Читать книгу Endlich Ruhe - Katharina Grabner-Hayden - Страница 11
Оглавление„Wien ist die lebenswerteste Stadt, man könnte fast auch sagen, sie ist die sterbenswerteste Stadt.“ Aus einer Rede von Peter Holeczek, Bestattung Wien
Shopping Queen
Ich würde einen respektlosen Umgang mit dem Tod pflegen. Das meinte zumindest meine geliebte Schwiegermutter ironisch lächelnd, als ich sie zu einem prominenten Wiener Bestattungsinstitut mit dem klingenden Namen Paradise forever begleitete. Die ganze Geschichte war ja auch zu komisch.
Ihrer Schwester Helene hatte das Schicksal völlig unerwartet einen Strich durch die Lebensplanung gemacht. Eigentlich wollte die steinreiche Ende Fünfzigerin – das genaue Alter erfuhren wir nie, obwohl sie weit über siebzig war – ein paar schöne Urlaubswochen auf Malta verbringen. Ihre absolvierte Kur in Bad Gastein war überaus anstrengend gewesen, sie musste sich von den Strapazen erholen. Helene hatte nach jahrelangem und übermäßigem Zigaretten- und Proseccokonsum tatsächlich einen Herzinfarkt überlebt, und nun das! Eine dumme Unaufmerksamkeit kostete sie das Leben. Bum, zack, und vorbei war es mit ihr. Dabei hatte sie noch an der Unfallstelle dem geschockten Taxifahrer im derbsten Wiener Fiakerjargon nachgebrüllt: „Sie maltesischer Volltrottel! Sie fahren ja auf der falschen Straßenseite!“ Sie hatte sich natürlich geirrt. In Malta gilt Linksverkehr, aber das war Gevatter Tod egal. Er hielt an Helene fest und zog ihre Seele zu sich, ihren Körper ließ er charmanterweise der Familie zurück.
Die Arme traf es tatsächlich „auf dem falschen Fuß“.
Da hatte sie ihr ganzes Leben ewiger Jugend und ewiger Schönheit geopfert, und nun kam für sie die göttliche Ewigkeit völlig überraschend. Wie üblich überließ der Allmächtige uns Hinterbliebenen die Kosten einer sündteuren Überführung, die Organisation des Begräbnisses, vor allem aber die schwierige Aufgabe, Helenes sterbliche Überreste nach den neuesten Modetrends zu bestatten. Sie hatte für diese Aufwendungen dreißigtausend Euro schon zu Lebzeiten bereitgestellt und testamentarisch verfügt, sie nach „dem letzten Schrei“ beerdigen zu lassen. Ihr Begräbnis sollte ganz den Vorstellungen einer Viviane Westwood entsprechen, nichts sollte daran erinnern, dass sie Spross einer bäuerlichen Kleinfamilie aus dem Waldviertel war.
Eigentlich war Helene mit ihren Kapricen meiner Schwiegermutter schon lange auf die Nerven gegangen, die beiden Schwestern waren wie Tag und Nacht. Während sich die eine mit Kindern, Haushalt und Beruf abquälte, besuchte die andere teure Fashionweeks in London, Paris und Mailand, sprach danach auch nur im besten Französisch und mokierte sich bei Familientreffen lautstark über die kalorienreichen österreichischen Gerichte, wo doch Austern viel bekömmlicher waren. Die Martinigans im November ließ sie sich dann aber trotzdem jedes Jahr genüsslich schmecken.
„Diese Frau kann einfach nicht in den Himmel kommen, die ist sogar dem Teufel zu schlecht!“, bemerkte ich wohlwissend, dass diese Aussage auf großes Verständnis bei meiner Schwiegermutter stoßen würde.
Kurze Zeit später saßen wir vor einem gut gekleideten Herrn, der uns mit süßlich-weicher Stimme in Empfang nahm. Es war nicht ganz von der Hand zu weisen, der Berater glich nicht nur in seinem Äußeren Guido Maria Kretschmer aus der Sendung Shopping Queen, er hatte dieselbe weibliche Art, uns zu verführen. Und wir ließen uns verführen – ganz leicht sogar.
„Gnädige Frau!“, fing er an, nachdem er uns hundertfach sein aufrichtiges Beileid für den schmerzlichen Verlust ausgesprochen hatte, und schob meiner Schwiegermutter die bereits vorbereiteten Kataloge unter die Nase. „Das letzte Bettchen Ihrer geschätzten Schwester muss sorgfältig ausgesucht und goutiert werden, das ist absolut wichtig. Ich darf in diesem Zusammenhang meinen Schöpfer, meinen Gott Karl Lagerfeld zitieren: ‚Ich finde es besser, wenn sich Leute im Grab umdrehen, als ewig oder – gar hässlich – zu liegen.‘ Ein Sarg …“, er legte bei diesen Worten die Hände vor seine Augen, „Gott, wie mich dieses brutale Wort immer wieder niederschmettert. Verzeihen Sie meine Emotionalität, also diese Ruhestätte sollte natürlich wirken! Dies entspricht auch dem neuen Trend von Klimaschutz, also kein Messing oder Eisen! Nein, aus Holz muss sie sein. Aber nicht irgendeine klimagebeutelte österreichische Kiefer oder Fichte. Ich stelle mir da etwas ganz anderes vor, zum Beispiel Mahagoni, Teak oder Bangkirai. Ein edles und hartes Holz, unverwüstlich und ästhetisch anspruchsvoll so wie die Verstorbene.“
Meine Schwiegermutter war von den Beschreibungen, mehr aber noch von diesem sprühenden Mann sichtlich angetan. Sie hatte ihren Kopf mädchenhaft kokett auf die rechte Schulter fallen gelassen und hing förmlich an seinen Lippen. Ich übernahm die Verhandlungen.
„Aber das sind ja alles Tropenhölzer!“, stellte ich fest, während ich mir die Bilder ansah. Die Särge waren wirklich betörend schön, entsprachen aber in keiner Weise der Forderung einer ausgeglichenen CO2-Bilanz.
Meinen Einwurf überhörte der Berater diskret und setzte sein Angebot fort, indem er wie eine Spinne meine Schwiegermutter umgarnte: „Schauen Sie sich bitte die Innenausstattung dieses Mahagonisarges an, hier liegt man leicht und bequem, man schwebt förmlich darin. Außerdem riecht das Holz göttlich, es würde Ihrer Schwester gefallen.“
„Wirklich?“, fragte meine Schwiegermutter bewundernd nach.
„Ein herrliches Gefühl, wenn Sie mich fragen, ich habe es schon getestet. In den Mittagspausen gehe ich immer wieder Probeliegen in meine Särge. Der Duft einer Fichte erinnert da eher an einen billigen Saunaaufguss im Wiener Amalienbad, auch die Eiche ist derb, Mahagoni hingegen belebt die Sinne!“
Unser „Mister Shopping Queen“ sprühte aus unterschiedlichen Flakons die Duftnoten der Hölzer auf dünne Papierstreifchen, zog diese gekonnt durch die Luft und ließ uns daran riechen.
„Tatsächlich!“, bemerkten wir beide und entschieden uns im Gleichklang für einen Sarg aus Mahagoni.
Immer höher stiegen wir beide in den göttlichen Olymp wahrer Fashionfreuden auf, während der Berater ein kleines Notizbüchlein zückte und die Preise eintrug.
„Nun zur Innenausstattung.“
„Innenausstattung?“, fragte ich zögerlich.
„Natürlich! Innenausstattung!“
Er legte die Sargkataloge zur Seite und informierte uns über die Bandbreite unterschiedlicher Stoffmöglichkeiten. Der Sarg könnte mit billigem Seidenkrepp ausgestattet werden, was die Verstorbene sicher nicht billigen würde.
„Mahagoni und Krepp? Gnädigste, ein No-Go in Modekreisen!“ Er bekreuzigte sich und richtete seine Augen Richtung Himmel. „Zu Mahagoni empfehle ich Schweizer Seide aus Rubigen. Die wird immer gerne genommen und ist der letzte Schrei in Wien!“
Gierig hatte meine Schwiegermutter in den Stoffballen gegriffen und schmiegte ihre Wangen in die Seide: „Ein herrliches Gefühl, da kriegt man ja richtig Lust zu sterben!“
Der Berater fing zu schmunzeln an: „Apropos Lust zu sterben, darf ich Ihnen ein Gläschen Prosecco anbieten?“
Wir nahmen dankend an, und während wir unseren Prosecco in langstieligen Gläsern genossen, hüpfte der Pseudo-Kretschmer um uns herum und zeigte uns Kostüme, Jacken, Röcke und Hosenanzüge, die zu Mahagoni und Schweizer Seide passten. Die Schwiegermutter entschied sich für ein cremefarbenes Kostüm mit weicher Bluse.
„Da habe ich aber jetzt wirklich ein Problem!“, näselte der Bestatter und schüttelte angewidert seinen Kopf. „Ach Herrje! Hier würde eigentlich die Farbe Flieder passen, ich habe die Bluse aber nur mehr in Perlmuttweiß, wie schrecklich!“
„Unmöglich! Sie bringen mich mit dieser modischen Entgleisung in unnötigen Stress! Helene würde das in keinem Fall akzeptieren!“, echauffierte sich meine Schwiegermutter und kam sich dabei wie Donatella Versace vor.
Der Berater beruhigte sie: „Ich kenne keinen Stress, ich kenne nur Strass, gnädige Frau!“ Danach bot er ihr einen mit Swarovski-Steinen besetzten Hosenanzug an, nach dem sie gierig griff. Er war zeitlos und schön.
„Und die Steine“, bemerkte meine Schwiegermutter vorausdenkend, „kannst du dann einmal bei mir weiterverwenden, wenn ich sterbe!“
Herr Guido küsste meiner Schwiegermutter galant die Hand: „Ich hoffe, Sie denken dann auch an mich und mein Institut!“
„Selbstverständlich!“, kicherte sie zurück und errötete wie ein Schulmädchen.
Groll stieg in mir hoch, und ich holte die beiden Turteltäubchen abrupt mit der Frage: „Und was kostet der ganze Spaß?“ aus ihrem Flirt heraus.
„Eine Okkasion, gnädige Frau! Das gesamte Begräbnis inklusive Sarg, Innenausstattung und Kleidung der verehrten Verstorbenen …“, er rechnete in seinem kleinen Büchlein und tippte wie wild auf seinem Smartphone herum, „also all inklusive … aber selbstverständlich ohne Totenmahl und Blumenschmuck … da kommen wir … auf … sagenhafte 34 000! Also noch günstiger geht’s nicht! Die zwölf altrosa Kerzen, die bei der Beerdigung dicht neben dem Sarg stehen, betrachten Sie bitte als Zeichen meiner Dankbarkeit.“
„Na das ist ja fantastisch!“, jubelte meine Schwiegermutter, mir fiel vor Schreck das Sektglas aus der Hand.
„Schwiegermama, wir reden von Euro und nicht von Schilling!“, zischte ich durch meine Zähne und zwickte sie dabei in den Unterarm, damit sie schnellstmöglich wieder erwachte. Wie im Zeitraffer erstarrte ihr Gesicht zu Stein. Ich konnte an ihren Fingern erkennen, wie sie versuchte, 34 000 mit 13,7603 zu multiplizierten. Als sie dann zu einem Ergebnis gekommen war – meine Schwiegermutter ist auch in Algebra ein Genie –, räusperte sie sich und erklärte ihren plötzlichen Meinungswandel mit näselnd-aristokratischer Wichtigkeit in ihrer Stimme: „Danke für Ihre freundliche Beratung, aber Ihr Angebot entspricht leider nicht ganz den Vorstellungen meiner Familie. Noblesse oblige, guter Mann, das Begräbnis sollte standesgemäß sein, wir haben immerhin gesellschaftliche Verpflichtungen! Meine Schwester hat sich Besseres, nein Außergewöhnlicheres verdient als eine derart ordinäre, verzeihen Sie, eben einfache Ausstattung wie in Ihren Katalogen. Wir präferieren da eher ein typisch österreichisch-josephinisches Bestattungsritual mit passender Bekleidung! Komm Liebes, wir gehen!“
Forsch zog sie mich hoch, wir stellten unsere – selbstverständlich geleerten – Sektgläser auf den Tisch und schritten erhobenen Hauptes in Richtung Ausgang. Der geschockte Mann konnte ihrem „josephinischen“ Argument nichts entgegenhalten – in Geschichte hatte er in der Schule wohl nie aufgepasst – und entschuldigte sich hundertfach für den modischen Fauxpas.
Tante Helene wurde also traditionell josephinisch begraben, ob sie wollte oder nicht. Die Verstorbene sollte bescheiden mit der alten, zerschlissenen Tracht ihrer Großmutter aus dem Waldviertler Bezirk Schrems in den Himmel auffahren. Der Sparsarg war aus Fichte, aber ohne Unterklappe, ganz pietätlos wollten wir nun doch nicht erscheinen. Die Kosten des Begräbnisses beliefen sich trotzdem auf dreißigtausend Euro. Fünftausend für die Bestattung und fünfundzwanzigtausend Euro für die Organisation „Licht ins Dunkel“.
Helene hat unsere kleine Planänderung sicher nicht bereut. Sie sitzt jetzt ganz vorne in den ersten und hellsten Reihen bei den Heiligen. Und solche Plätze kosten schließlich ein kleines Vermögen. Auch im Himmel.