und Neu.
In diesem ersten, einleitenden Analysekapitel habe ich gezeigt, auf welche Weise literarische Texte untereinander und mit anderen Kunstformen über Epochen, Genres und Landesgrenzen hinweg in Kontakt treten und welche Vielfalt an mitunter unerwarteten Verknüpfungen und Querverbindungen die jüdischen Figuren hierbei ermöglichen. Anhand von IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle Den gamle Rabbin wurden, ergänzt durch den Vergleich mit zwei sehr unterschiedlichen Texten von AndersenAndersen, Hans Christian, literarische Topoi und Motive vorgestellt, die in den untersuchten Texten der folgenden Kapitel immer wieder aufgenommen, variiert, modifiziert und teilweise gebrochen werden. Unwahrscheinliches und Phantastisches wird in den Romanen und Novellen erzählt, immer wieder geht es um die Suche nach Gott und der Wahrheit, aber auch um eine nationale Selbstfindung, um eine gesellschaftspolitische Positionierung, um Geschlechterbilder und nicht zuletzt immer wieder um die Kunst selbst. Wenngleich Ingemanns jüdische Figuren nicht aus dem Nichts entstanden sind, sondern sich bereits in eine literarische Tradition einschreiben, legt Den gamle Rabbin doch eine Grundlage für die Vielzahl der dänischen Erzähltexte, die in den folgenden Jahren erscheinen.