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2. Aino

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Von der Müll­samm­le­rin zur War­la­dy.

Ai­no starr­te an ih­rer Toch­ter vor­bei auf die Plas­tik­schei­be, hin­ter der die zwei Fah­rer des Dampf­mo­bils sa­ßen. Sie al­le hat­ten dunkle Haa­re und dunkle Haut. Eles­sa, mit den dun­kel­ro­ten Haa­ren und dem hell­brau­nen Teint, wür­de in ein paar Jah­ren als Schön­heit gel­ten. Sie müss­te nur aus der schlak­si­gen Pha­se her­aus­wach­sen und beim Kampf­trai­ning ein paar Mus­keln auf­bau­en.

Ai­no da­ge­gen war häss­lich. Nie wür­den Din­ge ihr ein­fach we­gen ih­res gu­ten Aus­se­hens in den Schoß fal­len, sie muss­te im­mer mit all ih­rer Schläue und ei­ner an­trai­nier­ten Skru­pel­lo­sig­keit der Welt ih­ren An­teil ab­trot­zen.

Sie war noch klein ge­we­sen, als die große Dun­kel­heit be­gon­nen hat­te, die Welt mit Schnee und Asche zu über­zie­hen. Ein Kind, als ih­re Fa­mi­lie auf der Flucht vor dem un­er­bitt­li­chen Eis im Mit­tel­land lan­de­te. Trotz­dem war sie in die­sem frem­den Land nicht will­kom­men ge­we­sen. In ei­nem Land, in dem man es ihr auf den ers­ten Blick an­sah, dass sie zu den Ge­flüch­te­ten ge­hör­te, zu den Ge­hetz­ten und Ver­trie­be­nen, die sich in den oh­ne­hin bers­ten­den Groß­städ­ten Mit­tel­lands dräng­ten und stun­den­lang an­stan­den für we­nigs­tens et­was Ar­beit, we­nigs­tens et­was Nah­rung.

Aber wo soll­te in ei­ner Welt Nah­rung her­kom­men, in der kaum noch et­was wach­sen konn­te? Wo­her Ar­beit, wenn die Ver­sor­gung mit Ener­gie auf einen Schlag zu­sam­men­ge­bro­chen war, so­dass die meis­ten Ma­schi­nen still­stan­den? Ai­no wuss­te nicht ein­mal wie und warum das ge­sche­hen war.

Da­nach hat­te das Ster­ben be­gon­nen.

Sie schloss die Au­gen und sah sie al­le wie­der vor sich. Men­schen, die den Man­gel an Licht schlech­ter ver­tru­gen als an­de­re und Krank­hei­ten er­la­gen. Men­schen, die die Dun­kel­heit um sie her­um in ih­re Her­zen lie­ßen und ver­zwei­felt aus dem Le­ben gin­gen. Men­schen, die schlicht ver­hun­ger­ten, weil es so we­nig gab.

Als die letz­ten star­ben, gab es wie­der Licht, hat­ten die Reichs­ten be­reits Ge­wächs­häu­ser und Elek­tri­zi­tät. Aber für Ai­nos Fa­mi­lie kam das al­les zu spät. Ai­no er­griff den ein­zi­gen Be­ruf, der ei­ner Ge­flüch­te­ten wie ihr, ei­nem wei­ßen Ra­ben, über­las­sen wur­de: Müll­samm­le­rin.

Sie seufz­te. We­nigs­tens ih­rer Toch­ter woll­te sie ein bes­se­res Le­ben er­mög­li­chen, aber das Mäd­chen war … zu gut. Zu un­ab­hän­gig. Zu frei. So, wie sie in ih­rem Al­ter ger­ne ge­we­sen wä­re, statt hart und ge­mein sein zu müs­sen, um zu über­le­ben. Und sie hat­te kei­ne Ah­nung, wie sie da­mit um­ge­hen soll­te.

Wenn es dun­kel­te und sie sich zur Ru­he be­gab, sah sie im­mer noch den Jun­gen vor sich, der nur ih­ret­we­gen un­ter Ber­gen aus Müll be­gra­ben wor­den war. Nur, weil sie in Ge­gen­wart der Grup­pe nicht zu­las­sen durf­te, dass er die Trup­pe be­stahl.

Sie hat­te ihn ge­tö­tet. We­gen ei­ner Glas­scher­be. Ei­ne Schuld, die für im­mer auf ihr las­te­te.


Sie fuh­ren seit zwei Ta­gen durch die trost­lo­se Land­schaft und die gan­ze Zeit über starr­te ih­re Toch­ter aus den Fens­tern. So­gar wenn sie ei­gent­lich ab­ge­dun­kelt wa­ren. Es er­staun­te sie im­mer wie­der, wie viel Schwei­gen man in ei­ne mehr­tä­gi­ge Fahrt mit dem Dampf­mo­bil le­gen konn­te.

Eles­sa sprach kein Wort mit ihr, so­lan­ge sie un­ter­wegs wa­ren. We­der wäh­rend der Pau­sen in den Gast­häu­sern, wo ih­re Fah­rer den Treib­stoff er­neu­ern konn­ten, noch bei der An­kunft in der Haupt­stadt von Lue.

Nicht, dass sie ih­rer Toch­ter viel zu sa­gen ge­habt hät­te. Das Wich­tigs­te wuss­te das Mäd­chen und der Rest … Ai­no war zu an­ge­spannt, um Eles­sa und da­mit sich selbst durch nich­ti­ge Ge­sprä­che zu be­ru­hi­gen. Das war nicht das, was ihr lag.

Da­für schau­te sie sich – un­auf­fäl­lig – ge­nau­so neu­gie­rig um, wie auch das Mäd­chen. Sie hat­te zwar den Fuß schon öf­ter auf Lue­land ge­setzt, aber die Haupt­stadt selbst oder gar Lue-Schloss nie be­tre­ten.

Knech­te führ­ten sie bei ih­rer An­kunft in einen Ba­de­raum, der so lä­cher­lich lu­xu­ri­ös war, dass Ai­no sich si­cher war, dass er nie be­nutzt wur­de, au­ßer, um Be­su­che­rin­nen wie sie ein­zu­schüch­tern.

Das Was­ser fiel, ei­nem na­tür­li­chen Was­ser­fall nach­ge­bil­det, schein­bar aus ei­ner Fels­s­pal­te über ih­ren Köp­fen in ein weit­läu­fi­ges Bas­sin aus schwar­zem Gra­nit, er­hellt nur von ei­ni­gen Pe­tro­le­um­lam­pen. Trotz­dem fand Ai­no schnell die ver­steck­ten Reg­ler, mit de­nen sie die Was­ser­tem­pe­ra­tur an­pas­sen konn­te. Das be­deu­te­te, dass sie auch noch Me­tall­stä­be zur Er­hit­zung nutz­ten. Zu fort­ge­schrit­te­ne Tech­no­lo­gi­en, um wirk­lich täg­lich ge­nutzt zu wer­den. Zu ver­schwen­de­risch, zu teu­er.

»Du musst auf­pas­sen, Eles­sa. Auf­pas­sen.«

Das Mäd­chen nick­te nur. Es lern­te schnell.


Nichts Über­flüs­si­ges sa­gen. Kei­ne falsche Be­we­gung ma­chen. We­der die Knech­te noch die Mäg­de se­hen las­sen, was man wirk­lich dach­te und fühl­te, wenn man nicht will, dass de­ren Her­rin es er­fuhr.

Gleich­zei­tig hoff­te sie, dass ge­ra­de die Fri­sche und Ju­gend Eles­sas ihr Trumpf war. Die Zwän­ge der Di­plo­ma­tie hat­ten sie noch nicht ver­bo­gen.

»Komm. Zie­hen wir un­se­re bes­ten Sa­chen an.« Ganz be­wusst ließ sie die Wor­te fal­len, da­mit die neu­gie­ri­ge Magd sie wei­ter­trat­schen konn­te. »Die Lue sol­len se­hen, dass wir sie eh­ren.«

Eles­sa nick­te nur. Als wür­de sie selbst noch nach der Fahrt nicht mit ihr re­den wol­len, als wä­re sie wü­tend auf sie.

In­ner­lich seufz­te Ai­no. Sie konn­te sich spä­ter mit den merk­wür­di­gen Ge­dan­ken­gän­gen ei­ner Ju­gend­li­chen aus­ein­an­der­set­zen. Fürs Ers­te muss­te sie geis­tig da­für ge­wapp­net sein, La­dy Ali­xe­na Lue Lue ge­gen­über­zu­tre­ten. Mehr als al­les an­de­re galt es, end­lich den Krieg zu be­en­den, den sie selbst einst an­ge­zet­telt hat­te.

Der tote Prinz

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