Читать книгу Endlich Ruhe - Katharina Grabner-Hayden - Страница 13
Die Omama im Apfelbaum
ОглавлениеIch entstamme einer ultrareligiösen Familie. Meine Mutter, die Tanten und die Großmütter haben aus mir eine katholische Fundamentalistin gemacht. Auch wenn ich nach außen hin liberal und tolerant erscheine, geht der religiöse Wahnsinn irgendwie nicht weg. Nicht mit Hunderten Selbstfindungsseminaren und schon gar nicht mit Psychotherapie. Meine verstorbene Wiener Großmutter – Gott lass sie selig ruhen – hat immer gesagt: „Bist eine Katholikin, bleibst eine Katholikin. Das ist wie beim Schwimmen, das verlernst du nie!“
Mein schamanischer Freund Hans Dieter, den ich bei einem dieser „speziellen“ Seminare kennengelernt habe, sieht das ein wenig anders. Da müssen die Menschen nach ihrem Tod inkarnieren. Also, die kommen dann als Regenwürmer oder als Hühner irgendwo wieder auf diese Welt. Ist auch nicht schön, denke ich, da ist mir die Sache mit dem Himmel und der Hölle schon viel lieber, weil es unkomplizierter und für alle eindeutiger ist.
Aber so richtig Hölle, Sie verstehen, was ich meine? Mit Jüngstem Gericht vorher und danach ab in die Feuersbrunst, also mit Grillen am Rost und ewiger Verdammnis. Gut, liebe Leserinnen und liebe Leser, ich gebe es zu, eine kleine sadistische Ader, Katholizismus bedingt, liegt bei mir in den Genen. Warum ich das mit der Hölle so sicher weiß, fragen Sie sich? Na, weil die Großtante Mitzi im Fegefeuer schmort, und zwar richtig! Zu hundert Prozent.
Die Mitzi war die Schwester meiner Großmutter. Die zwei konnten sich schon zu Lebzeiten partout nicht leiden. Also kämpfte die Mitzi gegen die Omama, die Großmutter gegen meine Mutter, die Mutter gegen beide und ich gegen alle. So wie das in einer ganz normalen und gesunden Wiener Familie eben üblich ist. Und weil es für uns Katholiken ein Leben nach dem Tode gibt, hatten wir beschlossen, Großtante Mitzi sofort nach ihrem Ableben verbrennen zu lassen. Das hatte zweierlei Vorteile. Einerseits konnten wir der Großtante die schrecklichen Höllenqualen ersparen, denn was wollten die Teufel mit einer Handvoll Staub schon anfangen? Andererseits konnte sie meiner Großmutter im mineralischen Zustand nicht mehr viel anhaben.
Die zwei liegen nun seit fünfzehn Jahren friedlich nebeneinander in einem Grab am Döblinger Friedhof. Sonnig und mit Blick auf den Wiener Kahlenberg. Herrlich nicht? Der Platz ist so schön, da kriegt man selbst Lust aufs Sterben. Das Ganze hat damals ein Vermögen gekostet. Denn in Wien ist es nicht egal, wo du begraben liegst.
„Auf den Zentralfriedhof will ich nicht!“, plusterte sich meine – Gott selige – Großmutter immer auf, wenn vom Sterben die Rede war. „Am Zentralfriedhof liegen nämlich drei unangenehmen P’s begraben: Proleten, Politiker und Peitscherlbuam.“
Das war natürlich politisch und gesellschaftlich unrichtig und entsprach auch nicht der Wahrheit, und doch flossen ihr diese P’s derart herablassend und leicht von den Lippen, dass man annehmen musste, sie entstamme einem altrussischen Fürstengeschlecht. Dabei kam sie ursprünglich aus Ottakring. Sie wollte unter allen Umständen standesgemäß am Döblinger Friedhof ihre letzte Ruhestätte finden. Bei den Reichen und Schönen eben. Dort wäre es nett. Man bräuchte nicht auf die Straßenbahnlinie 71 warten, die ohnehin nie käme, und am Döblinger Friedhof sei es auch bedeutend ruhiger als in Simmering unter der Südosttangente. „Außerdem“, und das war wohl ihr wichtigstes Argument, „sind wir dann endlich entre nous“ – „unter sich“, was sie stets näselnd betonte.
Sie lachen jetzt? Dann erzähle ich Ihnen die Geschichte fertig. Sie werden sich wundern. Aber sagen Sie danach nicht, ich hätte Sie nicht vor meiner Familie gewarnt!
„Omilein“, hab’ ich ihr noch zu Lebzeiten gesagt, „bitte mach jetzt nicht alles komplizierter, als es ohnehin schon ist. Es ist doch vollkommen egal, wo du begraben bist. Mit oder ohne Blick auf den Kahlenberg, ob sonnig oder halbschattig, luv- oder leeseitig. Hauptsache jenseitig! Und selbstverständlich auf der richtigen Seite beim lieben Gott, nämlich rechts. Da kommen die Guten hin und links die Schlechten. Omi“, hab’ ich gesagt, „das ist wie im politischen Leben. Du bist im Himmel rechts der Mitte und damit bei den Guten, außerdem hast du ja immer brav deine Kirchensteuer gezahlt, oder? Die Kirchenbeitragszahler kommen immer in den Himmel. Und die Tante Mitzi? Die hat nie bezahlt, also ab in die ewige Verdammnis.“
Stur, wie sie war, hatte sie sich davon aber nicht überzeugen lassen. Sie hatte gewonnen und blieb bei ihrer Entscheidung, also Döbling.
Jedenfalls hab’ ich den beiden einen Apfelbaum gepflanzt, in der Mitte des Grabhügels, damit sie im Schatten liegen können. Äpfel liebte meine Großmutter, und ich freute mich darüber bei jedem Friedhofsbesuch wie ein kleines Kind. Es erinnerte mich nämlich an die herrliche Sommerzeit und an ihre spektakuläre „Einkocherei“. Omama kochte zu Lebzeiten alles ein, von A wie Apfelkompott bis Z wie Zucchini, Obst, Gemüse und alles, was eben verwertbar war. Wäre es technisch möglich gewesen – moralisch war es ihr egal –, hätte sie sogar meinen Großvater und den Hund gleich miteingekocht. Das Problem war, er passte nur zerstückelt in die kleinen Rexgläser. Aber das ist eine andere Geschichte.
Da das Grab am Rande der Friedhofsmauer steht, hat die Verwaltung das Apfelbäumchen übersehen, weil Obstbäume in Friedhöfen bekanntlich nicht erlaubt sind. Meiner Omama war der Baum recht und der Tante Mitzi in der Urne egal, weil die ja bereits zu Staub zerfallen war. Nach vielen Jahren ruft mich eines Tages ein aufgeregter Pompfüneberer an, also ein Friedhofsangestellter aus Döbling, und sagt:
„Frau Grabner, wir haben ein Problem mit Ihrer Großmutter!“
„Ein Problem? Mit meiner Omama? Aber die ist doch eh schon tot! Wie kann so eine Mausetote noch ein Problem machen?“
„Na, weil tot nicht gleich tot ist“, meint er. „Da gibt es welche, bum, zack und ab in die Kist’n. Dann gibt es wieder welche, die sind zwar tot, machen aber danach immer noch Stress. Sozusagen halbtot.“
„Sie sind ja betrunken, guter Mann!“, schreie ich ihn an. „Was erlauben Sie sich! Glauben Sie etwa, die Tante Mitzi und meine Großmutter sind Zombies geworden?“
„Na, gnä’ Frau! Ich bin nicht betrunken! Das klingt nur so.“
„Na eben, dann reden Sie nicht so ein wirres Zeug daher. Was ist denn los?“
„Am Grab Ihrer Großmutter steht a großer Bam …“
Ich falle ihm sofort ins Wort. „Ist der nicht schön? Ein wunderschöner Baum, ein Apfelbaum. Den hab’ ich vor fünfzehn Jahren gepflanzt, damit die Damen später im Halbschatten liegen können …“
„Genau das ist ja das Problem.“
„Was? Der Schatten?“
„Na, gnä’ Frau, der Bam.“
„Wieso ist der ‚Bam‘ ein Problem für Sie?“
„Für mich ist der kein Problem, aber für die MA 42!“
„Was hat die Magistratsabteilung 42 mit dem Baum von meiner Omama zu tun?“
„Gnä’ Frau, der ist zu groß!“
„Wieso ist der zu groß?“
„Wos was i. Zu gut gedüngt, der Boden. Fragen Sie nicht mich, ich bin ja kein Botaniker, aber irgendwas gefällt dem Bam so guat, dass er zu schnell gewachsen ist, und des mögen de von der MA 42 nicht.“
„Guter Mann, ich verstehe kein Wort!“
„Gnä’ Frau, laut Paragraf 1 Absatz 1 des Wiener Baumschutzgesetztes ist ein Baum, der einen Stammumfang von vierzig Zentimeter hat, in den Wiener Baumbestand aufzunehmen, oder wir miassen eam aussireiß’n.“
„Wie bitte? Ich verstehe nicht.“
„Fällen!“– Das sagt er mit einem derart wunderbaren L, dass ich sofort weiß, der Mensch kommt aus Wien-Meid- ling!
„Was fällen? Meinen Baum? Das Geschenk für Omama? Der Schatten, der herrliche Platz, noch dazu, wo das alles ein Vermögen kostet? Kommt überhaupt nicht infrage. Ich sage Ihnen eines, bevor Sie den fällen, kette ich mich an ihm fest wie damals in der Hainburger Au. Ich habe da als Studentin meine Erfahrungen gemacht. Dann hole ich den ORF, die werden mir dabei helfen, immerhin bin ich eine bekannte Schriftstellerin!“
„Na bravo, a Grüne und a Schriftstellerin! Grabner-Hayden? Den Namen kenn i net! Da könnten’S die Frau vom Putin sein oder de von dem Chinesen. Des ist der MA 42 nämlich wurscht. Ist mir auch egal, aber dann wird der Bam in den Wiener Baumbestand aufgenommen.“
„Na und? Dann soll er halt stehen bleiben!“
„Gnä’ Frau, des hob i von euch dreimalklugen Leuten echt schon satt. G’scheit daherreden und keine Ahnung vom Sterben haben. Wie sollen wir denn das Grab öffnen, wenn der Bam draufsteht?“
„Warum sollen wir denn das Grab öffnen?“
„Na, für die nächsten Toten.“
„Welche Toten? Es wird in naher Zukunft keine Toten in unserer Familie geben!“
„Des hot die Amy Winehouse a g’laubt. Und dann is die urplötzlich g’sturbn.“
„Ja, vergessen Sie die Winehouse, die macht mir keinen Stress. Außerdem stirbt jetzt niemand so schnell in unserer Familie.“
„Wie alt san Sie denn, gnä’ Frau?“
„Das geht Sie gar nichts an, Sie botanischer Irrläufer!“
„Warum Frauen immer so stur sand? Bin ich froh, dass ich mich hab’ scheiden lassen.“
„Ihre Beziehungsprobleme kratzen mich nicht die Spur. Also, das Grab bleibt zu und der Baum drauf! Zu hundert Prozent stirbt bei uns jetzt niemand.“
„Der Tod gibt keine Garantie, gnä’ Frau!“
„Jetzt hören Sie mir doch mit ihrem pseudophilosophischen Gequatsche auf! Wenn ich sage, es wird nicht gestorben, wird nicht gestorben. Basta.“
„Sehen Sie, genauso war meine Frau auch! Bin ich froh, dass ich die endlich los bin.“
Kurze bedrückende Stille herrscht am Telefon, dann fang ich wieder an: „So, was tun wir nun mit dem Baum?“
„Gemäß Paragraf 1 Absatz 1 …“
„Weiß ich. Weiter!“
„… kommt der Baum jetzt in den Wiener Baumbestand. Wenn sich dann doch irgendjemand entschließt zu sterben, können wir den Baum nicht so einfach wegreißen, weil wir sonst die Wurzeln beschädigen.“
„Wurzeln beschädigen? Das geht gar nicht! Meine Großmutter und die Tante Mitzi sind mittlerweile Teil dieses Baumes. Durch die Wurzeln ist das Karma der beiden weit verzweigt in den Ästen, das hat mir mein Schamane erklärt. Das Leben ist ein ständiger Fluss, ein Entstehen und Vergehen, eine Seelenwanderung. Die Omama ist sicher schon in den Spitzen des Geästs und die Tante Mitzi noch in den Wurzeln. Die Arme hat’s ja weiter, von ganz unten herauf.“
Fragt mich der Depp: „Frau Grabner, haben Sie was getrunken?“
„Was erlauben Sie sich!“
„Na ja, bei meiner Frau hat das auch so begonnen.“
„Verdammt, ich will jetzt nichts mehr über Ihre Verflossene wissen.“
„Woher wissen Sie das?“
„Was denn?“
„Dass meine Frau verflossen ist.“ Da fängt der Depp zu heulen an. „So etwas geht ganz schnell, zuerst die Scheidung, dann der Alkohol und dann zack, zack, zack – Herzinfarkt. Sie hat’s mir aber leicht gemacht, sie war eine Flussbestattung.“
„Eine was?“
„Eine Flussbestattung an der Donau. War etwas ganz Besonderes. Wird häufig und gerne genommen. Dann gibt’s a kane Probleme mit solche Bam wie dem Ihrigen. Also Ihnen kommt das Ganze jetzt auf 4000 Euro, weil wir den Bam mühsam ausgraben miassn. Oder Sie lassen eam fällen und pflanzen an neichn an einer anderen Stelle, dann kommt das Ganze nur auf 1080 Euro. Zahlen Sie den Betrag, wir lossen den Bam an der Stelle stehen, dann bleibt das Grab zu und ich mach’ Ihnen ein günstiges Angebot für eine Flussbestattung.“
Mir ist das dann echt zu blöd geworden, und ich hab’ dem Menschen gesagt, bei diesen horrenden Preisen bräuchte ich jetzt einmal einen Cognac. Hat der Pompfüneberer gesagt: „Frau Grabner, san’S vursichtig! Alkohol ist keine Lösung! Des hob’ i meiner Verflossenen a tausendmal g’sagt.“
Ich habe dann zwei doppelte Cognacs gebraucht und einfach aufgelegt. So viel Blödsinn musst du einfach unterbrechen, da brauchst nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben, wegen guten Benehmens oder so. Die MA 42, der Baum, das Karma, der Pompfüneberer und die zwei Damen bringen mich ins Grab. Dann trink ich noch ein Glaserl und noch eines und denke, so jetzt rufst du deinen Papa an. Papa löst dir einfach dein Problem, egal wie alt du bist. Ich höre seinen Namen und lalle in den Hörer:
„Du Papa, wir haben ein Problem. Der Baum von der Omama und von der Tante Mitzi ist zu groß, weil er mit dem Humus von der Oma und den Mineralstoffen von der Tante Mitzi so herrlich gewachsen ist, dass die MA 42 kommt und ihn in den Wiener Baumbestand aufnehmen will. Das kostet uns jetzt 4000 Euro. Wenn wir den fällen lassen, dann nur 1080 Euro, aber dann ist das Karma hin, weil die Omama sitzt schon in der Krone und die Mitzi ist gerade auf dem Weg zu ihr. Die braucht von der Hölle ja länger rauf. Stell dir vor, die müssten jetzt als Backhendl und als Wurm inkarnieren. Unmöglich! Das stört auch mein Karma und ich muss wieder Unsummen an Therapien zahlen, um mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das meint der Botaniker am Friedhof übrigens auch. Er hat mir eine Feuerbestattung angeboten, mit Fließwasser an der Donau. Das hat er mit seiner Frau auch gemacht, als sie ihm „verfloss“. Ich tu’ das jetzt, weil Anketten wie in der Hainburger Au ist mir zu blöd. Die Tante Hella und den Onkel Lothar werden wir Windbestatten lassen, das ist billiger. Ich hab’ mir das alles schon durchgerechnet. Die Frage ist nur: Was machst du, wenn Gevatter Tod an deine Türe pocht …?“
Mein Vater bleibt ganz ruhig: „Katharina, hast du was getrunken?“
„Ich? Wie kommst du darauf? Ich meine nur, Sterben in Wien ist schon kompliziert und Totsein erst recht.“
Papa meint, ich soll mich damit nicht mehr stressen, er erledigt das alles für mich. Nach ein paar Wochen ruf ich meinen Vater wieder an.
„Papa, wir müssen das noch klären, wegen des Baumes und der Omama.“
Da sagt mein Vater: „Das ist schon erledigt! Hast du nur endlich zum Trinken aufgehört, mein Kind?“
„Papa, ich trinke nicht! Was ist jetzt mit dem Baum?“
„Onkel Lothar und ich haben ihn abgesägt und einem Tischler gegeben.“
„Was habt ihr gemacht? Ihr habt ihn abgesägt?“
„Ja, abgesägt. Er wurde zu Brettern geschnitten und verarbeitet.“
„Aber das könnt ihr doch nicht machen! Da waren doch die Omama und die Tante Mitzi drinnen! Mein Karma, ihre Wiedergeburt, keine Chance auf Auferstehung! Seid ihr wahnsinnig?“
„Wäre ja schade um das schöne Holz gewesen!“
„Papa, weißt du eigentlich, was so eine Rückführungstherapie kostet?“
„Jetzt mach’ ich mir aber ernsthaft Sorgen um dich! Schmeiß den Cognac endlich aus dem Haus!“
Ich war fix und fertig, wegen der Omama, dem Karma, und überhaupt wegen der Tante Mitzi, die war ja gar noch nicht soweit.
Zu meinem fünfzigsten Geburtstag habe ich von meinem Vater einen gemütlichen Schaukelstuhl aus einem ganz seltenen Holz bekommen. Apfel. Er meinte zwar, er habe ihn günstig bei seinem Tischler erstanden, ich bin aber überzeugt, dass er ihn hat machen lassen, und zwar aus dem Apfelbaum, in dem die Tante Mitzi und die Omama wohnen.
„Hier liegen Sie richtig“, hat der Tischler ironisch lächelnd gemeint. Er hat diesen Satz sogar zu seinem neuen Logo erhoben und sich auf Friedhofsbäume mit Ahnenvergangenheit spezialisiert. Sein Geschäftsmodell muss etwas an sich haben, die Leute rennen ihm für diese spirituelle Art von Gartenmobiliar förmlich die Türe ein. Und irgendwie ist es schon bemerkenswert, denn in meinem neuen Schaukelstuhl schlafe ich wirklich „wie eine Tote“.
Jetzt können Sie, liebe Leserinnen und Leser, aufstehen und sich ein Gläschen Cognac gönnen. Den haben Sie sich verdient!