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Metamorphosen (»Verwandlungen«)

Die Metamorphosen, ein in Hexametern verfasstes Epos in 15 Büchern, stellen eine deutliche Abkehr von Ovids relativ kurzen elegischen Werken dar. Wie vom Dichter im Proömium angekündigt, handeln sie von »Formen verwandelt in neue Gestalt« (1.1–2), das heißt Verwandlungsmythen. Die Metamorphose war ein Lieblingsthema der griechischen Literatur. Gelehrte Werke wie die Heteroioúmena (»Wandlungen«) des Nikander (2. Jh. v. Chr.) dienten dem römischen Dichter möglicherweise als Quellen. Ovids Vorhaben ist jedoch weitaus ambitionierter als alle früheren Kataloge von Transformationen. Am Ende des Proömiums bittet er die Götter, sein Lied »von den ersten Anfängen der Welt bis in mein eigenes Zeitalter zu geleiten« (1.3–4), und stellt damit die Universalität seines Gedichts heraus, das den Anspruch erhebt, von Verwandlungen, die bei der Entstehung des Kosmos stattfanden (wie zu Beginn des ersten Buches beschrieben), bis zu solchen aus der Regierungszeit von Julius Caesar und Augustus (wie am Ende von Buch 15 erwähnt) zu berichten.

Ovids Stoffe sind nach heutigen Maßstäben weitgehend mythologisch (mit der Einschränkung, dass in der Antike die Grenzen zwischen Mythos und Geschichte fließend waren, sodass etwa die Geschichte des Aeneas sowohl dem einen wie dem anderen Bereich zugeordnet werden konnte), und es gelingt dem Dichter, die meisten bedeutenden griechisch-römischen Mythen (wie den Trojanischen Krieg und die Taten des Herkules) sowie eine Vielzahl weniger bekannter Geschichten in den Verlauf der Metamorphosen zu integrieren. Damit schuf er ein Kompendium der antiken Mythologie, das in allen Epochen der europäischen Kulturgeschichte von Autoren und Künstlern als Handbuch benutzt wurde (siehe auch Kapitel 8 zur Ovidrezeption in der Kunst der Renaissance und des Barock). Das Gedicht ist in drei Blöcke von je fünf Büchern aufgeteilt, eine Struktur, die mit dem chronologischen Fortschreiten des Werkes im Einklang steht. Die Bücher 1–5 behandeln die Taten der Götter, die Bücher 6–10 berichten über die Abenteuer von Heroen und die Bücher 11–15 erzählen von sterblichen Menschen.

Beim Verfassen der Metamorphosen musste Ovid das Problem lösen, eine immense Zahl von Einzelgeschichten (etwa 250) in eine übergeordnete Erzählung zu integrieren. Dies gelang ihm mit Hilfe verschiedener Methoden. So variierte er die Länge und die Gewichtung einzelner Mythen (auf manche wird lediglich mit wenigen Worten angespielt, anderen sind mehrere hundert Zeilen gewidmet), verschachtelte Geschichten ineinander durch die Einführung von Binnenerzählern (etwa ein Drittel des Textes besteht aus eingebetteten Erzählungen) und erfand raffinierte Übergänge von einer Geschichte zur nächsten. Wenn es so auch möglich ist, die Metamorphosen nach bestimmten Mythen zu durchforsten oder einzelne Episoden unter Vernachlässigung des Kontexts zu lesen, erschließt sich das volle Ausmaß von Ovids Virtuosität doch nur denen, die das Gedicht von Anfang bis Ende »durchreisen«.

Nicht alle Geschichten in den Metamorphosen berichten tatsächlich von Verwandlungen, und etliche der geschilderten Transformationen sind nur lose mit den Erzählungen verbunden, in denen sie sich ereignen. Dennoch ist die Verwandlung das zentrale Thema des Gedichts, und es bereitet Ovid großes Vergnügen, viele der unheimlichen Verwandlungen (meist von Menschen in Tiere oder Pflanzen), die sich im Verlauf der Geschichte ereignen, detailliert zu beschreiben. Die Bedeutung der Metamorphose ist vielschichtig. Zum Ersten erklären Verwandlungsmythen den Jetztzustand der Welt (nach dem Muster von »Wie der Leopard zu seinem Muster kam«) und geben beredtes Zeugnis vom großen Interesse der Griechen und Römer an der Aitiologie (von griechisch aítion, »Ursprung[sgeschichte]«). Zum Zweiten macht die Metamorphose häufig einen inhärenten Charakterzug der verwandelten Person sichtbar, wenn zum Beispiel der »wölfische« Lycaon in Buch 1 tatsächlich zu einem Wolf wird. In gewisser Weise ist die Metamorphose eine zur Wirklichkeit gewordene Metapher und die Welt der Metamorphosen somit ein Bereich, in dem Sprache lebendig wird. Drittens und letztens vermittelt die endlose Abfolge von Verwandlungen in dem Gedicht die Vorstellung einer Welt, die sich in ständigem Fluss befindet. Diese Sicht wird in der Rede des Philosophen Pythagoras artikuliert, die einen großen Teil des 15. Buches einnimmt (75–478). Obwohl Pythagoras weitgehend als komischer Charakter konzipiert ist, bringt er doch bestimmt das Wesen des Gedichts auf den Punkt, wenn er das universale Gesetz formuliert, »dass nichts seine Form beibehält« (15.252).

Da der Mythos den Hauptgegenstand der griechischen und römischen Literatur ausmachte, musste sich ein Werk, das eine Vielzahl mythologischer Geschichten erzählt, unvermeidlich mit einer Vielzahl literarischer Vorgänger auseinandersetzen. Daher sind die Metamorphosen ein in hohem Maße intertextuelles Gedicht, das mit zahlreichen Quellen aus vielen Gattungen originell interagiert, unter anderem mit den homerischen Epen, der griechischen Tragödie und dem hellenistischen Kurzepos, dem Epyllion. Von besonderem Interesse ist Ovids Verhältnis zu Vergil. Schon zu Ovids Zeit galt Vergils Aeneis als das klassische römische Epos schlechthin, und der jüngere Dichter hielt es – wie viele lateinische Epiker nach ihm – für notwendig, sein eigenes Schaffen zum Meisterwerk in eine kreative Beziehung zu setzen. Die Metamorphosen sind nicht nur ein höchst unvergilisches Epos (manche Gelehrte haben es sogar als antivergilisch bezeichnet); Ovid präsentiert auch noch eine höchst idiosynkratische Neufassung der Aeneisin seiner eigenen Bearbeitung der Geschichte des Aeneas (13.623– 14.608).

In Tristia 1.7 erklärt Ovid, dass die Metamorphosen zum Zeitpunkt seiner Verbannung noch nicht vollendet waren und dass er deshalb das Gedicht vor seiner Abreise verbrannte. Der Text überlebte jedoch, da es, wie der Dichter mit gespielter Unschuld bemerkt, »vermutlich zahlreiche weitere Exemplare gab« (Tristia 1.7.24). Das Motiv der Verbrennung seines Gedichts (falls sie je stattfand) und der Bezug auf seine angebliche Unvollständigkeit dürften ein Versuch Ovids sein, sich noch stärker an Vergil anzulehnen, der, wie allgemein bekannt (wenn auch erfolglos), verfügte, die Aeneis nach seinem Tod zu vernichten, da sie nicht endgültig ausgearbeitet sei. Im Fall der Metamorphosen ist es möglich, dass Ovid sie im Exil noch weiter überarbeitete. Das überlieferte Endprodukt vermittelt auf jeden Fall den Eindruck eines vollendeten Werkes.

Fasti (»Der römische Kalender«)

Während sich trotz der Beteuerungen Ovids in den Metamorphosen kein Anzeichen des Fehlens einer Endbearbeitung entdecken lässt, ist dies bei den Fasti anders. In Tristia 2.549–550 erklärt Ovid, er habe dieses Werk in zwölf Büchern verfasst. Es sind jedoch nur sechs Bücher überliefert, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass die zweite Hälfte je existierte. Während es möglich ist, dass diese Bücher im Lauf der handschriftlichen Textüberlieferung verloren gegangen sind, so ist doch wahrscheinlicher, dass Ovid bewusst übertrieb (seine Worte in Tristia 2 sind an Augustus gerichtet, dem er ursprünglich das Gedicht gewidmet hatte, 551–552) und entweder nie dazu kam, das Werk zu vollenden, oder dass er, wie einige Fachleute unterstellt haben, einfach beschloss, das Projekt nicht weiterzuverfolgen.

Zudem gibt es, anders als im Fall der Metamorphosen, klare Hinweise darauf, dass Ovid die Fasti in der Verbannung überarbeitet hat. In 4.81–84 nimmt er ausdrücklich Bezug auf den Ort seines Exils und beklagt, wie weit entfernt er von seiner Heimatstadt Sulmo sei. Zudem gibt es deutliche Anzeichen für eine Bearbeitung von Buch 1 nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 n. Chr. Ovid hielt es offensichtlich für vorteilhafter, das Werk an ein lebendes Mitglied der kaiserlichen Familie zu adressieren, und verfasste – neben anderen Änderungen, welche die veränderte politische Lage spiegeln – ein neues Proömium, in dem er die Fasti dem Prinzen Germanicus widmete. Viele Gelehrte glauben, dass die Einleitung zu Buch 2 ursprünglich Teil des ersten Proömiums war, das Ovid schrieb, als die Fasti noch für Augustus bestimmt waren. Anscheinend brachte Ovid niemals das gesamte Werk auf den neuesten Stand. Deshalb kann man das Gedicht auch dann als unvollendet betrachten, wenn man das Fehlen der letzten sechs Bücher außer Betracht lässt.

Der lateinische Begriff fasti (von [dies] fastus, »Tag, an dem bestimmte politische Geschäfte getätigt werden dürfen«) bezieht sich auf eine Liste jährlich wiederkehrender Fest- und Jahrestage, also das, was man heutzutage als (religiösen) Kalender bezeichnen würde. Solche fasti existierten in Rom als in Marmor gemeißelte Inschriften, welche die Tage nach Monaten geordnet mit Angabe ihrer jeweiligen Bedeutung aufführten. Diese Tafeln und schriftlichen Kommentare, die die Bedeutung und die Rituale im Detail erklärten, waren zweifellos wichtige Quellen für Ovids Gedicht. Vor allem nach Caesars Reformen des Jahres 46 v. Chr. war der Kalender in Rom zu einem »heißen Thema« geworden. Römische Antiquare bemühten sich, den Ursprung der alten Riten und die in den fasti niedergelegten Gebräuche zu erhellen, während Augustus den Kalender raffiniert als Propagandawerkzeug für seine eigenen Belange einsetzte, indem er zwischen die althergebrachten Feiertage neue Feste einschob, an denen seine Leistungen und Erfolge wie auch die seiner Familienmitglieder gefeiert wurden. Auf Grund dieser Verbindung von geheiligter Tradition und zeitgenössischer Ideologie wurde der Kalender zu einem perfekten Ausdrucksmittel römischer Identität im augusteischen Zeitalter und damit zu einem vielversprechenden, aber auch anspruchsvollen Thema für ein dichterisches Werk.

Ovids Fasti widmen jedem Kalendermonat ein Buch, wovon sich die Darstellungen der Monate Januar bis Juni erhalten haben. Nach einem Proömium bespricht jedes Buch der Reihe nach einzelne, wenn auch nicht alle Tage des jeweiligen Monats nach dem Prinzip der Variation: Manche Daten erhalten mit nur einem oder zwei Versen Erwähnung, andere werden in beträchtlicher Länge abgehandelt. Auch der Inhalt variiert: Zusätzlich zu den althergebrachten religiösen Festen und den neuen augusteischen Feiertagen widmet sich Ovid dem Auf- und Untergang von Sternbildern (einer uralten Methode zur Bestimmung der Jahreszeiten), erzählt bei der Erklärung der Bedeutung des jeweiligen Tages in buntem Wechsel Mythen, rekonstruiert geschichtliche Ereignisse, gibt etymologische Erklärungen und Wettervorhersagen und bespricht die Geschichte und die technischen Details des römischen Kalenders selbst.

Trotz ihres genuin römischen Gegenstandes sind die Fasti literarisch hauptsächlich von den Aítia des hellenistischen Dichters Kallimachos (3. Jh. v. Chr.) beeinflusst. In diesem Gedicht erklärte Kallimachos, dessen Werk und dichterische Prinzipien enormen Einfluss auf die lateinische Literatur ausübten, den Ursprung einer Reihe von obskuren griechischen religiösen Bräuchen. In ähnlicher Weise handelt Ovid die Aitiologie der religiösen Praktiken der Römer ab und schlüpft so in die Rolle eines römischen Kallimachos. Damit tritt er auch in die Fußstapfen des Properz, der im vierten Buch seiner Elegien in expliziter Kallimachos-Nachahmung schon etliche aitiologische Gedichte zu römischen Themen präsentiert hatte. Wie die Aítia und die kallimacheischen Experimente des Properz sind die Fasti in elegischen Distichen verfasst, was Ovid Gelegenheit gibt zur selbstreferentiellen Reflexion über die Frage, ob dieses Metrum den erhabenen patriotischen Themen, die er hier aufgreift, überhaupt angemessen ist.

In Kallimachos’ Aítia kann man verfolgen, wie der Dichter über die unterschiedlichen Gegenstände seines Interesses Informationen sammelt und dabei zuerst mit den Musen ins Gespräch kommt (Buch 1 und 2) und darauf mit einer Reihe weiterer Gesprächspartner (Buch 3 und 4). Dieses Format übernimmt Ovid und entwickelt es weiter: Über alle Bücher der Fasti hinweg präsentiert er sich als ein Erforscher des römischen Kalenders, der eine Vielfalt von Informanten befragt, die von Göttern und Musen bis zu einer alten Römerin und seinem Sitznachbarn im Theater reicht. Insofern sind die Fasti ein Werk nicht nur über den römischen Kalender, sondern in hohem Maße auch über das Verfassen eines Gedichts über dieses Thema. Wie der Dichter im Zuge seiner Nachforschungen erkennt, lässt sich die Wahrheit über den Ursprung, die Namen und Bedeutungen der mannigfachen religiösen und anderen Traditionen, die der Kalender festhält, nur schwer herausfinden, da er es bei seinen Recherchen mit einer Vielzahl von Erklärungen und möglicherweise voreingenommenen Informanten zu tun bekommt. Die daraus resultierende Unsicherheit bringt Ovid am klarsten und amüsantesten in den Proömien der Bücher 5 und 6 zum Ausdruck, wo sich zuerst die Musen nicht auf den etymologischen Ursprung des Monats Mai einigen können und es dann bei einem Streit dreier Göttinnen über die Bedeutung des Juni fast zu Handgreiflichkeiten kommt.

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