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ОглавлениеARS MORIENDI oder die Kunst des Sterbens
Das Verlagshaus Aeterna hat in seiner jüngsten Ausgabe ein neues, brandaktuelles Buch ARS MORIENDI vorgestellt, einen Ratgeber, den Sie unbedingt beachten sollten, wenn Sie vorhaben, der Endlichkeit zu entschlafen.
ARS MORIENDI ist der neue Elmayer unter den Benimmbüchern und gibt sinnvolle und zeitgemäße Tipps für die letzte und vielleicht anspruchsvollste Zeit. Von Bestattungsformen und Dresscodes, von der richtigen Anrede Gottes bis zu korrekten Verhaltensregeln im Jenseits spannt sich der formvollendete Bogen menschlichen Miteinanders. Die kleine Fibel ist somit ein unverzichtbarer Begleiter in allen Lebenslagen mit mehr oder weniger finalem Ausgang. ARS MORIENDI ist im praktischen Handtaschenformat erschienen und im gut sortierten Buchhandel erhältlich.
1.Reiseproviant
Wenn Sie in alle Ewigkeit schlafen, dann stets mit vollem Bauch. Hungrig seine letzte Reise anzutreten, kann sehr unangenehm werden. Dabei sind Zerealien wie Getreideflocken und Nüsse als leichter Snack zwischendurch empfehlenswert. Auch Salate und Rohkost können Ihren Kalorienbedarf decken. Hüten Sie sich vor Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Linsen. Mögliche Flatulenzen könnten Ihre Mitreisenden oder Begleiter empfindlich stören.
2.Reiseapotheke
Um kleineren Angstschüben oder Panikattacken vorzubeugen, ist es ratsam, bereits vor dem Ableben Beruhigungsmittel einzunehmen. In diesem Zusammenhang haben sich Pharmazeutika aus der Gruppe der Benzodiazepine wie Xanor oder Valium bewährt. Sollten Sie schon zu Lebzeiten gegen jede Form gesellschaftspolitischer Beeinflussung durch Pharmariesen gewesen sein, so können Sie gerne zu alternativ-medizinischen Produkten greifen. Hier bieten sich Baldriantropfen oder Bachblütenmixturen an. Auch Marihuana ist in diesem Fall ein wirkungsvolles Mittel, wenn auch schwerer zu beschaffen. Ihre Angehörigen können Sie dabei beraten und Ihnen behilflich sein. Am besten besprechen Sie Ihre Wünsche vorher mit Ihrem Anästhesisten oder dem Dealer Ihres Vertrauens.
3.Reisewünsche
Vorsicht ist geboten bei Nahtoderfahrungen. Sie könnten auf Sie euphorisch wirken, manchmal auch etwas unangenehm sein. Hier handelt es sich – noch – nicht um eine göttliche Erscheinung, sondern um rein neurophysiologische Vorgänge, die von der Wissenschaft als Halluzinationen beschrieben werden. Verlassen Sie deshalb umgehend und schnell den Raum. Zynische oder ironische Bemerkungen von Ärzten oder Verwandten schaffen negative Energien und können Ihr Karma im Jenseits empfindlich stören.
4.Reisebekleidung
Wichtig ist die richtige Bekleidung. Dabei sollte unbedingt Bequemlichkeit im Vordergrund stehen. Von leichten Badekostümen oder Radfahreroutfits ist aus Gründen der Pietät in jedem Fall aber abzuraten. Denken Sie dabei bitte auch an die ästhetischen Gefühle von Mitarbeitern diverser Bestattungsinstitute. Karl Lagerfelds Merksatz „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, entfaltet erst im Tod seine wahre Bedeutung.
5.Reiseutensilien
Ihre Wohnung oder Ihr Haus sollte in sauberem und tadellosem Zustand, also schlüsselfertig und besenrein übergeben werden. Sie ersparen sich dadurch jede Form von übler Nachrede. Sollten Sie sich aber von liebgewonnen Gegenständen wie Bildern, Büchern, Schmuck, Kleidung oder Sextoys nicht trennen können, dann ist es kein Problem, diese in Ihrer Gruft deponieren zu lassen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Grundsatz, sich im Jenseits auch entsprechend wohlzufühlen.
6.Reisekosten
Ein Testament kann, muss aber nicht unbedingt von Vorteil sein. Die Erben werden auf alle Fälle streiten. Am klügsten ist es, bereits vor dem Ableben das gesamte Vermögen heimlich auszugeben. Gönnen Sie sich etwas Schönes und ersparen Sie sich und Ihren Angehörigen unnötige Konflikte.
7.Reiseziele
Auch wenn Sie sich in den ersten drei Tagen nach dem Entschlafen wie im Urlaub fühlen, so handelt es sich doch um die sogenannte Schleusenzeit, eine Zeit der inneren Einkehr, aber keiner möglichen Umkehr. Gehen Sie den langen, dunklen Tunnel zügig voran, machen Sie keine unnötigen Abzweigungen und lassen Sie sich von nichts und niemandem ablenken, vor allem nicht von Ihrem Smartphone. Bilder auf Instagram oder Facebook zu posten, macht wegen Unterbelichtung keinen Sinn und verletzt die Privatsphäre und Datenschutzrechte Ihrer Mitreisenden. Sie benötigen für die letzte Reise weder GPS, Karte oder Kompass, der Weg ist unkompliziert. Folgen Sie einfach dem hellen Licht am Ende des Tunnels. Dort angekommen, die erste Türe rechts.
8.Reisewegweiser
Eine gute Vorbereitung ist der Schlüssel für eine gelungene Erleuchtung. Verschiedenste Religionsgemeinschaften und Sekten halten ein reichhaltiges Potpourri an Heilsversprechen und Gottesvorstellungen für jeden Geschmack bereit. Lassen Sie sich vom Überfluss des Angebots inspirieren und legen Sie Ihre Prioritäten für das Leben danach rechtzeitig fest. Nach dem Ableben entscheiden Sie, wie Sie sich weiterentwickeln wollen. Die linke Seite weist Ihnen den Weg zur Reinkarnation, also zur Wiedergeburt. Rechts geht es zum Paradies.
Für Unentschlossene gilt folgende Regel: Verlassen Sie sich nicht auf den volkstümlich bekannten Limbus puerorum, einen Art Zwischenhimmel für Unschuldige. Denn auch hier ist Vorsicht geboten. Aufgrund theologischer Unstimmigkeiten über dessen wahrer Existenz raten unsere Redakteure ausdrücklich davon ab, auf diesen „Zwischenhimmel“ als dritte Alternative zu vertrauen. Er wurde von Papst Benedikt XVI. als entbehrlich eingestuft und existiert nicht mehr.
9.Reiserisiken und Wiedergeburt
Dass das Risiko die Bugwelle jedes Erfolgs ist, gilt bei der Reinkarnation nur zum Teil. Je nach Erkenntnisgrad und persönlicher Einsicht reicht das Portfolio einer Wiedergeburt von einem stattlichen Lipizzaner – besonders bei Wienerinnen und Wienern beliebt –, unzufriedenen Nacktschnecken bis hin zu unterschiedlichen Bakterienarten. Vorsicht! Auch Corona-Viren sind in der letzten Zeit schon häufiger vorgekommen und werden immer beliebter. Sehen Sie es sportlich: Dabei sein, ist alles!
10.Viel Glück und Erfolg
Ein guter Rat für Ihren Weg: Gehen Sie unbedingt auf die rechte Seite, auch wenn es sich für Sie politisch nicht korrekt anfühlt. Das Paradies lockt zwar nicht mit irdischen Bekömmlichkeiten, dafür bewegen Sie sich in einem Zustand ewiger Erleuchtung. Allgemein wird angenommen, dass dieser Zustand auch mit dem absoluten Glück vergleichbar ist. Dass diese Erleuchtung bei einigen auch Höllenqualen verursachen kann, liegt nicht an der Organisation des Paradieses – Es gibt kein Purgatorium! –, sondern schlichtweg an der Erkenntnis: „Ach, was war ich doch im Leben für ein Volltrottel!“
Ein kleiner Tipp als Postskriptum:
Lassen Sie sich nach Ihrem Ableben keine Münzen auf Ihre Augen legen, das hat bereits in der griechischen Antike zu Irritationen geführt. Stecken Sie einfach zehn Euro in Ihre rechte Socke oder Ihren rechten Strumpf. Diese kleine Geste erfreut Ihre Bestatter und sichert Ihnen einen beschwerdefreien und sanften Abgang aus dieser Welt.