Читать книгу Italiener-Wochenende - Kathi Albrecht - Страница 11

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„Juli, das wird ein richtig guter Abend! Du hast ein Dirndl an, meine Liebe, das eine super-sexy Taille macht – wusste gar nicht, dass meine alte Mutter so etwas besitzt! Und mit meiner himbeerfarbenen Schürze – Wow! Von deinem Ausschnitt will ich mal gar nicht reden. Da bist du heute Morgen gut beraten worden.“ Jule befühlte noch einmal das geliehene Dirndl und spürte selbst, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Ja, das Kleid sah wirklich gut aus, es saß perfekt, es kniff und zwickte nichts, wie für sie gemacht. Sie fühlte sich wohl darin, kein bisschen verkleidet, so konnte sie sich wirklich sehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass so ein selbst zusammengestelltes Dirndlkleid den Vorteil hatte, dass nicht zwanzig andere dasselbe trugen. Das diesjährige Tchibo-Modell hatte sie in der letzten Viertelstunde schon mindestens dreimal gesehen.

„Stopp! Hier irgendwo wären wir jetzt mit denen verabredet.“

Jule sah sich um. „Du, da stehen zwei. Einer hat gerade zu uns rübergezeigt. Jetzt dreht er sich weg und der andere winkt. So ein Trachtendepp mit Hut.“

„Trachtendepp? Julchen, hast du dich mal im Spiegel angesehen?“

„Ist das … ist das ein Kumpel von Lorenzo?“

„Schon wieder Italiener in Tracht … Herrschaftszeiten!“

„Aber wo ist der Patient von heute Morgen?“ überlegte Jule, als sie näherkamen. War Lorenzo auch in Tracht? Ein paar Meter neben dem winkenden Italiener stand ein dunkelhaariger Mann, ebenfalls in Lederhose, aber immerhin ohne Hut. Er drehte ihnen den Rücken zu, betrachtete konzentriert seine Schuhe und sprach in sein Handy.

Als er auflegte und sich umdrehte spürte Jule, wie ihr Herz schneller schlug. Sie sah mitten in Lorenzos dunkle Augen. Er lächelte sie an. „Ciao Giulia.“ Küsschen rechts, Küsschen links.

„Hallo.“ Mehr kriegte sie gerade nicht heraus. War sie wieder siebzehn? Dr. Plüschauge hatte recht gehabt, Lorenzos Pupillen waren noch immer sehr groß. Und sehr schwarz. Und sehr schön. Egal. Sie holte nochmal tief Luft. Mochte er auch arrogant sein und unzählige andere schlechte Eigenschaften haben, für diesen Nachmittag war er eine angenehm anzusehende Begleitung. Und um nichts anderes ging es doch, oder?

Jule löste ihre Augen mit einiger Anstrengung von den seinen, um den ganzen Mann in Augenschein zu nehmen, während er Veronika ebenfalls mit Wangenküsschen begrüßte. Neben seinem Onkel, der deutlich kleiner war als Jule, hatte er ziemlich groß gewirkt, aber neben diesem blonden Riesen, der ungefähr zwei Meter groß war? Vor allem aber sah Lorenzo sportlicher aus als sein Freund. Unterhalb der Lederhose sah man sonnengebräunte Knie und gut trainierte Waden. Obenrum trug er ein Hemd mit kleinen grünen Karos, das zu seinen kurzen dunkelbraunen Locken wirklich richtig gut aussah. Wahrscheinlich wusste er das auch. Und er sah Jule mit unverhohlener Neugier an.

Der blonde Riese, der zwar freundliche blaue Augen hatte, aber auch ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, streckte die Hand aus. „Ciao, ich bin Stefano. Lorenzo und ich haben in Mailand zusammen Fußball gespielt.“ Das Trachtenhemd spannte ein wenig über dem Bauch. Er schien nicht mehr ganz so regelmäßig zu trainieren.

„Juli, sei artig und sag Guten Tag! Und übrigens: wir können uns mit Stefano gut unterhalten. Wie du gehört hast, spricht er Deutsch.“ Veronika drehte sich zu ihm um. „Wieso eigentlich?“

Stefano grinste. „Ich bin am Gardasee aufgewachsen, meine Familie hat da ein Hotel. Und nur deutsche Gäste seit ich klein war. Ich hatte keine Chance.“ Deswegen verstand man ihn auch deutlich besser als Lorenzo. „Hallo Giulia!“

Jule wurde rot. „Entschuldige, Stefano. Tut mir leid!“

Vero sprang ihr zur Seite. „Ich glaub Jule, wollte sich den Patienten erst noch einmal genau ansehen. Sie macht sich immer so viel Sorgen, wenn es jemandem schlecht geht.“

„Dachte ich mir.“ Stefano nahm es mit Humor. „Aber ich kann euch versichern, er hat sich gut benommen und ist nicht rückfällig geworden.“ Er grinste. „Im Gegenteil, als ich heute Nachmittag zu Enzo kam, lag Lorenzo brav im Liegestuhl und hat geschnarcht.“

„I hob schnaacht?“

„Oddio, Lorenzo! No lo so! Als wenn ich an seinen Lippen gelauscht hätte! Aber wenn sein Onkel ihn nicht geweckt hätte, würde er immer noch da liegen“, erklärte er.

Lorenzo nickte lächelnd. „War so schön da. In der Sonne, unter dem Baum – richtig romantisch …“

Was bitte sollte das? War das eine plumpe Anspielung auf ihr Abenteuer von vor fünfzehn Jahren oder was? Konnte er jetzt vielleicht das Thema wechseln?

Vero versuchte mit unnachahmlichem Feingefühl Konversation zu machen: „Aber sagt mal, ich dachte immer, Italiener kämen grundsätzlich alle in bunten T-Shirts, wieso habt ihr eigentlich Trachten an?“

„WAS?“ Stefano lachte. „Schau dich mal um. Wir sind hier nicht die einzigen! “

Jule konterte: „Also ich habe mir Sachen von Vero und meiner Tante geliehen. Habt ihr die Sachen auch geliehen? Sag nicht, ihr wart in so einem Verleih? Oder hat Enzo etwa Lederhosen???“ Bei dem Gedanken musste Jule laut lachen.

„Du weißt schon, wo wir herkommen, oder?“, fragte Lorenzo.

„Aus Mailand“ antwortete Veronika prompt.

„Aus Bozen“, verbesserte er.

„Oh, richtig.“ Vero schien sich langsam zu erinnern.

„Und du hast eine ungefähre Vorstellung, wo das liegt?“

„Ja, ja, schon noch irgendwo bei den Bergen. Aber Enzo ist doch …“, überlegte Jule.

„Ja“ bestätigte Lorenzo, „die Familie meines Vaters – also auch zio Enzo – kommt aus Milano. Meine Mutter ist aus Bozen, da bin ich aufgewachsen. Meine Muttersprache ist Deutsch, meine Vatersprache ist Italienisch.“

„Ach Gott, ja, du bist Südtiroler!“, rief Vero. „Hatte ich kurz vergessen, sorry. Die anderen sind alle aus Mailand. Und da bei dir gibt’s auch eine Art Tracht.“

Lorenzo verzog bei „eine Art“ schmerzhaft das Gesicht, nickte aber insgesamt.

Stefano nickte ebenfalls und strich stolz über seine Trachtenjacke.

„Das ist eine Original-Tracht aus dem Val di Sole, da kommt mein Großvater her!“

„Ja, Stefano wohnt zwar inzwischen auch in Bozen, aber es sind ein paar Leute aus Milano hier. Da habe ich auch ein paar Jahre gewohnt, das ist unsere alte Fußballmannschaft, also Stefanos und meine. Die haben so ein Wochenende mit festa della bierra gebucht. Eigentlich war ja geplant, dass wir das ganze Wochenende mit denen herumziehen. Aber …“

„Vielleicht gehen wir einfach mal rein, statt hier herumzustehen …“, moderierte Vero und wandte sich an Lorenzo. „Darfst du vielleicht doch schon wieder ein Bier trinken oder gibt’s hier wohl Kamillentee? Was hat denn der Onkel Doktor gesagt? Aber du siehst schon viel besser aus als heute Morgen.“

Lorenzo nickte. „Ja, ich hab mich gefühlt wie ein Geist, Verrrooonica. Bis ich wieder klar war, das hat halt gedauert. Im Krankenhaus kriegst in der Nacht ja koa Auge zu. Entweder die Nachtschwester schaut nach dem Rechten oder es wird noch einer aufs Zimmer dazu gelegt oder nebenan muss einer speien … Deswegen habe ich mich vorhin ein bisschen hingelegt und geschlafen, statt mit den anderen die Stadt zu besichtigen. Stefano ist mitgefahren.“

„Eine Stadtrundfahrt für Jungs!“ Stefano war begeistert. „Das war mit diesem Paket, das wir gebucht haben: Drei Übernachtungen im Hotel gleich am Bahnhof, Gutscheine für ein Hendl und eine Maß Bier, dazu diese Tour mit Stadio Olimpico, BMW und Allianz-Arena, alles zusammen mit Busfahrt für 350 Euro!“

„Bloß das Bier für die Fahrt mussten sie selbst kaufen …“, ergänzte Lorenzo grinsend.

Stefano ging vor in Richtung „Himmel der Bayern“. Die Tür öffnete sich und es brüllten ihnen mehrere zigtausend Stimmen entgegen: „Alice! Who the fuck is Alice???“

„Is alleweil überfüllt!“, lallte ihnen ein Lederhosenträger zu, der soeben Arm in Arm mit seiner Freundin im verrutschten Dirndl das Zelt verließ. Tatsächlich hatte sich da ein Türsteher aufgebaut, der nur Menschen mit Reservierung hineinließ. Sie hatten natürlich keine.

„Draußen vielleicht?“ Lorenzo sah sich um.

„Da!“ Vero schoss wie ein Blitz auf einen Tisch zu, von dem soeben ein Eckchen frei wurde. Sie warf ihre Strickjacke auf eine Bank und setzte sich gegenüber. Triumphierend winkte sie Jule und die beiden Italiener heran.

Lorenzo hatte sich gleich einer Bedienung in den Weg gestellt und zu ihrem Tisch gezeigt. Dorthin schleppte die Kellnerin nun eine Reihe von Krügen. Drei stellte sie vor ihnen auf dem Tisch ab.

„Der dottore hat mit geraten, es heute erst mal mit Spezi und Breze zu versuchen. Was wollt ihr essen? Ich habe für Stefano und mich schon bestellt.“

Die Bedienung sah Veronika ungeduldig wartend an.

„Ja, ich würde so ein Hendl probieren “, überlegte sie.

„Probier’n oder essen?“

„Ja, essen natürlich.“ Vero rollte mit den Augen.

Die Bedienung wandte sich an Jule, die noch überlegte. „Sie nix?“

„Doch schon, ich … hm, ich weiß noch nicht.“ Jule sah auf die Karte.

„I hab net ewig Zeit, Fräulein!“

„Bringen’s für sie an Kaiserschmarrn“, rief Lorenzo.

Die Bedienung nickte und ging.

Jule sah ihn grimmig an. „Hallo? Was soll das? Darf ich vielleicht selbst bestellen?“

Lorenzo nickte gütig. „Beim nächsten Mal. Entschuldige, das musste jetzt schnell gehen. Es ist nie gut, wenn man eine Bedienung ärgerlich macht. Außerdem magst du Kaiserschmarrn.“

„Woher willst du das wissen?“

Er legte den Kopf schief und sah sie schweigend an. Sie kannte seine Antwort. Er wusste es noch. Seine Tante Traudl hatte den besten Kaiserschmarrn aller Zeiten gebacken, damals in diesem Sommer vor so vielen Jahren – und ein paar Mal extra für Jule. Seine Lieblings-tante. Aber diese Tante, Enzos Frau, war vor ein paar Jahren gestorben. Das hatte jetzt zwar nichts mit dem Kaiserschmarrn zu tun, aber sie konnte ihm ansehen, dass er auch gerade an sie dachte.

Schwappend landete ein Riesenglas Spezi auf dem Tisch. Lorenzo nahm es und sagte: „Giulia und Veronica: Danke, dass ihr mich ins Krankenhaus gefahren habt. Luca sagt, das hätte auch schiefgehen können. Wenn ihr nicht gewesen wärt, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Ihr hattet Euch den Abend wahrscheinlich auch anders vorgestellt. Ich mache es wieder gut, okay? Danke jedenfalls!“ Er stand auf. Ein Bussi rechts, ein Bussi links für Vero, dann stieß er mit ihr an. Das Gleiche bei Jule.

Aber wenn er sie noch weiter so anguckte mit seinen untertassengroßen Pupillen, dann würden ihr gleich die Knie wegsacken. Sie setzte sich mal lieber wieder hin.

Das war in jedem Fall eine gute Entscheidung gewesen, denn um ein Haar hätte die Bedienung ihr mit dem Tablett die Frisur abgesenst. Eckplätze hatten zweifellos Vorteile, aber auch gewisse Schattenseiten. Klappernd fielen unmittelbar danach zwei Teller, einer mit einem Hendl, der andere mit einer Portion Käsespätzle vor ihr auf den Tisch, darauf wurden zwei riesige Brezen platziert und dann kam ihr Kaiserschmarrn, begleitet von einem gebellten „Ihre Bestellung! Die Marken bitteschön. Die Marken!“

Lorenzo schloss kurz die Augen und verzog das Gesicht.

Jule sah ihn besorgt an. „Was ist los? Alles klar bei dir?“

„Kopfschmerz. Von dem Lärm glaube ich …“

Vero atmete auf. „Und ich dachte schon, dir hätte wieder einer was eingeschüttet!“

„Naa“, antwortete Lorenzo „das Zeug ist wohl doch noch nicht ganz raus aus mir.“

„Und es weiß immer noch keiner, was das war!“ trompetete Vero. „Der Arzt hat etwas erzählt, das nach magic mushroom klang. Wo kriegst du denn sowas her, Lorenzo?“

Er hob die Schultern und sah sie fragend an. „Du kennst dich besser aus hier in der Stadt … Nein, Spaß! Ich weiß nicht, was es war, ich weiß nicht, wo das drin war, ich weiß nicht, woher es kam.“

„Und die Polizei weiß es auch immer noch nicht?“, wollte Jule wissen.

Lorenzo schüttelte den Kopf. „Zio Enzo haben sie dann auch noch befragt heut am Nachmittag. Wollten wissen, ob ich etwas gesagt habe oder versteckt oder gelagert oder wen ich so getroffen habe. Die glauben mir kein Wort und ich weiß nicht wieso! Dieser Kommissar, stupido presutuoso …“ Lorenzo redete sich jetzt so richtig in Rage, er war ernsthaft sauer. „Ich mein, ich bin ja drauf angewiesen, dass die mir glauben, ich hab ja nichts in der Hand, ich kann nichts beweisen!“

Vero grinste. „Ja! Meine Mutter hat mir heute ja auch schon die tollsten Schauergeschichten erzählt!“

Lorenzo schüttelte sich kurz, nahm eine Gabel und piekte ein Stück Hendl von Veronikas Teller auf, schob es sich in den Mund und verkündete: „Gutes Essen gehört zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben.“

Ihm ging es offenbar besser. Und es sah so aus, als ob er das Thema wechseln wollte. Warum eigentlich? War ihm das peinlich? Wusste er etwas, was er nicht sagen wollte?

„Gutes Essen, ja?“, fragte Jule und sah ihm bei Kauen zu. „Und das, wo deine Schwester einen Imbiss im Bahnhof hat?“

Lorenzo und Stefano sahen sich mit großen Augen an und prusteten los.

„Was ist daran so komisch?“, wollte Vero wissen.

Lorenzo grinste. „Meine Schwester hat eine Osteria…“

„Ja, im Bahnhof, hat Enzo gestern schon erzählt …“, unterbrach Jule.

Stefano konnte sich jetzt gar nicht mehr beruhigen und hatte schon vor Lachen Tränen in den Augen.

„Was ist denn los? Vertragt ihr das bayrische Bier nicht?“

„Also, noch mal.“ Lorenzo versuchte ernst zu bleiben. „Meine Schwester hat eine Osteria. Aber nicht im Bahnhof, Giulia, sondern nicht weit weg vom Bahnhof in der Altstadt von Bozen. Das ist ein Restaurant. Tischdecke, gutes Geschirr, Bio-Küche, verstehst du?“

„Oh! Keine kalten, fettigen Pommes?“ Sie war plötzlich verlegen und kleinlaut.

„Naa! Und koa Fleischkrapferl, die vierundzwanzig Stunden unter der Wärmelampe herumliegen“, ergänzte Lorenzo.

„So wie bei Nicolas Onkel“, murmelte Stefano.

Lorenzo starrte ihn giftig an. Er fragte noch einmal irgendetwas – und augenblicklich schien sich ein Streit zwischen den beiden zu entwickeln. Laut und italienisch redeten die beiden aufeinander ein. Mehrere Male fiel der Name Nicola, ansonsten verstand Jule kein Wort. Sie sah erstaunt von einem zum anderen, es war mehr ein Wortgefecht als eine Diskussion und auch Vero schüttelte nur noch den Kopf, versuchte aber zumindest zu verstehen, worum es ging. Wer immer Nicola war, die Dame sorgte für reichlich Zündstoff.

Jule hoffte nur, dass keine Handgreiflichkeiten folgen würden. Allerdings, auch in dieser Lautstärke und sogar in dieser Heftigkeit war Italienisch eine sehr schöne Sprache. Damals in diesem Camping-Urlaub in der Toskana mit ihrer Schulfreundin Anna hatte sie beschlossen, sofort nach ihrer Rückkehr einen Sprachkurs zu belegen. Es war allerdings nie etwas daraus geworden, aus verschiedensten Gründen. Und irgendwann hatte sie es schlicht vergessen.

Genauso abrupt wie sie angefangen hatte, endete die lautstarke Diskussion.

„Äh“, fragte Vero und sah von einem zum anderen, „seid ihr noch Freunde?“

Lorenzo holte tief Luft und antwortete zähneknirschend: „Unter gewissen Bedingungen, ja.“

Stefano ignorierte diesen Kommentar komplett. Er sah zu Jule und fragte: „Darf ich von deinem Kaiserschmarrn probieren?“

Er fragte wenigstens. Jule nickte ergeben und schob ihren Teller erst zu Stefano, dann zu Lorenzo rüber und musste zugeben: „Ist lecker, du hattest recht.“

Er schien zufrieden. Mit seiner Wahl, nicht mit dem Essen. „Stefanos ist besser.“

Jule verdrehte die Augen. „Mann, Lorenzo! Mag sein, dass es besseren gibt, aber rede mir das hier doch nicht schlecht! Das ist nämlich viel, viel besser als alles, was ich in den letzten Jahren gekriegt habe, wenn irgendwo zufällig mal ‚Bayrische Wochen’ waren.“ Sie lächelte Stefano an. „Und falls ich mal irgendwann über den Brenner komme, dann probiere ich deinen Kaiserschmarrn.“

Sollte heißen: Dich, Stefano, dich besuche ich. Lorenzo kann essen, wo der Pfeffer wächst.

„Jederzeit!“ Stefano strahlte. „Sag vorher Bescheid, dann setzen wir das auf die Karte.“

„Was für eine Karte?“

„Ich koche doch in der Osteria von Lorenzos Schwester.“

„Ach, daher kennt ihr euch!“, folgerte Vero.

Aber die beiden winkten ab. Stefano erklärte, das mit dem Koch-Job wäre nur eine Notlösung. Er hatte zu Hause am Gardasee erst als Surflehrer gearbeitet, dann Koch gelernt und in Mailand gearbeitet. Dort hatte er Lorenzo im Fußballverein kennengelernt. Seit ein paar Monaten lebte er ebenfalls in Bozen und arbeitete auch in derselben Firma wie Lorenzo, der irgendwelche Bio-Produkte vertrieb und noch irgendetwas anderes machte. Das Unternehmen wollte wohl nach Deutschland expandieren oder exportieren, was auch immer. So genau hatte Jule das in dem Gesinge und Geproste um sie herum nicht verstanden. Jedenfalls waren sie in München, um die Marktchancen zu sondieren.

„Ja“, seufzte Lorenzo „eigentlich wollten wir Stefano gern ganz für die Produktion einstellen, aber das Unternehmen … also, da gibt es derzeit nur Jobs in Teilzeit und Stefano will ja Vollzeit arbeiten.“

„Also mache ich zwei Jobs“, ergänzte Stefano fröhlich.

„Klingt wie bei uns …“

„Wo arbeitest du?“, fragte Lorenzo.

„Ach so, nee. Ich meinte, klingt wie mein alter Job in Düsseldorf, das war eine ziemlich kleine Werbeagentur, nur ein paar Leute, auch viele in Teilzeit. Tolle Kunden und spannende Aufträge, aber es war nicht wirtschaftlich, da Vollzeit zu arbeiten. Weder für die Agentur noch für mich. Deswegen habe ich mich dann ja hier beworben.“

„Werbung? Du?“ Lorenzo sah sie kritisch an. „Du wolltest Kunstgeschichte studieren! Ich dachte immer, du arbeitest in irgendeinem weltberühmten Museum und stellst tolle Ausstellungen zusammen …“

Jule nickte. „Ja, das war der Plan. Damals.“ Sie grinste. Aber soweit sie sich erinnern konnte, war in seinen Plänen vor etlichen Jahren mehr von Profisport die Rede gewesen und weniger davon, dass er mal Bio-Lebensmittel verkaufen würde … „Ja, mit Kunstgeschichte habe ich geliebäugelt, aber dann habe ich mich doch für Grafik-Design entschieden. Ich habe in der Agentur Werbung und Slogans und Logos gestaltet. Und jetzt mache ich sowas Ähnliches in einem Buchverlag!“

„Was für Logos?“

„So für irgendwelche kleinen Firmen. Wenn da zum Beispiel ein Eigentümerwechsel ist. Das mache ich immer noch nebenher. Oder – sieh dir mal diesen Maßkrug an – also, wenn ein Logo einfach nicht mehr zeitgemäß ist.“ Sie seufzte. „Aus so einem Krug dürfte man gar nicht mehr trinken.“

„Stattdessen?“

Jule starrte Lorenzo an. „Wie: Stattdessen?“

„Was würdest du stattdessen machen? Ich meine jetzt nicht, nach nebenan gehen und da was trinken, oder umschütten in ein anderes Glas, sondern was würdest du mit diesem Logo machen?“

„Also ich würde – Vero, gib mal den Kuli da – wenn das im Prinzip so bleiben würde …“ Jule zeichnete die groben Umrisse auf eine Serviette und strichelte weiter. „Dann machst du hier die Schattierung kleiner und dann da was weg. Das ist alles viel zu viel Gedöns mit diesen Rähmchen und Bildchen. So. Wenn man dann jetzt hier die Farbe reinsetzt, gern ein bisschen kräftiger … Guck, dann ist das viel moderner.“

„Wow!“ Stefano war beeindruckt. „Du kannst gut zeichnen.“

„Danke.“ Jule lächelte ihn an. „Ist aber schon ganz hilfreich, wenn man als Gestalterin weiß, wie man den Stift in die Hand nehmen muss …“ Sie sah hoch zu Lorenzo. „Jetzt guck mich nicht so an!“

„Das sieht so aus, als hättest du dich doch für den richtigen Job entschieden. Aber warum machst du jetzt schon wieder ganz was anderes?“

„Hm.“ Jule schluckte. Dann holte sie tief Luft und antwortete: „Ich wollte nach München. Schon lange, falls du dich daran auch noch erinnerst.“

Darüber hatten sie mal gesprochen. Auch, dass er ebenfalls in München studieren wollte, deswegen war er ja damals bei seinem Onkel gewesen: Um sich Stadt und Uni anzusehen. Einiges hatten sie gemeinsam angeguckt und sie hatte ja auch mal mit München als Studienort geliebäugelt. Tatsächlich hatten sie ja in ihren Mails davon geträumt, sich in München wieder zu treffen und dann …

Lorenzo nickte bedächtig. „Aber warum bist du nicht früher nach München gekommen? Das hattest du doch vor!“

Vero sah interessiert von einem zur anderen.

Jule schwieg. Lorenzo war anstrengend. Unverbindliche Konversation war was anderes. Und sollte man auf dem Oktoberfest nicht vielleicht erst einmal über Belanglosigkeiten wie das Wetter, den Bierpreis oder den neuen Wiesn-Hit reden?

„War bestimmt nicht so einfach hier den passenden Job zu finden, wenn du so lange gesucht hast“, versuchte sich Stefano an einer Erklärung.

Jule entschloss sich, ihrerseits höflich zu sein und trotzdem zu antworten. Wahrheitsgemäß, denn neben ihr spitzte auch Vero die Ohren.

„Ich will mich nicht groß beklagen, immerhin hab ich einen Job, da gibt es auch Leute, die dasselbe studiert haben und sich heute immer noch mit gelegentlichen Aufträgen durchschlagen. Nein, ich hatte einen super Job, aber befristet, dann war ich in diesem Start-up, länger als ich gedacht hätte. Ich mein, ich hab dann angefangen, mich nach was anderem umzugucken und dann… na ja, ich wollte ja heiraten und bin eben in Düsseldorf geblieben.“

„Du bist verheiratet?“ Entsetzen in Stefanos Blick. Er suchte mit den Augen den Ehering an Jules Hand.

Statt zu antworten, stopfte sich Jule eine dicke Gabel voller Kaiserschmarrn in den Mund. Nein, nein, nein. Darüber wollte sie jetzt nicht reden und auch nicht daran denken! Warum erzählte sie eigentlich so viel? Was ging die zwei das an? Außerdem war sie hier, um sich abzulenken, und nicht, um an ihren Frust zu denken. Sie war nochmal davongekommen. So sah sie es jetzt und beschloss, endgültig Frieden mit ihrer Entscheidung zu machen. Beinahe hätte sie eine Riesendummheit begangen, aber gerade noch die Kurve gekriegt. Geerntet hatte sie statt allgemeinen Beistand einen gewaltigen Shitstorm. Sowohl viral und digital als auch ganz analog Auge in Auge. Dies hatte Jule damit beendet, kurzerhand alle Social-Network-Accounts zu löschen, die Simkarte ihres Handys im Rhein zu versenken und die Flucht anzutreten. Eigentlich kein impulsiver Mensch, hatte sie endlich mal auf ihr Bauchgefühl gehört. Nun saß sie in München und war eigentlich ganz zufrieden damit. Was sollte also dieses blöde Nachbohren von Lorenzo? Überhaupt wäre ihr momentan ein Italiener, der gar kein Deutsch sprach, erheblich lieber. Dann hätte sich die Kommunikation auf das Wesentliche beschränkt: Wie heißt du? Wo kommst du her? Magst du noch ein Bier? Gehen wir tanzen, spazieren, Karussell fahren, knutschen, zu dir oder zu mir?

Vero erbarmte sich und antwortete diplomatisch: „Nein. Sie wollte ursprünglich im Frühjahr heiraten, die beiden haben sich aber kurzfristig dagegen entschieden.“

Stefano sah sie mit großen Augen an. Sein Blick wanderte an Jule auf und ab. Vom Gesicht über ihren Ausschnitt, tiefer und wieder zurück. Er konnte es ganz offensichtlich nicht verstehen. „Autsch… Warum? “

Jule nahm das Kompliment, das in seinem Blick lag, gerne an. „Der Typ kriegt ein Kind mit einer Kollegin.“

„Arschloch!“

Lorenzo hatte die ganze Zeit über gar nichts gesagt. Jetzt zeigte er mit dem Finger auf ihr Kleid. „Ah, deshalb. Verstehe.“

„Was verstehst du?“ Jule verstand nämlich gar nichts.

„Ich wusst’ ja, dass du heiraten wolltest. Hatte mein Onkel mir erzählt. Und ich hab mich heut deswegen schon ein bisserl gewundert … Aber du wärst ja nicht die erste verheiratete Frau auf der Wiesn gewesen, die sich die Dirndlschleife links bindet, weil sie ein lustiges Wochenende will.“

Jule starrte ihn an. Das konnte nicht wahr sein. „Lorenzo, heißt das, du schaust wirklich nach, wo die Schleife sitzt, wenn du eine Frau ansprichst?“

„Ja. Natürlich schaut man. Man will doch wissen, ob es sich lohnt … “

Er grinste sie frech an und hatte sichtlich Spaß. Er war anstrengend ehrlich, aber man konnte ihm nicht lange böse sein. – Und Jule wusste plötzlich wieder ziemlich genau, warum sie sich damals in ihn verliebt hatte.

Bevor sie aber weiter nachdenken konnte, stand die Kellnerin wieder an ihrem Tisch. „Wenn’s ihr nix mehr trinkt, dann geht’s halt, bittschön! Dahinten da warten’s scho auf die Plätze!“

Lorenzo drehte sich um zum Eingang, wo sich eine Truppe singender Südeuropäer mit gelben T-Shirts gerade herausdrängelte und zu ihnen hinüberwinkte.

„Das sind nicht etwa eure Fußballjungs, oder?“, fragte Veronika.

Ohne irgendwen zu fragen oder auch nur anzusehen, antwortete Lorenzo: „Ja. Für mich noch ein Spezi. Stefano, Helles oder Radler?“

„Helles natürlich!“

Vero sah erschrocken auf. „Ja. Jule, Radler? Zwei Halbe bitte!“

Warum fragte sie überhaupt? Jule hatte nicht einmal Zeit gehabt, zu nicken. Sie besah sich die herannahenden Italiener und kicherte. „Lorenzo, sag jetzt bitte nicht, dass du auch so ein gelbes Shirt hast!“

Er nickte schicksalsergeben. „Doch, schon. Ich wollt’ es auch gestern anziehen, aber grad wo ich es in die Hand nehm‘, da wird’s mir schwindlig und ich bleib mit dem Ding an der Türklinke hängen. Da ist es zerrissen.“

„Und du bist dann in den Garten gelatscht, um es deinem Onkel zu beichten?“

„Wollte ich. Aber …. Mir war es plötzlich so seltsam, so leicht und dann doch wieder speiübel! Ich wollte erst durchs Fenster gehen, ich dachte, ich flieg dann da so runter zum Onkel, grad wie so ein Superheld, weißt?“

„Oh Gott! Gut, dass du das dann doch nicht gemacht hast!“

„War keine bewusste Entscheidung.“ Lorenzo schüttelte nachdenklich den Kopf. „Da war ein Auto vor dem Haus und die Türen wurden zugeknallt, Frauenstimmen – da habe ich mich umgedreht und bin die Treppe hinunter. Hat aber eine Weile gedauert bis ich unten war, da lief ja bei mir so ein lustig bunter Film im Kopf.“ Lorenzo grinste.

„Ich glaub, das mit dem Auto und den Türen… könnte sein, dass wir das waren!“, rief Vero.

Er sah sie beide dankbar an. Durch die Nachwirkungen der Droge hatte er einen permanenten Dackelblick, damit würde er hier auf der Wiesn Aufreißer-Rekorde brechen können.

„Dann habe ich das euch zu verdanken, dass ich mich nicht aus dem Fenster gestürzt habe.“

„Das wolltest du wirklich?“ Jule lief es kalt den Rücken hinunter.

„Ja. Das weiß ich genau. Später im Krankenhaus bin ich mit dem fliegenden Teppich unterwegs gewesen – möchte gar nicht wissen, wie das ausgeschaut hat …“

„Och“, grinste Jule. „Ich weiß es.“

Auch Vero nickte wissend. Und Lorenzo schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

„Ah, quá!“ Stefano sprang auf, ging ein paar Schritte auf die Truppe zu, die sich ihnen näherte und herzte einen kleinen stiernackigen Kerl. Mit viel Getöse und Gesinge und penetrant guter Laune kamen jetzt ungefähr zehn weitere Italiener an ihren Tisch.

„Ai Prooossii! Ai Proossii täär Gämduutliii …:“

Der Rest des Wortes ging im allgemeinen Genuschel unter. Keiner war mehr nüchtern. Und keiner konnte Deutsch. Aber alle wollten sitzen und alle wollten Lorenzo und Stefano begrüßen und ihre neuen Bekanntschaften vorstellen. Vor allem wollten sie zu Lorenzo, der am Abend zuvor offenbar schmerzlich vermisst worden war.

Auf Stefanos Sitzplatz neben Lorenzo hatte sich bereits ein junger Mann fallengelassen, der so überhaupt gar nicht nüchtern war, dass er sich sein gelbes T-Shirt ziemlich bekleckert hatte. Womit, wollte Jule nicht so genau wissen. Kaffee und Ketchup waren jedenfalls auch dabei gewesen. Ein anderer war glatzköpfig und von der Figur her eher quadratisch. Zwar hatte sich Jule eben noch Leute mit schlechten Deutschkenntnissen gewünscht, aber bei dieser Auswahl am heutigen Nachmittag …

Der Bekleckerte rückte ein wenig von Lorenzo ab, um für einen recht korpulenten Italiener Platz zu machen. Der aber wollte sich auf gar keinen Fall und um keinen Preis setzen. Ob nicht dahin oder grundsätzlich nicht, wurde Jule nicht klar.

Erschrocken sahen alle auf, als sich plötzlich ein lautstarker Wortschwall über ihnen entlud. Lorenzo rollte genervt mit den Augen und murmelte: „Nicola, Oddio…“

„Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, will dieser Typ sich nicht hinsetzen, weil Lorenzo ihn sonst vergiftet“, übersetzte Vero kichernd.

„Ach wirklich?“, fragte Jule. „Wie denn?“

„Keine Ahnung, die reden zu schnell für mich!“ Vero hörte noch einmal angestrengt zu, betrachtete mal Lorenzo, mal den Dicken und warf dann Stefano einen fragenden Blick zu. Der reagierte aber nicht, sondern versuchte zu vermitteln und schaltete sich in die Diskussion ein. Jetzt stritten sie schon wieder! Und wieder ging es offenbar um Nicola.

„Ho detto, eh?“ Lorenzo war offensichtlich stinksauer auf seinen Freund. Er stand auf, ging um den Tisch herum und quetschte sich zwischen Vero und Jule.

Sie war nicht undankbar, sie hatte jetzt doch lieber Lorenzo neben sich als den Dicken, der jetzt gegenübersaß. Aber noch mehr Jungs in gelben Shirts wollten alle sitzen, deswegen rückte Lorenzo jetzt noch näher ran und schob Jule damit weiter ans Ende der Bank. Wenn jetzt noch einer käme, dann würde sie runterfallen.

Lorenzo tauschte einen amüsierten Blick mit Stefano aus und deutete auf die Begleitung, die an dem einzigen Gutaussehenden der Truppe hing. Jule sah hinüber und überlegte, ob das Mädchen annähernd sechzehn war. Allerdings trug sie eine sehr knappe rote Lederhose, aus der hinten-oben der Spitzenrand ihres schneeweißen Stringhöschens lugte und eine ebenso schneeweiße Dirndlbluse bedeckte notdürftig Schultern und Teile ihres Busens. Alles andere zwischen Blüschen und Höschen war nackte Haut. Stefano klappte der Unterkiefer herunter. Jule musste auch lachen. Das Mädel hatte da irgendetwas falsch verstanden: eine Bluse, die gewissermaßen den BH ersetzte, war ja noch lange kein Dirndl. Sie sprach im Übrigen weder Englisch noch Italienisch oder Deutsch, was die Kommunikation mit ihrem Begleiter auf das Notwendigste reduzierte.

Da alle von diesem Anblick abgelenkt waren, leiteten Vero und Lorenzo den Schubser, den sie von ihrem Nebenmann bekommen hatten, ungebremst an Jule weiter. Und die rutschte jetzt tatsächlich von der Bank. Gerade noch konnte sie sich zur Seite drehen, um nicht mit dem Kinn auf die Tischplatte zu knallen.

Lorenzo erwies sich zum Glück als reaktionsschnell. Mit seiner rechten Hand bekam er Jule noch zu fassen, kurz bevor sie auf dem Boden in einer Bierpfütze landete. Er zog sie mit beiden Händen an den Schultern wieder hoch. Und dann saß sie mit dem Rücken zu Vero auf seinem Schoß. Auf der Bank war ja bekanntlich kein Platz mehr.

„Oh! Äh, Danke.“

„Niente. Gern geschehen. Sehr gern.“ Er lachte. Und diese schwarzen Augen waren jetzt sehr nah bei ihr. Und sahen sie in einer Weise an, dass ihr ganz mulmig wurde. Immer länger. Oh, oooh! Hatte sie jetzt ein Bier zu viel getrunken oder eins zu wenig? Eins weniger und sie hätte sich längst höflich lächelnd einen anderen Sitzplatz gesucht. Eins mehr und sie würde gar nicht erst darüber nachdenken, ob sie ihm heute vielleicht noch etwas näherkommen sollte. Der alten Zeiten wegen.

Das also war der Typ, an den sie vor fünfzehn Jahren beinahe ihre Unschuld verloren hatte? Er hatte eine markant griechisch-römische Nase und war sehr nett und lustig, wenn er nicht gerade lästige Fragen stellte. Aber er hatte immerhin dafür gesorgt, dass sie nicht auf den Boden gefallen war.

„Bist aber ziemlich reaktionsschnell trotz dem Zeug von gestern!“, bemerkte Jule anerkennend. Wie geht’s dir eigentlich?“

„Ach …“ Er sah aus als wollte er verkünden, mit Jule auf dem Schoß ginge es ihm blendend. Dann holte er nochmal tief Luft. „Geht schon, aber das wird kein langer Abend für mich heut, das spür ich. Ich werd dann irgendwann heimgehen und euch den Stefano dalassen – wenn ihr ihn wollt!“

„Och ja, der ist doch sehr nett, lass ihn mal da! Wenn er nicht mit den anderen Jungs da um die Häuser ziehen will. Und du? Legst du dich schlafen?“

Er nickte. „Vielleicht schau ich mit zio Enzo noch einen Krimi. Der hört ja nimmer so gut. Und wenn der Fernseher läuft, da kannst eh net schlafen bei ihm im Haus.“

Ach ja, Enzo und seine Fernsehkrimis! Die waren ihm heilig. Das würde ja ein aufregender Abend für die beiden werden.

Er wandte sich wieder Jule zu, fuhr mit dem Finger an ihrem Kinn entlang und sah sie eindringlich an. „Lass sehen: Hast dir wehgetan am Tisch?“ Diese Geste war so spontan und vertraulich, dass Jule die Augen aufriss und sich fragte, ob sie vielleicht falsche Signale sendete.

Jule schüttelte den Kopf. „Nee, alles gut. Bloß mein Kleid ist unten ein bisschen dreckig geworden, glaube ich.“ Sie setzte sich gerade hin. Quatsch! Er war nur freundlich, nichts weiter.

Vero war aufgesprungen und kam zu Jule, um zu sehen, ob sie bleibende Schäden davongetragen hatte. Aber Lorenzo hatte die Sache buchstäblich im Griff. Mit geradezu brüderlicher Selbstverständlichkeit beugte er sich vor, besah und befingerte ihren Rocksaum.

„Weißt was?“ Er patschte ihr mit der Hand aufs Knie und grinste. „Wir rächen uns!“

Jule wusste sofort, was er meinte, sah fröhlich über seine Schulter ans andere Ende der Bank und nickte prustend. Sie musste sich lachend an ihm festhalten, während er zur Seite rutschte und seinen Nebenmann anrempelte, der Veros Platz natürlich gleich besetzt hatte. Und Vero musste sich einen neuen Platz neben Stefano suchen.

Klar, dass bei dem Rempler von Lorenzo Bier schwappte, sonst hätte sich die Aktion ja nicht gelohnt. Ebenso klar, dass der Angerempelte, der auf den schönen Namen Cesare hörte, ziemlich sauer war. Zumindest so lange, bis Lorenzo ihm weis machte, dass er komplett unschuldig war und Jule ihm den Schubs verpasst hatte. Das änderte die Stimmung. Cesare war nun weniger sauer und begann stattdessen Jule anzubaggern. Sie verstand zwar kaum ein Wort, aber Lorenzo übersetzte. Bis es ihm zu bunt wurde, dann überschüttete er Cesare mit einem italienischen Wortschwall, der von Gesten begleitet wurde, die sehr deutlich machten, dass Jule seine Trophäe war und Cesare doch bitteschön die Finger von ihr lassen sollte. Lorenzos Gesten endeten damit, dass seine Hände an Jules Hüften ruhten. Das war jetzt ein bisschen irritierend. Andererseits hatte sie ja auch noch ihre Hände an seinen Schultern. Gut trainierten Schultern übrigens, so viel konnte sie fühlen. Und überhaupt: Das war alles total freundschaftlich, geradezu brüderlich. Ganz bestimmt.

Er zupfte leicht an ihrem Schürzenband. „Tut mir leid wegen vorhin, ich hätte nicht so nachbohren dürfen. Ich wollte kein Thema aufbringen, dass irgendwie … naja …“

„Ist okay, Lorenzo. Konntest du ja nicht wissen.“

Sie sah ihn an und entfernte seine Hand von ihrer Schleife. Mit dem Erfolg, dass sie auf ihrem Knie landete. Und das war kein bisschen brüderlich.

Italiener-Wochenende

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