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Ein Grab ist die beste Kapitalanlage!

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Eigentlich hätte sich meine Familie glücklich schätzen können, als Tante Erna und Onkel Hermann „das Zeitliche“ gesegnet hatten. Man gab sich der trügerischen Hoffnung hin, sie endlich los zu sein. Keine Schwärmereien mehr am Tisch über die Ach, so schönen alten Zeiten oder zynische Bemerkungen über die schreckliche Jugend von heute. Vorbei waren die enervierenden sonntäglichen Mittagstische mit fettigem Schweinebraten und Malakofftorten, an denen die Familie wie dressierte Lipizzaner, geschniegelt und gebürstet, den lieben Verwandten vorgeführt wurde.

Endlich rückten intellektuell anspruchsvollere Gespräche in den Vordergrund, als dass man sich über orthopädische Gehhilfen oder unappetitliche Leibstühle unterhielt. Ein Irrtum, wie sich herausstellte, denn Gott ließ die lieben Verstorbenen spätestens bei der Testamentseröffnung mit einer derartigen Vehemenz in Erscheinung treten, dass man versucht war, wieder an die leibliche Auferstehung zu glauben. Sie hinterließen nämlich nicht nur die Streitereien um alte Bilder, Münzen oder Schmuck, nein, sie vererbten sich in Form von teuren Gräbern weiter und wurden damit für die Hinterbliebenen zu nervenaufreibendem Dauerstress.

Während sich meine Schwestern im Laufe der Jahre über stattliche Bareinlagen und Schmuck freuten, konnte ich mich „stolze Besitzerin“ von fünf Gräbern in Wien und Wien-Umgebung nennen, denn die lieben Tanten und Onkeln hatten mir ihre letzte Bleibe als sogenanntes Dauergrabnutzungsrecht hinterlassen. Sie wussten von meiner Liebe zu Friedhöfen und dachten sich alle insgeheim, in mir einen Trottel gefunden zu haben, der ihnen wöchentlich die Ruhestätten pflegen und die obligaten Grablichter anzünden würde. Doch der Trottel begann sich zu wehren.

„Warum muss sich Dankbarkeit für hingebungsvolle Pflege immer nur in Form von Gräbern ausdrücken?“, fragte ich frustriert meinen Mann. „Ich wäre mit Tantes doppelreihiger Perlenkette genauso glücklich gewesen!“

„Weil du einfach mehr verdienst als die Verwandtschaft!“, bekam ich zur Antwort, was mich nicht wirklich befriedigte.

„Ach so, du hältst ein Grab für die adäquate Abgeltung für Arzt- und Krankenhausbesuche, Haushaltsführung und Körperpflege?“, fauchte ich zurück.

„Ja und wie!“, meinte er. „Ein Grab in Wien ist hundertmal mehr wert als gewöhnlicher Schmuck!“

In keiner Weise konnte ich ihm beipflichten, immerhin mussten die Gräber auch gepflegt werden, was wieder enorme Kosten und Gebühren nach sich zog.

Als sich nun Tante Erna in „die ewigen Jagdgründe“ – Manitu sein Dank – verabschiedet hatte, vererbte sie hinterhältig, wie sie war, ihren Smaragdring meiner Cousine Sonja, das teure Augarten-Porzellan meiner Schwester und die kleine Eigentumswohnung einer dauerdepressiven Ewigstudentin namens Marlies, die sich die letzten Jahre rührend um sie gekümmert hatte. Eine Eigentumswohnung, so die Meinung der alten Tante, würde Marlies’ Chancen auf dem Heiratsmarkt erhöhen, was sich natürlich nicht bestätigte. Marlies blieb trotz Eigentumswohnung ledig. Mir hatte sie „großzügig“ das Familiengrab am Grinzinger Friedhof vererbt.

Wie wunderbar, Grab Nummer sechs! Das war mir nun endgültig zu viel des Guten. Ich sprang bei der Testamentseröffnung vom wuchtigen Fauteuil des Notars in die Höhe und schrie in die Runde, ich würde um nichts in der Welt ein weiteres Grab annehmen, immerhin hatte ich schon Unmengen davon.

„Wie viele denn?“, fragte der Notar erstaunt nach.

„Mit Tante Ernas Grab sind es nun sechs! Sechs Gräber, sechs Leichen und sechsmal Gebühren und Kosten für die Gärtner und die Friedhofsverwaltung!“, schlug ich verzweifelt um mich. Meinem flehenden Angebot, zwei der Gräber mit Marlies’ Eigentumswohnung oder dem Smaragdring von Sonja zu tauschen, konnten weder der Notar, noch meine gierige Verwandtschaft etwas abgewinnen. Außerdem sei ich undankbar und pietätlos dazu, den letzten Willen der lieben Verstorbenen in derart brüsker Weise von mir zu weisen, meinte Cousine Sonja, während sie bewundernd ihren Smaragdring am Finger drehte.

„Miststück!“, dachte ich und nahm Grab Nummer sechs in Grinzing murrend an, was mein Mann freudestrahlend zur Kenntnis nahm.

„Mein Gott, ärgere dich nicht, was gibt es denn Schöneres, als später einmal in Grinzing begraben zu werden? Noch dazu mit herrlichem Blick auf den Kahlenberg!“

„Das ist mir völlig wurscht, wo und mit welchem Ausblick ich einmal begraben werde! Gefressen werde ich sowieso. Wurm ist Wurm, egal ob in Döbling, Grinzing oder sonst wo! Ich pfeife auf Familientraditionen und lasse mich einmal verbrennen, damit meine Kinder keine Probleme mit mir haben. Entweder stellt ihr mich als Vase ins Wohnzimmer, verscharrt mich oder pustet mich als Dünger in den Garten!“

Warum nur musste ich ständig für die verkorksten Ansichten meiner Großfamilie büßen? Ärgerlich nahm ich Tante Ernas letzten Willen an.

Zu Jahresbeginn flatterten auch schon die ersten Rechnungen unterschiedlicher Friedhofsverwaltungen ins Haus.

Grab Nummer eins von Onkel Peter am Zentralfriedhof, ein Erdgrab mit Riesensteinmonolit und Kreuz, Miete und Grabpflege um sagenhafte tausendeinhundert Euro pro Jahr! Grab Nummer zwei und drei am Döblinger Friedhof. Tante Erna und Onkel Hermann konnten sich zeitlebens nicht vertragen und schliefen in getrennten Ehebetten. Dies sollte auch nach ihrem Tod beibehalten werden. Beide Ruhestätten waren vergleichsweise bescheiden, ein Granit mit Umrahmung und Kiesel. Jahresmiete: fünfhundert Euro pro Person. Onkel Kurt, Mitglied des Wiener Gemeinderates, bestand auf einem Grabmal in Gestaltung eines überdimensionalen Steinsarkophags, der seiner politischen Gesinnung auch im Jenseits entsprechen sollte. Jährliche Miete von ungeheuerlichen tausendachthundert Euro, dafür keine Grabpflege. Großcousine Martha „schlief“ in Liesing um proletenhafte sechshundert Euro. Die Urgroßeltern ruhten günstig in Klosterneuburg. Siebenhundert Euro Miete – das entsprach fast schon einem in Wien üblichen „Friedenszins“– plus tausendzweihundert Euro, weil wir uns testamentarisch dazu verpflichten mussten, die Eibe, die vor dem Grab stand, entfernen zu lassen. Der Baum versperre den Blick auf die Donau, hatten die beiden schon zu Lebzeiten moniert. Die Möglichkeit, die Urgroßeltern im Grab der Schwiegerfamilie, ebenfalls am Klosterneuburger Friedhof, bestatten zu lassen, kam erst gar nicht in Betracht, weil sich die Schwiegertochter und die Schwiegermutter wie Katz und Hund gehasst hatten, bedingungslos auch im Jenseits.

Obwohl ich stolze Besitzerin von Dauernutzungsrechten auf Grund und Boden in Wien und Wien-Umgebung war, fraßen mich die Grabgebühren systematisch auf. „Wir können uns die vielen Gräber einfach nicht mehr leisten!“, herrschte ich meinen Mann an und warf ihm die vielen Jahresabrechnungen der Friedhofsverwaltungen theatralisch auf den Küchentisch.

„Warum denn nicht? Ich dachte, du verdienst als Schriftstellerin genug mit deinen Büchern?“

„Die Kosten gehen in die Zigtausende! In Zukunft werde ich meinen Verlag veranlassen, die Hälfte meiner Honorare direkt an die Friedhofsverwaltungen und Gärtnereien zur Anweisung zu bringen, weil unsere Verwandten alle exaltierte und streitsüchtige Trottel waren!“

Diese egoistische Form der Single-Bestattung in meiner Familie war unökonomisch und in höchstem Maße unökologisch. Die vielen Gräber trugen zu einer massiven Bodenversiegelung bei, mir wäre zu diesem Zeitpunkt ein simples Massengrab für die liebe Verwandtschaft weit lieber gewesen.

Für die Lösung meines Problems gab es nun zwei Möglichkeiten. Entweder musste ich einen Bestseller schreiben, um mich aus dem finanziellen Desaster zu befreien, oder die Toten samt ihrer Gräber irgendwie loswerden. Ich entschied mich für die zweite Variante, Erstere schien mir doch etwas zu illusionär, weil es leichter ist, sich seiner Toten zu entledigen, als in Österreich als Satirikerin zu reüssieren.

Die Frage war nur, wie? Ich rief einige Bestattungsunternehmen an und traf mich heimlich mit den Herren. Nach einigen Sondierungsgesprächen hatte ich einen älteren, offensichtlich bestechlichen Quasimodo zur Hand, der die Totenruhe um tausend Euro und zwei Flaschen Schnaps „vergessen“ wollte, um mir bei meinem perfiden Plan zu helfen. Wir hatten vor, Erna, Frieda, Hans und den Rest der Verwandtschaft heimlich auszugraben, und diese zu Onkel Kurt in den großen Steinsarkophag am Döblinger Friedhof zu legen. Die nun freigewordenen Grabstellen konnte ich danach zwar höchst illegal, aber sündhaft teuer an Hundebesitzer weitervermieten. Unter der Hand, versteht sich.

Pro Erdgrab brächte ich drei mittelgroße Hunde wie Dalmatiner oder Golden Retriever unter, nur beim Grinzinger Friedhof wollte ich eine Ausnahme machen und dort kleine Schoßhündchen wie Malteser oder Chihuahuas ganz nach den Wünschen betuchter Paare würdevoll bestatten lassen. Mit dieser Größe gingen sich dann bis zu sechs Vierbeiner pro Grab aus. Mein Kalkül für einen Chihuahua fünftausend Euro, bei einer durchschnittlichen Liegezeit von fünf Jahren zu verrechnen, würde sicher eine entsprechend große Nachfrage finden. Hundebesitzer sind bekanntermaßen eine dankbare und finanzkräftige Klientel. Sie zahlen ein kleines Vermögen, damit ihre Lieblinge auch menschlich angemessen in den Himmel kommen. Döbling, Währing und Klosterneuburg waren für die Hunde ideal und verschafften mir den Reichtum, den ich mir schon längst verdient hatte.

Als ich mit Gummistiefeln und Spaten bereits vor der Türe stand, versperrte mir Odysseus den Weg. Ich konnte es nicht fassen. Mein Odysseus, wie ich meinen geliebten Ehemann bewundernd nannte, fiel mir in den Rücken! Mein griechischer Held – immerhin hielt er es in meiner Großfamilie bereits dreißig Jahre aus –, der mich stets listig und mutig durch die Wogen des Lebens begleitet hatte, er stand nun breitbeinig vor mir und hinderte mich daran, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen.

„Kommt doch überhaupt nicht infrage! Ich lasse es nicht zu, dass du diese wunderbaren Friedhöfe zu Hundezonen machst!“, meinte er zornig und entriss mir das Werkzeug.

„Gut, wie du willst! Wenn du mich daran hinderst, dann lasse ich mich scheiden und heirate eben einen Pompfüneberer, dann bin ich endlich meine Sorgen los!“

Odysseus schmollte, weniger über die Androhung einer möglichen Scheidung als über die Tatsache, dass ich ihm einen faden Sargträger vorzog.

Ich ging trotzdem und wartete in der Dunkelheit vor der Friedhofsmauer auf meinen Komplizen, der … auch nach Stunden … nicht erschien.

Der gute Mann hatte Tage zuvor das Geld und den Schnaps dankend angenommen und einfach auf mich vergessen. Sauerei! Frustriert fuhr ich nach Hause und ließ mich heulend am Küchentisch nieder. Vorbei war mein Plan, vorbei mein Traum, keine toten Malteser oder Golden Retriever und somit auch kein Geld.

Vor mir lag die Post, darunter ein Brief aus Linz mit schwarzer Umrandung. Fein, wieder einer aus der Verwandtschaft gestorben, dachte ich und trank ein Glas Prosecco zur Prophylaxe. Sterben war in jeder Hinsicht frustrierend. Jetzt war mir klar, weshalb die Bestatter dem Alkohol so wohlwollend zugetan waren.

Gestorben war die kinderlose Tante Maria, die Arme, im 96. Lebensjahr. Sie hatte mir ein Grabmal, einen Epitaph am Linzer Stadtfriedhof hinterlassen, gleich neben dem oberösterreichischen Altlandeshauptmann, mit der Bedingung, es die nächsten zwanzig Jahre zu betreuen und zu besuchen. Das Grab wäre eine Okkasion und als letzte Ruhestätte nicht nur ästhetisch, sondern auch gesellschaftspolitisch höchst attraktiv. Immerhin „schlief“ sie neben einem verdienten Landeshauptmann und ÖVP-Politiker, hatte sie mich brieflich wissen lassen.

Ich sank in den Sessel und ließ die Benachrichtigung aus meinen Händen gleiten. Neeeein! Nicht schon wieder! Als Dankeschön für die Pflege ihres Grabes hatte sie mir testamentarisch ihr altes Haus gleich neben dem Friedhof überschrieben, das ich für meine Großfamilie nutzen konnte. Da hatte ich zu allem Übel in Form des Grabes Nummer sieben noch eine baufällige Ruine am Hals. Ich trank wieder einen beherzten Schluck und gab auf. Mir blieb eben nichts anderes übrig, als einen Bestseller zu schreiben, also setzte ich mich an meinen Computer und fing wie rasend zu tippen an.

Nach ein paar Monaten erhielt ich einen Brief des Linzer Magistrats. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Mortalität der Bevölkerung bestünde seit Jahren großer Mangel an Grabstätten. Man gedenke, den Linzer Friedhof großzügig zu erweitern und mit Zufahrtsstraßen zu versehen. Den Bauvorhaben stünden nun das Haus und der Grund von Frau Maria W., also meiner verstorbenen Tante, im Wege, wofür man mir eine Summe von hundertfünfzigtausend Euro als Abgeltung anbieten würde. Aufgrund meines ausgeprägt wirtschaftlichen Denkens, immerhin habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert, einigte ich mich mit der Linzer Verwaltung auf einhundertsiebzigtausend Euro.

Für einige Zeit habe ich meinen Schreibtisch und auch meinen neuen Bestseller verlassen. Ich kontrolliere nun den Baufortschritt am Döblinger Friedhof. Onkel Kurt habe ich einäschern lassen, er liegt jetzt bei Tante Erna im Grab, ich brauche nämlich seinen großen Sarkophag für mich und meine Familie.

Weil – ganz ehrlich – der Blick auf die Stadt Wien und auf den Kahlenberg ist von dort aus schon überwältigend schön und eigentlich für Vierbeiner viel zu schade!

Endlich Ruhe

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