Читать книгу Ovid - Katharina Volk - Страница 11
Exildichtung
ОглавлениеTristia (»Lieder der Trauer«) undEpistulae ex Ponto (»Briefe vom Schwarzen Meer«)
Obwohl die Tristia und die Epistulae ex Ponto eigenständige Werke sind, die Ovid in verschiedenen Stadien seines Exils verfasste, ähneln sie sich doch so sehr in Ton und Thematik, dass es sinnvoll erscheint, sie gemeinsam abzuhandeln. Die fünf Bücher der Tristia verfasste Ovid im Verlauf der ersten fünf Jahre seines Exils (8–12 n. Chr.); Buch 1–3 der Epistulae ex Ponto veröffentlichte er zusammen im Jahr 12 oder 13 n. Chr.; das vierte und letzte Buch (das auf den Tod des Augustus im Jahre 14 Bezug nimmt) erschien möglicherweise erst nach dem Tod des Dichters. Beide Werke sind Sammlungen eigenständiger Elegien (50 Gedichte in den Tristia und 46 in den Epistulae), die fast alle an Freunde, Familienmitglieder und andere Personen in Rom adressiert sind. In den Tristia benennt Ovid seine Adressaten nicht, angeblich, um sie vor Repressalien zu schützen – ein Vorgehen, auf das er in den Epistulae ex Ponto verzichtet, die deutlicher als tatsächliche Briefe stilisiert sind.
Beide Sammlungen thematisieren im Wesentlichen Ovids Erfahrungen im Exil. Im Verlauf der Gedichte konstruiert der Dichter eine Erzählung darüber, wie und warum er verbannt wurde, wie er ans Schwarze Meer reiste und wie sich sein Leben in Tomis aktuell gestaltet. Immer wieder stoßen wir auf Anspielungen auf den Grund und die Umstände seiner Verbannung: Mit einer ebenso berühmten wie kryptischen Formulierung weist der Dichter carmen et error (»einem Gedicht und einem Fehler«, Tristia 2.207) die Schuld für das Missfallen des Kaisers zu. Er benennt die Ars amatoria als das fragliche Gedicht, macht aber nur Andeutungen zum Wesen seines Fehlers (der, wie manche Gelehrte vermuten, der Hauptgrund für die Verbannung war; vgl. dazu das nächste Kapitel) – vorgeblich, um die Gefühle des Kaisers zu schonen. Gegenstände des ersten Buches der Tristia sind der Abschied von Rom und die Reise nach Tomis, während das zweite Buch aus einem einzigen, an Augustus adressierten langen Gedicht besteht, in dem Ovid die Ars verteidigt. Der Rest seines Exilwerkes ist der Beschreibung und Reflexion seiner Lage als Verbannter gewidmet.
Ovid stellt Tomis als einen Ort am äußeren Rand der bewohnten Welt dar, in jeder Hinsicht so weit von Rom als dem Zentrum seines Universums entfernt, wie man es sich überhaupt nur vorstellen kann. Das Klima sei rau, das Gebiet ständig von Barbareneinfällen bedroht, und den Einheimischen gehe jegliche Kultur und Bildung ab. In der Forschung hat man darauf hingewiesen, dass dies kein realistisches Bild sein kann: Das heutige Constanza ist ein moderner Badeort am Meer; das alte Tomis war ursprünglich eine Kolonie der griechischen Stadt Milet und auch noch zu Ovids Zeit eine hellenistische Stadt. Ovids Beschreibung seiner Exilstätte als extrem trostlos und gefährlich nimmt großzügige Anleihen bei literarischen Beschreibungen von halbmythischen, weit entfernten Volksstämmen wie den Skythen. Die bewusste Dramatisierung seiner Lage verfolgte zweifellos nicht nur poetische, sondern auch praktische Zwecke und sollte letztlich Augustus dazu bewegen, dem Dichter die Rückkehr nach Rom oder zumindest den Wechsel seines Verbannungsortes zu gestatten.
Von Rom abgeschnitten, entwirft Ovid in seiner Dichtung ein nostalgisches Bild der Stadt, lässt vor seinem geistigen Auge ihre Topographie entstehen und füllt sie mit Ereignissen wie den Triumphzügen der Mitglieder der kaiserlichen Familie. Sein wichtigstes Mittel, um die Verbindung mit der Welt aufrechtzuerhalten, aus der er verstoßen ist, sind die Beziehungen zu seinen Freunden und zu seiner Frau – Verbindungen, die er in seinen Gedichten reflektiert und die er durch seine Gedichte tatkräftig pflegt. Er erinnert seine Adressaten an die frühere Freundschaft, lobt sie für ihre Treue oder legt ihnen ans Herz, loyal zu bleiben, und er fleht sie außerdem an, beim Kaiser ein gutes Wort für ihn einzulegen. Besonders starke Emotionen prägen die Hilferufe an seine Frau, die in Rom geblieben ist, um vor Ort Ovids Interessen zu vertreten. Während der Dichter einerseits seine Sehnsucht nach ihr ausdrückt und ihre treue Zuwendung preist, steigert sich zunehmend seine Verzweiflung darüber, dass ihre Anstrengungen, seine Verbannung aufheben zu lassen, erfolglos bleiben.
Ein wesentlicher Gegenstand der Exildichtung ist das Dichten selbst. Ovid kommt immer wieder auf seine ambivalente Beziehung zu den Musen zurück: Einerseits war es seine Dichtung (insbesondere die Ars amatoria), die ihn ins Verderben riss; andererseits kann er offenbar nicht vom Verseschreiben lassen, das ihm zumindest Trost und Ablenkung verschafft. Dennoch hat sich, wie er erklärt, mit seinem Schicksal auch sein Dichten verändert. Er sei nicht mehr am Ruhm interessiert, sondern schreibe nun für den praktischen Zweck, seine Rückkehr nach Rom zu erreichen. Wenn sein Werk den Anschein erwecke, es habe sich verändert, dann reflektiere dies seine veränderte Situation: Wenn der Autor trauere, gelte dies auch für seine Verse (daher der Titel Tristia), und da sein Leben in Tomis eintönig sei, wiederholten seine Gedichte unablässig die wenigen immer gleichen Themen. Noch schlimmer, da Ovid von der Kultur Roms abgeschnitten sei, weder eine Bibliothek noch ein gebildetes Publikum zur Verfügung habe und bis zur Apathie deprimiert sei, habe seine Dichtkunst so nachgelassen, dass er sich nicht einmal mehr auf sein Latein verlassen könne und er damit sozusagen auch in der sprachlichen Verbannung lebe. Das Motiv des Niedergangs und der Entfremdung erreicht seinen Höhepunkt in einem der letzten Exilgedichte (Ex Ponto 4.13), in dem der Dichter, der inzwischen die Sprache seiner neuen Mitbürger erlernt hat, schreibt, er habe selbständig ein Gedicht in getischer Sprache verfasst (19–22).
Im Laufe der Jahrhunderte nahmen Ovids Leser seinen behaupteten dichterischen Niedergang meist für bare Münze, was lange Zeit zum schlechten Ansehen seiner Exildichtung beitrug. In jüngerer Zeit konnten Fachwissenschaftler aber nicht nur zeigen, dass die Tristia und Epistulae ex Ponto keineswegs Symptome von schwindenden dichterischen Fähigkeiten aufweisen, sondern man hat auch damit begonnen, die negativen Behauptungen des Dichters als Bestandteil einer bewussten literarischen Strategie zu interpretieren. Im Lauf der beiden Gedichtsammlungen kreiert Ovid die Geschichte seines Exils, eine wirkungsvolle und extrem stilisierte Erzählung, die – mangels weiterer geschichtlicher Quellen – zur kanonisierten Version dieser tragischen Wendung im Leben des Dichters geworden ist.
Ibis
Das einzige weitere Werk aus Ovids Exilzeit ist der seltsame Ibis, ein 642 Zeilen umfassendes Gedicht im elegischen Versmaß. In diesem verflucht der Dichter einen namentlich nicht genannten ehemaligen Freund, der sich als Verräter entpuppt, ihn in Rom verleumdet und Vorteile aus seiner Verbannung zu ziehen versucht hat. Das Gedicht muss vor dem Jahr 12 n. Chr. entstanden sein (1–2 implizieren, dass Ovid sein 55. Lebensjahr noch nicht erreicht hat) und fällt damit in dieselbe Zeit wie die Tristia. Man hat das »Opfer« bisher nicht zweifelsfrei identifiziert, und es spricht sogar einiges dafür, dass Ovid kein spezifisches Individuum im Visier hatte, sondern »Ibis« als eine Art von Musterfeind konstruierte.
Wie der Dichter ausdrücklich erklärt (53–58), orientiert sich das Gedicht an einem Werk des Kallimachos mit dem gleichen Titel (das Pseudonym Ibis bezieht sich auf den gleichnamigen Vogel, dem man die ekelerregende Gewohnheit nachsagte, seinen After mit Wasser aus seinem Schnabel zu purgieren). Da dieses Werk nicht erhalten ist, bleibt unklar, wie eng sich Ovid an sein Vorbild hielt. Das Gedicht besteht aus zwei Teilen: Zuerst formuliert der Dichter eine allgemeine Verfluchung des Ibis (1– 248), dann folgt eine Serie von »obskuren Geschichten« (historiae caecae, 55), das heißt in Rätselform gekleideten Bezügen auf grauenerregende Mythen, deren Unheil und Desaster er Ibis an den Hals wünscht (249–642). In einem der weniger obskuren Beispiele äußert der Autor den Fluch, Ibis möge wie Pentheus in Stücke gerissen werden: »oder, mögest du, in Stücke gerissen, im Wald durch die Hände der eigenen Familienmitglieder verstreut werden, wie in Theben der Enkel der Schlange verstreut wurde« (531–532); die gelehrte Anspielung bezieht sich auf den Ursprung der Thebaner aus der Saat der von Kadmos ausgestreuten Drachenzähne). Der Text ist ein Kabinettstück des Dichters, der als Sprecher in der ersten Person über Hunderte von Zeilen hinweg seine wütende Abrechnung mit dem »Opfer« aufrechterhält und mit immer abstruseren Bestrafungen aufwartet, bis er endlich mit der Warnung abschließt, Ibis möge sich schleunigst bessern, weil sonst das vorliegende Gedicht nur ein kurzes Vorspiel darstelle für noch stärkere Verfluchungen, die dann auf ihn zukämen.